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Volume No. 26, 3. Oktober 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

ich bnrf mich darauf beziehen, daß ich gegen, die damalige Zucht 
hausvorlage wie gegen beit Reichsverband und gegen alle Ver 
suche, das Koalitionsrecht der Arbeiter irgendwie zu schmälern, 
mit aller Schärfe den Kampf geführt habe. Das wissen die Herren. 
Wenn.Sie trotzdem, nur weil ich einer anderen Organisation und 
einer anderen Partei als Sie angehöre, keine besseren Gründe gegen 
mich wissen, als zu einem solchen Vorwurf zu greifen wie „Scharf 
macher" und „Reichsverbändler" — Gott, dann »ruß ich sagen: 
das kommt mir so dumm und so lächerlich vor 
(Heiterkeit. Zurufe bei den Sozialdemokraten.) 
ja, so dumnl und so lächerlich, daß ich es kaum der Mühe wert 
halte, darauf 511 antworten. 
Vorsteher Michelet: Herr Goldschmidt, der Ausdruck bezieht 
sich jedenfalls nicht auf einen Kollegen? 
(Heiterkeit.) 
Stadtverordneter Goldschmidt: Das muß ich ja den Herren 
überlassen; wer den Wunsch hat, das auf sich zu beziehen. 
Meine Herren, dann stelle ich hier fest, daß ich alles, lvas ich hier 
behauptet habe, mit Belegen zu beweisen weiß, daß man nur also 
nicht sagen durfte: das glauben Sie ja selber nicht, was Sie hier 
sagen. 
(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Freese!) 
— Ja, meine Herren, auch mit Freese. Hier liegt mir ein Brief 
von Freese vor, und in diesem Briefe steht: 
Die Behauptungen in der Holzarbeiterzeitung und im Vor 
wärts sind falsch. Die Kündigung ist erfolgt, weil der Be 
treffende einen anderen Arbeiter meiner Fabrik durch Beleidi 
gungen und Drohungen nötigen wollte, dem Holzarbeiterverbande 
beizutreten. 
Herr Freese fügt noch hinzu, daß dies nicht der einzige Fall dieser 
Art gewesen sei. 
(Zurufe bei den Sozialdemokraten.) 
An anderer Stelle kommt Freese in seinem Briese darauf zurück, 
daß mau ihm am 7. August usw. einen Tarif zugesandt habe, der 
unter der Nummer 133 die Bestimmung enthielt: 
Bei Einstellung voir Arbeitern nt u ß der Arbeitsnachweis des 
Deutschen Holzarbeiterverbandes benutzt werben. 
(Hört, hört! Zuruf bei den Sozialdemokraten: Hat ihn vorher 
schon gehabt!) 
— Allerdings; er hat aber bann, nachdem man ihn verleumdet hatte, 
erklärt, daß er Mitglieder aus den an dem Vorgehen gegen ihn 
beteiligten Verbänden nicht mehr in Arbeit nehme. Also jedenfalls 
habe ich nichts Unrichtiges behauptet. Ich habe das behauptet, 
was in dem Freeseschen Briefe steht: Sie haben ihn veranlassen 
wollen, nur Arbeiter aus ihrem Arbeitsnachweis zu nehmen, und 
er hat in dem Briefe festgestellt, daß alle anderen Darstellungen 
falsch sind. 
Meine Herren, auch in bezug aus den Holzarbeiterverband in 
Hamburg sind die Dinge wesentlich anders, als Sie sic dargestellt 
haben. Mir liegt ein Brief vor, und daraus geht hervor, daß 
in der Tat ein Zustandekommen des Vertrages für den Arbeits 
nachweis an dem unduldsamen Verhalten des Holzarbeiterverbandes 
scheiterte. 
(Zuruf bei den Sozialdemokraten.) 
Er ist bann später womöglich hoch zustande gekommen; darüber 
ist mir ein Bericht nicht zugegangen. 
Meine öffentliche Tätigkeit beweist, daß ich ständig bett Kampf 
für die Tarifverträge geführt habe. In vielen sozialdemo 
kratischen Versammlungen hat man mir geantwortet: das ist ja 
Harmonieduselei, was du willst, jbu willst, daß Unternehmertum 
und Arbeiter zusammen an einem Tische sitzen, daß sie zusammen 
über die Arbeitsbedingungen beraten und darüber Verträge ab 
schließen, das ist ja ganz unmöglich; denn Unternehmer und Arbeiter 
sind wie Feuer und Wasser, zwei Elemente, die sich nicht vereiniget: 
lasset:. So ist auch mein verstorbener Freund Dr. Max Hirsch und 
sind andere Vertreter des Tarifgedaukens von den Sozialdemokraten 
und ihren Gewerkschaften jahrzehntelang verhöhnt worben. Wenn 
Sie jetzt auch anders können, wahrend zwischendurch in Ihren 
Kreisen mit aller Schärfe gegen bei: Tarifgedanken als „eine Ver 
wässerung tzes Klassenkampsstaudpunktes" Stellung genommen wird, 
dann wollen Sie sich nicht lvnitdern, daß ich Ihnen daraus Vor 
haltungen mache. 
(Zurufe bei den Sozialdemokraten.) 
Wenn Sozialdemokraten jetzt gar einen besonderen Eifer be 
kunden, Tarifverträge abzuschließen, so ist das eben ein Beweis 
dafür, daß der Klassenkampfstandpunkt Schiffbruch erlitten hat, 
(Lachen bei den Sozialdemokraten) 
daß die Macht der Tatsachen Sie zwang, einzusehen, daß. mit dem 
Klassenkampf nicht burch,zukommen ist, daß in Ihren Reihen mehr 
und mehr erkannt wurde, daß auf dem Wege des Klassenkampfes 
den Interessen der Arbeiter nicht gedient ist. 
(Sehr richtig!) 
Aus den Saulussen sind Paulusse geworden. 
(Lachen bei den Sozialdemokraten.) 
Wenn ich das gelegentlich einmal feststelle, dann, glaube ich, sollte 
man mir das nicht verargen und darauf mit allerhand Be 
schimpfungen antworten. 
(Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) 
— Ja, das hat man getan. Wem: man mich mit dem Reichsverband 
identifiziert hat, dann ist das allerdings eine Beschimpfung, die 
ich mir ärger nicht denken kann und mit aller Schärfe zurück - 
weisen muß. 
Es ist dann versucht worden, meine Verbandskollegen gegen mich 
auszuspielen. Das ist ja auch ein Versuch mit untauglichen Mitteln. 
(Lachen bei den Sozialdemokraten.) 
Nein, meine Herren, die Dinge liegen mal so — das 'habet: wir 
oft genug erfahren müssen —, daß Sie glauben, durch die Art 
Ihres Auftretens andere Meinungen unterdrücket: zu können. Ge 
lingt es nicht, dann verdächtigen Sie Ihren Gegner. Das kennt man 
aus der ganzen Bewegung, und deshalb macht das auch keinen 
allzu großen Eindruck auf mich. Meine Herren, ich bin ein grund 
sätzlicher Freund der Tarifverträge und war es immer, solang 
ich öffentlich wirke. Ich will, solveit es möglich ist, sie auch in 
städtischen Betrieben durchführen helfen. 
(Na also! bei den Sozialdemokraten.) 
Ja, tvir wollen sehen, wie weit das geht; deshalb habe ich den 
Antrag auf Uusschußberatung gestellt. 
Meine Herren, daß unsere Diskussion vielleicht nicht ganz ans 
einem hohem Niveau gestandet: hat, daran 
"(Ruf bei den Sozialdemokraten: Waren Sie schuld!) 
war von vornherein schuld die unzulängliche Begründung des An 
trages. Denn ich muß sagen, solange ich in der Stadtverordneten 
versammlung bin, ist so schwach und für die prinzipielle Seite 
der Frage unzulänglich kaum je eit: Fraktionsantrag von sozial 
demokratischer Seite vertreten worden, wie dies heute geschah. 
(Unruhe bei den Sozialdemokraten.) 
Antragsteller Stadtverordneter Sassenbach (Schlußwort) r 
Meine Herren, ich kann es Ihnen nachfühlen, wenn Sie kein besonderes 
Vergnügen daran finden, noch weitere Redner in dieser Angelegenheit 
zu hören. Aber es ist unmöglich, auf das zu schweigen, was Herr 
Kollege Goldschmidt gesagt hat; Sie müssen mir schon gestatten, daß 
ich wenigstens einige Worte dagegen sage. Sie wissen, ich rede nicht 
allzu lange. 
Ich möchte sagen, daß Herr Kollege Goldschmidt durch seine Aus 
führungen diese sehr wichtige prinzipielle Diskussion über Tarifverträge 
zu einer ganz kleinlichen Orgauisatiouszänkerei gemacht hat, 
(sehr ivahr! bei den Sozialdemokraten) 
und das ist jedenfalls dem Gedanken, den ja auch Herr Kollege Gold 
schmidt vertreten will, dem Gedanken der Tarifverträge, nicht förder 
lich. Ich glaube, die heutige Diskussion hat nicht dazu beigetragen, 
den: Gedanken der Tarifverträge Freunde zu machen; die meisten Herren, 
die hier sind, werden sich über diese Diskussion freuen, weil sie einmal, 
die unangenehme Seite dieser Sache kennen gelernt habet:. 
(Sehr richtig!) 
Es tut mir bitter leid — ich habe früher wiederholt mit Herrn 
Kollegen Goldschmidt bei änderet: Gelegenheiten zusammen gearbeitet —, 
daß er in dieser Angelegenheit so ausgetreten ist. Wenn er sagt, er 
habe nicht den Behörden Material für ein Vorgehen gegen das 
Koalitionsrccht liefert: wollen, so kann Herr Kollege Goldschmidt davon 
überzeugt seit:, daß, weint einmal im Reichstage oder im Landtage 
darüber gesprochen wird, dam: seine Ausführungen hier in der Berliner 
Stadtverordnetenversammlung dort zitiert uttb genannt werden 
(sehr richtig!) 
— und da stimmet: mir selbst die Kollegen von Ihrer Seite zu, Herr 
Kollege Goldschmidt. Sie haben hier etwas getan, was Sie später 
jedenfalls bereuet: werden. Sie wissen, ich liebe nicht die großen Worte; 
aber Sie werden bereuen, lvas Sie hier gesagt haben. 
Ich möchte kurz auf einiges eingehen, was Herr Kollege Gold 
schmidt ausgeführt hat. 
Er hat zuerst unsere veränderte Stellung zu den Tarifverträgen 
berührt. Ja, das ist richtig; wir haben unsere Stellung zu den Tarif 
verträgen geändert; aber soviel ich weiß, als die Juden in Aghpteu 
die Pyramiden bauten, haben sie auch noch keilte Tarifverträge gehabt. 
(Unruhe.) 
Wir sind erst dazu gekommen, als die Möglichkeit dazu vorlag. Als 
in England Tarifverträge abgeschlossen wurden, wäret: bei uns die 
wirtschaftlichen Verhältnisse noch nicht so entwickelt, daß wir die Tarif- 
3
	        
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