Path:
Volume No 33, 13. November 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

440 
Stadtv-Vers. Sitzung am 13. November 1913. 
von den Privatlyzealdircktoren, die luir mit städtischen 
Mitteln unterstützen, uns neulich ganz naiv die Mitteilung 
gemacht hat, daß er eine Eingabe beim Minister eingereicht 
habe mit der Bitte, doch die staatliche Anstalt aus Berlin 
zu entfernen. 
(Hört, hört!) 
Meine Herren, ich sagte, zwei Drittel der Mädchen 
Berlins würde bisher nicht in städtischen Anstalten unter 
richtet. Die Stadtverwaltung hat sich hierbei große Ver 
säumnisse zuschulden kommen lassen. Das schöne Idyll wurde 
erst gestört, als durch die Neuordnung des höheren Mädchen- 
schulwesens von 1908 das Fortbestehen der Privatmädchen 
schulen in Frage gestellt wurde. Es wurden derartig hohe 
Ansprüche gestellt, namentlich an die Erteilung des Unter 
richts durch akademisch vorgebildete Lehrkräfte, daß die 
Privatmädchenschulen, wenn sie den Rang des lO klassigen 
Lyzeums haben wollten, ohne Unterstützung nicht auskommen 
konnten. So haben sich bereits sehr bald nach der Einfüh 
rung dieser neuen Bestimmungen die Privatmädchenschulleiter 
an die Stadt um Unterstützung gewendet. Schon im Jahre 
1911 haben wir au die privaten Mädchenschulbesitzer die 
Summe von 90 000 M gezahlt. Ich bedaure, daß über diese 
Summe und ihre Verteilung in dem Verwaltungsbericht für 
1911 über das höhere Schulwesen nichts mitgeteilt worden 
ist; wenigstens habe ich darin nichts finden können. Ueber 
das Jahr 1912 liegt zu meinem Bedauern der Bericht noch 
nicht vor. Leider wird dieser Bericht über das höhere Schul 
wesen gegeben in Verbindung mit dem allgemeinen Magi 
stratsbericht in Nr. 1 der Jahresberichte. Ich würde wünschen, 
daß hierin eine Trennung stattfindet, und daß wir infolge 
dessen den Bericht auch früher erhalten. 
Meine Herren, als die erstmalige Unterstützung beschlossen 
wurde, machte ich in der Deputation einen anderen Vor 
schlag; ich sagte: wir sind einmal zunächst auf das Bestehen 
der großen Anzahl privater Mädchenschulen angewiesen, aus 
der andern Seite aber haben wir alles Interesse, sie nach 
und nach durch städtische Anstalten zu ersetzen. Dagegen 
wird überhaupt ein Widerspruch nicht bestehen. Ich schlug 
aber vor, daß diesen Mädchenschulen aufgegeben werde, auf 
die Oberstufe zu verzichten, während die Stadt auf die 
Unterstufe in den höheren Mädchenschulen verzichten sollte. 
Die Möglichkeit dazu war gegeben; denn in den Bestim 
mungen heißt es ausdrücklich, daß ein Lyzeum auch mit einer 
Mittelschule allein bestehen kann, d. h. ohne Oberstufe. Die 
Regierung, die den Notstand der privaten Mädchschulen vor 
gesehen hatte, hatte in den allgemeinen Verfügungen über die 
Ausführung der Bestimmung von 1908 ausdrücklich erklärt, 
daß die Anerkennung solcher Schulen als Lyzeum gestattet 
ist, und hinzugefügt: 
„Es ist anzunehmen, daß Privatschulen . . . von jener 
Form des Lyzeums Gebrauch machen werden." 
Der Vorteil bei Befolgung meines Vorschlages märe 
folgender gewesen. Die hohen Ausgaben für die Mädchen 
schulen erwachse» in der Oberstufe, wo der Unterricht durch 
akademische Lehrkräfte stattfinden soll; gute Geschäfte machen 
die Schulleitungen mit der Mittelstufe und der Unterstufe, 
wie wir ja auch wissen, daß bei unseren höheren Lehr 
anstalten die Vorschulen geradezu eine Einkommensquelle für 
die Stadt sind, während wir für die höheren Klassen zu 
zahlen müssen. Es wäre für die privaten Mädchenschulen 
eine Entlastung gewesen, wenn sie die Oberstufe nicht gehabt 
hatten; sie hätten Vorteile gehabt, wenn wir die Unterstufe 
aufgehoben hätten; denn nicht alle Schülerinnen unserer 
Unterstufen wären zur Gemeindeschule übergegangen, ein 
großer Teil hätte sich den privaten Schulen zugewendet. 
Auf der andern Seite hätten wir durch das Freiwerden der 
Klassenräume für die Unterstufen die Möglichkeit gehabt, die 
Oberstufen zu verstärken, so daß wir in der Lage waren, 
das Schülerinnenmaterial, das aus den privaten Anstalten 
kam, in die Oberstufe» zu übernehmen. Ich bemerke aus 
drücklich, daß eine Schule ohne Oberstufe sich Lyzeum nennen 
darf, ist keine reine Form; es bedeutet, daß eine Aufnahme 
prüfung bei der Versetzung in die nächste Klasse der Oberstufe 
nicht stattfindet, wenn die Schülerinnen in die städtischen 
Anstalten übergehen. 
Dieser Plan wurde damals nicht angenommen; ich 
werde auch heute einen solchen Antrag nicht stellen. Ich will 
nicht einmal vorschlagen, daß Sie bei der Neugründung von 
Mädchenschulen, die uns bevorsteht, ohne weiteres von der 
Unterstufe absehen sollen. Etwas Unerhörtes wäre das nicht; 
ich habe die Beschlüsse der Frankfurter Stadtverordneten 
versammlung bei mir, die in diesem Jahre beschlossen hat, 
bei der Errichtung neuer höherer Lehranstalten von der Ein 
führnng einer Unterstufe abzusehen und außerdem die be 
stehenden Unterstufen abzubauen, und zwar bei Mädchen 
wie bei Knabenschulen. Ob diesem Antrage bereits Folge 
gegeben ist, weiß ich jticht. Erinnern darf ich daran, daß 
auch bei uns einmal vom Magistratstische erklärt wurde: 
die Aufhebung der Vorschulen bei den bestehenden Anstalten 
können wir nicht empfehlen, dagegen wollen wir bei Eröf 
nung neuer Anstalten Vorschulen nicht einrichten. Leider i 
dem nicht stattgegeben worden; Sie werden sich erinnern, da 
bei der Kirschneroberrealschule sofort mit der Eröffnung einer 
Vorschule begonnen wurde. 
Ich möchte im Ausschuß nur vorschlagen, daß wir an 
dieser Stelle, am Tempelhofer Ufer, und zu dieser Zeit 
von der Eröffnung der Unterstufe absehen. Ich verbinde 
natürlich damit den Hintergedanken — das erkläre ich 
offen —, daß ich auch später gern gegen die Eröffnung der 
Unterstufe stimmen wurde; aber es soll Ihnen unbenommen 
bleiben, nachher beim Aufbau der Schule, wenn wir über die 
Errichtung des Gebäudes sprechen, die Unterstufe mit ein 
zurichten. Was mich dazu bewegt, in diesem Augenblic 
wenigstens auf alle Falle die Unterstufe abgelehnt sehen zu 
wollen, das sind die jetzigen örtlichen Verhältnisse. 
Es geht eine Schule fort; wir müssen Ersatz dafür 
schassen. Im Süden der Stadt sind nur zwei private 
Mädchenschulen vorhanden, die in Betracht kommen; da: 
eine ist das Lyzeum des Herrn Richter in der Großbeeren 
straße, desselben Herrn, von dem ich Ihnen vorher erzäh 
habe, daß er das Ersuchen an den Minister gerichtet hat, dii 
staatliche Schule aus Berlin fortzubringen. Die ander. 
Schule ist die Schule von Frau Stier, die in der letzten 
Zeit viel von sich hat reden machen. Ich habe von bet 
Unterstützungen gesprochen, die tvir an die Privatmädchen 
schulen zahlen; durch die unerhörte Agitation, die vor 
den Freunden der Frau Stier entfaltet wurde, ist es dahit 
gekommen, daß wir der Frau Stier zunächst für das laufend. 
Jahr eine Unterstützung in doppelter Höhe zahlen al§_ alle« 
übrigen Schulvorstehern. Ich würde es am allerliebst« 
sehen, wenn man der Frau Stier sagte: du erhälst in Zukntts 
diese Unterstützung, wenn du die Oberstufe abbaust, sobal, 
wir die Oberstufe am Tempelhofer Ufer errichten. Das st 
einer meiner Gründe, der dafür spricht, sofort mit der 
Öffnung der untersten Klasse der Oberstufe vorzugehen, d 
mit der vierten Klasse. Es kommen noch andere Gründ, 
hinzu. 
Die Stiersche Schule steht augenblicklich ans sehr schwache: 
Füßen. Das geht ja schon daraus hervor, daß tvir eine besonder 
hohe Unterstützung für ihre Aufrechterhaltung zahlen müssen. Di 
finanzielle Schwäche der Schule kann natürlich den Bewohner: 
jener Stadtgegeyd nicht unbekannt bleiben; eröffnen wir jetzt ein 
Unterstufe in jener Gegend, so werden die Schülerinnen, die i> 
die staatliche Anstalt nicht mehr aufgenommen werden könne» 
und solche, die sich neu melden, in die städtische Schule ein 
treten, von der sie mit Recht annehmen dürfen, daß dt 
Kinder vott der untersten bis zur obersten Klasse darin bleibe, 
können, und sie werden sich nicht in die Schule der Fra 
Stier aufnehmen lassen, von der sie annehme» müssen, da 
sie binnen weniger Jahre eingehen muß. ^ Damit würde 
wir den Untergang der Stierschen Schule beschleunigen, un 
ich stehe nicht an, zu erklären, daß tvir es im Äugenbl» 
durchaus wünschen, daß die beiden privaten Anstalten, di 
dort noch bestehen, weiter bestehen bleiben. Um die später 
Zukunft dieser beiden privaten Mädchenschulen brauchen tt» 
uns deshalb kein Kopfzerbrechen zu machen, weil in Zutun 
wohl niemand in Berlin eine private höhere Mäöcheitfchu 
aufmachen wird, und lveil auch die bestehenden Schalen >' 
Zukunft Käufer nicht mehr finden werden, wenn die bt, 
herigen Leiter sie aufgeben müssen. Das private hüte 
Mädchenschulwesen wird mit der Zeit in demselben Mas 
absterben, wie tvir mit der Eröffnung städtischer Schulen vo, 
gehen. Ich würde es aber für einen Fehler halten, in diese, 
Augenblick mit der Eröffnung einer Unterstufe vorzugehe, 
womit wir die Stiersche Schule schädigen müßten. 
Es gibt noch einen Grund, dem wohl alle Kollegen zt 
stimmen werden. Auch diejenigen, die Anhänger der Uitte 
stufe att den höheren Mädchenschulen sind, werden d, 
Ueberzeugung sein, daß die Mittel- und Oberstufe höhe» 
Mädchenschulen auch jenen Schülerinnen offenstehen müsset 
die die Unterstufe auf der Gemeindeschule durchmachen. Da 
ist doch eine Voraussetzung unseres höheren Schulwesens, da 
die Gemeindeschulen in ihren Unterstufen ebenfalls für d 
höheren Schulen vorbereiten. Nun ist die 7. Klaffe, d 
unterste Klasse der Mittelstufe, diejenige Klasse, in die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.