Path:
Volume No 19, 29. Mai 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

Der Ehrenbeamte steht im Singular intb die Stadtverord 
neten im Plural; das ist doch nicht korrekt. 
Nun heißt es weiter: 
bei Ausübung seines Amtes einen Unfall . . . 
Soll es sich bloß um einen unverschuldeten Unfall handeln, 
oder soll auch ein durch den Beamten verschuldeter Unfall 
ihm das Recht geben, Schadenersatz zu verlangen? Nach 
den Bestimmungen der Unfallgesetze und zahlreicher Ge- 
sellschaftsstntnten darf man annehme», daß der Ersatz sowohl 
bei einem unverschuldeten als bei einem verschuldeten Unfall 
zu gewähren sein wird. Das mag wohl mich schon durch 
den Ausdruck „erleidet" gemeint sein. Eü ist aber auch 
möglich, daß ei» Unfall von dem Beamten vorsätzlich herbei 
geführt wird, nm einen Schadenersatz geltend zu machen. 
In diesem Falle wird man natürlich jede Gewährung ab 
zulehnen haben. Das gleiche wirb bei grober Fahrlässigkeit 
geschehen müssen. 
Meine Herren, es heißt weiter: 
so Ivird der Magistrat ermächtigt, ihm . . . 
„ihm" heißt dem Ehrcnbeamten persönlich. Daraus ist her 
zuleiten, daß nur ihm allein und nicht auch seiner Witwe 
oder seinen Kindern als solchen für den Fall, daß der Beamte 
infolge des Unfalls verstirbt, Ersatz oder Unterhaltsansprüche 
zugebilligt werden können. Ich will das ausdrücklich 
konstatieren. Die Witwe oder die Kinder könnten nur als 
Rechtsnachfolger des verstorbenen Ehemannes oder Vaters 
wegen des diesem persönlich entstandenen Schadens in Be 
tracht komme». 
Was ist ferner als Schaden anzusehen? Man kann 
sagen: ein Unfall wird in der Regel eine Körperverletzung 
oder eine Sachbeschädigung im Gefolge haben. Aber bei 
Gelegenheit eines Unfalls kann auch leicht ein Schaden durch 
Diebstahl entstehen. Ob auch ein Ersatz wegen eines Dieb 
stahls gewährt werden soll, geht aus der Vorlage nicht 
hervor. Ich habe mich vorher mit dem Herrn Dezernenten 
ins Benehmen gesetzt, und er hat mir erklärt, daß in der 
Tat nicht nur der Schaden infolge Körperverletzung oder 
Sachbeschädigung, sondern auch der Fall eines Diebstahls 
gemeint sei. Nehmen wir an: infolge einer Explosion, 
die im Gaswerke entstanden ist, oder infolge eines schweren 
Sturzes wird der Ehrenbeamte bewußtlos und während der 
Bewußtlosigkeit werden ihm Uhr und Kette, Portemonnaie 
oder Portefeuille mit erheblichem Geldinhalt gestohlen. Ist 
das ein Schaden, der durch den Unfall unmittelbar herbei 
geführt ist? Im Grunde genommen doch nicht. Die Un 
fallstatuten ersetzen einen solchen Schaden wohl ausnahmslos 
nicht. Aber wenn von uns ein mittelbarer Schaden über 
haupt soll ersetzt werden dürfen, z. B. auch durch Ein 
nahmeausfall bei gewinnbringender Beschäftigung, so ist 
dagegen nichts einzuwenden. 
Daß jeder Fall, bei dem die Schadcnsleistung 2000 J6 
übersteigt, in seinem ganzen Umfange der Stadtverordneten 
versammlung unterbreitet werden muß, ist selbstverständlich 
und braucht nicht näher erörtert zu werden. 
Das Hauptbedenken, das ich habe, ist dies: es heißt 
in der Vorlage: 
ihm auf Antrag nach billigem Ermessen einen entstan 
denen Schaden bis zur Höhe von 2000 M zu ersetzen. 
„Nach billigem Ermessen". Man könnte vielleicht glauben, 
aus diesen Worten gehe hervor, daß ein Rechtsanspruch 
ausgeschlossen sein soll, daß es in das freie Belieben des 
Magistrats oder der städtischen Behörden gestellt sein soll, 
ob im Eiuzelfall ein Schaden zu ersetzen ist oder nicht. Die 
Worte „nach billigem Ermessen" genügen mir hierfür nicht; 
sie könnten sehr wohl dahin ausgelegt werden, daß bei der 
Beurteilung des Falles, insbesondere der Höhe des An 
spruchs, billiges Ermessen walten soll. Das schließt meines 
Erachtens einen Rechtsanspruch noch nicht aus. Gedacht 
ist sicherlich in der Vorlage dieser Ausschluß; allein das 
Gedachte hat nicht unzweifelhaft Ausdruck gefunden. Das 
ist unbedingt notwendig für den, der mit der praktische» 
Rechtsprechung und deren Gefahren vertraut ist. Der Richter 
nimmt nicht auf das bloß Gedachte Rücksicht, sondern nur 
auf das unzweideutig zum Ausdruck Gelangte, und be 
sonders bei Schadensansprüchen wird er naturgemäß geneigt 
sein, sich des Verletzten anzunehmen. Die näheren Um 
stände würden es auch leicht machen, zu einem klagbaren 
Rechtsanspruch zu gelangen. Zunächst der Grund der Ent 
stehung der Vorlage: der Ersatz für eine Unfallversicherung. 
Ferner die Vollmacht für den Magistrat, die doch in der 
Regel ein Rechtsverhältnis voraussetzt. Endlich die Vorlage 
selbst, die einmal an sich in ihrer Existenz leicht als ein 
verbindlicher Privatrechtstitcl, als Ersatz eines Mangels 
im Gesetze gedeutet werden kann, und die Begründung btft 
Vorlage, die geradezu auf eine Rechtslast hinweist. Den,« 
im dritten Absätze heißt cs ausdrücklich: ft 1 
Trotzdem halten wir es entsprechend der bisher geübte,,V 
Praxis der Gemeindebehörden für billig, die Gefahre,,M 
ans die der einzelne ehrenamtlich Tätige unmittelba» 
durch seinen Berns erleidet, den stärkeren Schul»» 
t e r n d e r Gesa in theil a u f z u erlegen, der sei»« 
Arbeit gewidmet ist. ft] 
Ich halte es deshalb zur Verhütung von Nachteilen inifti 
Prozeßwege für notwendig, daß die lediglich moralisch« 
Verpflichtung, die die Gemeinde übernehmen will, ist ganz» 
unzweideutiger Weise zum Ausdruck gelangt. Bei der Be-ftc 
urteilnng auch von rechtlichen Schadensansprüchen spiel!» 
das „billige Ermessen" stets eine wichtige Rolle, da ei,,» 
strikter Beweis nur selten erbracht werden kann und billiges» 
Ermessen die Lücke im Beweis >zn ergänzen hat. In diese,,,» 
Sinne könnten auch leicht die Worte der Vorlage „billiges»! 
Ermessen" ausgelegt werden, wenn dieser Auslegung nicht» 
durch eine klare Ausdrucksweise vorgebeugt wird. I 
Ich habe es für notwendig gehalten, diese Gesichts-» 
punkte zu betonen, damit nicht aus der allgemeinen Fass»»];»! 
der Vollmacht Mißverständnisse und Verschiedenheiten iiil 
der Anwendung entstehen, die leicht als Willkürlichkeit» 
oder Bevorzugung im Einzelsall aufgefaßt werden könnte,,.» 
ES liegt im Interesse aller Teile, daß man sich über den« 
Umfang der Vollmacht klar ist. Ich bitte den Herrn Ver-»i, 
tretet des Magistrats, eine Erklärung abzugeben, ob meineI 
Ausführungen den Intentionen der Vorlage entspreche»» 
oder nicht. | ( 
Oberbürgermeister Vermuth: Meine Herren, dielt 
Bemängelungen des Herrn Vorredners sind nach meiner I 
Auffassung mehr stilistischer Natur. Alles, was er als seine» 
Meinung vorgetragen hat, begegnet sachlich durchaus dein», 
Einverständnis des Magistrats und ist vom Magistrat auch» 
in demselben Sinne gemeint worden. I, 
Wir haben — das darf ich gleich von vornherein be-M 
merken — keinerlei Bedenken geltend zu machen, wenn etwa fc 
in der Versammlung die Meinung bestehen sollte, daß die« 
durch den Herrn Vorredner vorgeschlagene Fassung das, was I 
der Magistrat beabsichtigt, deutlicher zum Ausdruck bringt.» 
Jedenfalls kommt es nach unserer Auffassung auch nach bei» I 
Antrag des Herrn Vorredners ebenso deutlich zum Ausdruck |j 
wie in der Vorlage des Magistrats. I 
Was zunächst die Frage angeht, ob ein Rechtsanspruch» 
entsteht, so ist der Magistrat davon ausgegangen, daß eine» 
Art von moralischer Pflicht besteht; unsere Ehreubeamteii, F 
die sich in hingebender Weise dem Wohle der Allgemeinheit F 
widmen, davor zu behüten, daß sie unverschuldet auch noch I 
in Schaden geraten. Unverschuldet in dem Sinne, wie es I 
das Gesetz auch sonst meint; denn wenn der Unfall etwa, 1 
wie es im Gesetz zu heißen pflegt, vorsätzlich oder auch durch » 
ganz gröbliches Verschulden herbeigeführt wurde, dann würde |t 
vermutlich ein Schadenersatz nicht eintreten. Hierfür ist der |t 
Magistrat in der Lage, die nötigen Voraussetzungen sich |i 
selbst zu verschaffen; denn nach der Vorlage soll der Schaden I 
nach billigem Ermessen ersetzt werden. Darin liegt alles, ft 
auch die Möglichkeit, einen Schaden, dessen Ersatz' unbillig I 
sein würde, unbillig im Sinne der Stadtkasse, von der Hand ftt 
zu weisen. Wenn es der Herr Vorredner für nötig hält, ob- ft] 
wohl in der Begründung ausdrücklich angegeben ist, daß eine I 
Ersatzpflicht nicht besteht, in dem Tenor Ihres Beschlusses I 
zu bringen, daß ein Rechtsanspruch nicht geschaffen werbe I 
soll, so hasten wir von unserem Standpunkt aus keine I 
Bedenken. ft, 
Ebenso erscheint »ns die Fassung des letzten Satzes: ft 
Ueberfteigt die Ersatzleistung diesen Betrag, so ist eine Be- ft 
schlnßfassuug der Gemeindebehörde» erforderlich — »»bedenk- ft 
sich; es ist von uns natürlich auch so gemeint worden, d. H. ft 
in dem Sinne, daß wir nicht etwa von einem festgestellte,, ft, 
Schaden von 4000 M unsererseits 2000 M bewilligen fti 
können und den Rest dem Gemeindebeschlnß überlassen, ft 
Das versteht sich von selbst. Wenn Sie glauben, daß es durch ft 
den Antrag besser ausgedrückt ist, stelle ich anhnm, ihm z» ft 
entsprechen. 
Ich glaube, wir sind in der Sache völlig einig, und da I 
ich gegen die Fassungen der von dem Herrn Vorredner be- » 
antragten Aenderungen ebensowenig einzuwenden habe, wie » 
ich es offen gestanden auch jetzt noch gegen die Fassung des M 
Magistrats habe, so stelle ich ganz anheim, zu beschließe», » 
wie Sie es für richtig halten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.