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Volume No. 11, 8. Mai 1918

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue45.1918 (Public Domain)

Sitzung am 8. Mai 1918. 
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€ 3 
man von Fleischbezug und Fleischkonsum überhaupt noch 
sprechen kann! Jc< meine, daß, was uns seit Wochen 
und Monaten gegeben wird, verdient kaum noch den 
Namen Fleisch, und ich glaube doch nicht etwa, daß der 
Verkürzung der Brotration und ihren Folgen schon durch 
die Bekundung vorgebeugt worden ist, daß dem Fleisch 
eine größere Knochenbeilage " gegeben werden soll. Ja, 
m. H., wenn der Ausgleich vielleicht in andern Dingen 
auch noch so geschaffen wird wie hier schon beim Fleisch, 
dann wehe uns! Richtig ist aber, daß, wenn es unum- 
gänglich notwendig ist, wenn es nicht etwa gelingt, die 
notwendige Menge, sei es aus dem Jnlande, sei e3 aus der 
vielgenannten Ukraine, heranzuschaffen, andere Nahrung3- 
mittel in weit höherem Maße zur Verfügung gestellt 
werden müssen. Dann wird man, ob man will oder nicht, 
ein höheres Quantum von Kartoffeln bewilligen müssen; 
dann wird man wohl oder übel auf die Bestände zurück- 
greifen müssen, die etwa an Teigwaren, Graupen, 
Grüße und all den Dingen noch vorhanden sind, die jekt 
auch schon sehr spärlich in der Bevölkerung zusammen- 
fließen. Geschieht das nicht, so gehen wir allerdings sehr 
ernsten Zeiten entgegen. 
M. H., der Unwille der Berliner Bevölkerung hat 
jich ja schon Ausfluß verschafft. Ich sagte vorhin mit Recht: 
im großen und ganzen zeigt die Berliner Bevölkerung 
und die Bevölkerung überhaupt gegenüber den Verhältnissen, 
die wir haben, eine Lamme8geduld. Aber über eine gewisse 
Grenze hinaus fößnen auh die geduldigsten Menschen 
nicht alles ertragen, 
(Zuruf) 
und wir an dieser Stelle haben mit einen Teil Verant- 
wortung für die Dinge, die sich abspielen könnten. 
Herr Kollege Hofsmann war so liebenswürdig, zu 
rufen: Na endlich! Er hat derartige Ausführungen von 
mir wenig gehört; vielleicht hat das daran gelegen, daß 
wir früher weniger befannt waren; vielleicht sind wir 
aber jekt in der Lage, bekannter zu werden, so daß Hexx 
Hoffmann sich die Ausgaben für das „Na endlich!“ 
sparen kann. 
(Es geht über gewisse Grenzen nicht hinaus, und an 
dieser Grenze sind wir jeht angelangt. Da brauchen wir 
nicht Gelehrte; wir wissen am eigenen Leibe, wie die. 
Dinge liegen. Und wie steht es jekt mit der Brotration ? 
Gehen Sie hinein in die Familien der ärmeren Bevölkerung! 
Da werden Sie finden, daß am Mittwoch, Donnerstag 
die Brotration zu Ende ist, und wenn dieses Nahrung3- 
mittel noch weiter verkürzt werden soll ' und dem 
Manne nicht andere Nahrungsmittelstellen wenigstens 
einen Ausgleich schaffen, dann ist das Schlimmste in bezug 
auf die Ernährung zu befürchten. 
DeSshalb schließen wir uns dem Antrage gern an; 
wir wünschen nur, daß er Erfolg hat, daß man endlich 
an den Stellen, die die Verantwortung für die Dinge 
über uns hinaus tragen, einsieht, daß es so nicht weiter 
gehen kann, daß man auch für die Berliner Bevölkerung 
in einem Sinne sorgen muß, der ihren Interessen dient, 
der ihr das Durchhalten möglich macht, das von ihr ver- 
langt wird. 
(Lebhafter Veifall.), 
Stadtv. Mommsen: Auch meine Freunde schließen 
jich dem Antrage an. Es war wohl von vornherein 
selbstverständlich, daß in dieser Versammlung und auch 
beim Magistrat darüber, Uebereinstimmung herrscht, daß 
eine etwa eintretende weitere Herabsezung der Brotration 
gerade für die Berliner Bevölkerung besonders schädigend 
wirkt. Wir wissen, daß die Reichsöbehörden große Sorge 
haben, wenn sie gezwungen sind, eine weitere Herabjehzung 
eintreten zu lassen. Der qute Wille besteht jedenfalls auch 
dort; leider hängen wir von den Tatsachen ab, und wir 
wissen genau, daß, wenn die Verhältnisse in der Ukraine 
nicht in irgendeiner Weise aus ihrer Verwirrung heraus- 
kommen, wir wahrscheinlich schon in allernächster Zeit mit 
Herabsezungen rechnen müssen. Wir wollen auf Politik 
nicht eingehen; das geht uns nicht3 an. Aber eins können 
wir doch, auch meine Freunde im Einverständnis mit den 
andern Fraktionen tun; das wird auch der Magistrat erneut 
zur Geltung bringen: die Berliner Bevölkerung muß in 
der Nahrungsmittelversorgung anders behandelt werden 
als die Bevölkerung des übrigen Reichs. ES ist Tatsache, 
daß es in keiner Stadt, in keinem Teil des Landes mit 
der Ernährung der großen Bevölkerung =- es trifft nicht 
nur die Arbeiter, sondern die gesamte Bevölkerung. -- so 
schlecht bestellt ist wie in Berlin. Wenn Sie einmal Herren 
aus Süddeutschland einschließlich der Oberbürgermeister der 
großen Städte sprechen, die häufig Gelegenheit haben, in 
Berlin die Ernährungsverhältnisse am eigenen Leibe zu 
erfahren, so werden diese Ihnen zugeben, daß sie schließlich 
gelernt haben, daß tatsächlich Berlin schlechter dasteht als 
andere deutsche Städte. Diese Erkenntnis muß meiner 
Meinung nach auch den Reichöbehörden immer wieder 
gepredigt werden, und es wird Aufgabe des Magistrats 
sein, bei de etwaigen Herabsekung der Brotration erneut 
darauf hinzuweisen, daß Berlin anders behandelt werden 
müsse als die andern Teile des Reichs. Es stände gar 
nichts entgegen, wenn überhaupt eine Verkürzung eintritt, 
daß die städtische Bevölkerung Berlins entweder gar keine 
oder eine geringere Verkürzung bekommt als die andern 
Teile im Reich. Es ist Tatsache, daß in allen Landbezirken 
die Ernährung viel besser ist als bei uns, und das muß 
zur Geltung gebracht werden. 
'  De3halb begrüßen wir den Antrag, der diesen Gesichts- 
punkt noch einmal hat hervordringen lassen, und wir hoffen, 
daß der Magistrat mit seinen Vorstellungen in dieser 
Beziehung einen Erfolg haben wird, wenn wir auch an- 
erkennen daß eine Vorstellung des Magistrats gegen eine 
Herabsekung der Brotration im- Reiche an sich, wenn 
genügend Brot nicht da ist, keinen Erfolg haben kann. 
M. H., es ist wiederholt davon gesprochen, welche 
Lammsgeduld die Berliner Bevölkerung gezeigt hat. Es 
ist feiner, der das verkennt, und wir dürfen durchaus stolz 
därauf sein, daß die Berliner Bevölkerung bis zu den 
Arbeitern und den geringst Bezahlten es verstanden hat, 
sich während des Krieges den Notwendigkeiten zu fügen. 
M. H., aber wir wollen gerade in dem Stadium des 
Weltkrieges, in dem wir uns jeht befinden, auch daran 
keinen Zweifel auffommen lassen, wenn uns wirklich noch 
weitere Einschränkungen auferlegt werden sollten, daß auch 
dann die Berliner Bevölkerung durchhalten muß und 
schließlich durchhalten kann. M. H., wenn wir zu den 
Gelehrten gegangen wären, die schon vor vielen Jahren 
ausgerechnet haben, daß der Mensch mit den Lebensmitteln, 
die nach der Rationierung einem jeden zufallen, nicht leben 
kann, dann wäre unsere ganze Bevölkerung schon längst 
verhungert. . . 
. (Lebhafte Zurufe.) a | 
Gott sei Dank kann der Mensch tatsächlich, wenn ex.guten 
Willen und das genügende Pflichtbewußtsein hat, wie es 
ein jeder von un35 hat, eben mehr aushalten, und wir 
wollen unsern Feinden nicht den Triumph gönnen, daß 
sie mit ihren AuShungerungsplänen schließlich doch noch 
recht behalten. Darum, was auch kommen mag, wir 
werden mit den Arbeitern durchhalten, wie es notwendig ist. 
(Lobhafter Beifall und Widerspruch.)
	        
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