276 Stadtv.-Vers.
ganz Berlin haben wir heute nur 17 solcher Küchen, darunter
z. B. in ganz Moabit eine einzige. Nur die Kinder be
nachbarter Schulen suchen die Küchen ans, und die Schüler
von entfernter liegenden Schulen haben kaum die Möglich
keit, an der Mittaasspeisung überhaupt teilzunehmen.
Wenn hier imPlenum von anderer Seite gesagt worden
ist, daß die Siebung der Kinder noch nicht hin
reichend vorgenommen werde, daß häufig Kinder an der
Speisung teilnehmen, die vielleicht nicht bedürftig seien,
so hat meines Erachtens die Ausschußbratung bewiesen, daß
unsere Stadtverwaltung nicht noch mehr sieben kann, als
cs heute schon geschieht. Ich wundere mich ja, daß der Herr
Berichterstatter des Ausschusses heute hier erkläre» konnte:
darüber, ob die Bedürftigkeit der Kinder hinreichend geprüft
würde, habe man im Ausschuß nicht genügend Feststellungen
machen können; man habe das nicht ergründen können, so
drückte er sich wörtlich aus.
(Widerspruch.)
— Helrr Kollege, ich habe mir sofort notiert, daß Sie sagten,
es sei nicht zu ergründen gewesen. Ich muß demgegenüber
doch hervorheben, daß der Herr Vertreter des Magistrats
uns auseinandergesetzt hat, daß die Prüfung heute schon in
sehr starkem Maße stattfindet. Armenkommission und Lehrer
kollegium, wohl auch Schulkommission, ist bei der Prüfung
beteiligt, und es ist meines Erachtens eine Legende, wenn
immer noch behauptet wird, daß auch nichtbedürftige Schul
kinder an der Schulspeisung teilnehmen. Im Gegenteil
scheint mir die Ausschußberatung erwiesen z» haben, daß
nicht zu viel, sondern weitaus zu wenig Kinder heute des
Segens der Schulspeisung teilhaftig werden.
Aber, meine Herren, damit sind die Miß stände in
der Schulspeisung noch nicht erschöpft. Die Schul
küchen sind heute zum Teil in ganz unzulänglichen
Räumen untergebra ch t. Das behaupte nicht ich
aus mir heraus, sondern das gibt der Verein für Volks
küchen in seinem Geschäftsbericht ausdrücklich an. Es schien
auch im Ausschuß die Meinung vorzuherrschen, daß diese
Schulküchen in die Schulen hineingehören, dorthin, wo
die Kinder lernen; dort wo sie lernen, sollen sie auch die
Möglichkeit haben, die Speisen zu sich zu nehmen.
Und schließlich — darauf hat ja auch schon der Herr
Berichterstatter hingewiesen — ist es ein Mißstand recht
erheblicher Art, daß die Verwaltung dieses Ver
eins für Kindervolksküchen heute sehr z u w ü n s ch c u
übrig läßt. Mit Recht wurde im Ausschuß festgestellt,
daß der Kassenbericht vollkommen u n k l a r, gänz
lich unzureichend ist. Der Verein betreibt V o l k s s ch u l -
k ü ch e n, außerdem Kinderhorte; über beide Ein
richtungen gibt der Verein nur eine n Kassenbericht heraus,
einen Bericht, der gar nicht erkennen läßt, welcher Teil der
Ausgaben sich auf die Küchen und welcher sich auf die Horte
bezieht. Die Ausgaben für diese beiden Einrichtungen
müssen im Kassenbericht unbedingt getrennt werben, wenn
die Stadt Berlin Klarheit erlangen soll, ob das Geld
der Stadt Berlin wirklich nur für die Schulkinder und
ihre Speisung Verwendung findet oder nicht. Und wenn
der Antrag, der von einer Seite im Ausschuß gestellt wurde,
die Kassenverhältnisse des Vereins zu prüfen, nicht ange
nommen worben ist, so geschah die Ablehnung nicht deshalb,
weil die Mehrheit des Ausschusses die Kassenverhältnisse
des Vereins für gesund hielt, sondern weil man meinte,
die Prüfung werde am besten durch die Deputation, die
eingesetzt werden soll, geschehen.
Vor allem wurde im Ausschuß festgestellt, daß d i c
Stadt Berlin einen viel zu geringen Ein
fluß n N f die Verwaltung der Schulspeisung
h a t. Welche Zustände müssen in diesem Verein herrschen,
tonnt der Herr Stadtschulrat im Ausschuß erklären
mußte, er besuche die Vvrstandssitzungen des Vereins nicht
mehr, weil dort hauptsächlich gewisse Personen — ich brauche
sie nicht zu nennen, Sie kennen sie schon — beweihräuchert
werden, aber eine sachgemäße Verwaltung der Schulspeisung
nicht.stattfindet. Meine Herren, wenn das der Vertreter
unserer Stadt erklärt, dann ist es doch ganz klar, daß sehr
viele Und sehr erhebliche Mißstände vorhanden sind, die
dringend beseitigt werden müssen.
Gerade diese Mißstände drängen dahin, daß die Stadt
die Schulspeifr.'Ng endlich in eigene Hände nimmt, sie v e r -
st a d t l i ch t. Met Bedauern mußten wir im Ausschuß kon
statieren, daß dort nur meine Freunde für die Verstadt
lichung .zu haben waren; die anderen Herren wollten durch
aus nicht der privaten Wohltätigkeit das Feld
abgraben. Das ist hier um so mehr zu bedauern, als die
Sitzung am 29. Mai 1913.
Mißstände auf diesem Gebiete ein Eingreifen der Stadt als
dringend notwendig erscheinen lassen. Die Sache steht doch
heute wirklich so, daß Sie vor der Wahl stehen: entweder
die Verstadtlichung der Schulspeisung, um alle bedürf
tigen Kinder ausreichend zu speisen, oder Aufrechterhaltung
der Vereinstätigkeit und völlig ungenügende
S p e i s u u g der hu n g e r u den S ch u l k i n d e r.
(Hört, hört!)
— Meine Herren, so ist es; das hat die Aüsschußberatnng fiii
jeden Unbefangene» klar erwiesen, und wer wirklich das
Interesse der Schulkinder allein im Auge hat — ich sollte
meinen, daß Sie alle nur dieses Interesse im Auge haben ,
der kaun nicht anders, als bei solchen Zuständen für die
Verstadtlichung eintreten.
Nur einen Fortschritt konnten meine Freunde im
Ausschuß erreiche», und diesen Fortschritt erblicken wir in
der einstimmigen Annähme des Antrags auf Schaffung
einer besonderen V e r lv a l t u n g S d e p u tnti o 11, die sich
mit der Schulspeisung, mit der F r üh st ü ck s- u n d M i t-
tagsspeisuug bedürftiger Schulkinder zu beschäftigen
hat. Dieser Antrag ist ja nur eine Folge unserer Anregung;
denn es war die sozialdemokratische Fraktion die erste,
die die Schulspeisung für wichtig genug hielt, um extra für
sie eine besondere Deputation zu schaffen.
(Zurufe.)
— Ich habe keinen Namen eines Stadtverordneten genannt;
es ist ja nicht der Name einer P erson, sondern der Name
einer Partei, den ich genannt habe, und dazu bin ich nach
den herrschenden Gepflogenheiten wohl in der Lage.
Ich sagte, daß der Beschluß unseren Wünschen nicht
entspricht: wir hätten es lieber gesehen, wenn der Ausschuß
ganze Arbeit gemacht und eine Deputation gefordert hätte,
welcher die gesamte Jugendfürsorge über
tragen wäre. Wir gehen davon aus, daß bei der heutigen
Zerrissenheit der städtischen Jugendpflege die ganze städtische
Tätigkeit aus dem wichtigen Gebiete der Jugendfürsorge
leidet. Die S y st e m l o s i g k e i t und die P l a u l o s i g -
keit vieler städtischer Maßnahmen würde in dem Augenblick
beseitigt, wo wir in Berlin, wie es in vielen anderen Städten
schon längst der Fall ist, eine einheitliche Organisation
hätten, die sich als I u g e n d f ü r s o r g e a m t im weitesten
Sinne des Wortes mit allen die Jugend betreffenden Ange
legenheiten zu beschäftigen hätte. Meine Herren, der S ä u g -
lingsschutz, die Fürsorge für die kleine n
Kinder und die Schulkind e r, der S ch u tz der
Jugendlichen gegen Mißhandln» g u n d A u e- :
beut u u g, um nur die großen, allgemeinen Gebiete zu
nennen, dieses alles müßte einheitlich geregelt werden.
Wir erblicken also in der von uns geforderten Deputation
für die Schulspeisung zwar einen Fortschritt, aber nur
einen kleinen, einen Fortschritt, von dem wir hoffen — und
darum treten wir für ihn ein —, daß er auf dm Wege zum
städtischen I u g e n d f ü rsorgea in t liegt und einen neuen
Anreiz dazu bildet, etwas Großes und Ganzes zu schaffen.
Freilich haben wir mit Bedauern sehen müssen, daß der
Magistrat die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Angelegen
heit scheinbar nicht ganz erkennt; denn schon vor einigen
Monaten hat eilte gemischte Deputation ein Jugendfürsorge-
amt gefordert. Der Beschluß dieser Deputation liegt vor,
und es ist erstaunlich, daß uns im Ausschuß berichtet werden
mußte, daß sich der Magistrat, obgleich vor mehreren
Monaten der Beschluß gefaßt worden ist, mit der Angelegen
heit überhaupt noch nicht beschäftigt hat.
(Hört, hört!)
Dies Verhalten des Magistrats ist etwas eigentümlich, einer
seits mit Rücksicht auf den Beschluß der gemischten Depu
tation, vor allen Dingen aber auch im Hinblick auf die Be
deutung und Wichtigkeit dieser Sache.
(Zuruf.)
— Es ist uns im Ausschuß so berichtet worden, und zwar
von dem Herrn Vertreter des Magistrats, der die Erklärung
abgegeben hat, daß der Magistrat sich mit der Sache noch
nicht beschäftigt hat. Wenn das unzutreffend ist, werde ich
mich sehr freuen; aber vorläufig muß ich mit Bedauern fest
stellen, daß sich der Magistrat, wenigstens nach de» im
Ausschuß gemachten Mitteilungen, mit der Sache noch nicht
beschäftigt hat. Ich will nur hoffen, daß die heutige Beratung
Veranlassung gibt, daß der Magistrat sich mit der Materie
beschäftigt. Es ist Zeit, daß auf dem Gebiete der Jugend
fürsorge, insbesondere der Schulspeisung, ein Schritt vor
wärts gemacht wird.