Path:
Volume No 3, 23. Januar 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

was sw in Zukunft tun und lassen werden, etwas vorsich 
tiger sein. 
Bezüglich der Zusammensetzung der Wohnnugsdepu 
tation hätten wir allerdings etwas andere Wünsche. Der 
Magistrat schlägt vor, dass die Deputation bestehen solle 
ans 4 Magistratsmitgliedern, 5 Stadtverordneten und 
5 Bürgerdeputierteu, unter denen ein Arzt und ein Bau 
sachverständiger sich befinden sollen. Was das letztere be 
trifft, so haben wir ja wohl im Magistrat selbst und in der 
Versammlung Herren, die im Baufach und in der Aerzte- 
schaft hervorragende Stellungen einnehmen. Uns scheint eine 
solche Zusammensetzung daher dem Umfang und der Wich 
tigkeit der Geschäfte, die das Wohnungsamt auszuführen 
haben wird, nicht zu entsprechen. Die neu gebildete Depu 
tation für das Rettungswesen besteht ans 4 Magistrats 
mitgliedern, 8 Stadtverordneten und ß Bürgerdepn 
tierten. Wir erlauben uns daher, für die Wohnuugsdepu- 
tation vorzuschlagen: 4 Magistratsmitglieder, 8 Stadtver 
ordnete und 3 Bürgerdeputierte. 
Wir halten es aber ferner für unbedingt erforderlich, 
daß auch schon in der Spitze, in der Wohuungsdeputaliou, 
Frauen zur Mitwirkung berufen werde». 
(Sehr richtig!) 
Meine Herren, wie notwendig das ist, das können Sie daraus 
ersehen, das, in dem Charlottenburger Statut bestimmt wird, 
daß in der dortigen Wohnungsdeputation, also für die sehr 
viel kleineren Verhältnisse in Charlottenburg, 3 Frauen 
sitzen müssen. Welche Stellung wir diesen Frauen in der 
Deputation einräumen werden, darüber können wir uns im 
Ausschuß des näheren unterhalten. Wir stehen ans dem 
Standpunkt, daß dieses Wohnungsamt keine auf Grund 
von § 55) der Städteordnnng gebildete gemischte Deputation 
ist, und daß wir somit den Frauen in dieser Deputation 
volle Rechte einräumen können; aber, meine Herren, .wir 
können uns des näheren darüber im Ausschuß unterhalten. 
Sind wir also mit dem, was die Vorlage bringt, vor 
behaltlich näherer Prüfung im Ausschuß, im großen und 
ganzen einverstanden, so haben wir lebhaft zu bedauern, 
daß die Vorlage Erhebliches nicht bringt, was sie unseres 
Erachtens unbedingt hätte bringen müssen. Unser Antrag 
verlangt bekanntlich in seinem zweiten Teil auch die Er 
richtung eines unentgeltlichen Wohnungsnachweises für klei 
nere Wohnungen. Da die Vorlage in der vorhin gekenn 
zeichneten Weise jeden Zusammenhang zwischen sich und 
unseren Anträgen abzustreiten versucht, so ist es erklärlich, 
daß sie kein Wort über die Gründe bringt, die den Magistrat 
zur Ablehnung dieses Teils unserer Forderungen geführt 
haben. Wir erhielten aber im Hochsommer vorigen Jahres 
eine Denkschrift zur Wohnungsfrage, und diese Denkschrift 
verbreitet sich ziemlich ausführlich über die Gründe gegen 
die Errichtung eines Wohnungsnachweises. Je mehr es 
nun anerkannt werden muß, daß diese Wohnungsamtsvor- 
lage und ihre Begründung sich absolut fern hält von jenem 
kleinlichen, engherzigen Geist, der die Denkschrift von vorn 
bis hinten durchzieht — ich wäre in der Lage, diese Be 
hauptung durch einen Vergleich mit der Charlottenburger 
Denkschrift Seite für Seite zu belegen —, um so bedauerlicher 
ist es, daß der Magistrat bezüglich des zweiten Teils unserer 
Forderungen sich die Ablehnuugsgrüude der Denkschrift zu 
eigen gemacht hat. Die Denkschrift beginnt ihre Ablehnnngs- 
grnnde mit den folgenden Sätzen: 
Ein Wohnungsnachweis für kleine Wohnungen erscheint 
nur dann erforderlich, wenn ein Wohnungsmangel be 
steht. Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß der Woh 
nungsmarkt für Groß Berlin als einheitlicher zu be 
trachten ist. Die Bevölkerungsbewegung ist im großen und 
ganzen nicht an die politischen Grenzen der einzelnen Ge 
meinde gebunden. 
Meine Herren, so viel Worte, so viel Unrichtigkeiten! 
(Sehr richtig!) 
Soll in Zeiten eines Wvhnungsmangels ein Wohnungs 
nachweis nutzbringend arbeiten können, dann muß es doch 
selbstverständlich vorher schon geschaffen sein und sich ein 
gebürgert haben. Daß ein Wohnungsamt nutzbringend ar 
beiten kann, wagt auch die Denkschrift nicht zu bestreiten. 
Sie kommt aber darüber mit der kühnen Behauptung hin 
weg, daß, von außerordentlichen Verhältnissen abgesehen, 
weder für jetzt noch in Zukunft für Berlin oder Großberlin 
so leicht ein Wohnungsmangel zu befürchten ist. Diese Be 
hauptung ist umso kühner, wenn Sie die Mitteilungen im 
Gemeindeblatt verfolgen. Dort hat vor wenigen Wochen 
gestanden, daß der Wöhuuugsmarkt bei uns in Bei». 
wieder in erheblicher Weise im Anziehen begriffen ist. IV 
(Zurufe: Ra, ua!) |b 
Ich tann Ihnen nachher im Ausschuß die Zahlen geb»s 
meine Herren! Diese Behauptung sowie die fernere Behau« 
tung, daß der Wohnungsmarkt für Großberlin nur als clte 
einheitlicher zu betrachten ist, wird doch aber geradezu schlfcr 
gend durch die Tatsache Lügen gestraft, daß noch vor re (all 
kurzer Zeit unsere Nachbargemeindeu Charlottenburg ml 
Schöneberg für ihre. Weichbildgrenzeu unentgeltliche Wol 
uungsnachweise für kleinere Wohnungen eingerichtet Habel, 
Weitn Charlottenburg und Schöneberg eine solche @iitri™ Dr 
tung für ihre Weichbildgrenzeu für notwendig und nützlilg 
halten, dann macht es ans mich einen fast grotesken Eil 
druck, wen» die Denkschrift behauptet, daß für Berlin ul 
seinem mehr als 20 mol so großen Umfang ein solcher Wo«,, 
I nuugsuachweis nicht angängig und nicht nötig sei, weil dlm 
Wohnungsmarkt für ganz Großberliu in Betracht käme. | c] 
Es kommt hinzu, daß die Reichstagskommission ul 
auch die Gesellschaft für soziale Reform in ihren Wohnung» 
resolntionen aus wohl erwogenen Gründen ausdrücklich vel 
laugen, daß jedem Wohnungsamt ein unentgeltlicher Wol® 1 
nungsnachweis mindestens für kleinere Wohnungen anglich 
gliedert werden müsse. Der Berliner Magistrat entschlief!:, 
sich tum nach mehr als Jahrzehnte langem Zögern, ein»ft 
Schritt vorwärts zu tun; aber indem er vorwärts schreitest 
hält er schon in ne und macht den Schritt kleiner, als nndel 1 ' 
Kommunen ihn getan haben, und als er getan werden miißllft 
Der Verfasser der Denkschrift weiß auch augenscheiuliW^ 
nicht, daß das kommunale Wahlrecht an die Weiehbil»^ 
grenze gebunden ist; er weiß nicht, daß sehr weite Krei» 
der Berliner Bevölkerung, und wahrlich nicht die schlechteste»" 
den größten Wert darauf legen, dieses Berliner kommunal“ 1 
Wahlrecht nicht zu verlieren, und aus diesem Grunde schul 1 ! 
an die politischen Grenzen unserer Gemeinde gebunden siitl 1 
Geradezu unglaublich aber mutet der folgende Satz dl,, 
Denkschrift an: Lj 
Wenn auch die Gemeinde die Pflicht hat, für ein ail, t 
gemessenes Unterkommen ihrer Angehörigen zu sorgen, 
ist doch keinerlei Anspruch der Kreise, die weit über boL 
Bedürfnis hinaus und zum Schaden des platten Landes, 
in die Großstadt strömen, anzuerkennen, in der GroßftaiL 
oder gerade in der politischen Gemeinde Berlin ltutciL 
gebracht zu werden. L 
Weint man derartige Ausführungen im preußischen AbgcL 
ordnetenhaus von dem Herrn voü Soundso aus PommerL, 
hört, daun zuckt man die Achsel, weil man es gewohnt iiL 
und es nicht ändern kann. Aber derartige Ausführungcl. 
in einer amtlichen Denkschrift des Berliner Magistrats iiL 
Jahre 1913, das ist ungefähr das Unglaublichste, was iitiL 
in meiner doch immerhin schon, ziemlich langen Tätigfeil, 
hier vorgekommen ist. Ich frage Sie, meine Herren: tuiL. 
denn die kleinen Steuerzahler, aus die hier angespielt luirbL 
ihre Pflichten gegen unsere Stadtgemeinde nicht genau jL 
gut, ja prozentual in höherem Maße noch wahrscheiuliclL 
wie die reichen Steuerzahler? Ich meine also, mit solche»,, 
Ausführungen sollte man doch hier in diesem Saal nichL 
kommen. 
Wie wohltuend berühren demgegenüber die AusftihL 
rintgen bezüglich des Wohnungsnachweises in dem Eharl, 
lottenburger Jahresbericht, Ausführungen, die nachzuleseiL 
ich dem Herrn Verfasser der Denkschrift nur empfehlen kann 1, 
Meine Herren, es gibt noch zahlreiche andere Gründe« 
die zwingend für die Errichtung eines WohuuugsnachweiseL 
sprechen. Ich behalte mir vor, diese im Ausschuß de« 
Herren des näheren darzulegen. Meine Herren, der t'othiiL 
erwähnte erste Bericht des Charlottenburger Wohnungsamt« 
beginnt mit den folgenden Sätzen: L 
Das erste Jahr der städtischen Wohnungsaufsicht Hai, 
die Erwartungen nicht enttäuscht, mit denen der Magistrat 
ihm entgegensah. Das Jahr hat gezeigt, daß ein Wol,Lj 
unugsamt, insbesondere eine Wohnungsaufsicht, für Charlg 
lottenburg notwendig gewesen ist. f . I,, 
Meine Herren, ich habe nicht den geringsten Zweifel, das! 
der Berliner Magistrat übers Jahr seinen ersten Berich« 
über die Tätigkeit des Wohnungsamtes mit genau dei« 
gleichen Sätzen wird beginnen können; ja, man wird binnen« 
kurzem vermutlich kaum verstehen, wie es überhaupt dem»-, 
möglich gewesen ist, so lange ohne ein Wohnungsamt aus-« 
zukommen. I, 
Wir bitten Sie, die Vorlage in einen Ausschuß zipi 
verweisen. Es besteht ja seit dem Jahre 1911 bereits ein«
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.