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Augen nur Objekte der Polizei. Keineswegs aber will er trotz der
großen Leistungen, die wir für die Polizei aufbringen, uns ein Recht
der Kritik gestatten. Er ruft uns gewissermaßen die in einer schweren
Schicksalsstunde geprägte Warnung zu: Haltet euren Mund, Ruhe
• ist die erste Bürgerpflicht! Dazu können wir nicht schweigen.
(Sehr richtig!)
Wir können uns unser gesetzliches Recht nicht rauben lassen. Wir
können uns nicht enthalten, Kritik zu üben. Wir erkennen die Not
wendigkeit des Schutzes für die Bürgerschaft und die Exekutivorgane
an, können uns aber nicht damit einverstanden erklären, daß, wenn
wir Ms mit diesen Dingen beschäftigen, das gewissermaßen eine
Störung der öffentlichen Ordnung, womöglich gar eine Ermutigung
derjenigen enthält, welche die Ausschreitungen begehen; sondern wir
hoffen, daß unsere Klagen, wenn nicht bei dem Herrn Polizeipräsi
denten, so doch bei der vorgesetzten Behörde Widerhall finden wcr-
*dm. Es ist uns oft bei feierlichen Gelegenheiten von höheren Stellen
versichert worden, wie hoch die Leistungen der Gemeinden und auch
der unsrigen zu schätzen seien. Wir wünschen, daß diese Schätzung
nicht bloß durch Worte erfolgt, sondern durch Berücksichtigung un
serer Klagen, so daß sie nicht in die leeren Winde verhallen. Wie
dem auch sein mag, wir haben jedenfalls im Interesse unserer
Bürgerschaft und der Selbstverwaltung die Pflicht, das uns gesetzlich
gegebene Recht der Kritik anzuwenden und davon den Gebrauch
zu machen, den wir nach unserer besten Ueberzeugung davon machen
können. Ich bitte Sie daher um Annahme des Ansschußantrages.
(Lebhafter Beifall.)
Stadtverordneter Stadthagen: Der eindrucksvollen Bitte des
verehrten Herrn Vorredners, den Ausschnßantrag anzunehmen, kann
ich mich lediglich anschließen. Es könnte sich ja fragen, ob man
vielleicht versucht, die Resolution zu verschärfen; indessen erscheint
es richtig, da alles Wesentliche in durchaus würdiger Weise in dem
Antrage enthalten ist, keine weiteren Abändernngsanträge zu stellen.
Wenn man überhaupt zweifelhaft sein könnte, ob es angebracht
ist, daß die Vertretung der Bürgerschaft hier zum Schutz von Leib
und Leben der Einwohner und zum Schutze der Schutzleute gegen
den Polizeipräsidenten auftritt, so ist der letzte Zweifel beseitigt tnirch
das Schreiben der Polizei. Ich unterschreibe alles das, was der Herr
Vorredner zur Charakterisierung dieses Schreibens gesagt hat, und
möchte nur noch einige Punkte hinzufügen.
Der Herr Polizeipräsident sagt, daß die Stadt kein Recht habe,
sich zu kümmern um die Sicherheit des Lebens der Einwohner.
Der Herr Polizeipräsident vergißt, daß er der bezahlte Beamte, und
daß die Polizeibeamten die leider von der Stadt bezahlten staatlichen
Beamten sind, die lediglich ihre Pflicht zu tun haben, und daß das
erste Erfordernis einer Bürgervertretung ist, alles Erforderliche zu
gunsten der Sicherheit ihrer Bürger zu tun, besonders dann, wenn
nter dem Vorwande, etwas zugunsten der Sicherheit zu tun, eine
Polizeiverfügung kommt, die das Gegenteil des Gefühls der Sicher
heit hervorrufen muß.
(Sehr richtig!)
Ter Herr Polizeipräsident hat ja durch sein Schreibe» zu er
kennen gegeben, wie er aus dem Standpunkt des Faustrechts, des
Apachentums, des Judianertums steht. Der Herr Polizeipräsident
spricht seine Auffassung dahin aus, daß nur durch schärfstes Ein
greifen der Polizei die Dreimillionenstadt vor Apachenzuständen be
wahrt werden kann. Was soll das heißen? Die Apachen sind ein
Jndianerstamm, dem nachgerühmt wirb, daß er für Unsicherheit be
sonders gesorgt hätte, besonders die dortigen Häuptlinge, was ivir
hier etwa Agrarier nennen würden.
(Heiterkeit.)
Wenn wir diese Jndianerverhältnisse mit den hiesigen vergleichen
wollen, dann liegt es so, daß man vielleicht von einem Apachentum,
der Schutzmannschaft reden kann, aber nie und nimmer von einem
Apachentum der Einwohnerschaft.
(Zuruf.)
— Herr Kollege Dr. Ritter, ich habe nicht geglaubt, daß Sie der Ver
treter des Polizeipräsidiums seien. Sie haben das Recht, eine
andre Auffassung zu haben; aber Ihre Auffassung ist nicht zutreffend.
(Heiterkeit.)
Wir sprechen ja hier deswegen, lim die falschen Ansichten zu be
seitigen, und ich freue mich, daß Sie, bevor Sie noch anfangen zu
sprechen, hoffentlich überzeugt sein werden.
(Heiterkeit.)
Lesen Sie doch, was der Polizeipräsident schreibt! Meint er viel
leicht die Zustände der Schutzmannschaft mit dem Apachentum oder
die Zustände innerhalb der Einwohnerschaft? Es kann kein Zweifel
sein, daß, wenn solche Verordnungen erfolgen, die Befürchtung vor
einem Apachentum groß gezogen werden kann, — daß dann halb
wüchsige, unreife Leute, die auferzogen sind in Phrasen, ohne den
Ernst des Lebens zu kennen, daß die allerdings dann glauben
können, daß ein Vorgehen mit besonderer Bravour, also ein ?hpachen-
tum erlaubt sei. Was nach dieser Richtung vorkommt, dafür haben
wir ja eine ganze Reihe von Feststellungen vor Gericht gehabt. Ich
erinnere Sie nur an die Moabiter Verhältnisse und an das, was
durch das Gericht festgestellt worden ist. Dort haben Schutzleute,
Sergeanten, Polizeioffizicre mit folgenden Ausdrücken gegen Mädchen
und Frauen und ehrbare Bürger um sich geworfen: dummer Lause
junge, du Strolch, mach daß du wegkommst, oder du kriegst etwas
mit dem Säbel! — Haut doch die alte San!
(Große Unruhe)
Schweinebande! — Haut die Kerls in die Fresse! — Haut den
Hund! — Das ist die Apacheusprache.
Aber mau hat sogar anständige Frauen, die sich in hoch
schwangerem Zustande befanden, angefahren: Du Hure, mach, daß
du weiter kommst, sonst bekommst du etwas mit dem Säbel! — Du
verfluchte Sau, Aas! Schwein l
(Wachsende große Unruhe.)
Ich verstehe es, daß, wenn Sie diese polizeiliche Apachensprache hören,
die Empörung aus Ihnen widerhallt. Herr Dr. Ritter ist hoffent
lich überzeugt, daß diejenigen, die solche Sprache führen, Apachen sind.
Es sind noch zweimal so viel, wie ich verlesen habe, vor Gericht fest
gestellt ; ich will die Ausdrücke nicht wiederholen, weil sie zu schmutzig
sind. Ferner: in Moabit ist festgestellt worden, daß Leute, die
Gummiknüppel und Ochsenziemer in den Händen hatten, den uni
formierten Schutzleuten zuriefen: Bluthunde! und dann retirierten.
Wenn dann ein uniformierter Schutzmann ihnen nachlief, so hielten
sie den Knüppel hoch und riefen: Halt Kollege! worauf sich der
Säbel senkte.
Es war interessant, daß in den Verhandlungen damals .der
Polizeihauptmann ganz bestürzt sagte: ich habe diese Leute nicht her
beordert. Sie müssen also ein Teil jener politischen Polizei gewesen
sein, die hinbeordert war, ohne seinem Kommando unterstellt zu sein.
Festgestellt ist ferner, daß dieses Sesam: Halt, Kollege! nicht
immer genügte; ein paarmal hat der Schutzmann ans den Apachen
losgehauen. Schade um jeden Schlag, der vorbeiging!
(Heiterkeit.)
Es ist festgestellt worden, daß eine Anzahl nicht uniformierter
Schutzleute, die nicht von dem Sicherheitsdienst, sondern von der
volitischen Abteilung ausgerüstet waren, mit Gummiknüppeln und
Ochsenziemern in Krankenhäusern hier untergebracht werden mußten
infolge ihres Verhaltens, erst Bluthund zu rufen und dann auszu
rechen.
Wenn die Heranwachsende Jugend solchen falschen Patriotismus
sieht, iveun sie sieht, wie ein Teil der Beamtenschaft vorgeht, dann
glaubt sie, das sei patriotisch, und dann können allerdings solche
Apachenzustände herbeigeführt werden, von denen der Herr Polizei
präsident spricht.
Ich gehe nicht auf andre Fälle ein, wo vor Gericht festgestellt
ist, daß brutale Mißhandlungen seitens uniformierter Schutzleute
ohne jeden Grund stattgefunden haben. Ich bedaure das nicht bloß
wegen derjenigen, die verprügelt worden sind, sondern noch vielmehr
wegen des anständigen Teils der Schutzleute, die sich dieser Feiglinge
und Rohlinge schämen müssen.
Dann sagt der Polizeipräsident: für das Leben des Bürgers wie
der Schutzmannschaft trage ich die Verantwortung. Große Worte, die
sich leicht aussprechen lassen. Was heißt denn das? Soll das eine
zivilrechtliche oder strafrechtliche Verantwortung sein oder nur eine
Verantwortung auf einem Stück Papier, wo' der Polizeipräsident
dicke Tränen vergießt, daß seine Herrlichkeit nicht anerkannt wird?
Will der Polizeipräsident die Verantwortung übernehmen für die Fülle
von Ausschreitungen, die ja hier die ganze Versammlung in Schrecken
versetzt haben? Will der Polizeipräsident die Verantwortung tragen
für die Roheiten der Schutzleute gegenüber schwangeren Frauen
und anständigen Mädchen? Will er sie tragen für das Leben des
alten Arbeiters Herrmann, der hinunter ging, um seinem Sohne ent
gegenzugehen, der aus der Fortbildungsschule kommen sollte, und
der ohne Veranlassung von uniformierten Polizeibeamten niederge
schlagen wurde? Zwei Polizeibeamte hieben da ein. Dieser alte
wehrlose Mann wurde solange mit Säbelhieben traktiert, bis er nicht
mehr aufstehen konnte, in ein Krankenhaus gebracht werden mußte
und infolge der erlittenen Brutalitäten starb. Will der Polizeipräsident
auch für das Leben dieses Arbeiters Herrmann die Verantwortung
tragen? Dann mag er zur Staatsanwaltschaft gehen und mag sich
bereit erklären, zu büßen. Der Staatsanwalt als Zeuge hat be
kundet, daß er alles getan habe, die Schuldigen herauszubekommen.
Als von der Polizei über hundert Schutzleute vernommen wurden,
haben sie alle gesagt, sie waren es nicht. Nachher vor dem Unter
suchungsrichter haben 50 Schutzleute eidlich gesagt, sie sind es nicht
gewesen. Die anderen, die ebenso aussagten, wurden nicht ver
eidigt. Das Landgericht hat auf Beschwerde die Nichtvereidigung
für berechtigt erachtet; denn es sagte sich: entweder haben sie es getan,
oder sie wissen, wer es getan hat. Herr Dr. Ritter, glauben Sie,
daß das Verantwortung tragen heißt für die Leute, die am 27. Sep
tember 1910 einen Mann vom Leben zum Tode gebracht haben? Ich
zweifle nicht: wenn ein anderer als der Arbeiter Hermann so gelitten