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Volume No 13, 27. März 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

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Stadtv.-Vers. Sitzung am 27, März 1913. 
nach der Richtung hin in Zukunft anders verfahren werden 
soll, als bisher verfahren worden ist. 
Wo eben die Unterstützungsbedürftigen vorhanden sind, 
muh gegeben werden, und infolgedessen müssen auch ge 
nügend Beträge in den Etat eingestellt werden, damit 
eine Etatsüberschreitung vermieden wird. Soweit ich mich 
erinnere, hatten wir 1904/05 Etatsüberschreitungen von 
rund 600 000 M im Armenetat, und da sagte unser Kollege 
Liebenow, daß derartige Etatsüberschreitungen nicht wieder 
vorkommen dürften, und daß genügend Mittel eingestellt 
werden müßten. Das ist seinerzeit geschehen. Im Jahre 
1906/07 wurden rund 700 000 M mehr eingestellt, im 
Jahre 1909/10 900 000 M, im Jahre 1910/11 500 000 
Mark. Nur dadurch ist es möglich geworden, Etatsüberschrei 
tungen zu verhüten. 
Ich möchte Sie also bitten, unser» Antrag anzu 
nehmen, der nur das verlangt, was wirtlich für 1912 aus 
gegeben worden ist, und was die Armendirektion selbst bean 
tragt hat, also 7 600000 M in den Etat wieder einzustellen. 
Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den Pflegegeld 
empfängern. Die Zahl der Pflegegeldempfänger ist nicht so 
erheblich gestiegen. Sie beträgt nur 100 mehr, nämlich 
12 988 Kinder. ES wurden im Jahre 1912 rund 30 000 
Mark mehr verausgabt als im Jahre 1911. Vom 1. Februar 
vorigen Jahres bis 1. Februar dieses Jahres sind rund 
1 415 000 M dafür verausgabt worden, also 15000 M mehr, 
als der Ansatz des Magistrats ist, so daß schon für das 
Jahr 1912 eine Ueberschreitung eintreten würde, wenn 
nur dieser Betrag in Ansatz gebracht wird. 
Zu viel getan wird mit den Pflegegeldern bei uns 
auch nicht. Es sind immer noch rund 60 pCt. unserer 
Pflegekinder, für die eine Unterstützung von 7,so M bis 
9 M pro Monat und weniger gezahlt wird. Ich glaube also, 
daß man hier nicht sparen kann. Im Gegenteil, es drängt 
alles darauf hin, daß hier die sonstigen Sätze von 10 M, 
welche die Armendirektion festgesetzt hat, durchweg gezahlt 
werden müßten. Meine Herren, im letzten Waisenetat 
ist die Beköstigung des Waisenkindes auf 170 bis 180 M pro 
Jahr festgesetzt. Das sind rund 50 4 pro Tag. Für 
unsere Pflegekinder, die sich bei ihren Müttern befinden, 
beträgt der Durchschnittssatz noch nicht einmal 30 4 pro 
Tag. Daß also an eine Herabsetzung nicht zu denken ist, 
dürfte Ihnen allen wohl einleuchten. 
Von einem Antrage auf Erhöhung des Titels für die 
Extraunterstützungen haben" wir abgesehen. Es sind hier 
eingestellt 1450 000 J6. Aber ich mache auch hier darauf 
aufmerksam, daß die Jstausgaben für die Zeit vom 
1. Februar 1912 bis 1 Februar 1913 1489000 M be 
tragen haben, also rund 40 000 Jt mehr, als selbst in den 
Etat eingestellt worden sind. 
Ganz absonderlich nimmt sich die Herabsetzung der 
Winterunterstützungen aus. Es wird eine Herabsetzung 
der Winternnterstützungen von 325 000 M, die die Armen 
direktion beantragt hat, auf rund 300 000 .1/ beantragt. 
Die Jstausgabe betrug im Jahre 1911 317 968 M. Nach! der 
Aufstellung der Armendirektion wird angenommen, daß im 
Jahre 1913 326 482 .46 gebraucht werden. Der Magi 
strat stellt nur rund 300 000 M ein, kürzt also auch diesen 
Statstitel um rund 26 000 M. 
Das wären die Zahlen, die ich Ihnen im allgemeinen 
zu geben hatte, und <§ie werden daraus meiner Ansicht nach 
ersehen, daß das, was wir beantragt haben, immerhin das 
Bescheidenste ist, was wir verlangen können. Wollen Sie 
eine Etatsüberschreituna vermeiden, dann müssen Sie sich 
unseren Anträgen anschließen Ich bitte Sie, sich auch aus 
dem Grund unsern Antragen anzuschließen, um selbst den 
Anschein zu vermeiden, als wenn mit der Herabsetzung 
dieser Etatstitel auch eine Herabsetzung der Ärmemmter- 
stützungen beabsichtigt sei. Es ist zwar gesagt, daß eine Her 
absetzung nicht vorkommen darf und nicht vorkommen soll. 
Es hat aber auch den Anschein, wenn der Armenerät 
so über die Anträge der Armendirektion hinaus gekürzt 
wird. Wollen Sie diesen Eindruck vermeiden, dann nehmen 
Sie, bitte, unsere Anträge an! 
Meine Herren, der Vertreter der Armendirektion im 
Magistrat hat mir persönlich erklärt, daß er die Anträge 
der Armendirektion im Magistrat voll vertreten habe, gegen 
seinen Willen sei die Herabdrückung dieser Etatstitel' vor 
genommen worden. Herr Stadtrat Kalifch erklärte, er 
bedaure dies. Er sagte mir persönlich, daß er für diese 
Etatstitel im Magistrat wie ein Löwe gekämpft hätte. 
Nun, meine Herren, dem Herrn Kämmerer sieht man's au. 
daß er bei diesen Kämpfen etwas abbekommen hat; Hctt 
Stadtrat Kalifch allerdings scheint glimpflich davongekommen 
zu fei». Jedenfalls bitte ich Sie, die Sätze anzunehmen, 
die die Armendirektion und meine Freunde beantrag! 
haben. 
Stadtrat Malis*: Meine Herren, was die letzte Be 
merkung des Herrn Vorredners betrifft, so werden Sit 
mir wohl glauben, daß er mich vollständig falsch verstände!, 
hat. Selbstverständlich habe ich int Magistrate meiner Pslich 
gemäß die Vorschläge vertreten, die die Armendirektion 
vorgeschlagen hat. Das ist meine Pflicht und Schuldigkeit 
Ich habe auch dem Herrn Vorredner gesagt, daß ich mich, 
wenn ich das nicht durchgesetzt habe, vielleicht besseren 
Erwägungen untergeordnet habe, was ja bei den Herren 
Sozialdemokraten eigentlich nie der Fall ist. Jetzt bin 
ich in der Lage, die Sätze zu vertreten, die im Etat vor 
gesehen sind. 
Ich möchte aber von vornherein eine allgemeine Bc 
merkung machen. Herr Hintze hat nur von früheren Ziffern 
und von besonderen Positionen gesprochen. Aber, meine 
Herren, ist es Ihnen' denn nicht erklärlich, daß endlich 
die Zeit herangekommen fein mit st, in der die Ansprüche 
an die Armenverwaltung geringer werden? Die Wohltätig 
keitsvereine in Berlin, mit denen die Armeuverwaltmiß 
Hand in Hand arbeitet, machen auch endlich einmal ihre» 
Einfluß geltend. Zuguterletzt ist es ja selbst die Sozial 
demokratie, die durch ihre Einrichtungen der Arbeitslosen 
Versicherung auch ein großes Stück Armenpflege uns ab 
genommen hat. 
(Hört, hört!) 
Ja, was wahr ist, ist wahr! Alle diese Erwägungen müssen 
Sie doch dahin bringen, endlich einzusehen, daß die Alt 
spräche, wie ich schon sagte, geringer geworden sind. Sie 
müssen geringer werden, und sie werden geringer werden. 
Wenn Herr Hintze einen einzigen Fall hätte anführen können 
in welchem ein Armer nicht das, was ihm not tut, er 
hält, wenn er nur einen einzigen Fall hätte anführen können, 
in welchem eine Pflegemutter nicht das erhält, was not 
wendig ist, um das Kind zu erhalten, dann würde ei 
nicht mit so allgemeinen Redensarten die Sache haben to 
machen wollen. Das geht nicht an. Es handelt sich um Mari 
und Pfennige und außerdem auch um ein wenig Herz 
um erfolgreich zu arbeiten. Sie werden der Armen- 
direktion nicht nachsagen können, daß sie irgend jentonl 
darben läßt. 
Meine Herren, nach den neuesten Berechnungen hm 
Berlin pro Kopf der Bevölkerung im vergangenen Iahn 
4,93 M gegeben, im Jahre 1.910 4,t« .16. Wir haben als 
mehr gegeben, wie Sie sehen. Vergleicht man aber bii 
4,4(1 M vom Jahre 1910 mit anderen Städten, dann ist hii 
Sache doch ganz merkwürdig. Da ist Hamburg mit 2,41 J 
Posen mit 2,3« M, Straßburg mit 2,so M, Kiel uv 
2 M. Also, meine Herren, was die Ausgaben für bi 
einzelnen betrifft, stehen wir noch immer besser al 
irgend eine Stadt in Deutschland. Ich kann nur wiederholen 
was ich in der Armendirektion oft genug gesagt habe, hn 
wir in Berlin bei weitem mehr als irgend eine Stadt ii 
Deutschland den Armen zuwenden. Selbst in Frankfurt 
das in Geld wühlt, wird nicht so viel gegeben wie in Berlin 
Wir haben die Extraunterstütznngen im Etat erhöh! 
weil wir jetzt versuchen wollen und es mit gutem Erfol 
getan haben, schnell und energisch bei einzelnen Falle 
einzugreifen. Es hat sich gezeigt, daß mir, wenn wir bitte 
Extraunterstützungen sofort und energisch eingreifen, eine 
Menge von Leuten, die sonst regelmäßige Unterstützung be 
kommen müßten, geholfen wird. Das ist auch ein Grund 
aus welchem wir die Almosen heruntersetzen konnten. 
Noch einen anderen Punkt will ich erwähnen, den Her 
Hintze nicht erwähnt hat. Ungefähr 1000 Kinder, die bishc 
der Arinendirektiou zur Last gefallen sind, werden jc6 
von der Waisenverwaltung versorgt. Die hierfür sonst in de 
Etat eingesetzte ganz bedeutende Summe geht nun auch nl 
Sie sehen also, daß die große Herabsetzung, von de 
Herr Hintze gesprochen hat, auf nichts hinausläuft. S] 
können sich daraus verlassen, daß die Armendtre.ftU 
niemand darben läßt, daß alle Leute, die wert sind, be 
rücksichtigt zu werden, auch berücksichtigt werden. Dann 
bitte ich nochmals: nehmen Sie den Etat an, wie < 
Ihnen vorliegt! Ich glaube, wir werden gut aüsk"mine't,'dii 
i Versuch wollen wir wenigstens machen.
	        
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