Path:
Volume No. 30, 28. November 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

Das liegt aber nicht bloß im Interesse derjenigen weiblichen Jugend, 
die dereinstmals Ehefrauen und Mütter werden, sondern auch im 
Interesse derer, die etwa unverheiratet bleiben. Denn auch für 
diese ist eine Kenntnis des Haushalts, die Fähigkeit, wirtschaften, 
kochen, oder mindestens die Küche beaufsichtigen zu können, eine 
sehr wertvolle Errungenschaft für das Leben, die ihnen das Leben 
und die Berufsarbeit behaglicher und genußfroher gestaltet. 
(Sehr wahr!) 
Meine Herren, wenn wir die Verhältnisse des Lebens ruhig 
betrachte», dann müssen wir sagen, daß nun einmal das Glück 
der Ehe nicht bloß darauf beruht, daß sich das Herz zum Herzen 
(Heiterkeit) 
sondern auch zum großen Teil darauf, daß die Hausfrau durch 
Kenntnis der Wirtschaft die Häuslichkeit so behaglich zu machen 
versteht, daß der Mann sein Behagen und auch sein gutes Essen findet. 
(Beifall und Heiterkeit.) 
Ich bin stets gewohnt, die Ehe nicht bloß unter materiellen Ge 
sichtspunkten zu betrachten, sondern das ethische Moment, die gegen 
seitige Liebe zu einander und die Uebereinstimmung im Fühlen 
und Denken als die Hauptsache anzusehen. Dabei kommt aber 
für jeden Menschen auch die Befriedigung seiner materiellen Be 
dürfnisse sehr erheblich in Betracht, und auch darauf, daß auch diese 
Bedürfnisse im Hausstand gehörig erfüllt werden, beruht das (Mick 
der Häuslichkeit und der Friede in der Ehe. 
(Bravo!) 
Darum glauben wir, daß es notwendig ist, diesen Unterricht zu 
berücksichtigen. 
Es ist uns mitgeteilt worden, daß trotz der Bedenken, die 
namentlich im Anfange erhoben wurden, daß die der Hauswirtschaft 
zugewiesene Zeit die Fachbildung beeinträchtige, ein großer Teil 
der Beteiligten durchaus mit den Grundsätzen einverstanden ist, die 
der Magistrat mit der Deputation ausgestellt har. Und, meine 
Herren, das sind auch richtige Grundsätze. Es ist ja richtig, ,es 
wird ein gewisser Teil der Zeit der reinen Berufsbildung dadurch 
entzogen. Wenn man aber alle Bedürfnisse befriedigen will, dann 
muß man natürlich an der einen oder anderen Seite etwas ab 
lassen. Wollen wir eine wirkliche hauswirtschaftliche Erziehung, dann 
ist es eben notwendig, daß ein Teil der Zeit ihr gewidmet wird. 
Man kann auch nicht etwa sagen, diese hausiuirtlchaftliche Er 
ziehung mache sich dadurch entbehrlich, daß wir nun allmählich 
den hauswirtschaftlichen Unterricht in den obersten Klassen der Ge 
meindeschulen verwirklicht sehen. Es ist gewiß sehr gut, daß wir 
das von uns erstrebte und geförderte Ziel endlich erreicht haben, 
daß dieser Unterricht in den Gemeindeschulen für Mädchen allgemein 
wird; aber es ist damit nicht genug. Wenn die Mädchen aus der 
Gemeindeschule in die Berufsarbeit treten und dann gar nichts mehr 
von der Hauswirtschaft kennen lernen, dann gehen ihnen die in der 
Gemeindeschule erworbenen Kenntnisse sehr bald verloren. 
(Sehr richtig!) 
Außerdem können diese Kenntnisse in der Gemeindeschule in der 
kurzen Zeit von 1 bis 2 Jahren nicht so vertieft werden, daß nicht 
noch der Unterricht in der Hauswirtschaft in der Fortbildungsschule 
notwendig wäre. 
Nun habe ich das bestimmte Vertrauen bei dem Fleiß und der 
Emsigkeit, die in der weiblichen Natur liegen, daß unsere jungen 
heranwachsenden Mädchen, trotzdem ein Viertel der Zeit auf den 
hauswirtschaftlichen Unterricht verteilt wird, durch verdoppelten Eifer 
in der Berufsausbildung das Manko an Zeit ersetzen werden, das 
allerdings vorhanden ist. 
Und soweit das nicht möglich ist, kommt noch ein anderes hinzu. 
Die Pflicht zum Besuch der Fortbildungsschule schließt mit dem 
17. Lebensjahre ab. Wir haben aber doch auch unsere Wahlfort 
bildungsschule, und mit Freude haben wir aus der Vorlage ersehen, 
daß tut Anknüpfung an die unvergänglichen Verdienste, die sich 
der dabingeganaene Stadtschulrat Michaelis erworben hat 
" (Lebhafte Zurufe) 
— Sie wissen, meine Herren: wenn man jemanden fälschlich tot 
sagt, lebt er um so länger. 
(Lebhafter Beifall) 
Also ich habe mich versprochen, ich habe den Stadtschulrat Bertram 
gemeint. Wir freuen uns, daß die Verdienste unseres Bertram diese 
Fortwirkung haben bis in die jetzige Zeit, und daß neben der Pflichtfort 
bildungsschule unsere Wahlfortbildungsschule von erheblicher Tragweite für 
unsere heranwachsende Jugend geblieben ist. Wenn nun die jungen 
Mädchen in der Zeit, die für die Pflichtfortbildungsschule bestimmt 
ist, noch nicht nach allen Richtungen hin die nötige Fachbildung er 
langt haben, so chned es ihnen möglich sein, in der Wahlfortbildungs 
schule und ihren Kursen dem' nachzuhelfen und das Fehlende nach 
zuholen. Nach alledem müssen wir diese Einteilung für die richtige 
halten. 
Während nach der einen Seite für die fachlichen Fächer eine 
größere Zeit verlangt worden ist, ist von der anderen Seite ver 
langt worden, man solle sich fast nur mit der Hauswirtschaft (be 
schäftigen. Solchen Gesichtspunkten können mir natürlich auch nicht 
nachgeben. Wir können die Sache nicht von dem Standpunkt aus 
betrachten, daß die weibliche gewerbliche Jugend aus Konkurrenz- 
rücksichten nicht so ausgebildet werben soll wie die männliche, sondern 
im Gegenteil, wir müssen den jungen Mädchen den Weg voll 
kommen offen lassen, und infolgedessen können wir uns mit den 
Bestrebungen keineswegs einverstanden erklären, die auf Kosten der 
sachlichen Ausbildung allein der hauswirtschaftlichen Ausbildung den 
ganzen oder fast den ganzen Raum überlassen wollen. 
Wir glauben, daß der Magistrat das Richtige getroffen hat; 
wir sind mit seinen Grundsätzen einverstanden und befürworten daher, 
daß die Vorlage ohne weitere Ausschußberatung angenommen wird, 
(Bravo!) 
damit nun die ganze Kraft daran gesetzt werden kann, die geeigneten 
Räume zu finden, die tüchtigsten Kräfte für den Unterricht anzu 
stellen und am 1. April möglichst wohl vorbereitet die Schule zu 
beginnen. Meine Freunde sind der Ansicht, daß der Magistrat 
und speziell die Herren Dezernenten sich um dieses Werk wohl verdient 
gemacht haben, und wir hoffen, daß aus unserem Beschluß der 
Annahme der Magistratsvorlage viel Heil und Segen für unsere 
heranwachsende Jugend, insbesondere für die weibliche Jugend, ent 
springen wird. 
(Lebhafter Beifall.) 
Stadtverordneter Rosenow: Meine Herren, es ist doch ein 
sehr erfreuliches Zeichen, daß heute, wo wir an die (Einführung 
der Pslichtfortbitdungsschule für Mädchen gehen, der Ton in der 
Bürgerschaft und auch in dieser Versammlung ein anderer ist als 
zu der Zeit, wo wir die Pflichtfortbildungsschule für Jünglinge ein 
führen sollten. Damals allgemeines Mißtrauen in den Kreisen der 
Beteiligten, damals allerlei Bedenken wegen der Zerstörung der 
Wahlfortbildungsschule. Alle diese großen Schwierigkeiten sind aus 
geräumt; wir stehen heute vor der erfreulichen Tatsache, daß alle 
diese Bedenken zerstoben sind, zerstoben durch die Macht der Tat 
sache, daß wir unserer Jugend durch die Pflichtfortbildungsschule 
eine glänzende Erziehung geben. Die Bedenken, die bei den Arbeit 
gebern dagegen bestanden haben, daß man ihnen die jungen Leute zu ge 
wissen Tageszeiten für den Unterricht entzieht, sind verstummt. 
Heute wird von allen Seiten, auch von den Interessenten aner 
kannt, daß die Pflichtfortbildungsschule nicht nur den jungen Leuten 
Vorteile bringt, sondern daß die Vorteile, die die jungen Leute 
in der Schule erreichen, der Werkstatt und der Arbeitsstelle wieder 
zugetragen werden von Stunde zu Stunde. 
Und wenn mir nun heute nach langer — nach meiner Auf 
fassung und Empfindung nach viel zu langer — Zeit ■ an die Ein 
führung der Pflichtfortbildungsschule für Mädchen gehen, so er 
innere ich daran, daß meine Freunde in der Versammlung, aber 
auch in der Deputation und sonst an den geeigneten Stellen immer 
wieder darauf gedrängt haben, die Wohltat dieses Unterrichtes auch 
den weiblichen Angestellten zuzuführen. Ich gebe zu und muß zu 
geben, daß der Magistrat mit der Durchführung der Pflichtfort 
bildungsschule für Jünglinge reichlich zu tun gehabt hat und auch 
mancherlei heute noch zu leisten hat. Deshalb wird man ver 
stehen können, daß wir erst langsam au diese Pflichtfortbildungs- 
schnle für Mädchen herangegangen sind. Aber dieses Zuwarten hat 
den großen Vorteil noch gehabt, daß die Erfahrungen, die man 
mit der Pflichtfortbildungsschule für Jünglinge gemacht hat, nun 
auf die neue Pflichtfortbildungsschule für Mädchen übertragen 
werden konnten, 
(sehr richtig!) 
und heute stehen mir einer Vorlage gegenüber, die — das darf 
man wohl ruhig sagen, auch wenn man der betreffenden .Depu 
tation angehört hat, namentlich ich, der ich ihr eine Zeit lang 
habe fern bleiben müssen — so durchgearbeitet ist, wie man bei 
einer so schwierigen Materie nur hat erwarten können und namentlich 
hat erwarten können bei den Einwendungen, die bis heutigen 
Tages gemacht worden sind, gegen den hauswirtschaftlichen Unter 
richt. Das verdanken wir, wie der Herr Vorredner schon gesagt 
hat, der ungemein intensiven, treuen und von Herzen kommenden 
Arbeit unseres Herrn Stadtschulrats Michaelis, 
(lebhafter Beifall) 
der in Dutzenden, vielen Dutzenden von Sitzungen in Deputationen 
nicht bloß, sondern mit den beteiligten Interessenten, mit Arbeit 
nehmern, mit Arbeitgebern, überall mit den Beiräten daran ge 
arbeitet hat, um eine nahezu vollkommene Vorlage zu schaffen. 
Ich schließe mich dem Danke, den der Herr Vorredner Herrn Stadt 
schulrat Michaelis ausgesprochen hat, namens meiner Freunde durch 
aus an und bin beauftragt, das auszusprechen. Ich bin auch beauf 
tragt, den Dank demjenigen zu sagen, der Herrn Stadtschulrat 
Michaelis so treu zur Seite gestanden hat in der Arbeit nicht nur, 
sondern auch in der Organisationsfrage und bei dem Ortsstatut, 
Herrn Direktor Grundscheid. 
(Lebhaftes Bravo.) - • .
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.