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Volume No. 30, 28. November 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

Erklärung des Herrn Magistratsvertr-eters an dein Antrag auf Ein 
setzung einer gemischten Deputation festhalten. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Tode: Meine Herren, auch meine Freunde 
stehuen auf diesem Standpunkt. 
Der Herr Antragsteller hat ja schon hervorgehoben, daß, mit 
tu der Sache alle einig sind: wir ivünschen, die Konsequenzen, 
die ans der A »gestelltenVersicherung entstehen, in Uebereinstimmung 
mit deut bestehenden Ortsstatut zu regeln. Die einzigen Behörden, 
die entscheiden können, ob unsere Beschäftigten, unsere Angestellten 
verpflichtet sind, der Angestelltenversichernug beizutreten, sind die 
nach Absatz. 3 des § 0 des Gesetzes berufenen Behörden, die es 
bisher an Auskunft haben fehlen lassen. Das ist nicht wunderbar; 
denn dieses Gesetz, das im deutschen Reichstage einstimmig an 
genommen worden ist, und das als eine Wohltat für das Volk 
gedacht ist, hat den Erfolg, daß jeder möglichst herauszukommen 
sucht, 
(Heiterkeit) 
und daß daher die Behörde sich vor Anfragen nicht zu retten weiß. 
Nun bleibt uns nichts anderes übrig, als die Entscheidung 
abzuwarten, aber Darauf gerüstet ztt sein, daß sie etwa negativ 
ausfallt, daß sie uns also nicht in die Möglichkeit versetzt, unsere 
Angestellten von der Angestelltenversicherung anzunehmen und ihnen 
dadurch die kolossalen Beiträge, die sie dann bezahlen müssen, zu 
ersparen. Es geht aber aus der Ausführung des Herrn Magistrats 
vertreters hervor, daß alle diese Fragen auch bereits im Magistrat 
erwogen sind, und daß die Vorbereitungen bereits getroffen sind. 
Wenn der Herr Magistratsvertreter ausführt, daß die Frage 
offen bleibt, ob nicht auch.der Anspruch aus der Invalidenver 
sicherung verloren geht, so ist. das ein Bedenken, das uns jedenfalls 
nicht schon jetzt eine bestimmte Richtung in bezug auf die Um 
wandlung des Ortsstatuts, wie sie der Antrag haben will, einnehmen 
läßt. Allerdings bedarf die Frage, ob nicht die Möglichkeit für 
die Arbeiter offen bleibt, durch die Fortsetzung der Selbstversiche 
rung sich ihren Versicherungsanspruch aus der Invalidenversicherung 
zu erhalten, einer eingehenden Prüfung. Sie wird zunächst im 
Magistrat geprüft werden müssen; aber in dem Sinne, wie eben 
Herr Kollege Ullstein die Einsetzung einer gemischten Deputation 
ohne bestimmte Marschroute vorgeschlagen hat, ist es gut, wenn 
schon jetzt ein Apparat vorhanden ist, der für den Fall, daß die 
Entscheidung des Oberpräsidenten ungünstig für uns ausfällt, sofort 
in Kraft treten kann, um auch in Verbindung mit der Stadtver 
ordnetenversammlung und ihren Vertretern in der gemischten De 
putation bereits die Konsequenzen öitrchzuberateit und einer schleunigen 
Verabschiedung, einer neuen Formulierung des Ortsstatuts die Wege 
zu bereiten. In diesem Sinne bitte ich den Antrag, wie er von 
den drei .Herren gestellt ist, anzunehmen. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Koblenzer: Meine Herren, ich kann mich 
bei der Einigkeit, die im Saale vorhanden ist, ziemlich kurz fassen. 
Ich stimme auch dem bei, daß es notwendig ist, daß die ge 
mischte Deputation heute beschlossen wird, und stimme auch den 
Herren Vorredner zu, daß sie nur dann in Tätigkeit treten kann, 
wenn es sich der Lage nach als notwendig erweist, daß es aber 
andererseits gut ist, wenn sie da ist, mit jeder Zeit funktionieren 
zu können. 
Herr Stadtrat Fischbeck hat gesagt, es sei ihm nicht klar, was 
die Gewährung des Rechts bedeutet. Ich bin schon klar, daß der 
GemeiNdebeschlttß keine Gewährung in dem Sinne bedeutet, wie das 
Gesetz verlangt, und glaube, daß die Antwort verneinend aus 
fallen muß. 
Herr Stadtrat Fischbeck hat ferner darauf hingewiesen, daß wir, 
wen» ein Rechtsanspruch allgemein gewährt würde, unsere Arbeiter 
schädigen würden; denn sie würden aus der Invalidenversicherung 
dadurch herauskommen, weil sie von der Stadt einen Rechtsan 
spruch auf diese Bezüge haben. Nehmen wir das als richtig an, 
so wissen wir doch alle, daß es diesen Arbeiter» möglich ist, sich 
selbst weiter zu versichern, und wir wissen auch, daß es nur ziemlich 
geringfügiger Beträge bedarf, um sich die einmal erworbene An 
wartschaft ans Invalidenrente und alles, was das Gesetz bietet, 
zu erhalten. Das könnte kein Grund sein, der uns abhalten dürste, 
den Schritt zu gehen. 
Der Herr Stadtrat hat ausgerechnet, daß ivir ungefähr die 
Summe von 120 000 M gebrauchen würden, mit die Beiträge zu 
zahlen. Bei dieser Rechnung ist wohl nur mit der Hälfte der Bei 
träge gerechnet, die auf die Stadt kommt. Ich nehme an, daß 
die Stadt so nobel sein wird, die Beträge voll zu bezahlen; dann 
Mitten 240 000 M heraus, also eine bedeutend höhere Summe. 
Ich glaube, wenn der Magistrat mit einer Vorlage kommt, werden 
ivir noch Gelegenheit haben, uns über die Sache eingehend zu 
verständigen. Sollte das nicht nötig sein, sollte die Magistrats 
vorlage so erschöpfend sein, daß wir mal nichts daran zu taMn 
haben, nun, dann tväre es uns desto angenehmer. 
(Heiterkeit.) 
356 
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage der Stadt 
verordneten Cassel, Mommsen und Rosenow, wie folgt: 
Die Versammlung beschließt, den Magistrat zu ersuchen, mit ihr 
in gemischter Deputation über den Antrag Dr. Arons und Genossen 
zu beraten.) 
Vorsteher Michelet: Einnndzwanzigster Gegenstand der Tages 
ordnung: 
Vorlage — zur Beschlußfassung —, betreffend die Begründung 
einer gewerblichen und kaufmännischen Pflichtfortbildungs- 
schnle für Mädchen und die Abänderung des Ortsstatuts 
betreffend die Pflichtfortbildungsfchnle für Jünglinge. — 
Vorlage 1001. 
Stadtverordneter Cassel: Meine Herren, ich möchte zunächst 
namens meiner Freunde dem Magistrat unsere Anerkennung dafür 
anssprechen, daß er dem Beschluß, den die Versammlung vor einigen 
Wochen aus meinen Antrag hin einstimmig gefaßt hat, so schnell 
stattgegeben hat. Ich habe immer anerkannt, daß der Magistrat 
nach der Städteordnnng berechtigt ist, seine Beschlüsse selbständig zu 
fassen, daß der Magistrat nicht mit einem Ausschuß dieser Ver 
saininllung zu verwechseln ist, und daß wir es, weitn wir Anträge 
und Wünsche an de» Magistrat zn richten haben, natürlich von 
seiner Ueberzeugung abhängig sein lassen müssen, ob er unserm! 
Ersuchen stattgibt. Natürlich haben ivir die Pflicht, die Anträge 
zu stellen, sofern wir sie für begründet halten, und der Magistrat hat 
nach seiner Ueberzeugung zn entscheiden. Wir freuen uns, daß der 
Magistrat unserer Anregung so schnell stattgegeben hat, und das 
wird .gewiß für ein gedeihliches Zusammenarbeiten der beiden 
städtischen Behörden von großem Vorteil sein. 
Meine Herren, ich muß ferner anerkennen, daß die Vorlage 
des Magistrats außerordentlich gut vorbereitet ist, 
(sehr wahr!) 
und daß sie eilte sehr geeignete Grundlage für unsere Beschluß 
fassung bildet. 
(Sehr richtig!) 
Der Magistrat. und die Deputation für die Fortbildungsschulen 
haben, tote man aus der Vorlage und ihren Unterlagen erkennt, 
eilte sehr nützliche und tüchtige Arbeit geleistet, und wir müssen — 
ich möchte das bei dieser Gelegenheit betonen — sowohl dem Vor 
sitzenden der Deputation, dem Herrn Geheimrat Michaelis, als auch 
dem Direktor, den wir zur Leitung des Fortbildungsschulwesens 
eingesetzt haben, Herrn Dr. Grundscheid, unsern herzlichen Dank 
für ihre mühevolle Tätigkeit aussprechen. 
(Lebhafter Beifall.) 
Ich habe erfahren, daß zn den großen Verdiensten, die sich Herr 
Geheimtat Michaelis mit die Sache erworben hat, auch die Ver 
dienste des Herrn Grnndscheid kommen, der eine sehr nützliche Arbeit, 
die wir hoch anerkennen, geleistet hat. Ebenso sind mir Dank 
schuldig der gesamten Deputation für die eingehenden Verhandlungen 
mit den Beteiligten, die ein Interesse an der Schule haben, und 
für die sorgfältige Art, mit der sie die Sache behandelt hat. 
Meine Herren, ivir sind auch in Uebereinstimmung mit dem 
Magistrat über die wesentlichen Grundlagen der Vorlage. Ich be 
absichtige nicht, in alle Einzelheiten einzugehen. Die Verbesserungen 
in dem Teil, der die Bestimmungen über unsere schon bestehende 
Pflichtfortbildungsschule für junge Leute enthält, sind aus der Er 
fahrung geschöpft und durchaus berechtigt. Wir begrüßen es mit 
Freude, daß unseren vielfachen Wünschen gemäß auch die weib 
liche Jugend an dem Fortbildungsschulunterricht teilnehmen wird, 
und halten im großen und ganzen die Vorlage für recht geeignet, 
diese Zwecke zu erfüllen. Etwaige Verbesserungen, die der eine oder 
andere von uns auch noch wünschen mag, mögen später hinzukommen. 
Wir wollen aber den Abschluß bald bewirken, damit die Sache 
so bald als möglich ins Werk gesetzt werden kan». 
Meine Herren, wir stehen aber — meine Freunde haben mich 
ausdrücklich beauftragt, das zu erklären — auch ganz auf dem 
Standpunkte des Magistrats, daß ivir es für eine weise Einteilung 
des Unterrichts erachten, daß drei Viertel der Zeit für die fach 
liche Ausbildung der jungen Mädchen bestimmt ist und ein Viertel 
zu ihrer Ausbildung in der Hauswirtschaft. 
(Bravo!) 
Meine Herren, wir wünschen, daß die Interessenten der heran 
wachsenden tuet blichen Jugend ebenso berücksichtigt werden wie die 
der männlichen Jugend. Wir können aber dabei nicht eine absolute 
Gleichmacherei betreiben, wenn wir den Interessen beider Rechnung 
tragen wollen. Wir müssen daran denken, daß von den Tausenden 
voll jungen Mädchen, die im gewerblichen Leben stehen, sehr viele 
dadurch ausscheiden, daß sie sich dermaleinst verheiraten, und daß 
ferner ein großer Teil derer, die im gewerblichen Leben bleiben, 
sich ebenfalls später verheiraten und dann späterhin außer ihren 
Pflichten im gewerblichen Berns Pflichten als Ehefrauen, als Mütter 
zu erfüllen haben. Meine Herren, wir glauben daher, daß die haus-- 
wirtschaftliche Ausbildung nicht vernachlässigt werden darf. 
(Sehr richtig!)
	        
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