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Volume No 24, 4. September 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

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Stadtv.-Verf. Sitzung am 4. September 1913. 
April und Mai von zirka 16 000 bis 17 000 Personen an. 
Aber sie gibt durchaus kein klares Bild von der wirklichen 
Arbeitslosigkeit, da ja an das städtische Statistische Amt 
nur von den Gewerkschaften Berichte gegeben werden, die 
Arbeitslosenunterstützung und einen Nachweis haben, durch 
den sie eine Kontrolle über Arbeitslose haben. Das sind 
Gewerkschaften mit zirka 221 000 Mitgliedern, während Ge 
werkschaften mit zirka 100 000 Mitgliedern keine Berichte 
geben. Nun hat sich ganz besonders im Laufe dieses 
Sommers eine große Arbeitslosigkeit gezeigt. Um festzu 
stellen, wie groß die Arbeitslosigkeit ist, hat die Berliner 
Gewerkschaftskommission eine Statistik aufgenommen; eine 
Umfrage bei den einzelnen Gewerkschaften hat ergeben, daß 
die Arbeitslosigkeit einen erschreckenden Umfang angenommen 
hat, es sind so ziemlich alle Gewerbe davon erfaßt. Die 
Gesamtsumme der Arbeitslosen unter den organisierten Ar 
beitern beträgt nach dieser Aufstellung 24 000 bis 25 000 
Personen. Die organisierten Gewerkschaften umfassen un 
gefähr 52 pCt. der Berliner Arbeiterbevölkerung, so daß 
man von dieser Zahl der organisierten Arbeitslosen sehr 
wohl auf die Gesamtarbeitslosenziffer schließen kann; man 
kann ohne weiteres annehmen, daß dann die doppelte Zahl 
Arbeitsloser in Berlin vorhanden ist. Das würden zirka 
50000 Arbeitslose sein. Es können aber auch mehr sein, 
da man eine ganz bestimmte Feststellung ja nicht treffen 
kann. 
Einzelne Gewerbe haben einen unglaublich hohen Pro 
zentsatz von Arbeitslosen. So sind bei den Bauarbeitern 
13 pCt Arbeitslose, bei den Bildhauern 23 pCt., den Buch 
bindern 121/2 pCt., den Dachdeckern 40 pCt., den Gastwirts 
gehilfen 17 pCt., den Glasern 27 pCt., den Malern 16 pCt., 
den Porzellanarbeitern 18 pCt., den Steinsetzern 16 pCt., 
den Tapezierern 30 pCt., den Holzarbeitern 161/2 PCt., 
also unglaublich hohe Zahlen von Arbeitslosen in den Ge 
werkschaften. Und die Zahl von 50 000 Arbeitslosen, die 
wir ohne weiteres annehmen können, birgt eine solche Un 
masse von Not und Elend, das zu schildern die Sprache 
eigentlich zu schwach ist. 
Aber dieses angehäufte Elend ist nicht nur in der 
Zahl der Arbeitslosen zu finden, sondern auch in der Dauer 
der Arbeitslosigkeit des einzelnen Arbeitslosen. Auch hier 
über hat eine Umfrage stattgefunden, und wenn die Auf 
stellung auch noch nicht fertig ist, so kann ich Ihnen doch 
aus einzelnen Berufen mitteilen, daß die Arbeitslosigkeit 
des einzelnen durchgängig 10 bis 12 Wochen beträgt, daß 
sie aber für einzelne auch bis zu 40 Wochen im Jahre 
dauert. Diese Zahlen mögen dem einen oder andern Herrn 
unglaublich erscheinen; aber tatsächlich liegen die Dinge 
so. Insbesondere ist diese lange Dauer der Arbeitslosig 
keit in den Baubranchen zu finden, da der Baumarkt dar 
nieder liegt, und im Baugewerbe so gut wie gar nichts zu 
tun ist, so daß außer den Bauarbeitern auch die hier 
bei in .Betracht kommenden Branchen, die Bautischler und 
Einsetzer, nichts zu tun haben. Von den Bauarbeitern selbst 
sind sehr viele hinausgegangen ans Berlin, um außer 
halb Arbeit zu suchen, da am Ort selbst sehr wenig Arbeit 
zu finden ist. 
Diese Zahlen, die unanfechtbar sind, beweisen, daß 
ein großes Maß von Elend unter den Arbeitslosen vor 
handen ist, und diese Not wird weder von den Gemeinden 
noch von staatlicher Seite in irgendeiner Weise gemildert. 
Vielfach stehen diese Körperschaften dieser ganzen Frage 
nicht gerade mit sehr großem Verständnisse gegenüber, und 
so sind die Arbeiter fast ausschließlich aus die Unterstützung 
der Gewerkschaften angewiesen. Die Gewerkschaften haben 
sich auch angelegen sein lassen, so viel wie möglich mit ihren 
Mitteln die Not zu lindern, und, so viel die Unterstützungs- 
kassen auszahlen konnten, auch ausgezahlt. Wir haben 
z. B. im Jahre 1912 allein für Arbeitslosen Unterstützung 
außerordentliche Ausgaben der Gewerkschaften Deutschlands 
in Höhe von 7 741000 M. zu verzeichnen und außerdem 
noch für Krankenzuschüsse 11439 000 M\ für fünf Arten 
von Unterstützungen — Reise und Umzug, Arbeitslose, 
Kranke und Sterbefälle, Notfälle, Gemaßr'cgelte — sind 
zirka 23 526 000 M im Jahre 1912 verausgabt. Berlin 
steht bei diesen Zahlen nicht zurück. Da gerade in Berlin 
die Arbeitslosigkeit im Jahre 1912 schon sehr umfang 
reich !var, so hat auch Berlin im vorigen Jahre für Unter 
stützungen von Arbeitslosen außerordentliche Summen auf 
gewendet. Im vorigen Jahre wurden von den Berliner 
Gewerkschaften für Arbeitslosenunterstützung 2 524 000 M 
gezahlt, außerdem noch für Krankenunterstützung 1 741 000 
Mark, insgesamt für dieselben von mir angeführten fünf 
Unterstützungsärten 4 539 000 M, also ganz gewaltige 
Summen, die durch die Arbeiter selbst aufgebracht wurden, 
die, da ihnen von feiner Seite irgend eine Hilfe zuteil wird, 
nur durch die Gewerkschaften unterstützt werden konnten. 
Aber auch diese Summen reichen nicht ans, um all die 
Not zu lindern, die die Arbeitslosigkeit mit sich bringt. 
So müssen wir an die Stadtverwaltung herantreten, da 
mit von seiten der Gemeinde, da das Reich und der Staat 
bisher noch nicht helfend eingetreten sind, etwas für ihre 
arbeitslosen Bürger geschieht. Die Arbeiter wollen nur 
Arbeit, und das wäre auch der beste Weg, die Arbeitslosig 
keit zu bekämpfen und die Not zu mildern. Arbeit kann aber 
weder der Staat noch die Gemeinde allen Arbeitslosen 
geben. Wohl aber kann der Staat als auch die Gemeinde, 
und können auch wir in Berlin die Arbeitslosigkeit vcr 
ringern helfen, wenn wir alle die Bauten und öffentlichen 
Arbeiten, die im Interesse der Allgemeinheit vorzunehmen 
notwendig sind, beschleunigen, und zwar jetzt mit der Be 
schleunigung beginnen, da ja aller Voraussicht nach in 
diesem Winter die Arbeitslosigkeit noch einen viel größeren 
Umfang annehmen wird. Eine Reihe von Gemeinden haben 
sich ja bereits angelegen sein lassen, eine gewisse Arbeits 
marktpolitik zu betreiben, indem sie mit der Ausstelln»; 
des Etats gleichzeitig auch die Verteilung der Arbeiter 
ans das ganze Jahr vorgenommen haben. Das sind eine 
ganze Reihe von Gemeinden, die kürzlich in einer Aus 
machung der Gesellschaft zur Bekämpfung der Arbeitslosig 
keit mitgeteilt sind. Diese Gemeinden verteilen die Arbeit 
so, daß auch in normalen Zeiten — nicht nur in Zeiten 
der rückläufigen Konjunktur, der Krisen — die meisten 
Arbeiten in die Zeit gelegt werden, während der, tvie be 
sonders int Winter, die Arbeitslosigkeit eine größere ist, 
so daß es möglich ist, beit Arbeitslosen dadurch etwas zn 
helfen. Wir in Berlin haben eine solche Politik bisher 
noch nicht eingeschlagen. Aber angesichts der großen Arbeits 
losigkeit in diesem Fahre müssen auch wir den Magistrat 
ersuchen, darauf hinzuwirken, daß die Bauten, für die 
Mittel in den Etat eingestellt sind, beschleunigt werden. 
Nun hat der Magistrat nach der Notiz im Gemeinde 
blatt seine Aufmerksamkeit auch auf die stetig zunehmende 
Arbeitslosigkeit in Berlin gerichtet und hat — immer nach 
der Notiz — schon im Mai eine Verfügung an die ve> 
schiedensten Deputationen erlassen, nach der die Bauaus 
führungen beschleunigt werden sollen und außerdem so 
viel wie möglich auch Berliner Arbeiter an den städtischen 
Bauten, an den städtischen Arbeiten beschäftigt werden solle» 
Diese Verfügung ist auch für meine Freunde sehr erfreu 
lich; aber es scheint doch, als ob es etwas hapert, das 
die Verfügung auch in den einzelnen Deputationen zur f 
Wendung gebracht wird. Soweit sich die Herren Kollegen 
dafür interessiert haben, werden sie gefunden haben, daß 
trotz dieser Verfügung von irgend welcher Beschleunign»; 
der Bauausführungen nicht die Rede sein kann. Wir habet 
die Dinge verfolgt und finden, daß einmal in der Hochbau- 
verwaltung eine ganze Reihe von Bauten noch gar nicht in 
Angriff genommen sind, für die schon ziemlich hohe Mittel 
in den Etat eingestellt sind. Ich kann hier nicht beit 
ganzen Bauetat durchnehmen; aber ich kann einzelne Po 
sitionen und zwar Schulen nennen — und gerade bi 
Schulen sind doch in erster Linie ein dringendes Bedürfn» 
auch für uns in Berlin —, die noch nicht angefangen sind 
z. B. die Schule in der Ofener Straße, Banrate 400 000 " 
in der Straße 4 a, Baurate 300 000 M, in der Wchlaucl 
Straße, Baurate 300 000 ,M, Neubau der 15. Realschuli 
200000 M, Neubau des Luisenstädtischen Gymnasiums ii 
der Wader Straße, Baurate 300 000 M, und verschiebe« 
andere Bauten. Ferner ist mit dem Ban der Heilstätte » 
Buch, für die bereits 1 Million im Etat steht, noch nid) 
begonnen; auch mit dem Bau der Badeanstalt in der Baet 
waldstraße, des Kinderasyls in der Kürassierstraße ist not 
nicht begonnen. 
Nun, meine.Herren, haben wir bereits gestern in bei 
Baudeputation von Herrn Stadtbaurat Hofsmann gehör! 
daß sich die Bauverwaltung die größte Mühe gäbe, bi 
Bauten vorwärts zu treiben, daß ihr aber mancherlei Schwie 
rigkeiten im Wege stehen oder in den Weg gelegt werben 
daß einmal schon die Vorschrift, daß jedes Bauprojekt zwei 
mal eingereicht werden muß, erst im Vorprojekt und bans 
im Spezralprojekt, eine ganze Zeit in Anspruch nehme 
somit die Bauten verzögere, dann aber auch von den ein 
zelnen Deputationen, denen ja die Projekte vorgelegt wh 
den müssen, oft Aenderungen gewünscht würden; so sein 
insbesondere auch für die Heilstätte Buch mehrmals Acitbi
	        
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