3» bei Petition ist schon der Fall hervorgehoben, bnjj
sich ein vermeintlich gemeingefährlicher Geisteskranker dadurch
„lästig" gemacht habe, das, er eine Bit.schrift im Schlosse ab-
gegeben habe. Neh neu wir an, es sei bei dem Manne ein
Zeichen von Größenwahns»»!, baß er annimmt, zum Schlosse
Zutritt zu haben, wenngleich von altprenßischer Seite immer
gesagt wirb, daß jedermann der Zutritt zum Könige zu
stehen müsse, — nehmen wir das selbst an, so ist der Be
griff „gemeingefährlich", wie der Herr Polizeipräsident ihn
konstruiert hat, doch höchstens in der Befürchtung der Polizei
vorhanden, daß das weitere Verbleiben des Mannes in der
Freiheit zu Störungen in der öffentlichen Ordnung, nicht
aber etwa zu Gefahren für Leben und Gesundheit und nicht
einmal zu Gefahren für die polizeiliche Sicherheit des Eigen
tums der Bevölkerung führen könnte. Eine objektive Grund
lage für diese Befürchtung bietet jener Sachverhalt aber in
keiner Weise.
Meine Herren, ivie leicht man aber ins Irrenhaus ge
bracht werden kann, wenn man sich nur lastig gemacht hat,
wenn man der Polizei unbequem geworden i|t, ohne nur
einmal die öffentliche Ordnung gestört zu haben, das ergibt
der zweite Fall, den ich Ihnen aus der letzten Zeit vor
tragen möchte. Er betrifft einen Mann, den Sie sicher alle
schon gesehen haben, der sich seit mindestens 15 Jahren an
der Ecke der Leipziger und der Friedrichstraße aufhält, einen
Straßenhändler, groß gewachsen, mit einem Bollbart und
einer blauen Brille. Dieser Man» war früher Restaurateur,
erblindete durch Seh lervenschwund und ernährte sich nachher
durch seinen Straßenhandel; er trug auch auf der Brust oder
auf seinem Wagenkasten ein Schild mit der Inschrift: er
blindet infolge Sehnervenschwnnd. Und nun behauptet die
Polizeibehörde: dieses Schild und die ständige Aufstellung
des Mannes kann dein Verkehrspunkt Ecke Leipziger und
Friedrichstraße gefährlich fein, und der weitere Umstand, den
die Polizei behauptet, der Mann aber bestreitet, daß er Vor
übergehende auf seine elende Lage aufmerksam gemacht oder,
sagen wir schon in schroffster Auslegung des betreffenden
Paragraphen des Strafgesetzbuches: gebettelt habe, hat bei der
Polizeibehörde ausgereicht, um diesen Händler — Lischewski
heißt er — von der Straße weg in das Irrenhaus zu bringen
und ih i dort 17 Tage laug festzuhalten. Da die Irrenärzte
der Stadt Berlin an seiner geistigen Gesundheit keinerlei
Makel entdecken, zum mindesten ihn nicht als ge
meingefährlich befinden konnten, ist er schließlich aus dringende
Empfehlung der Irrenärzte entlassen worden. Er klagt jetzt
gegen den Polizeipräsidenten auf Schadenersatz wegen des
ihm in diesen 17 Tagen entgangenen Verdienstes und möchte
auf diese Weise die Sache zur gerichtlichen Klarstellung bringen.
Meine Herren, was ich an der Petition vermisse —
gerade bei dem Prozeß Lischewski fällt mir das ein —, das
ist der Versuch, den die Stadt Berlin einmal machen müßte,
auch im Wege der Klage bei den Gerichten Recht zu finden
gegen solche Uebergriffe der Polizeibehörde. Ich gebe zn:
es kann zweifelhaft sein, ob für die Stadt Berlin der Rechts
weg über solche Ansprüche zulässig ist. Aber der Versuch
müßte gemacht werden. Da ein wesentlicher Grund für die
Stellung der Staatsregierung in dieser Frage die Scheu vor
dem Zahlen ist, wird nach meiner Meinung die Scheu vor
dem Zahle», wenn erst einmal ein obsiegendes Urteil er
stritten ist, die Staatsregiernng zu einer Einschränkung des
Begriffes der Gemeingefährlichkeit bringe».
Meine Herren, wenn der Herr Polizeipräsident sich auf
das auch in der Petition angeführte Urteil des Oberverwal-
tungsgerichtes im 47. Baude beruft, auf dieses Urteil, das
die Verpflichtung der Stadt Berlin und der Landarmenver-
bä.rde ausspricht, derartige, nicht aus Gründen der Gesund
heit und der Armenpflege, sondern aus polizeilichen Rück
sichten in die Irrenhäuser gebrachten Personen zu verpflegen
und zu behalten so schützt es doch nicht vor dem im Prozeß
wege zu verfolgenden Vorwurf, eine widerrechtliche Handlung
begangen, seine Amtspflicht verletzt zu haben. Ich meine,
wenn die Stadt Berlin, wie ans der Petition ja auch er
sichtlich ist, voinMinister des Innern mit polizeilicher, und
zwar mit kö p-Archer Gewalt bedroht wird, falls sie sich
weigert, derartige Kranke an sich zu nehmen, wenn der
Minister des Innern es sich erlaubt hat, die Regierungs
präsidenten und den Herrn Polizeipräsidenten von Berlin
anzuweisen, unter Umständen mit körperlicher Gewalt die
Tür der Irrenanstalt zn sprengen, die Beamten der Stadt
Berlin zurückzudrängen und diese Kranken oder vermeintlich
Kranken, in Wahrheit Polizeilästigen in das Irrenhaus
hinüberzubringen — denn das ist der Sinn dieser Anweisung,
wie er sich ans der Petition ergib , so kann von diese»
Gewalttat auch das Urteil des Öberverwallungsgerichts mich»
freisprechen: und deshalb müßte der Versuch gemacht werden»
im Wege Rechtens den Polizeipräsidenten für die rindert»
taufende oder wenigstens in einem revisiblen Versuchsprozessc»
für die Tausende von Mark in Anspruch zu nehmen, liiiil
die das polizeiliche Verfahren die Stadt Berlin alljährlich schädigt»
Mir gefällt an der Petition, wie schon mein Freund»
Zadek für sich hervorgehoben hat, ja ohnedies nicht, daß die»
ganze Frage nur an das Portemonnaie geknüpft, nur an dem»
finanziellen Nagel aufgehängt wird. Ich verkenne freilich»
nicht, daß sich der Magistrat auch durch die Rechtsprechung!
des Oberverwaltungsgerichts über die Grenzen des Petition^»
rechts in einer schwierigen Lage befindet. ||
Ich will mich selbst berichtigen. Herr Kollege Mvmmseu hat»
die Absicht, es eventuell später zu tun, ivie ich aus seinem»
Zwischenruf schließe. Ich gebe zn: nicht allein auf die«
finanzielle Seite der Sache spielt sich tue Petition hinaus.«
Es werden ja auch rechtliche nno andere Rücksichten, namentlich»
die Verletzung der persönlichen Freiheit behandelt. Aber nach«
der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts ist es ja»
leider so, daß die Stadt ein eigenes Jnwresse am Gegenstand«
der Petition haben muß, um überhaupt petitionieren znl
dürfen. Und die Petition ist vorsichtig genug, auch hervorzu-ft
heben, sie nicht den Kreis der städtischen Interessen und also«
das Petitionsrecht nicht überschreite. ft 1
Wenn aber die Sache von Grund auf behandelt werden In
soll, wenn eine ernstliche Verbesserung in dieser wichtigen«
Frage herbeigeführt werden soll, die in die tiefsten Tiefen»
unseres Verfassungslebens, in unsere persönliche Freiheit ein ft
greift, dann muß natürlich noch mehr Material heran-«
gebracht werden, und dann muß nötigen Falles in einer ft
Nachtragspetition, die die Stadtverordnetenversammlung ein-«
reicht, mit oder ohne den Magistrat, auch diese staatsrecht- ft
liche, diese politische Seite der Sache betont werden. Daran l>
sind wir als Bürger der Stadt Berlin genau so interessiert |s
wie au der finanziellen Seite der Sache. ft
Meine Herren, vergegenwärtigen Sie sich die nahezu völlige ft
Rech losigkeit der einmal in die Irrenanstalten, auch in die ft
guten und verhältnismäßig freien Irrenanstalten der Stadl ft
Berlin aufgenommenen Leute! Es besteht im allgemeinen ft
kein Recht auf Widerspruch gegen die Einweisung, es besteht ft
kein Recht auf geordnete Korrespondenz, es besteht kein Recht li
cu f Bes.lchsempfang: es besteht nur in besonderen Fällen für I
den Internierten und nur sehr selten für seine Angehörigen ft
das formale Recht, die Einweisung in die Irrenanstalt im ft
Verwaltungsstreitverfahren anzugreifen. Il
Das muß man völlige Rechtlosigkeit nenne», und auch ft
die Stadt Berlin muß dabei still halten, weil sie den Inter- ■'
inerten nicht entlassen darf ohne Zustimmung der Polizei- -
behörde. Soll die Sache von Grund auf angefaßt, soll sie i
im Interesse der Kranken und im allgemeinen Interesse >
von Grund aus gebessert werde», dann nutzt es \
nichts, daß man die Stadt von den finanziellen >
Lasten befreit, sondern daun muß alles geordnet werden, j
was diese vermei itlich Kranke» oder Polizeilästigen zu recht- j
losen Parias rechtswidrig handelnder Polizeiorgaue macht, '
und was unter Umständen heilungsbedürftigen Kranken die 1
Stellung von verurteilten Verbrechern gibt.
Meine Herren, nach unserer Gerichtsverfassung, nach
unserem Strafgesetzbuch darf keine Strafe ohne ein Urteil 1
vollstreckt werden. Es darf keiner in seiner Freiheit ohne >
richterliches Urteil beschränkt werden. Aber von den „gemein- j
gefährlichen Geisteskranken" werden Hunderte und Tausende '
— für Berlin allein sind es im Jahresdurchschnitt 500, wie
die Petition sagt — ohne Richterspruch auf Monate, Jahre,
ja sogar in thesi und zuweilen auch in praxi auf Lebenszeit
in ihrer Freiheit ohne Richterspruch beschränkt.
Daß das ein unhaltbarer Zustand ist, bedarf keines
näheren Beweises. Hier rufe ich aber namentlich die
Liberalen auf. Wenn Sie eine Aenderung herbeiführen wollen
— und das entspricht Ihrem kommunalen und politischen Partei
programm —, daun müssen Sie es natürlich in der Weise
tun, die allein Erfolg verspricht. Sie werden die Staats
regierung nicht durch Petitionen und nicht durch De
klamationen über finanzielle Schädigungen der Stadt dazu
führen; da muß man einen ernsten politischen Kampf
um die Reformierung, um die Demokratisierung unserer
Staatseinrichtungen kämpfen, namentlich um Verbesserung
der Einrichtungen, die zum Schutze der persönlichen Freiheit
der Bürger bestimmt sind.
(Sehr richtig!)