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Volume No 11, 13. März 1913

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue40.1913 (Public Domain)

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Stadtv.-Vers. 
bor Arbeiter in der Stadtvervrdnetenversmninlung 1111b in 
beit Deputationen bas Interesse ber Arbeiter vertreten, 
so bleibt boes) bic Tatsache bestehen, bas; bie Arbeitsbodin- 
fliutgen einseitig von ber Verwaltung festgestellt werben, bas; 
bic Arbeiter nach wie vor mir Objekt ber Gesetzgebung 
bleiben. Der Absolutismus bleibt bestehen, wenn man mich 
von einem aufgeklärten Absolutismus sprechen kann. Dnrcti 
bic Tarifverträge soll aber bas absolutistische System in 
ein konstitutionelles umgewandelt mtb, wie Herr Dr. Pott 
hoff in einem Artikel im Berliner Tageblatt sagt, an bie 
Stelle brr Willkür bie Vereinbarung, an bie Stelle bes 
Absolutismus bie Verfassung gesetzt werben. Das Arbeits 
verhältnis soll ein Probukt ber Verständigung zwischen 
Unternehmern 1111b Arbeitern sein und keine einseitige Be- 
lstinimung bes wirtschaftlich Stärkeren. Daher kann bic 
Frage ber Abschließnug von Tarifverträgen zwischen Unter 
nehmern und Arbeitern nicht ausschließlich vom materiellen 
sStandpunkte ans betrachtet werben; es kommen mich höhere 
Gesichtspunkte in Frage, unb biese lassen es erklärlich er 
scheinen, bas; mich bie Arbeiter ber Stabt Berlin ans bat 
Abschluß eines Vertrages hinwirken. 
Wenn wir auf bie Geschichte der Tarifverträge zurück 
blicke», dann finden wir, daß es eine Zeit gab, in der auch 
bic Privatindnstrie solche Verträge als überflüssig und nn- 
burchsührbar zurückwies, wie auch die Arbeiter sich ablehnend 
verhielten. Diese Anschauung hat sich in ganz kurzer Zeit 
geändert. Ich bin 111111 ber Ueberzeugung, bas; mich bie Ah- 
schaun»g über Tarifverträge zwischen Gemeinden unb ihren 
Arbeitern in der nächsten Zeit eine Wandlung durchmachen 
lvirb. Auch Hier gilt das Sprichwort: Rom ist nicht an 
einem Tage gebaut worben. Neue Ideen brauchen Zeit, 
sich durchzusetzen. 
Meine Freunde halten selbstverständlich au ihrer Ans- 
fassnug fest und werden gegen bat Antrag des Ausschusses 
stimmen. Dieser Antrag des Ausschusses wird ja zweifel 
los angenommen werden. Damit halten aber meine Freunde 
bie Angelegenheit nicht für erledigt. Sobald bic Stimmung 
eine bessere geworden ist — das wird jedenfalls in nicht 
allzu ferner Zeit eintreten —, werden sie bat Antrag hier 
von neuem einbringen, und ich zweifle nicht daran, daß ber 
von uns gestellte Antrag, bet heute abgelehnt wird, bald 
mich hier zur Annahme gelangt. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Gallaud: Meine Herren, mich 
meine Freunde würdigen bie Vorzüge der Tarifverträge 
ititb der kollektiven Arbeitsverträge. Diese Vorzüge, haben 
sieh besonders in der Privatindnstrie bewährt. Aber die 
Verhältnisse ber Privatindnstrie find 11111t mal andere als 
bie der Arbeiter in bat städtischen Kommunen. 
Auch ich will hier nicht näher auf bie Unterschiebe 
eingehen. Wenn wir einen kollektiven Arbeitsvertrachschließen 
würbe», wir würben both zu feinem Inhalt nur das machen, 
iwas wir bereits durch Beschlüsse der städtischen Behörden 
festgestellt haben. Diesem Tarifvertrag, ber nur auf Zeit 
geschlossen würde, stehen bie Beschlüsse ber städtischen Be 
hörden gegenüber. Aus diesem Gegensatz des Temporären 
mtb des Stetigen ergibt sich der überwiegende Vorteil nicht 
mir für bie Stadt, sondern auch für die Arbeiter selbst. 
Es ist doch verwunderlich, daß im ganzen preußischen 
Staate auch nicht eine einzige Kommune damit vorgegangen 
ist, kollektive Arbeitsverträge abzuschließen! Zwei Gemein 
den in Oldenburg, mtb zwar zwei Städte, bie bie meisten 
von utts -- - ich muß es auch für mich gestehen — wohl zum 
erstenmal gehört haben, Osterubnrg mtb Nüstringen, sollen 
für das Vorgehen ber preußischen Städte maßgebend sein. 
Wir können als auffällige Eigentümlichkeit ber privaten 
Verträge im Gegensatz zu bat Zuständen in bat Kommunen 
eststellen, daß in der Regel nach Ablauf ber Tarifverträge 
in ber Privatindnstrie eine Differenz zwischen Arbeitern 
mtb Arbeitgebern eintritt, bie gewöhnlich zum Streik führt. 
In der laugen Zeit, in ber wir bic großen industriellen Werke 
haben, haben wir noch nicht einmal konstatieren können, 
Df; eine erhebliche Unzufriedenheit in unserer Arbeiterschaft 
hervorgetreten ist, geschweige beim eine Streikbewegung. 
Durch die stetigen Bestimmungen, die wir haben, ist der. soziale 
Frieden gesichert, das Vertrauen der Arbeiterschaft in hohem 
Maße gewonnen worden. Diesem erfreulichen Zustand gegen 
über würde es doch sehr gewagt sein, wenn wir von bau 
bewährten System, das wir bisher gehabt haben, zu einem 
nichtbewährteu System, das noch keine Kommune einzu 
führen riskiert hat, übergehen würden. 
Sitzung am 13. März 1913. 167 
Daß die städtische Verwaltung Herz für ihre Arbeiter 
hat, haben mir häufig durch unsere Beschlüsse bewiesen; 
wir haben es im vorliegenden Etat dadurch bewiesen, daß 
wir, ohne eine Anregung zu erhalten, 1 Million Mark zur 
Verbesserung brr Arbeiterlöhne eingestellt haben. 
(Widerspruch.) 
So, wie wir unser Interesse und unsere Zuneigung für die 
Arbeiter hierdurch bewiesen haben, so werben wir es auch 
in Zukunft beweisen, wenn unsere Mittel uns mir irgend 
gestatten werden, die Löhne zu erhöhen. 
Wenn die Herren Sozialdemokraten sagen, daß sie 
mit ihren Anträgen auch fernerhin kommen werden, so 
wird uns das nur willkommen sei». Im Streit der Mei 
nungen wird bic Wahrheit gefunden. Wenn die Herren recht 
haben und uns überzeugen, so wird die Berliner Stadtver 
ordnetenversammlung die letzte sein, die, wenn die Verhält 
nisse es gestatten, solche Anträge zurückweisen wird. Wir 
können mit Ruhe in die Zukunft schauen. Wenn wir auf 
dem bewährten Standpunkt beharren, wird der soziale Friede 
und das Vertrauen unserer Arbeiterschaft uns auch in Zu 
kunft stets erhalten bleiben. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Brunzlow: Meine Herren, ich bin 
gleichfalls der Ansicht, daß Kollektivverträge der Privatim 
dnstrie zum Vorteil dienen. Dagegen bin ich aber mich der 
1 Ansicht, daß kollektive Verträge der Stadt sehr gefahrvoll 
sind. Ich muß sagen, daß in der Privatindnstrie auf ge 
wisse Zeit geschlossene Verträge bei Eintritt des Kündigungs 
termins immer zu einer Beunruhigung führen. Wenn wir 
die Küitbigungszeit von 3 Monaten bei Abschluß von Ver 
trägen in Aussicht genommen haben, so können wir sicher 
sein, daß die Terminzeit der 3 Monate vor Ablauf des Ver 
trages schon zu ganz erheblichen Unsicherheiten führt. Der 
Arbeitgeber ist nicht in der Lage, über diese 3 Monate voll 
auf zu verfügen, er ist nicht in der Lage, Aufträge, die 
vielleicht länger als 3 Monate zur Ausführung erfordern, 
mit Sicherheit ausführen zu können; denn wenn ein Vertrag 
gekündigt wird oder abläuft, so werden fast immer neue 
Forderungen gestellt und zwar selten von den Arbeitgebern, 
sondern meist von den Arbeitnehmern. Es ist ja selbstver 
ständlich, daß diese Herren ihre Lage immer mehr verbessern 
wollen. Die Forderungen sind aber häufig so hoch, daß die 
Arbeitgeber sie nicht erfüllen können. 
Im Ausschuß ist davon gesprochen worden, es möchte 
doch eine Gleichmäßigkeit in den Arbeitsbedingungen zwischen 
Stadt unb Privatindustrie herbeigeführt werden. Das ist 
aber sehr schwierig durchzuführen; beim die Arbeiter, die bei 
der Stadt beschäftigt sind, genießen schon von vornherein 
erhebliche Vorzüge: sie erhalten Urlaub, Ruhegehalt und feste 
Löhne, was bei der Privatindnstrie gar nicht durchführbar 
ist. Im Ausschuß ist davon gesprochen worden, daß dies 
eventuell auch bei der Privatindnstrie eingeführt werden 
könnte. Ich möchte wohl wissen, wie das möglich sein sollte, 
wenn Aufträge nicht vorliegen, die Arbeiter aber zu festem 
Gehalt beschäftigt werden sollen; das ist also ganz unmöglich. 
Bei der Stadt läßt sich das viel eher ausgleichen. Auch 
würde das, wenn wir die Gleichstellung der Arbeiter als 
Grundlage betrachten wollten, zu einer Schraube ohne Ende 
führen. Einmal würde die Privatindnstrie verhältnismäßig 
bessere Löhne zahlen, und dann würden die Arbeiter der 
Stadt bei der nächsten Gelegenheit sagen: die Privatindnstrie 
zahlt bessere Löhne, und wir müssen für diese erbärmlichen 
Löhne arbeiten! Oder umgekehrt, bei der Stadt würden 
höhere Löhne gezahlt und bei der Privatindnstrie geringere. 
Es würde immer eine Arbeiterkategorie gegen die andere 
ausgespielt werden. 
Ich bin also der Ansicht, das; dieser Antrag auf keinen 
Fall anzunehmen ist, und bitte Sie auch, dem Antrag des 
Ausschusses zuzustimmen. 
(Bravo!) 
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage des 
Ausschusses die Ablehnung des Antrages derStadtverordneten 
Dr. Arons und Genossen.) 
Vorsteher Michelet: Sechster Gegenstand der Tages 
ordnung: 
Berichterstattung des Ausschusses zur Vorberatung 
der Vorlage- betreffend die Auswahl der im Rech 
nungsjahr 1918 neu- und umzupflasteruden Strasteu. — 
. Vorlagen 108 und 268.
	        
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