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Volume No. 5, 8. Februar 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

Nur eins möchte ich mir erlauben schon jetzt zu bemerken. Ich 
halte es für eine moralische Pflicht, daß man den Anschauungen des 
bei dieser Gelegenheit besonders interessierten Berufsstandes, der 
Aerzte, Rechnung' tragen soll, vorausgesetzt, daß keine zwingenden 
Gründe dagegen streiten. 
-(Zuruf.) 
— Herr Kollege Hammerstein, Sie schüttelniden Kopf. Ich meine, Libe 
ralismus und Gerechtigkeitsgefühl sind zwei Begriffe, die sich nicht 
ausschließen; darüber sprechen -wir vielleicht im Ausschuß weiter. 
Alle diese Umstände, meine Herren, sowie das Fehlen einer 
ganzen Reihe von Punkten, wie der Dauer des Vertrages, der Be 
schwerdeinstanz, der ärztliche» Oberaufsicht und anderer mehr, lassen 
es doch geraten erscheinen, diese technischen Fragen heute von der Be 
ratung im Plenum auszuschließen, wie ja auch die Vorlage eine 
Beschlußfassung über diese Fragen noch nicht herbeiführen will. Die 
Stadtverordnetenversammlung heute schon auf alle diese Punkte fest 
zulegen, würden wir für einen großen Fehler erachten, und deshalb 
wünschen meine Freunde, daß diese Vorlage einem Ausschuß über 
wiesen tvird, der gewissenhaft die ganze Angelegenheit, die von un 
endlich segensvoller Bedeutung für Berlin fein kann, zu prüfen hat, 
unbeirrt durch alle freundlichen Ratschläge, die schon jetzt darauf 
zielen, die Vorlage in ein ganz bestimmtes Fahrwasser zu drängen. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Dr. Landau: Meine Herren, wenn es sich 
nur darum handelte, ein Kuratorium für die Verwaltung der 
Rettungsgesellschaft einzurichten, so würden wir natürlich ohne jede 
Ausschüßberatung dazu bereit sein; denn die Forderung ist ja schon 
längst von der Stadtverordnetenversammlung ausgegangen. Viel 
leicht wäre es auch zweckmäßig gewesen, gleich vor drei Jahren ein 
solches Kuratorium einzusetzen; denn es luäre mit der Verwaltung 
des Magistrats gleichmäßig bemüht gewesen, die Kinderkrankheiten 
zu studieren, die dieser Neuorganisation von Hause aus anhaften 
mußten, wie in der Vorlage auch bemerkt ist, und vielleicht jetzt 
schon Heilmittel dagegen zu finden und auch während der Zeit even 
tuelle Unstimmigkeiten zu beseitigen. Indessen, das gehört der Ver 
gangenheit an. 
Wenn meine Freunde dennoch einen Ausschuß beantragen, so ge 
schieht es in Hinsicht darauf, daß diesem Kuratorium die Aufgabe 
obliegen soll, eine Neuorganisation für die Vereinheitlichung des 
Rettungswesens zu schaffen. Dazu möchte ich bemerken, daß ich 
absichtlich den Ausdruck Vereinheitlichung gebrauche, weil ich unter 
dem Unterschiede, den die neue und die alte Organisation hat, der sich 
durch den Namen Verstadtlichung ausdrückt, einen prinzipiellen 
Unterschied nicht sehe. Indessen will ich mich auf diese mehr formelle 
Angelegenheit nicht weiter einlassen. 
Ich würde auch jetzt schließen können, wenn ich nicht verpflichtet 
wäre, jetzt mitzuteilen, daß wir mit der Begründung der Vorlage 
in ihren Einzelheiten nicht einverstanden sind. Wir bestreiten nicht 
etwa die dort vorgebrachten Tatsachen; wir sind nur der Meinung — 
und wir glauben, daß das besser im Ausschuß untersucht werden 
wird —: die vorgebrachten Tatsachen sind nicht schlüssig. Indessen 
will ich auf diesen Punkt auch hier nicht weiter zurückkommen. Ich 
möchte nur das eine erwähnen, daß die Überweisung an einen Aus 
schuß sich schon darum empfiehlt, weil in der Begründung schon auf 
ein ganz bestimmtes System hingezielt wird, nämlich auf das System, 
die Wachen nicht von sehr vielen Aerzten bei zweistündigem Dienst, 
wie es jetzt geschieht, sondern von 5 bis 6 fest angestellten Aerzten be 
dienen zu lassen, obgleich es in der Magistratsvorlage selbst heißt, 
daß von der großen Zahl der vom Aerzteverein dargebotenen Aerzte 
sehr häufig Aerzte auf der Wache nicht zu finden waren. Es ist 
eigentlich von Hause aus nicht einzusehen, warum dieser Fehler, wenn 
nur 4 bis 5 Aerzte für eine Wache tätig sein sollen, wenn auch 
ständig, sich nicht in diesem Maße zeigen wird. Meine Herren, 
auch diese Angelegenheit wird in den Ausschuß kommen. 
Wen» ich mir nun noch eine Bitte an das zukünftige Kura 
torium erlauben darf, so wäre es die, die Organisation damit an 
zufangen, die Wachen in der Stadt zweckmäßiger zu legen. Es sind 
leider vor drei Jahren die bestehenden Sanitätswachen, Unfall 
stationen und Rettungswachen, nur um die Vereine nicht vor den 
Kopf zu stoßen, beibehalten worden. So hat sich gezeigt, daß z. B. 
in einer Gegend: Grüner Weg, Koppenstraße, Warschauer Straße, 
drei Wachen vorhanden waren, während Sachkenner behaupten — 
ich selber habe ein Urteil darüber nicht —, daß eine, höchstens zwei 
Wachen genügen. 
Was die in Aussicht gestellten Kosten betrifft, so wollen wir 
uns nur darüber klar sein, daß die Behauptung der Vorlage, es 
würde nicht mehr kosten als jetzt, nicht richtig sein kann; denn für 
eine Entlohnung von 1500 bis 2000 M werden wenig Aerzte mit 
vierstündiger Dienstzeit sich finden, die an die Wachen gefesselt sind 
und dadurch gehindert sein werden, sich privatim noch mehr zu ver 
dienen. Wenigstens ist mir nicht klar, wie diese Angelegenheit mit 
einem so geringen Gehalt wird geregelt werden können. Allein auch 
über diese und analoge Fragen werden wir ja im Ausschuß Auskunft 
erhalten, und ich glaube, es ist besser, die Sache im Plenum nicht 
weiter zu verhandeln. 
Stadtverordneter Dr. Wehl: Daß meine Freunde diese Vortage, 
die endlich die Vereinheitlichung und Verstadtlichung des Rettungs 
wesens bringt, mit aufrichtiger Genugtuung begrüßen, können Sie 
schon daraus entnehmen, daß wir eigentlich, seitdem es eine sozial 
demokratische Fraktion gibt, bei den verschiedensten Gelegenheiten 
mit immer erneutem Nachdruck eine Verstadtlichung des Rettungs 
wesens gefordert haben. Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß 
im Jahre 1885 am 24. September von uns zuerst die Verstadtlichung 
der Sanitätswachen gefordert wurde, damals ging man darüber 
zur Tagesordnung über. Wenn wir heute vor einer Magistrats 
vorlage stehen, die die Verstadtlichung verlangt, so muß uns das 
mit großer Freude erfüllen; denn prinzipiell standen wir immer auf 
dem Standpunkt, daß Wohlfahrtseinrichtungen, die im Interesse der 
Allgemeinheit liegen, von der Kommune eingerichtet werden müssen, 
und daß die Kommune auch die Kosten dafür tragen muß. Aber 
abgesehen von dieser grundsätzlichen Auffassung sind es ja auch rein 
praktische Interessen, lvie es auch in der Begründung der Magistrats 
vorlage heißt, daß die Uebernahme des Rettungswesens in die Regie 
der Gemeinde notwendig ist im Interesse der Bürgerschaft, und es 
ist gar nicht zu verstehen, warum in den letzten Jahren immer mit so 
großem Nachdruck dieser so berechtigten und selbstverständlichen For 
derung widerstrebt worden ist, obgleich man den Nachweis bringen 
konnte: nur die Verstadtlichung ist imstande, das Rettungswesen auf 
die Höhe zu bringen, die es haben muß. Wie Sie uns kennen, sind 
wir natürlich, wenn wir auch heute unsere Genugtuung äußern, 
daß die Verstadtlichung in greifbare Nähe gerückt ist, noch nicht zu 
frieden mit der Vorlage; denn sie ist nur der erste Schritt, dem recht 
bald der zweite folgen muß: die Schaffung eines Groß 
berliner Rettungswesens. Wir haben bekanntlich jetzt einen 
Zweckverband für den Verkehr. Für mindestens ebenso wichtig er 
achte ich einen Zweckverband für die Hygiene des Ver 
kehrs. Wenn auf irgend einem Gebiete, dann auf dem des Rettungs- 
lvesens, muß man eine Vereinheitlichung für Großberlin fordern. 
Es schafft schon jetzt die größten Unstimmigkeiten, wenn ein Unglücks 
fall in einem Vorort geschieht und die Berliner Rettungswachen in 
Anspruch genommen werden. Wir wollen jnit dieser Forderung 
heute nicht die Vorlage belasten, aber das 'Kuratorium wird die 
Schaffung einer Institution für Großberlin in Erwägung ziehen 
müssen. 
Dann haben wir einen Wunsch, den wir auch dem Kuratorium' 
auf den Weg geben: das Krankentransportwesen muß früher oder 
später von der Stadt übernommen werden. Ein Rettungswesen 
ohne Transportwesen ist zu nichts nutze. Das Transportwesen ressor- 
tiert bekanntlich von dem Verbände für erste Hilfe. Dieser Verband' 
hat, soweit dies eine private Vereinigung vermag, seine Aufgabe 
einigermaßen erfüllt. Ich hoffe, daß Herr Kollege Hammerstein 
hiermit zufrieden sein wird. Aber ein Transportwesen kann alle 
die Anforderungen, die die Bevölkerung einer großen Stadt stellt, 
nur erfüllen, wenn es von der Gemeindeverwaltung organisiert wird, 
die über eine solche Kapitalskraft verfügt, daß man die größten An 
forderungen stellen kann. Immer kommt es noch vor, daß Kranke 
mit ansteckenden Krankheiten nicht durch Krankentransportivagen, 
sondern int Straßenbahnwagen, Omnibus usw. in die Krankenhäuser 
befördert werden, daß dadurch nicht nur dem Einzelnen, sondern 
der Gesamtheit Schaden entsteht, darüber brauchen wir an dieser 
Stelle nicht zu sprechen. 
Wir wollen ein Kuratorium schaffen, und da ist schon der Wunsch 
ausgesprochen, die Zahl um vier Stadtverordnete und zwei Ma 
gistratsmitglieder zu erhöhen. Ich halte das für sehr berechtigt; 
denn wir müssen gerade in der ersten Zeit, wo es viel Arbeit gibt, 
dafür sorgen, daß möglichst breite Schichten der Bürgerschaft zur 
Mitarbeit herangezogen werden. Aber in bezug auf die Zusammen 
setzung des Kuratoriums haben wir noch'einen Wunsch, der die Bürger 
deputierten betrifft. Die Magistratsvorlage sagt: die drei Bürger 
deputierten sollen sein die drei Vertreter der drei Institutionen, die 
bisher von einander getrennt mit Erfolg an dem Rettnngswesen 
mitgearbeitet haben. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß 
Vertreter dieser Institutionen in dem Kuratorium sitzen; aber eine 
Korporation gehört noch in das Kuratorium hinein, an die in der 
Vorlage gar nicht gedacht ist, das ist die Z e nt r a l k o in m i ssi o>n 
der Krankenkassen. Diese haben nach zwei Richtungen das 
lebhafteste Interesse, mitzuarbeiten an der Gestaltung unseres 
Rettungswesens. Es ist überzeugend festgestellt worden, daß nahezu 
zwei Drittel aller Gelder, die für die Erste Hilfe vereinnahmt werden, 
durch die Hände der der Zentralkommission angegliederten Kranken 
kassen gehen. Zweitens haben die Krankenkassen ein sehr lebhaftes 
Interesse daran, daß die erste ärztliche Hilfe in möglichst ersprieß 
licher Form eintritt; denn alle Aerzte sind darin einig, daß von der 
Art der ersten Hilfe die weitere Krankenbehandlung abhängt. Das 
ist Grund genug, einem Vertreter dieser Körperschaft einen Platz 
im Kuratorium einzuräumen. 
Nun wird gewünscht, daß der Ausschuß heute abend ernannt 
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