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Volume No. 2, 18. Januar 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

Ich bitte: nehmen Sie die Ausschußberatung an, aber nach dem 
Antrag des Herrn Kollegen Lentz mit der Bedingung, daß die ganze 
Bahn als Untergrundbahn gebaut wird! 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Mohr: Meine Herren, meine Freunde haben 
ausreichende Vorteile angeführt, die vorhanden wären, wenn Sie sich 
entschließen würden, auch die Nordstrecke als Untergrundbahn zu bauen. 
Es ist mit Recht angeführt worden, daß die tiefliegenden Bahnhöfe 
gewisse Unbequemlichkeiten erfordern; insbesondere hat Herr Kollege 
Jacobi auf die alten Leute Rücksicht genommen. Ich glaube aber, 
daß schließlich auch etwas jüngere Leute es vorziehen würden, diese 
hohen Treppen nicht zu steigen. 
Meine Herren, ich glaube, es ist besser, wenn ich über die Vor 
teile, die mechanische Hebevorrichtungen hier bringen würden, nicht 
spreche; jedenfalls könnte ich und jeder Fachmann nachweisen, daß die 
4,4 Millionen, die wesentlich ans dem Grunde verzinst werden sollen, 
weil die Bahnhöfe schlecht zugängig wären, auf ein Minimum re 
duziert werden könnten, und zwar aus 1 bis 1,2 Millionen. Ich 
überlasse es anderen Kollegen, diese Sache weiter auseinanderzusehen; 
ich möchte es hier aus gewissen Gründen nicht tun. 
Ich möchte aber insbesondere hervorheben, daß die Vorteile, die 
auf de», Gesundbrunnen eine Untergrundbahn bringen würde, insofern 
wesentlich sind, als der Umsteigeverkehr von der Staatsbahn zur 
Hochbahn den hervorragendsten Teil der Frequenz der Bahn bilden 
wird. Das ist bereits hervorgehoben und kann nicht genug hervor 
gehoben werden. 
Meine Herren, Sie sind gewiß alle mit der dortigen Gegend 
bekannt. Sie haben weder auf der Seite des Humboldthains, wenn 
Sie von Berlin zum Gesundbrunnen gehen, eine Bebauung, noch haben 
sie sie auf der anderen Seite, wo die tiefen Bahneinschnitte sind und 
die große Brücke und sonstige Hindernisse die Bebauung verhindern. 
Auf diesen großen Flächen wohnen ja gar keine Menschen; infolgedessen 
werden auch nicht sehr viele am Bahnhof Gesundbrunnen einsteigen. 
Dagegen werden umsomehr Passagiere den Uebergang von der Staats 
bahn zur Hochbahn dort nehmen, und darin liegt der wesentliche Punkt. 
Diesen Passagieren sollten Sie nicht zumuten, oben auf die Hochbahn 
zu klettern, sondern sollten ihnen Gelegenheit geben, weitn sie an 
kommen und weiterfahren wollen, ans dem kürzesten Wege zur Unter 
grundbahn zu kommen. Die Zahlen sind so außerordentlich wichtig, 
daß sie, poeuu sie von, Magistrat und der AEG genau festgestellt 
würden, ohne weiteres ergeben, daß es vollkommen verkehrt wäre, erst 
oben hinauf zu klettern. Das macht eine Differenz von zirka 1,7 bis 
2,o m aus, und wenn ich schon eine bedeutende Höhe ans der Treppe 
zurückgelegt habe, sind 1,7 bis ans 2,o m auch von Bedeutung, und das 
kann vermieden werden, wenn dort eine Untergrundbahn gebaut wird. 
Herr Stadtrat Albert, ha! gesagt, daß, wenn eine Konkurrenz 
herbeigeholt würde, sie auch tüchtig verdienen wolle. In den Worten 
ordentlich oder tüchtig sehe ich schon, daß im vorliegenden Falle ein 
hoher Gewinn aufgeschlagen ist. Ich glaube sicher, daß jeder Lieferant, 
der den Vorzug hat, für Berlin etwas zu liefern, die Absicht hat, 
recht viel zu verdienen. Das kann man ihm nicht verdenken; das ist 
menschlich. Aber das gelingt nicht bei einer Konkurrenz. Bei der 
vorhandenen Konkurrenz auch für eine kleine Arbeit werden so billige 
Preise abgegeben, daß schließlich wenig oder nichts verdient wird. In 
diesem Sinne hätte ich es gern gesehen, daß man vor einigen Jahren 
eine Konkurrenz ausgeschrieben hätte, wie das vielfach vom Staat und 
Gemeinde geschieht Es ist bedauerlich, daß das unterlassen ist. Ob 
noch Zeit dazu ist, weiß ich nicht. Schlechter würde die Sache dadurch 
nicht werde» und teuer auch nicht; sie kann höchstens besser und 
billiger werden. Die Interessen des Einzelnen sind nicht maßgebend, 
sondern viele, die im Konkurrenzkämpfe arbeiten, werden etwas Gutes 
schaffen. 
Im übrigen ist es mir aufgefallen, daß der Magistrat sagt: für 
die Erfüllung der Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, die den Bahnbau 
übernimmt, muß sie 1,6 oder 1,8 Millionen — ich habe es nicht recht 
verstanden — als Kaution stellen. Mir ist bekannt, daß bei jeder 
Kommunal- oder Staatsbehörde durchschnittlich 10 pEt. Kaution gestellt 
werden; das würden in diesem Falle zirka 8,n Millionen fein. Ich 
zweifle nicht, daß eine so solvente Gesellschaft wie die AEG sich auch 
zu diesem B'trage verstehen würbe. Ich möchte wünschen, daß man 
nach dieser Richtung keine Ausnahme macht; denn das Kapital in Form 
einer Kaution ist ja sicher. 
Ich möchte also bitten, daß Sie meinen Freunden Gehör geben 
und diese Bahn im Norden ebenfalls als Untergrundbahn bauen. 
Denn nachdem die AEG nur 3,3 Millionen für den Bau der Bahn 
als Untergrundbahn mehr verlangt, allerdings ein Kapital verzinst 
haben will, resp. garantiert haben will, welches aber, wie ich Ihnen 
vorhin schon gesagt habe, zum größten Teile wegfällt, möchte ich Sie 
bitten, nicht wegen der 8,3 ober, sagen wir, rund 4 Millionen Mehr 
kapital diese Idee fallen zu lassen, sondern den Norden mit dem 
Süden gleichzustellen. Denn, meine Herren, Sie werden doch zugeben 
müssen, daß Sie im Süden keine Gelegenheit mehr haben, die Stadt 
auszubauen, und daß es Ihnen auch nicht gelungen ist, seinerzeit ein 
-großes Terrain im Süden zu erwerben, um Steuerzahler hinzubringen, 
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daß Sie dagegen im Norden noch mehrere Hunderttausend Personen' 
unterbringen können, die, wenn sie auch nicht so kapitalkiäftig sind 
wie im Süden und Westen, immerhin zu den Steuerzahlern Berlins 
gehören Setzen Sie aber den Norden zurück — und das tun Sie 
wenn Sie dem Süden die Untergrundbahn gewähren, dem Norden 
aber nicht —, so werden Sie es sich zuzuschreiben haben, daß der 
Norden, der schon lange vernachlässigt ist, kein gutes, steuerzahlendes 
Publikum an sich zieht. 
(Sehr richtig!) 
Wollen Sie also noch weiter daran arbeiten, daß nicht ein gutes, 
steuerzahlcndes Publikum dort hinauskommt, so bauen sie dort eine 
Hochbahn, und sagen damit: das ist ein Stadtteil zweiter Qualität! 
(Lebhafte Bewegung und Zurufe.) 
— Herr Kollege Jacobi, Bülowstraße! Das ist schon lange her. 
Wenn wir es heute zu machen hätten, würden wir es nicht mehr so 
ausführen. 
(Widerspruch.) 
— Hand aufs Herz! Man würde schließlich heute auch nicht über die 
Bahngeleise gehen, man würde unter der Potsdamer Bahn hergehen. 
Aber damals fing man mit dem Bahnbau au, und heute hat man 
Erfahrungen darin. Deshalb glaube ich. Ihnen empfehlen zu dürfen: 
machen Sie auch für den Norden eine Untergrundbahn! 
(Bravo!) 
Oberbürgermeister Dr. Mrschner. Meine Herren, die bis 
herige Debatte hat sich im wesentlichen nur mit der Frage „Hochbahn 
oder Untergrundbahn im Norden?" beschäftigt; nur einer der Herren 
Vorredner, Herr Stadtverordneter Goldschmidt, hat geglaubt, noch 
auf einen Punkt aufmerksam machen zu müssen, bei dem die ver 
tragsmäßigen Bestimmungen noch einer Nachprüfung bedürfen, und 
wo die Stadt noch eine gewisse Sicherheit erhalten soll. Er hat auf 
die Schwierigkeit hingewiesen, daß schließlich der Stadt nicht gegen 
überstehen wird die AEG, die jetzige Kontrahentin, sondern ein 
anderer Kontrahent. Schon der Herr Stadtrat Alberti hat daraus 
aufmerksam gemacht, daß die Erwägungen nicht ausschlaggebend 
sind; ich möchte aber doch bei der Wichtigkeit dieses Punktes noch 
mals darauf zurückkommen und Sie bitten, sich den Vertrag an 
zusehen. In § 22 ist ausdrücklich bestimmt, daß die AEG die 
Bürgschaft dafür übernimmt bis zur Eröffnung des Betriebes und 
noch für weitere zwei Jahre, daß die neue Gesellschaft alle Ver 
pflichtungen aus diesem Vertrage gegenüber der Stadtgemeinde er 
füllt. Also die Bürgschaft ist übernommen für die volle vertrags 
mäßige Herstellung des Unternehmens und dann noch für zwei 
Jahre für den Betrieb. Wir haben außerdem in den Vertrag, wie 
er jetzt vorliegt, noch ganz besondere Kanteten dafür aufgenommen, 
daß schon bei der Ausführung die AEG fortdauernd unter städtischer 
Kontrolle steht. Wir haben also die Sicherheit, daß dieses Unter 
nehmen vollständig vertragsmäßig unter der Bürgschaft der AEG 
hergestellt und zwei Jahre betrieben wird. Wenn dann der Be 
trieb nicht reüssieren sollte, dann stehen doch die Sachen so, daß 
die neue Gesellschaft zunächst mit ihrem ganzen Aktienkapitale für 
die Sache haftet, und daß, wenn dieses Aktienkapital wirklich auf- 
gebraucht sein sollte und wir auf Grund der Garantie etwa in die 
Lage kommen sollten, das Unternehmen zu erwerben, wir dann 
dieses vertragsmäßig hergestellte Unternehmen für die Hälfte des 
Preises erwerben würden. 
(Sehr richtig!) 
Meine Herren, ich glaube, größere Sicherheit kann man kaum 
verlangen, 
(sehr richtig!) 
und ich Win der Ueberzeugung, daß der Vertrag nach dieser Richtung 
hin keiner Nachprüfung bedarf. 
(Sehr richtig!) 
Ich glaube überhaupt, meine Herren, daß Sie am allerbesten 
tun würden, wenn Sie den Vertrag so, wie er Ihnen vorliegt, auch 
ohne Ausschuß annehmen wollten. Aber wenn die geehrte Versamm 
lung eine Ausschußberatung durchaus für erforderlich hält, so wird 
selbstverständlich der Magistrat trotz der kurzen Fristen, mit denen 
wir rechnen müssen, sich nicht dagegen erklären. Ich bitte Sie aber 
alsdann: treffen Sie wenigstens heute eine Entscheidung über den 
jenigen Punkt, der allein noch einer Entscheidung bedarf, das ist 
über den Punkt, ob die Bahn im Norden Untergrund oder Hoch 
bahn sein soll! 
Meine Herren, ich bin ja nicht imstande, ans die technischen Aus 
führungen, die hier von verschiedenen Seiten gemacht worden sind, 
von meinem Laienstandpunkt aus im Einzelnen einzugehen; aber 
gestatten Sie mir doch als Laie» einige allgemeine Bemerkungen. 
Ich bi» nicht ein Mann, der an der Autorität von Sachver 
ständigen festhält, und ich weiß sehr gut/ daß auch Sachverständige 
irren können; aber hier ist doch folgendes zu erwägen. Die- Tech 
niker der AEG haben wiederholt erklärt, daß das Unternehmen 
technisch und wirtschaftlich zweckmäßiger ist, wenn es im Norden 
als Hochbahn ausgebaut wird. Diese Herren — das wird, glaube
	        
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