Stadtv.-Vers. Sitzung am 11. Dezember 1913.
481
Sie heute die Beihilfe, und erwarten Sie den Bericht, ob Ver
stadtlichung oder nicht!
(Bravo!)
Stadtverordneter Cassel: Meine Herren, meine
Freunde werden auch für die sofortige Bewilligung der
5 000 Jt stimmen. Es ist vielfach hervorgehoben, zuletzt von
dem Herrn Magistratskommissar, daß in einem Ausschusse
der Deputation die ganze Regelung des Rettungswesens und
Transportwesens besprochen wird. Das Bedürfnis, daß zur
zeit zur Bewirkung des Transportes der Beitrag von 5 000 M
gegeben werden muß, ist eigentlich von keiner Seite geleugnet
worden.
Nun sagt Herr Kollege Weyl, es sei eine Zurücksetzung
gegen den Ausschuß, wenn man, ohne seine Beratung abzu
warten, die 5000 M bewilligt. Das kann ich nicht finden.
Im Ausschuß soll das dauernde Ziel, wie das Transport
wesen am besten zu regeln ist, beraten werden; daneben er
wächst uns die Verpflichtung, für den Augenblick zu sorgen,
daß der Transport jetzt bewirkt werden kann. Wäre man
böswillig, so könnte man zu der Annahme kommen, der An
trag, 5000 M abzulehnen, hätte bloß den Zweck, dem Aus
schuß die Arbeit zu erleichtern, daß die Stadt, weil der Ver
band den Transport nicht bewirken kann, die Kranken aber
transportiert werden müssen, die Ausgabe sofort übernimmt,
abgesehen davon, ob er mit seinen Beratungen zu Ende ist.
Ich glaube hingegen, daß der Ausschuß mehr Freiheit der
Beratung hat, wenn man die 5000 M heute bewilligt, als
wenn man sie ablehnt. Lehnen wir sie ab, so wird uns die
Frage aufgezwungen, was wir machen sollen. Es ist meiner
Meinung nach viel besser, jetzt zu bewilligen, was jetzt not
wendig ist, und dem Ausschuß die weitere Beratung zu
überlassen.
Stadtverordneter Dr. Weyl: Meine Herren, ich
möchte ausdrücklich betonen — Herr Kollege Cassel hat
wohl nicht richtig zugehört —: es ist mir nicht eingefallen,
den Antrag zu stellen, daß die Summe abgelehnt wird.
Ich habe gesagt: die Beschlußfassung darüber — ich nehme
an, eine zustimmende — soll der Ausschuß fassen, der im
Januar, wenn wir die allgemeine Vorlage vom Magistrat
bekommen, sich mit allen Zuwendungen an Wohlsahrts-
einrichtungen beschäftigt. Bis dahin wird nach meinen
Informationen, die ich für zuverlässig halte, der Verband
nicht daran denken, seine Pforten zu schließen; eine Ge
fahr für die Bevölkerung ist nicht vorhanden. Uns liegt
nicht sowohl daran, die 5000 M zu sparen, sondern daran,
daß die Notwendigkeit der Verstadtlichung des Transport
wesens immer und immer wieder betont wird.
Schließlich ein paar Worte gegenüber Herrn Kollegen
Ritter. Er hat es so dargestellt, als ob das Transport
wesen des Verbandes für erste Hilfe so tadellos funktioniere
wie unser städtisches Rettungswesen. Nein, Herr Kollege
Ritter, so liegen die Dinge nicht. Auch der Herr Ma
gistratskommissar hat hervorgehoben: was die kaufmännische,
finanzielle Leitung des Verbandes angeht, so begegnet sie
berechtigten Zweifeln. Was das Material des Verbandes
angeht, totes und lebendes, so liegt es in der Natur der
Sache, daß es, weil die Leutchen seit vielen Jahren daraus
warten, übernommen zu werden, minderwertig ist.
(Zuruf: Beweisen Sie das!)
— Ich kann es damit beweisen, daß der örtliche Leiter des
Transportwesens wie alle diejenigen, die damit zu tun
haben, selber angibt, daß schon eine ganze Reihe von Wagen,
von lebendem und totem Material, ersetzt und ergänzt
werden müßten, wenn sie nur über das nötige Geld ver
fügten.
(Zurufe.)
Bitte, Herr Kollege Ritter, regen Sie sich nicht dar
über aus! Dem Verbände liegt sehr viel daran, nicht alle
Jahre mit diesem Bettel zu kommen, sondern recht bald
der Stadt ein Transportwesen zu bieten, das auf einer
gesunden finanziellen Grundlage beruht. Wenn wir im
Gegensatz zu der Auffassung des Herrn Kollegen Ritter
für die Verstadtlichung des Transportwesens eintreten, so
liegt das daran, daß das private Transportwesen, wenn es
auch gut funktionieren mürbe, nicht dasselbe für die Stadl
leisten kann ivie ein von der Stadt eingerichtetes, hinter
dem die Kapitalsmacht der Stadt steht, an das man An
forderungen stellen kann, wie man sie an ein privates
Transportwesen nicht stellen darf. Herr Kollege Ritter
sollte doch wissen, daß heutzutage immer noch arme Kranke,
besonders die Kinder, auf der Straßenbahn und mit dem
Omnibus befördert werden, und daß dadurch der weiteren
Ansteckung Tür und Tor geöffnet wird. Das tvird auf
hören, sobald das Transportwesen verstadtlicht wird; des
wegen schwebt uns allen dieses Endziel vor.
Stadtverordneter Bamberg: Meine Herren, eine
Aeußerung des Herrn Kollegen Weyl zwingt mich zu einer
Erwiderung. Der Herr Kollege Weyl hat gesagt, der Verband
für erste Hilfe wäre schon, wie man im Berliner Jargon
sagt, pleite gewesen, als er begann. Dagegen muß ich im
Namen des Verbandes Verwahrung einlegen. Ich kenne den
Verband; er ist seinen Verpflichtungen immer nachgekommen.
Bankrott ist derjenige, der seine Zahlungen einstellt; das ist
aber bei dem Verbände für erste Hilfe nie der Fall gewesen.
Selten hat ein Verband so Vorzügliches geleistet wie dieser.
Auch ist das Material nicht, wie es der Herr Kollege Weyl
hinstellt, minderwertig; nein es ist ganz ausgezeichnet. Wie
sich alles Inventar mal abnutzt, so werden die Leute auch
einzelne abgenutzte Wagen haben. Wir nutzen uns ja auch ab,
meine Herren!
(Große Heiterkeit.)
So nutzt sich auch das Inventar ab, und so werden wohl
auch einzelne minderwertige Wagen dabei sein.
Nun will Herr Kollege Weyl die 5 000 M wohl be
willigen, aber erst beim nächsten Etat, im März oder April.
Aber niemand hat bestritten, daß der Verband, der seine
Ausgaben zum großen Teil durch Beiträge von wohlhabenden
Leuten deckt, das Geld nicht braucht; es ist sogar gesagt
worden, daß er es sofort braucht. Das hat auch Kollege
Weyl nicht bestritten. Deswegen richte auch ich an Sie die
Bitte, die 5 000 M sofort zu bewilligen.
Stadtverordneter Dr. Weyl: Herr Bamberg hat
sich als Kronzeuge für den Verband für erste Hilfe auf
gespielt. Ueber die Frage, ob eine Institution finanziell
auf gesunder Grundlage basiert, wird die Auffassung eines
Bankiers, eines Kaufmanns immer eine andere sein als
die Auffassung eines Menschen, der nur über gesunden
Menschenverstand verfügt. Für Herrn Kollegen Bamberg
ist der Verband für erste Hilfe noch nicht bankrott, weil
eine Konkurserklärung noch nicht stattgefunden hat; er
wird aber bestätigen, daß der Verband, so lange er be
steht, immer aus. den Bettel gegangen ist, auf 5en Bettel
gehen mußte.
Vorsteher Michelet: .Herr Kollege Weyl, ich möchte
Sie bitten, ein klein wenig mäßiger in Ihren Ausdrücken zu
sein. Warum sollen wir uns so scharf gegenübertreten!
Stadtverordneter Dr. Weyl: Scharfe Ausdrücke
habe ich nicht gebraucht; sonst hätte ich von „Schnorren"
gesprochen. Die Tatsache steht fest, daß die Verhältnisse
dieses Verbandes stets stark brüchtig gewesen sind. Zur
eigentlichen Bankrotterklärung hat es noch nicht ausge
reicht, wahrscheinlich, weil die Mittel für die Bankrott
erklärung nicht einmal vorhanden waren.
Vorsteher Michelet: Herr Kollege Weyl, ich muß Sie
bitten, sich in Ihren Aeußerungen wirklich in den Grenzen
zu halten, die wir hier gewohnt sind.
Stadtverordneter Dr. Weyl: Jedenfalls kann man
nicht behaupten, daß der Verband sich in guten finan
ziellen Verhältnissen befindet. Daß dem Verbände für den
Augenblick gedient ist, wenn er jetzt 5000 M bekommt, wird
von keiner Seite geleugnet; aber daß er dadurch auf eine
gesunde finanzielle Basis gestellt wird, kann niemand be
haupten.
Gegenüber der Behauptung des Herrn Kollegen Bam
berg, das Material sei einwandfrei, — —
(Zuruf: Ausgezeichnet ist es!)
Um so mehr blamieren Sie sich, wenn ich Ihnen sage,
daß die Kollegen, die in dem Ausschuß sitzen, auch die
bürgerlichen Kollegen, die Kollegen aus Ihren Reihen, die
in dem vom Rettungswesen eingesetzten Ausschuß sitzen,
Ihnen erzählen iverden, daß diese Lobeserhebung doch ein
bißchen zu weit geht, daß manches Material ayg abge
nutzt ist, und daß die Leute beim besten Willen aus Rück
sicht auf ihre finanzielle Lage nicht in der Lage sind, das
Material so frühzeitig und so gediegen zu ersetzen, >vie
es eigentlich nötig wäre.