Stadtv.-Vers. Sitzung
iie Invalidenversicherung auszubauen, damit man den
Angestellten gerecht werden würde. Wenn die Verhältnisse
o liegen, kann mail nicht kurzerhand sagen, daß die Ange
legten dieses Gesetz wollten, und daß sie auch die Folgen
ragen müssen. Man sagt weiter: die Bedingungen waren
m Anfang auch noch nicht vollständig bekannt. Wer geglaubt
iat, daß die Gewährung eines Rechts genügen würde, daß
imtt nicht auch die Küudigungsmöglichkeit auf bestimmte
fälle beschränken müsse, hat die Sachlage nicht genügend
rkannt. Es wäre ein Unsinn gewesen, wenn man sich damit
icgnügt haben würde, den Angestellten das Rächt zu geben
ms Ruhegehaltszahlung, ohne auf die Kündigung einen
Einfluß zu üben, so daß man die Angestellten entlassen und
im das Ruhegeld bringen könnte. Es ist eine notwendige
folge des Gesetzes, daß solche Bestimmungen aufgenommen
ind. Mit ihnen hat man schon rechnen müssen und mich
^rechnet.
Nun sagt der Magistrat, es kämen 3300 Personen in
frage, für die 397 000 M Beiträge zu zahlen wären. Wenn
iic das umrechnen, meine .Herren, so kommt im Durchschnitt
iuf jeden Angestellten und aus sein Teil ungefähr 60 M.
Sun-frage ich Sie: sind wirklich die Gehälter der Privat»
ingestellten so hoch, daß sie ohne weiteres einen Abzug von
>0 M int Jahre ertragen können? Der Herr Vorr.edner
agte, das sei gewissermaßen eine Sparkasse, in die man
Md einzahlt, um es nachher wieder herauszubekommen,
iamt muß man aber erst prüfen, ob die Möglichkeit, zu
ipnreu, diesen Angestellten sonst auch gegeben wäre, oder
ib man hier nicht ein Zwangssparsystem einführt auf Kosten
>er Lebenshaltung der Angestellten. Ich meine, daß man
«s hier tut, wenn man den Angestellten bei der Zahlung
>er Beiträge nicht förderlich ist.
Man hat die Angelegenheit nach verschiedenen Seiten
erwogen. Ich gebe ja zu, daß die Materie ziemlich schwierig
ist. Darüber sind wir auch in der Deputation einig gewesen.
516er wo ein Wille ist, hätte sich auch ein Weg gefunden.
Zer Magistrat hat erwogen, inwieweit man denjenigen, die
10 Jahre beschäftigt sind, ein solches Recht einräumen könne,
irr hat davon Abstand genommen, weil es nach seiner
Meinung nicht anginge, einen Unterschied zu machen. Man
Me dann allen Angestellten den Rechtsanspruch gewähren
müssen, und das könnte einen Einfluß aus die Invaliden
versicherung haben, indem alle diese Personen aus der
Invalidenversicherung herausfallen würden. Der Magistrat
iagt, das könne er nicht anstreben; bettn erfahrungsgemäß
würden alle diese Personen um ihre erworbenen Rechte bei
Der Invalidenversicherung kommen, weil die Erfahrung lehre.
Daß sie selbst nicht weiter zahlen. Wir können aber sonst
zute Einrichtungen nicht von dem Unverstand der Betreffenden
abhängig machen, die, nachdem die Gesetze schon so lange be
stehen, noch nicht gelernt haben, ihre Rechte wahrzunehmen.
Man mag versuchen, die Betreffenden zu belehren, soll sich
iber nicht abhalten lassen, Einrichtungen zu treffen, die zum
Kohle der Betreffenden notwendig sind.
Dann die Kündigungsbeschränkung! Der Magistrat sagt,
!s würden Wege gesucht werden, die Betreffenden, die an
nner Stelle überflüssig werden, nach einer andern hinüber»
zuschieben; das würde aber ganz gewaltige Schwierigkeiten
Ergeben. Ich meine, diese Schwierigkeiten würden ganz ge
ringer Natur sein, wenn eine gute Organisation geschaffen
würde. Bei Tausenden und aber Tausenden von Angestellten
muß man die Arbeitsmöglichkeit so regeln können, daß man
Die Betreffenden an die richtige Stelle dirigieren kann, wenn
m einem Platz die Arbeit aufhört.
Nun ist aus die großen Segnungen des Heilverfahrens
hingewiesen worden. Niemand von uns wird das Gute eines
beizeiten eingeleiteten Heilverfahrens und seinen Segen be
streiten wollen. Aber ob diese eine Tatsache uns verleiten
Erntn, so vorzugehen, wie der Magistrat es will, das möchte
ich billigerweife doch bezweifeln. Hier sind es immer nur
Einzelne, denen das Heilverfahren zuteil wird, während die
zroße Masse durch die Summen, die ihnen hier entzogen
werden, der Erkrankungsgesahr noch viel eher ausgesetzt wird
lls früher. Wenn 60 bis 100 M dem Haushalt auf einmal
cntzogen werden — es handelt sich um Leute, die zwar nicht
lehr gut versorgt sind, aber ihrer Stellung entsprechend auf
treten müssen —, dann würde man auf der einen Seite ein
Heilverfahren in Aussicht stellen und ans der andern Seite
Die Lebenshaltung der Betreffenden so verschlechtern, daß sie
rin Heilverfahren bald brauchen werden. Das ist gewiß
nicht die Absicht des Magistrats gewesen; man könnte es
nber als den Erfolg ansehen.
am 23. Oktober 1913.
Dann ist die Frage der Beitragsubernahme auch im
Magistrat erörtert worden. Das ethische Moment ist gewaltig
in den Vordergrund gedrängt worden. Wir machen so
ungeheuer viel in Ethik, daß einem bald bange davor wird.
Die Ethik hört da auf, wo der Geldbeutel leer ist; und sie
sängt da etwa an, wo im Geldbeutel noch etwas drin ist.
Wenn Sie sich über die Stimmung der Angestellten informieren
wollen, dieselben fangen schon au, sich zu melden und Ihnen
zu zeigen, wie hocherfreut sie über Ihre Fürsorge und die
mögliche Gehaltserhöhung sind. Da hat eine Versammlung
von Architekten und Technikern stattgefunden, die sich ein
gehend mit dieser Frage beschäftigt haben und nicht zufrieden
sind, sondern aus sich heraus wünschen, daß die Beiträge
zum mindesten von der Stadt übernommen werden.
Es ist vorhin noch ein Moment eingeworfen worden,
die Freizügigkeit der Angestellten. Dieses Moment unter
schätzen wir durchaus nicht. Aber wenn wir von der Be
freiung absehen sollen, weil die Materie schwierig ist, so
verlangen wir aus der andern Seite, daß Sie den Angestellten
genügend entgegenkommen und nicht etwas nur in Aussicht
stellen, was eigentlich lauge hätte gegeben werdxn müssen.
Vor uns liegt eine Petition, in der die städtischen
Architekten, Ingenieure und Techniker die Stadtverordneten
versammlung ersuchen, zu beschließen, daß die Stadt die
andere Hälfte der Beiträge auch übernimmt. Diese Herren
fragen weniger nach den ethischen Momenten: aber sie be
stätigen in ihren Ausführungen, indem sie aus die Petition
verweisen, die sie schon im vorigen Jahre an Magistrat und
Stadtverordnetenversammlung gesandt haben, daß von Ethik
keine Spur vorhanden ist, wo die Mittel knapp sind. Sic
weisen nach, daß der .Haushalt aus das Gröblichste ein
geschränkt werden muß, wenn die Angestellten zur Zahlung
der Beiträge verpflichtet sind.
Nun kommt ein weiteres Moment. Mau kann sich des
Gedankens nicht erwehren, daß dieses die Hauptsache bei den
Beschlüssen des Magistrats gewesen ist. Wir wissen, daß der
Magistrat bei allen Beschlüssen, die er, soweit sie die Arbeiter
und Angestelltenlöhne betreffen, saßt, immer ängstlich bemüht
ist, sich mit der Industrie dort draußen zu vergleichen und
aufzupassen, ob nicht etwa von der Stadt ein Pfennig mehr
gezahlt wird als draußen. Man bemüht sich stets, noch etwas
hinter den Löhnen zurückzubleiben, die draußen gezahlt werden.
Das halten wir durchaus für einen verkehrten Standpunkt.
Wir verlangen von einer Kommune wie Berlin, daß sie auch
in der Behandlung der Arbeiter und Angestellten absolut
vorbildlich ist und sich nicht nach Beispielen draußen richtet.
Aber wenn man das schon will, mag man sich auch in
formieren über all die Firmen, die schon im Privatdienst
vertrag die Beiträge mit übernommen haben und die nicht
so selten sind, als es nach den Ausführungen des Magistrats
den Anschein hat. Eine ganze Reihe von Firmen hat sich
ohne weiteres gesagt: wenn wir die Beiträge nicht selbst
zahlen, wird mau höhere Löhne, höhere Besoldung verlangen,
und so gleicht sich das wieder aus. Die Industrie muß das
eben auf die Herstellungskosten aufschlagen, weil sic weiß,
daß die Angestellten, wenn sie ihr Gehalt berechnen, die Ver
sicherungskosten abziehen und sich fragen: was bleibt für die
Lebenshaltung übrig?
Andererseits kann man sich des Gedankens nicht er
wehren, daß auch in dem Rat der Städte Berlin an erster
Stelle stehen müßte. Wir wissen, daß eine ganze Reihe von
Städten, die in ihrer Wohlhabenheit lange nicht an die große
Kommune Berlin heranreichen, diese Frage behandelt und in
unserm Sinn gelöst hat. Diese Städte, die ich eventuell
namhaft machen kann, haben beschlossen, die Beitrüge zu
übernehmen. Sie haben auch andere Beschlüsse gefaßt, die
diese Materie regeln. Wenn es bei de» kleinen und kleineren
Kommunen möglich war, muß es auch bei der großen
Kommune Berlin möglich sein. Ich sage noch einmal, daß
der Magistrat sich dem voll anschließen kaun, was aus der
Deputation herausgekommen ist. Wenn er gesagt hat, es
bieten sich so ungeheure Schwierigkeiten, so erkennen wir das
an und verkennen keineswegs, daß die Freizügigkeit unter
bunden wird, und betrachten das nicht als wünschenswert.
Der Magistrat konnte sich aber auch dem Beschluß der
Deputation voll anschließen, die Gehälter dieser Angestellten»
gruppen so zu erhöhen, daß sie die Hälfte der Beiträge zahlen
können. .Dieser Lösung hätten wir zugestimmt und uns
damit befreundet. Wenn man aber eine Lösung bringt wie
die vorliegende, die nur bedeutet: wasch' mir den Pelz und
mach' ihn nicht naß! so ist das eine Verbeugung vor den
Angestellten, die ihnen in Wirklichkeit nichts bringt, ein