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Volume No. 3, 25. Januar 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

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Augen nur Objekte der Polizei. Keineswegs aber will er trotz der 
großen Leistungen, die wir für die Polizei aufbringen, uns ein Recht 
der Kritik gestatten. Er ruft uns gewissermaßen die in einer schweren 
Schicksalsstunde geprägte Warnung zu: Haltet euren Mund, Ruhe 
• ist die erste Bürgerpflicht! Dazu können wir nicht schweigen. 
(Sehr richtig!) 
Wir können uns unser gesetzliches Recht nicht rauben lassen. Wir 
können uns nicht enthalten, Kritik zu üben. Wir erkennen die Not 
wendigkeit des Schutzes für die Bürgerschaft und die Exekutivorgane 
an, können uns aber nicht damit einverstanden erklären, daß, wenn 
wir Ms mit diesen Dingen beschäftigen, das gewissermaßen eine 
Störung der öffentlichen Ordnung, womöglich gar eine Ermutigung 
derjenigen enthält, welche die Ausschreitungen begehen; sondern wir 
hoffen, daß unsere Klagen, wenn nicht bei dem Herrn Polizeipräsi 
denten, so doch bei der vorgesetzten Behörde Widerhall finden wcr- 
*dm. Es ist uns oft bei feierlichen Gelegenheiten von höheren Stellen 
versichert worden, wie hoch die Leistungen der Gemeinden und auch 
der unsrigen zu schätzen seien. Wir wünschen, daß diese Schätzung 
nicht bloß durch Worte erfolgt, sondern durch Berücksichtigung un 
serer Klagen, so daß sie nicht in die leeren Winde verhallen. Wie 
dem auch sein mag, wir haben jedenfalls im Interesse unserer 
Bürgerschaft und der Selbstverwaltung die Pflicht, das uns gesetzlich 
gegebene Recht der Kritik anzuwenden und davon den Gebrauch 
zu machen, den wir nach unserer besten Ueberzeugung davon machen 
können. Ich bitte Sie daher um Annahme des Ansschußantrages. 
(Lebhafter Beifall.) 
Stadtverordneter Stadthagen: Der eindrucksvollen Bitte des 
verehrten Herrn Vorredners, den Ausschnßantrag anzunehmen, kann 
ich mich lediglich anschließen. Es könnte sich ja fragen, ob man 
vielleicht versucht, die Resolution zu verschärfen; indessen erscheint 
es richtig, da alles Wesentliche in durchaus würdiger Weise in dem 
Antrage enthalten ist, keine weiteren Abändernngsanträge zu stellen. 
Wenn man überhaupt zweifelhaft sein könnte, ob es angebracht 
ist, daß die Vertretung der Bürgerschaft hier zum Schutz von Leib 
und Leben der Einwohner und zum Schutze der Schutzleute gegen 
den Polizeipräsidenten auftritt, so ist der letzte Zweifel beseitigt tnirch 
das Schreiben der Polizei. Ich unterschreibe alles das, was der Herr 
Vorredner zur Charakterisierung dieses Schreibens gesagt hat, und 
möchte nur noch einige Punkte hinzufügen. 
Der Herr Polizeipräsident sagt, daß die Stadt kein Recht habe, 
sich zu kümmern um die Sicherheit des Lebens der Einwohner. 
Der Herr Polizeipräsident vergißt, daß er der bezahlte Beamte, und 
daß die Polizeibeamten die leider von der Stadt bezahlten staatlichen 
Beamten sind, die lediglich ihre Pflicht zu tun haben, und daß das 
erste Erfordernis einer Bürgervertretung ist, alles Erforderliche zu 
gunsten der Sicherheit ihrer Bürger zu tun, besonders dann, wenn 
nter dem Vorwande, etwas zugunsten der Sicherheit zu tun, eine 
Polizeiverfügung kommt, die das Gegenteil des Gefühls der Sicher 
heit hervorrufen muß. 
(Sehr richtig!) 
Ter Herr Polizeipräsident hat ja durch sein Schreibe» zu er 
kennen gegeben, wie er aus dem Standpunkt des Faustrechts, des 
Apachentums, des Judianertums steht. Der Herr Polizeipräsident 
spricht seine Auffassung dahin aus, daß nur durch schärfstes Ein 
greifen der Polizei die Dreimillionenstadt vor Apachenzuständen be 
wahrt werden kann. Was soll das heißen? Die Apachen sind ein 
Jndianerstamm, dem nachgerühmt wirb, daß er für Unsicherheit be 
sonders gesorgt hätte, besonders die dortigen Häuptlinge, was ivir 
hier etwa Agrarier nennen würden. 
(Heiterkeit.) 
Wenn wir diese Jndianerverhältnisse mit den hiesigen vergleichen 
wollen, dann liegt es so, daß man vielleicht von einem Apachentum, 
der Schutzmannschaft reden kann, aber nie und nimmer von einem 
Apachentum der Einwohnerschaft. 
(Zuruf.) 
— Herr Kollege Dr. Ritter, ich habe nicht geglaubt, daß Sie der Ver 
treter des Polizeipräsidiums seien. Sie haben das Recht, eine 
andre Auffassung zu haben; aber Ihre Auffassung ist nicht zutreffend. 
(Heiterkeit.) 
Wir sprechen ja hier deswegen, lim die falschen Ansichten zu be 
seitigen, und ich freue mich, daß Sie, bevor Sie noch anfangen zu 
sprechen, hoffentlich überzeugt sein werden. 
(Heiterkeit.) 
Lesen Sie doch, was der Polizeipräsident schreibt! Meint er viel 
leicht die Zustände der Schutzmannschaft mit dem Apachentum oder 
die Zustände innerhalb der Einwohnerschaft? Es kann kein Zweifel 
sein, daß, wenn solche Verordnungen erfolgen, die Befürchtung vor 
einem Apachentum groß gezogen werden kann, — daß dann halb 
wüchsige, unreife Leute, die auferzogen sind in Phrasen, ohne den 
Ernst des Lebens zu kennen, daß die allerdings dann glauben 
können, daß ein Vorgehen mit besonderer Bravour, also ein ?hpachen- 
tum erlaubt sei. Was nach dieser Richtung vorkommt, dafür haben 
wir ja eine ganze Reihe von Feststellungen vor Gericht gehabt. Ich 
erinnere Sie nur an die Moabiter Verhältnisse und an das, was 
durch das Gericht festgestellt worden ist. Dort haben Schutzleute, 
Sergeanten, Polizeioffizicre mit folgenden Ausdrücken gegen Mädchen 
und Frauen und ehrbare Bürger um sich geworfen: dummer Lause 
junge, du Strolch, mach daß du wegkommst, oder du kriegst etwas 
mit dem Säbel! — Haut doch die alte San! 
(Große Unruhe) 
Schweinebande! — Haut die Kerls in die Fresse! — Haut den 
Hund! — Das ist die Apacheusprache. 
Aber mau hat sogar anständige Frauen, die sich in hoch 
schwangerem Zustande befanden, angefahren: Du Hure, mach, daß 
du weiter kommst, sonst bekommst du etwas mit dem Säbel! — Du 
verfluchte Sau, Aas! Schwein l 
(Wachsende große Unruhe.) 
Ich verstehe es, daß, wenn Sie diese polizeiliche Apachensprache hören, 
die Empörung aus Ihnen widerhallt. Herr Dr. Ritter ist hoffent 
lich überzeugt, daß diejenigen, die solche Sprache führen, Apachen sind. 
Es sind noch zweimal so viel, wie ich verlesen habe, vor Gericht fest 
gestellt ; ich will die Ausdrücke nicht wiederholen, weil sie zu schmutzig 
sind. Ferner: in Moabit ist festgestellt worden, daß Leute, die 
Gummiknüppel und Ochsenziemer in den Händen hatten, den uni 
formierten Schutzleuten zuriefen: Bluthunde! und dann retirierten. 
Wenn dann ein uniformierter Schutzmann ihnen nachlief, so hielten 
sie den Knüppel hoch und riefen: Halt Kollege! worauf sich der 
Säbel senkte. 
Es war interessant, daß in den Verhandlungen damals .der 
Polizeihauptmann ganz bestürzt sagte: ich habe diese Leute nicht her 
beordert. Sie müssen also ein Teil jener politischen Polizei gewesen 
sein, die hinbeordert war, ohne seinem Kommando unterstellt zu sein. 
Festgestellt ist ferner, daß dieses Sesam: Halt, Kollege! nicht 
immer genügte; ein paarmal hat der Schutzmann ans den Apachen 
losgehauen. Schade um jeden Schlag, der vorbeiging! 
(Heiterkeit.) 
Es ist festgestellt worden, daß eine Anzahl nicht uniformierter 
Schutzleute, die nicht von dem Sicherheitsdienst, sondern von der 
volitischen Abteilung ausgerüstet waren, mit Gummiknüppeln und 
Ochsenziemern in Krankenhäusern hier untergebracht werden mußten 
infolge ihres Verhaltens, erst Bluthund zu rufen und dann auszu 
rechen. 
Wenn die Heranwachsende Jugend solchen falschen Patriotismus 
sieht, iveun sie sieht, wie ein Teil der Beamtenschaft vorgeht, dann 
glaubt sie, das sei patriotisch, und dann können allerdings solche 
Apachenzustände herbeigeführt werden, von denen der Herr Polizei 
präsident spricht. 
Ich gehe nicht auf andre Fälle ein, wo vor Gericht festgestellt 
ist, daß brutale Mißhandlungen seitens uniformierter Schutzleute 
ohne jeden Grund stattgefunden haben. Ich bedaure das nicht bloß 
wegen derjenigen, die verprügelt worden sind, sondern noch vielmehr 
wegen des anständigen Teils der Schutzleute, die sich dieser Feiglinge 
und Rohlinge schämen müssen. 
Dann sagt der Polizeipräsident: für das Leben des Bürgers wie 
der Schutzmannschaft trage ich die Verantwortung. Große Worte, die 
sich leicht aussprechen lassen. Was heißt denn das? Soll das eine 
zivilrechtliche oder strafrechtliche Verantwortung sein oder nur eine 
Verantwortung auf einem Stück Papier, wo' der Polizeipräsident 
dicke Tränen vergießt, daß seine Herrlichkeit nicht anerkannt wird? 
Will der Polizeipräsident die Verantwortung übernehmen für die Fülle 
von Ausschreitungen, die ja hier die ganze Versammlung in Schrecken 
versetzt haben? Will der Polizeipräsident die Verantwortung tragen 
für die Roheiten der Schutzleute gegenüber schwangeren Frauen 
und anständigen Mädchen? Will er sie tragen für das Leben des 
alten Arbeiters Herrmann, der hinunter ging, um seinem Sohne ent 
gegenzugehen, der aus der Fortbildungsschule kommen sollte, und 
der ohne Veranlassung von uniformierten Polizeibeamten niederge 
schlagen wurde? Zwei Polizeibeamte hieben da ein. Dieser alte 
wehrlose Mann wurde solange mit Säbelhieben traktiert, bis er nicht 
mehr aufstehen konnte, in ein Krankenhaus gebracht werden mußte 
und infolge der erlittenen Brutalitäten starb. Will der Polizeipräsident 
auch für das Leben dieses Arbeiters Herrmann die Verantwortung 
tragen? Dann mag er zur Staatsanwaltschaft gehen und mag sich 
bereit erklären, zu büßen. Der Staatsanwalt als Zeuge hat be 
kundet, daß er alles getan habe, die Schuldigen herauszubekommen. 
Als von der Polizei über hundert Schutzleute vernommen wurden, 
haben sie alle gesagt, sie waren es nicht. Nachher vor dem Unter 
suchungsrichter haben 50 Schutzleute eidlich gesagt, sie sind es nicht 
gewesen. Die anderen, die ebenso aussagten, wurden nicht ver 
eidigt. Das Landgericht hat auf Beschwerde die Nichtvereidigung 
für berechtigt erachtet; denn es sagte sich: entweder haben sie es getan, 
oder sie wissen, wer es getan hat. Herr Dr. Ritter, glauben Sie, 
daß das Verantwortung tragen heißt für die Leute, die am 27. Sep 
tember 1910 einen Mann vom Leben zum Tode gebracht haben? Ich 
zweifle nicht: wenn ein anderer als der Arbeiter Hermann so gelitten
	        
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