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Volume No 19, 29. Mai 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

276 Stadtv.-Vers. 
ganz Berlin haben wir heute nur 17 solcher Küchen, darunter 
z. B. in ganz Moabit eine einzige. Nur die Kinder be 
nachbarter Schulen suchen die Küchen ans, und die Schüler 
von entfernter liegenden Schulen haben kaum die Möglich 
keit, an der Mittaasspeisung überhaupt teilzunehmen. 
Wenn hier imPlenum von anderer Seite gesagt worden 
ist, daß die Siebung der Kinder noch nicht hin 
reichend vorgenommen werde, daß häufig Kinder an der 
Speisung teilnehmen, die vielleicht nicht bedürftig seien, 
so hat meines Erachtens die Ausschußbratung bewiesen, daß 
unsere Stadtverwaltung nicht noch mehr sieben kann, als 
cs heute schon geschieht. Ich wundere mich ja, daß der Herr 
Berichterstatter des Ausschusses heute hier erkläre» konnte: 
darüber, ob die Bedürftigkeit der Kinder hinreichend geprüft 
würde, habe man im Ausschuß nicht genügend Feststellungen 
machen können; man habe das nicht ergründen können, so 
drückte er sich wörtlich aus. 
(Widerspruch.) 
— Helrr Kollege, ich habe mir sofort notiert, daß Sie sagten, 
es sei nicht zu ergründen gewesen. Ich muß demgegenüber 
doch hervorheben, daß der Herr Vertreter des Magistrats 
uns auseinandergesetzt hat, daß die Prüfung heute schon in 
sehr starkem Maße stattfindet. Armenkommission und Lehrer 
kollegium, wohl auch Schulkommission, ist bei der Prüfung 
beteiligt, und es ist meines Erachtens eine Legende, wenn 
immer noch behauptet wird, daß auch nichtbedürftige Schul 
kinder an der Schulspeisung teilnehmen. Im Gegenteil 
scheint mir die Ausschußberatung erwiesen z» haben, daß 
nicht zu viel, sondern weitaus zu wenig Kinder heute des 
Segens der Schulspeisung teilhaftig werden. 
Aber, meine Herren, damit sind die Miß stände in 
der Schulspeisung noch nicht erschöpft. Die Schul 
küchen sind heute zum Teil in ganz unzulänglichen 
Räumen untergebra ch t. Das behaupte nicht ich 
aus mir heraus, sondern das gibt der Verein für Volks 
küchen in seinem Geschäftsbericht ausdrücklich an. Es schien 
auch im Ausschuß die Meinung vorzuherrschen, daß diese 
Schulküchen in die Schulen hineingehören, dorthin, wo 
die Kinder lernen; dort wo sie lernen, sollen sie auch die 
Möglichkeit haben, die Speisen zu sich zu nehmen. 
Und schließlich — darauf hat ja auch schon der Herr 
Berichterstatter hingewiesen — ist es ein Mißstand recht 
erheblicher Art, daß die Verwaltung dieses Ver 
eins für Kindervolksküchen heute sehr z u w ü n s ch c u 
übrig läßt. Mit Recht wurde im Ausschuß festgestellt, 
daß der Kassenbericht vollkommen u n k l a r, gänz 
lich unzureichend ist. Der Verein betreibt V o l k s s ch u l - 
k ü ch e n, außerdem Kinderhorte; über beide Ein 
richtungen gibt der Verein nur eine n Kassenbericht heraus, 
einen Bericht, der gar nicht erkennen läßt, welcher Teil der 
Ausgaben sich auf die Küchen und welcher sich auf die Horte 
bezieht. Die Ausgaben für diese beiden Einrichtungen 
müssen im Kassenbericht unbedingt getrennt werben, wenn 
die Stadt Berlin Klarheit erlangen soll, ob das Geld 
der Stadt Berlin wirklich nur für die Schulkinder und 
ihre Speisung Verwendung findet oder nicht. Und wenn 
der Antrag, der von einer Seite im Ausschuß gestellt wurde, 
die Kassenverhältnisse des Vereins zu prüfen, nicht ange 
nommen worben ist, so geschah die Ablehnung nicht deshalb, 
weil die Mehrheit des Ausschusses die Kassenverhältnisse 
des Vereins für gesund hielt, sondern weil man meinte, 
die Prüfung werde am besten durch die Deputation, die 
eingesetzt werden soll, geschehen. 
Vor allem wurde im Ausschuß festgestellt, daß d i c 
Stadt Berlin einen viel zu geringen Ein 
fluß n N f die Verwaltung der Schulspeisung 
h a t. Welche Zustände müssen in diesem Verein herrschen, 
tonnt der Herr Stadtschulrat im Ausschuß erklären 
mußte, er besuche die Vvrstandssitzungen des Vereins nicht 
mehr, weil dort hauptsächlich gewisse Personen — ich brauche 
sie nicht zu nennen, Sie kennen sie schon — beweihräuchert 
werden, aber eine sachgemäße Verwaltung der Schulspeisung 
nicht.stattfindet. Meine Herren, wenn das der Vertreter 
unserer Stadt erklärt, dann ist es doch ganz klar, daß sehr 
viele Und sehr erhebliche Mißstände vorhanden sind, die 
dringend beseitigt werden müssen. 
Gerade diese Mißstände drängen dahin, daß die Stadt 
die Schulspeifr.'Ng endlich in eigene Hände nimmt, sie v e r - 
st a d t l i ch t. Met Bedauern mußten wir im Ausschuß kon 
statieren, daß dort nur meine Freunde für die Verstadt 
lichung .zu haben waren; die anderen Herren wollten durch 
aus nicht der privaten Wohltätigkeit das Feld 
abgraben. Das ist hier um so mehr zu bedauern, als die 
Sitzung am 29. Mai 1913. 
Mißstände auf diesem Gebiete ein Eingreifen der Stadt als 
dringend notwendig erscheinen lassen. Die Sache steht doch 
heute wirklich so, daß Sie vor der Wahl stehen: entweder 
die Verstadtlichung der Schulspeisung, um alle bedürf 
tigen Kinder ausreichend zu speisen, oder Aufrechterhaltung 
der Vereinstätigkeit und völlig ungenügende 
S p e i s u u g der hu n g e r u den S ch u l k i n d e r. 
(Hört, hört!) 
— Meine Herren, so ist es; das hat die Aüsschußberatnng fiii 
jeden Unbefangene» klar erwiesen, und wer wirklich das 
Interesse der Schulkinder allein im Auge hat — ich sollte 
meinen, daß Sie alle nur dieses Interesse im Auge haben , 
der kaun nicht anders, als bei solchen Zuständen für die 
Verstadtlichung eintreten. 
Nur einen Fortschritt konnten meine Freunde im 
Ausschuß erreiche», und diesen Fortschritt erblicken wir in 
der einstimmigen Annähme des Antrags auf Schaffung 
einer besonderen V e r lv a l t u n g S d e p u tnti o 11, die sich 
mit der Schulspeisung, mit der F r üh st ü ck s- u n d M i t- 
tagsspeisuug bedürftiger Schulkinder zu beschäftigen 
hat. Dieser Antrag ist ja nur eine Folge unserer Anregung; 
denn es war die sozialdemokratische Fraktion die erste, 
die die Schulspeisung für wichtig genug hielt, um extra für 
sie eine besondere Deputation zu schaffen. 
(Zurufe.) 
— Ich habe keinen Namen eines Stadtverordneten genannt; 
es ist ja nicht der Name einer P erson, sondern der Name 
einer Partei, den ich genannt habe, und dazu bin ich nach 
den herrschenden Gepflogenheiten wohl in der Lage. 
Ich sagte, daß der Beschluß unseren Wünschen nicht 
entspricht: wir hätten es lieber gesehen, wenn der Ausschuß 
ganze Arbeit gemacht und eine Deputation gefordert hätte, 
welcher die gesamte Jugendfürsorge über 
tragen wäre. Wir gehen davon aus, daß bei der heutigen 
Zerrissenheit der städtischen Jugendpflege die ganze städtische 
Tätigkeit aus dem wichtigen Gebiete der Jugendfürsorge 
leidet. Die S y st e m l o s i g k e i t und die P l a u l o s i g - 
keit vieler städtischer Maßnahmen würde in dem Augenblick 
beseitigt, wo wir in Berlin, wie es in vielen anderen Städten 
schon längst der Fall ist, eine einheitliche Organisation 
hätten, die sich als I u g e n d f ü r s o r g e a m t im weitesten 
Sinne des Wortes mit allen die Jugend betreffenden Ange 
legenheiten zu beschäftigen hätte. Meine Herren, der S ä u g - 
lingsschutz, die Fürsorge für die kleine n 
Kinder und die Schulkind e r, der S ch u tz der 
Jugendlichen gegen Mißhandln» g u n d A u e- : 
beut u u g, um nur die großen, allgemeinen Gebiete zu 
nennen, dieses alles müßte einheitlich geregelt werden. 
Wir erblicken also in der von uns geforderten Deputation 
für die Schulspeisung zwar einen Fortschritt, aber nur 
einen kleinen, einen Fortschritt, von dem wir hoffen — und 
darum treten wir für ihn ein —, daß er auf dm Wege zum 
städtischen I u g e n d f ü rsorgea in t liegt und einen neuen 
Anreiz dazu bildet, etwas Großes und Ganzes zu schaffen. 
Freilich haben wir mit Bedauern sehen müssen, daß der 
Magistrat die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Angelegen 
heit scheinbar nicht ganz erkennt; denn schon vor einigen 
Monaten hat eilte gemischte Deputation ein Jugendfürsorge- 
amt gefordert. Der Beschluß dieser Deputation liegt vor, 
und es ist erstaunlich, daß uns im Ausschuß berichtet werden 
mußte, daß sich der Magistrat, obgleich vor mehreren 
Monaten der Beschluß gefaßt worden ist, mit der Angelegen 
heit überhaupt noch nicht beschäftigt hat. 
(Hört, hört!) 
Dies Verhalten des Magistrats ist etwas eigentümlich, einer 
seits mit Rücksicht auf den Beschluß der gemischten Depu 
tation, vor allen Dingen aber auch im Hinblick auf die Be 
deutung und Wichtigkeit dieser Sache. 
(Zuruf.) 
— Es ist uns im Ausschuß so berichtet worden, und zwar 
von dem Herrn Vertreter des Magistrats, der die Erklärung 
abgegeben hat, daß der Magistrat sich mit der Sache noch 
nicht beschäftigt hat. Wenn das unzutreffend ist, werde ich 
mich sehr freuen; aber vorläufig muß ich mit Bedauern fest 
stellen, daß sich der Magistrat, wenigstens nach de» im 
Ausschuß gemachten Mitteilungen, mit der Sache noch nicht 
beschäftigt hat. Ich will nur hoffen, daß die heutige Beratung 
Veranlassung gibt, daß der Magistrat sich mit der Materie 
beschäftigt. Es ist Zeit, daß auf dem Gebiete der Jugend 
fürsorge, insbesondere der Schulspeisung, ein Schritt vor 
wärts gemacht wird.
	        
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