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Volume No. 27, 17. Oktober 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

Untersuchung anlangt, was die Dauer anlangt, auf welche die Ver 
günstigungen gewährt bleiben usw. 
Wir glauben, Ihnen ausdrücklich hier aussprechen zu sollen, 
daß 'die ganze Sache mit einem Risiko verbunden ist, und daß diese 
Bewilligung und daß das ganze Unternehmen entriert ist in dem 
Bewußtsein, daß es mit Verlusten für die Stadt und die ihr ange 
gliederten Vorortgemeinden enden kann. Aber wie die Sachen liegen, 
glaubt der Magistrat — und wir glauben, Ihrer aller Zustimmung 
sicher zu sein —, daß das Risiko getragen werden muß; wir hoffen, 
daß es nicht zu groß ist. Es wird schon deshalb nicht zn groß sein,, 
weil an diesem Risiko die sämtlichen Vorortgemeinden, soweit sie 
Fleisch beziehen, nach einer Aussprache, die im Rathause hier statt 
gefunden hat, nach Verhältnis der von ihnen bezogenen Gesamt 
inmitten teilnehmen. 
Ich wäre Ihnen noch Auskunft darüber schuldig, wie der Ver 
trieb des Fleisches vor sich gehen soll. Ursprünglich bestand die Be 
fürchtung, daß das Metzgergewerbe, dessen Heranziehung uns natür 
lich sehr am Herzen lag, nicht mitmachen werde. Nachträglich hat 
sich diese Befürchtung zum Glück als nicht richtig erwiesen. Wir 
haben den Vorstand der Metzgerinnung bei uns gehabt, und er hat 
uns durch seinen Obermeister und die beiden anderen Herren erklären 
lassen, daß die Metzger mitwirken würden, damit versucht würde, 
die Notlage, die doch nun einmal vorhanden wäre, in entsprechender 
Weise zu mildern; sie würden deshalb ihre Mitwirkung nicht ent 
ziehen, sie würden insbesondere auch nicht darauf bestehen — worauf 
sie ursprünglich bestanden hatten —, nämlich darauf, daß sie das 
einzuführende Fleisch in ihren Läden mit dem anderen Fleisch und 
neben diesem verkaufen würden. Sie erklärten, daß sie diesen Vor 
behalt nicht aufrecht erhalten würden; sie sahen ein, daß das nicht 
gehe, da uns dann jede Kontrolle fehlt. 
Die Preise festzustellen, ist Sache der Kommune, wie aus der 
Erklärung der Staatsregiernug hervorgeht, die den Herren bekannt 
sein wird. Wir werden diese Preise feststellen unter Zugrundelegung 
der sonstigen Höchstpreise. Wir haben den billigeren Einkauf durch 
aus zu unseren Gunsten. Das Interesse des Unternehmers sgeht 
dahin, möglichst viel einzukaufen, und er hat nicht ein Interesse 
daran, zu einem möglichst teuren Preise einzukaufen; denn sein In 
teresse ist mit einem bestimmten Satz pro Pfund abgefunden, so daß 
sein Interesse natürlich um so größer ist, je mehr er los wird; desto 
mehr wird er diesen bestimmten Satz alsdann verdienen. 
Wir haben uns jetzt gefragt: sollen wir bei dem Vertrieb des 
Fleijches einen Einheitsdurchschnittspreis festlegen, oder sollen wir 
bei jedem Stück Großvieh, bei jedem Schwein nach den einzelnen 
Qualitäten des Tieres vorgehen? Wir haben den letzteren Weg für 
den gangbareren und zweckmäßigeren befunden, und zwar nicht 
bloß deshalb, weil er uns die Möglichkeit gibt, dann sogenanntes 
Suppenfleisch, auf das ja der minderbemittelte Teil der Bevölke 
rung wohl hauptsächlich sein Augenmerk richtet, nach den jetzigen 
Voraussetzungen für 55 J? abgeben zn können. 
(Bravo!) 
Es ist im einzelnen eine Prciskalkulativn aufgestellt. Sie wird 
natürlich nicht gang und gäbe sein und für die ganze Zeit gelten, 
sondern sich je nach den Konjunkturen gestalten, unter denen wir 
einkaufen, und unter denen wir nachher wieder die Grundpreise 
feststellen können. Nach dieser Preiskalkulation, die einstweilen unter 
Zugrundelegung der Höchsteinkausspretse aufgestellt ist, besteht doch 
immerhin die Möglichkeit, bei einzelnen Stücken, bei einzelnen Quali 
täten Unterschiede gegen jetzt zum Teil von 40 bis 50 3) zn erzielen. 
(Hört, hört!) 
Meine Herren, ich glaube, daß ich Ausreichendes zur Begrün 
dung der Vorlage, durch die wir um eine Bewilligung von 600 000 J(> 
gebeten haben, gesagt habe. Sollten noch irgendwelche Aufklärungen 
wünschenswert werden, so stehe ich selbstverständlich zur Verfügung. 
Ich möchte nur zur Vervollständigung der Vorlage noch be 
merken, daß diese Mittel aus den Neberschüssen für 1011 genommen 
werden sollen. 
(Lebhafter Beifall.) 
Stadtverordneter Cassel: Meine Herren, meine Freunde er 
kennen das sehr gern an, daß in der Magistratsvorlage gleich 
zum Ausdruck gebracht worden ist, daß auch der Magistrat die Maß 
nahmen der Königlichen Staatsregierung nicht für ausreichend er 
achtet, um die Bevölkerung Berlins in angemessener Weise 
mit billigem und gutem Fleisch zu versorgen. Wir haben uns 
schon bei der Debatte, als wir die gemischte Deputation einsetzten, 
darüber geäußert, was wir unsererseits für notwendig erachten, 
so daß es nicht nötig ist, das im einzelnen zu wiederholen. 
Meine Freunde werden sämtlich für die Vorlage stimmen, aller 
dings nicht ohne große innerliche Bedenken. Die Bedenken liegen 
darin, daß wir es nicht als die Aufgabe der Kommunen ansehen, 
die Folgen zu tragen, welche durch eine verfehlte Wirtschafts 
politik entstanden sind, daß wir es weiter nicht als Aufgabe der 
Kommunen betrachten können, ihrerseits die Versorgung der Be 
völkerung mit Fleisch und dann später vielleicht mit Lebensmitteln 
aller Art, womöglich auch mit anderen Gegenständen zu betreiben. 
Wir erkennen das nicht als eine Verpflichtung der Kommunen an 
und glauben, daß es insbesondere auch ein Schritt ist, der .sehr 
in den freien Gewerbebetrieb eingreift, wenn wir unsererseits .den 
Vertrieb von billigem Fleisch zn bewirken suchen. Indessen ist 
nun zu beachten, daß die Königliche ,Staatsregierung ausdrücklich 
diejenigen Ermäßigungen, welche sie vorgesehen hat, nur den großen 
Gemeinden zugesteht und nicht gewerblichen Organisationen. Es 
kommt weiter in Betracht, daß in der Tat die Teuerung «einen 
so hohen Grad erreicht hat, daß. außergewöhnliche Umstände Vor 
liegen, die auch einmal außergewöhnliche Mittel erforderlich machen. 
Sodann ist für uns auch wesentlich, daß wir nicht haben wollen, 
daß man die Verantwortung für das weiter immer teurer und 
teurer werdende Fleisch von der Regiernngsseite ans uns schiebt 
und behauptet, daß wir von den Mitteln keinen Gebrauch gemacht 
hätten, die vorhanden gewesen wären. Diese Notlage der Be 
völkerung, diese ausnahmsweise» Umstände müssen uns veranlassen, 
den vom Magistrat nachgesuchten Kredit zu bewilligen. 
Meine Herren, wir verkennen nicht, daß der Magistrat mit 
großer Schnelligkeit und Sorgfalt gehandelt hat, so daß niemand 
nach außen hin wird behaupten können, daß er von den vorhandenen! 
Möglichkeiten nicht sofort einen vollen Gebrauch gemacht hat. 
(Sehr richtig!) 
Ich glaube, wir Müssen es mit Tank anerkennen, daß der Magistrat 
mit ungewöhnlicher Schnelligkeit, Tatkraft und unter Umständen, 
wo es geboten tvar, mit der Uebernahme einer gewissen 'Verant 
wortung gehandelt hat. 
(Bravo!) .. 
Meine Herren, ebenso wie beim Herrn Kämmerer ist bei uns 
der Zweifel vorhanden, ob der Versuch glücken wird, ob er auf 
die Herabsetzung der Preise für das andere Fleisch wesentlich ein 
wirken kann. Aber auch auf die Gefahr hin, daß dieser Versuch 
nicht glückt, sind wir nach unserer Ueberzeugung verpflichtet, ihn 
zu machen und die Summe, um die es sich handelt, zu bewilligen. 
Der etwaige Verlust kommt im vorliegenden Falle für uns nicht so 
sehr in Betracht wie der Umstand, daß wir die Sache überhaupt 
übernehmen müssen. Wir hoffen, daß die Umstände dazu führen 
werden, den Schritt auch materiell zu rechtfertigen, wie wir ihn 
übernehmen müssen angesichts der vorhandenen Sachlage. 
Wir sind erfreut, durch den Herrn Stadtrat Berndl gehört 
zu haben, daß die Gewerbetreibenden, die Fleischer, die Mitwirkung 
bei dem Vertrieb der Ware nicht versagen. Wir erkennen hoch an, 
daß sie das tun, und wir hätten es bedauert, tuen» der Vertrieb 
ohne die Mitwirkung dieser Kreise hätte stattfinden müssen. 
(Sehr richtig!) 
Wir wollen nicht nur in solchen Ausnahmefällen der Not für 
die Bevölkerung durch Zufuhr billigen Fleisches sorgen, sondern 
hierbei so viel wie möglich durch unser Eingreifen verhüten, daß 
wirtschaftliche Schäden den freien Gewerben entstehen, die bisher 
den Vertrieb ausgeübt haben. Wir sind daher erfreut, daß diese 
Mitwirkung stattfindet, umsomehr, als durch die Statistik des 
Magistrats nachgewiesen ist, daß die vielfach verbreitete Behauptung, 
die Teurung des Fleisches sei durch die Fleischer bewirkt, voll 
kommen hinfällig ist. Denn es ist nachgewiesen, daß die Steigerung 
der Viehpreise viel höher ist als die Steigerung der Fleischpreise. 
Hieraus ist erkennbar, daß die Schuld an dem teuren Fleisch 
keineswegs an dem Fleischergewerbe liegt, das im Gegenteil alles 
mögliche getan hat, um es bei einer gewissen nicht zn hohen Preis 
lage zu belassen. Meine Herren, auch das macht uns die Maß 
regel angenehmer, daß die Mitwirkung dieses Gewerbestandes 
stattfindet. 
(Sehr richtig!) 
Im übrigen bleiben wir dabei, daß eine wesentliche und dauernde 
Besserung der Sachlage nicht durch solche vorübergehenden Maß 
nahmen erfolgen wird, sondern nur durch die Oeffnung der Grenzen 
für eine Zufuhr billigen Viehes und Fleisches, dadurch, daß die 
verschiedenen Hindernisse, die sich in den Gesetzen entgegenstellen, 
aufgehoben werden, und daß es vor allen Dingen ermöglicht wird, 
gefrorenes argentinisches Fleisch einzuführen, was nach den Be 
stimmungen der Regierung nicht möglich erscheint. Wir sind 
überzeugt, daß ebenso wie in England und in der Schweiz auch bei 
uns die Einführung dieses Fleisches zu einer bedeutenden Herab 
minderung der Notlage führen wird. Wir verbleiben dabei, daß 
turnt sehr wohl die Grenzen in dieser -Weise öffnen kann, ünd 
daß es nicht nur auf die Tätigkeit der Gemeinden ankommt, sondern 
auch darauf, daß die gewerklichen Organisationen die Maßnahmen 
treffen können, welche eine Verbilligung herbeiführen können. Wir 
müssen auch darauf drängen, daß in solchen Zeiten der Not nicht 
nur den Gemeinden, sondern den gewerklichen Organisationen jbei 
ihrem Vertrieb diejenigen Ermäßigungen gewährt Werben, die jetzt 
nur den Gemeinden zuteil werden. Wir werden den Schritt machen, 
der Not gehorchend, weil loir in Zeiten der Not auch für außer 
ordentliche Maßnahmen sind, müssen aber die Ueberzeugung ans-
	        
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