Nur eins möchte ich mir erlauben schon jetzt zu bemerken. Ich
halte es für eine moralische Pflicht, daß man den Anschauungen des
bei dieser Gelegenheit besonders interessierten Berufsstandes, der
Aerzte, Rechnung' tragen soll, vorausgesetzt, daß keine zwingenden
Gründe dagegen streiten.
-(Zuruf.)
— Herr Kollege Hammerstein, Sie schüttelniden Kopf. Ich meine, Libe
ralismus und Gerechtigkeitsgefühl sind zwei Begriffe, die sich nicht
ausschließen; darüber sprechen -wir vielleicht im Ausschuß weiter.
Alle diese Umstände, meine Herren, sowie das Fehlen einer
ganzen Reihe von Punkten, wie der Dauer des Vertrages, der Be
schwerdeinstanz, der ärztliche» Oberaufsicht und anderer mehr, lassen
es doch geraten erscheinen, diese technischen Fragen heute von der Be
ratung im Plenum auszuschließen, wie ja auch die Vorlage eine
Beschlußfassung über diese Fragen noch nicht herbeiführen will. Die
Stadtverordnetenversammlung heute schon auf alle diese Punkte fest
zulegen, würden wir für einen großen Fehler erachten, und deshalb
wünschen meine Freunde, daß diese Vorlage einem Ausschuß über
wiesen tvird, der gewissenhaft die ganze Angelegenheit, die von un
endlich segensvoller Bedeutung für Berlin fein kann, zu prüfen hat,
unbeirrt durch alle freundlichen Ratschläge, die schon jetzt darauf
zielen, die Vorlage in ein ganz bestimmtes Fahrwasser zu drängen.
(Bravo!)
Stadtverordneter Dr. Landau: Meine Herren, wenn es sich
nur darum handelte, ein Kuratorium für die Verwaltung der
Rettungsgesellschaft einzurichten, so würden wir natürlich ohne jede
Ausschüßberatung dazu bereit sein; denn die Forderung ist ja schon
längst von der Stadtverordnetenversammlung ausgegangen. Viel
leicht wäre es auch zweckmäßig gewesen, gleich vor drei Jahren ein
solches Kuratorium einzusetzen; denn es luäre mit der Verwaltung
des Magistrats gleichmäßig bemüht gewesen, die Kinderkrankheiten
zu studieren, die dieser Neuorganisation von Hause aus anhaften
mußten, wie in der Vorlage auch bemerkt ist, und vielleicht jetzt
schon Heilmittel dagegen zu finden und auch während der Zeit even
tuelle Unstimmigkeiten zu beseitigen. Indessen, das gehört der Ver
gangenheit an.
Wenn meine Freunde dennoch einen Ausschuß beantragen, so ge
schieht es in Hinsicht darauf, daß diesem Kuratorium die Aufgabe
obliegen soll, eine Neuorganisation für die Vereinheitlichung des
Rettungswesens zu schaffen. Dazu möchte ich bemerken, daß ich
absichtlich den Ausdruck Vereinheitlichung gebrauche, weil ich unter
dem Unterschiede, den die neue und die alte Organisation hat, der sich
durch den Namen Verstadtlichung ausdrückt, einen prinzipiellen
Unterschied nicht sehe. Indessen will ich mich auf diese mehr formelle
Angelegenheit nicht weiter einlassen.
Ich würde auch jetzt schließen können, wenn ich nicht verpflichtet
wäre, jetzt mitzuteilen, daß wir mit der Begründung der Vorlage
in ihren Einzelheiten nicht einverstanden sind. Wir bestreiten nicht
etwa die dort vorgebrachten Tatsachen; wir sind nur der Meinung —
und wir glauben, daß das besser im Ausschuß untersucht werden
wird —: die vorgebrachten Tatsachen sind nicht schlüssig. Indessen
will ich auf diesen Punkt auch hier nicht weiter zurückkommen. Ich
möchte nur das eine erwähnen, daß die Überweisung an einen Aus
schuß sich schon darum empfiehlt, weil in der Begründung schon auf
ein ganz bestimmtes System hingezielt wird, nämlich auf das System,
die Wachen nicht von sehr vielen Aerzten bei zweistündigem Dienst,
wie es jetzt geschieht, sondern von 5 bis 6 fest angestellten Aerzten be
dienen zu lassen, obgleich es in der Magistratsvorlage selbst heißt,
daß von der großen Zahl der vom Aerzteverein dargebotenen Aerzte
sehr häufig Aerzte auf der Wache nicht zu finden waren. Es ist
eigentlich von Hause aus nicht einzusehen, warum dieser Fehler, wenn
nur 4 bis 5 Aerzte für eine Wache tätig sein sollen, wenn auch
ständig, sich nicht in diesem Maße zeigen wird. Meine Herren,
auch diese Angelegenheit wird in den Ausschuß kommen.
Wen» ich mir nun noch eine Bitte an das zukünftige Kura
torium erlauben darf, so wäre es die, die Organisation damit an
zufangen, die Wachen in der Stadt zweckmäßiger zu legen. Es sind
leider vor drei Jahren die bestehenden Sanitätswachen, Unfall
stationen und Rettungswachen, nur um die Vereine nicht vor den
Kopf zu stoßen, beibehalten worden. So hat sich gezeigt, daß z. B.
in einer Gegend: Grüner Weg, Koppenstraße, Warschauer Straße,
drei Wachen vorhanden waren, während Sachkenner behaupten —
ich selber habe ein Urteil darüber nicht —, daß eine, höchstens zwei
Wachen genügen.
Was die in Aussicht gestellten Kosten betrifft, so wollen wir
uns nur darüber klar sein, daß die Behauptung der Vorlage, es
würde nicht mehr kosten als jetzt, nicht richtig sein kann; denn für
eine Entlohnung von 1500 bis 2000 M werden wenig Aerzte mit
vierstündiger Dienstzeit sich finden, die an die Wachen gefesselt sind
und dadurch gehindert sein werden, sich privatim noch mehr zu ver
dienen. Wenigstens ist mir nicht klar, wie diese Angelegenheit mit
einem so geringen Gehalt wird geregelt werden können. Allein auch
über diese und analoge Fragen werden wir ja im Ausschuß Auskunft
erhalten, und ich glaube, es ist besser, die Sache im Plenum nicht
weiter zu verhandeln.
Stadtverordneter Dr. Wehl: Daß meine Freunde diese Vortage,
die endlich die Vereinheitlichung und Verstadtlichung des Rettungs
wesens bringt, mit aufrichtiger Genugtuung begrüßen, können Sie
schon daraus entnehmen, daß wir eigentlich, seitdem es eine sozial
demokratische Fraktion gibt, bei den verschiedensten Gelegenheiten
mit immer erneutem Nachdruck eine Verstadtlichung des Rettungs
wesens gefordert haben. Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß
im Jahre 1885 am 24. September von uns zuerst die Verstadtlichung
der Sanitätswachen gefordert wurde, damals ging man darüber
zur Tagesordnung über. Wenn wir heute vor einer Magistrats
vorlage stehen, die die Verstadtlichung verlangt, so muß uns das
mit großer Freude erfüllen; denn prinzipiell standen wir immer auf
dem Standpunkt, daß Wohlfahrtseinrichtungen, die im Interesse der
Allgemeinheit liegen, von der Kommune eingerichtet werden müssen,
und daß die Kommune auch die Kosten dafür tragen muß. Aber
abgesehen von dieser grundsätzlichen Auffassung sind es ja auch rein
praktische Interessen, lvie es auch in der Begründung der Magistrats
vorlage heißt, daß die Uebernahme des Rettungswesens in die Regie
der Gemeinde notwendig ist im Interesse der Bürgerschaft, und es
ist gar nicht zu verstehen, warum in den letzten Jahren immer mit so
großem Nachdruck dieser so berechtigten und selbstverständlichen For
derung widerstrebt worden ist, obgleich man den Nachweis bringen
konnte: nur die Verstadtlichung ist imstande, das Rettungswesen auf
die Höhe zu bringen, die es haben muß. Wie Sie uns kennen, sind
wir natürlich, wenn wir auch heute unsere Genugtuung äußern,
daß die Verstadtlichung in greifbare Nähe gerückt ist, noch nicht zu
frieden mit der Vorlage; denn sie ist nur der erste Schritt, dem recht
bald der zweite folgen muß: die Schaffung eines Groß
berliner Rettungswesens. Wir haben bekanntlich jetzt einen
Zweckverband für den Verkehr. Für mindestens ebenso wichtig er
achte ich einen Zweckverband für die Hygiene des Ver
kehrs. Wenn auf irgend einem Gebiete, dann auf dem des Rettungs-
lvesens, muß man eine Vereinheitlichung für Großberlin fordern.
Es schafft schon jetzt die größten Unstimmigkeiten, wenn ein Unglücks
fall in einem Vorort geschieht und die Berliner Rettungswachen in
Anspruch genommen werden. Wir wollen jnit dieser Forderung
heute nicht die Vorlage belasten, aber das 'Kuratorium wird die
Schaffung einer Institution für Großberlin in Erwägung ziehen
müssen.
Dann haben wir einen Wunsch, den wir auch dem Kuratorium'
auf den Weg geben: das Krankentransportwesen muß früher oder
später von der Stadt übernommen werden. Ein Rettungswesen
ohne Transportwesen ist zu nichts nutze. Das Transportwesen ressor-
tiert bekanntlich von dem Verbände für erste Hilfe. Dieser Verband'
hat, soweit dies eine private Vereinigung vermag, seine Aufgabe
einigermaßen erfüllt. Ich hoffe, daß Herr Kollege Hammerstein
hiermit zufrieden sein wird. Aber ein Transportwesen kann alle
die Anforderungen, die die Bevölkerung einer großen Stadt stellt,
nur erfüllen, wenn es von der Gemeindeverwaltung organisiert wird,
die über eine solche Kapitalskraft verfügt, daß man die größten An
forderungen stellen kann. Immer kommt es noch vor, daß Kranke
mit ansteckenden Krankheiten nicht durch Krankentransportivagen,
sondern int Straßenbahnwagen, Omnibus usw. in die Krankenhäuser
befördert werden, daß dadurch nicht nur dem Einzelnen, sondern
der Gesamtheit Schaden entsteht, darüber brauchen wir an dieser
Stelle nicht zu sprechen.
Wir wollen ein Kuratorium schaffen, und da ist schon der Wunsch
ausgesprochen, die Zahl um vier Stadtverordnete und zwei Ma
gistratsmitglieder zu erhöhen. Ich halte das für sehr berechtigt;
denn wir müssen gerade in der ersten Zeit, wo es viel Arbeit gibt,
dafür sorgen, daß möglichst breite Schichten der Bürgerschaft zur
Mitarbeit herangezogen werden. Aber in bezug auf die Zusammen
setzung des Kuratoriums haben wir noch'einen Wunsch, der die Bürger
deputierten betrifft. Die Magistratsvorlage sagt: die drei Bürger
deputierten sollen sein die drei Vertreter der drei Institutionen, die
bisher von einander getrennt mit Erfolg an dem Rettnngswesen
mitgearbeitet haben. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß
Vertreter dieser Institutionen in dem Kuratorium sitzen; aber eine
Korporation gehört noch in das Kuratorium hinein, an die in der
Vorlage gar nicht gedacht ist, das ist die Z e nt r a l k o in m i ssi o>n
der Krankenkassen. Diese haben nach zwei Richtungen das
lebhafteste Interesse, mitzuarbeiten an der Gestaltung unseres
Rettungswesens. Es ist überzeugend festgestellt worden, daß nahezu
zwei Drittel aller Gelder, die für die Erste Hilfe vereinnahmt werden,
durch die Hände der der Zentralkommission angegliederten Kranken
kassen gehen. Zweitens haben die Krankenkassen ein sehr lebhaftes
Interesse daran, daß die erste ärztliche Hilfe in möglichst ersprieß
licher Form eintritt; denn alle Aerzte sind darin einig, daß von der
Art der ersten Hilfe die weitere Krankenbehandlung abhängt. Das
ist Grund genug, einem Vertreter dieser Körperschaft einen Platz
im Kuratorium einzuräumen.
Nun wird gewünscht, daß der Ausschuß heute abend ernannt
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