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Volume No. 25, 26. September 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

dorf den Kommunalverwaltungen durch folgendes Rundschreiben an 
geraten hat. Er sagt darin: 
' Die fortgesetzte Steigerung der Mieten, insbesondere für die 
Miuderbemittelen, macht es den Gemeinden zur Pflicht, mit allen 
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln dieser Steigerung entgegenzu 
wirken. Ein wesentlicher Grund für diese dürfte vor allem die 
Belastung des Grundbesitzes sein. Kurzfristige Hypotheken zu hohen 
Zinsen und Spesen, Vermittler-, Verlängerungs-, Schätzungs- und 
andere Gebühren zwingen zur Mietssteigerung. Das Privatkapital, 
zum Teil vertreten durch die Banken, hat sich zur Zeit von Ge 
währungen auf Häuser au zweiter Stelle nach und nach zurückgezogen. 
Nach den Erfolgen von M.-Gladbach, Rheydt und dienst haben schon 
manche Städte die Beleihung von Häusern mit zweiten Hypotheken 
selbst in die Hand genommen. Meinerseits 
— sagt der Herr Regierungspräsident — 
habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn den Gemeinden die 
Aufnahme einer entsprechend hohen Anleihe mit geringer Tilgung, 
vielleicht iy t pCt., für solche Zwecke genehmigt wird. Die Ent 
schuldung des privaten Grundbesitzes ist das zu erstrebende Ziel. 
Der Hausbesitz must wieder kreditfähig werden und darf nicht stets 
vor der Gefahr der Zwangsversteigerung stehen. 
Gleichzeitig hat der Herr Regierungspräsident den Entwurf einer 
Satzung zur Beleihung von Häusern mitgeteilt, welche den Gemeinden 
zum Vorbild dienen kann. Ich stehe auf dem Standpunkt, dast auch 
Berlin für diese Angelegenheit etwas tun muß, und rufe dem Magistrat 
zu: Gehe hin und tue desgleichen! 
(Heiterkeit. Bravo!) 
Stadtverordneter Dove: Meine Herren, Sie werden vielleicht 
finden, daß von unserer Fraktion eine reichliche Anzahl spricht. Aber 
ich weiß nicht, ob alle die Herren sich hier als Vertreter unserer 
Fraktion betrachtet haben; denn unter anderem sagte Herr Kollege 
Landsberg: hier werden in der Regel ganz unbedeutende Sachen ver 
handelt, und dann müssen mir zuhören, und wenn mir mal etwas 
sagen wollen, dann machen Sie Spektakel. Mit diesen „wir" kann 
ich mich nicht für identisch erklären; 
: / ;! (Heiterkeit) 
denn ich finde, daß eigentlich alle Angelegenheiten, die hier behandelt 
werden, Angelegenheiten der Stadt Berlin sind und für uns das 
gleiche Interesse haben, und es nicht wohl möglich ist, das; sich einzelne 
Gpuppen hier als Vertreter eines bestimmten Erwerbsstandes oder 
sonst bestimmter Interessen betrachten. 
; . (Lebhafte Zustimmung.) 
lWas nun die Frage selbst betrifft, so ist der Standpunkt, den 
unsere Fraktion einnimmt, durch Herrn Kollegen Sonnenfeld und 
Herrn Kollegen Cassel dargelegt worden. Auch wir sind bereit, in 
dieser Studienkommission, wie Herr Dr. Arons meines Erachtens die 
Sache richtig bezeichnet hat, zu überlegen, was sich machen läßt. Auch 
ich habe,wenig Vertrauen, daß praktische Vorschläge dabei herauskommen 
werden; wir wollen aber zeigen, daß, wenn uns, insbesondere aus den 
Kreisen der Grundbesitzer selbst, vernünftige Vorschläge gemacht werden, 
wir unsere Mitwirkung nicht versagen wollen. 
.. Es fragt sich' aber eben, worin diese Mitwirkung bestehen soll, 
im. da liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem, was in der 
uns zugestellten Eingabe der Grundbesitzer ausdrücklich ausgeführt ist, 
und den heutige!;, (Ansfiihrungen, insbesondere auch des letzten Herrn 
Ppprcdners, Deistt dieser kommt dahin — und das hat mich veranlaßt, 
auch noch das,Wprt zu ergreifen —, daß er direkt die materielle Hilfe 
der, jStgds durch.. Hipgabe von zweiten Hypotheken oder sonstwie fordert. 
Ep ,verust,sich .stujhjdjp Fürsorge der Königlichen Staatsregierung und 
18®;. AuWistrpt, gehe hip, und tue desgleichen! Ja, es ist nicht das 
chZstchv,, Me Königlsche.Maatsregierung liebt es. wenn Mißstände 
aüstr-ctviiy.-.ut lagen: Uommnne. mach' du das! Es mag sich mit die 
FMlchteuprunG, um di^Archqstslvsenversicherung oder was sonst handeln, 
istjNtoKijzst. ech die KvipMlne, die nach Ansicht der Regierung etwas 
iijflchcit chtsisN' Kenn also dep Magistrat das Gleiche tut, so kaun er 
nstrZagßig: MsaaWegierung^lgeh'. du voran! Daß mir aber die Mittel 
aMriggen. stillten, hie nötig sein würde», um dem Grundbesitz auf- 
zstMgn,juH jhtlilöhne Wchsicht auf die Sicherheit der Anlage Hl)po=- 
thpMiWMt (ftiu; Interesse der Allgemeinheit der Steuer 
zahler durchaus zu verwerfen.- Tast das von vornherein klar wird, 
und daß nicht irrige Hoffnungen sich an die heutige Debatte knüpfen, 
das, glaube ich, ist auch ein Punkt,'dem wir mit aller Entschiedenheit 
Ausdruck geben müssen. Sonst, kommen nachher die Vorwürfe: „Ihr 
häbüMänstäls ö6.'ibt.BtimS'titm ‘'tottftet, und habt nichts getan!" Um 
dWMsKisst.rhchen/chäbe Wüäs Wöbt ergriffen. 
war/.' :::: * 3!i;fl , •. i: -r ,, % 
(Lebhafter Betfall.) 
_ : Meine Herren, im Namen der 
ÄtstiWWhrHaNke^ Ä'Hnelt für das freundliche Interesse, das Sie 
vM ästest Wisest sstnserem f Antrage .entgegenbringe». Ich freue mich, 
tsMs'ö^r stWundstMnkes des^ AnträgHssden Miß ständen, die sich hier 
gezW häbtzii, Anffiäk eritstlich näher zst treten und zu prüfen, ob es 
keine Mittel und Wege gibt, ihnen abzuhelfen, auf allen Seiten des 
Hauses, wenn auch mit einer gewissen Skepsis, Beifall gefunden hat. 
Herrn Kollegen Arons möchte ich speziell erwidern, daß wir in 
unseren Anträgen nichts zart anzudeuten pflegen. Wenn wir etwas 
wollen und meinen, sagen wir es auch und sagen es deutlich heraus. 
Dann möchte ich noch mit einigen Worten auf die Ausführungen 
des Herrn Kollegen Sonncnfeld eingehen. Herr Kollege Sonuenfeld 
hat in unseren Antrag etwas hineininterpretiert, was nicht darinnen 
liegt. Es fällt uns gar nicht ein, durch Hingabe städtischer Mittel 
oder durch städtische Einrichtungen Existenzen, die kredituuwürdig und 
nicht mehr zu halten sind, helfen zu wollen. Wir meinen überhaupt 
nicht — und das hat ja mein Freund Knauer in seinen Ein angs- 
Worten gesagt —, daß es sich hier utn eine Sache lediglich des Grund 
besitzes handelt, sondern daß hier wichtige Interessen der Gesamtheit 
der städtischen Bürgerschaft und des gesamten städtischen Wirtschafts 
lebens in Betracht kommen. Wir sind der Ueberzeugung, daß der 
Stoß, den der Grundbesitz erhält, von diesem weiter gegeben werden 
muß auf das Baugewerbe, daß er, wie es im Wirtschaftsleben geht 
— ein Keil treibt den anderen , auch alle anderen Gewerbe nach und 
nach trifft und sie mehr oder weniger in Mitleidenschaft zieht. Wir 
fürchten, daß der Ertrag unserer Steuern, wie er bereits gelitten hat, 
auch weiter darunter leiden wird, und wir fürchten schließlich, daß die 
Bautätigkeit und der Wohnungsmarkt und die teilweise berech igten 
Bestrebungen, die sich mit der'Wohnungsfrage verknüpfen, in erheb 
licher Weise dadurch geschädigt werden. Wie stark der städtische Etat 
und das städtische Finanzwesen durch diese Dinge belastet worden ist, 
zeigt wohl am besten die Tatsache, daß seit 1906 der Umsatz an 
Grundstücken in den vier Städten Berlin, Charlottenburg, Schöneberg 
und Wilmersdorf von ungefähr 950 Millionen auf 550 Millionen 
zurückgegangen ist — das ist ein Zurückgehen um 400 Millionen —, 
während wir bis zum Jahre 1906 eine steigende Erhöhung des Um 
satzes sehen können. Wenn Sie das rechnen, meine Herren, so haben 
die Städte an Umsatzsteuer allein 4 bis 5 Millionen verloren. Ein 
beinahe ebenso starker Verlust trifft den Staat an Stempelsteuer, und 
wenn Sie die Rcichsabgaben, die Gerichtskosten und die Wertzuwachs- 
steuer hinzurechnen, so können Sie aus diesem Zurückgehen seit 1906 
einen Verlust an Steuern von 15 Millionen finden. Wir glauben 
daher, daß es notwendig ist, auch im Interesse der städtischen Finanzen 
der Sache näher zu treten. 
Nun hat der Antrag des Herrn Kollegen Sonnenfeld im wesent 
lichen auch das getroffen, was wir meinen. Denn wenn er in feinem 
ersten Punkt der Kommission eine Aufgabe stellt, die mit dem Aus 
druck „Studienkommifsiou" bezeichnet ist, so sind ja selbstverständlich 
die Vorstudien in unserem Antrag einbegriffen. Und weiter, meine 
Herren, wenn Sie in dem Antrag die Selvsthilfe stark hervorheben, so 
haben wir das bei unserem Antrage nicht besonders ausgedrückt, da 
wir überhaupt vorläufig nur eine Beratung, eine Beschäftigung mit 
dem Gegenstände ins Auge fassen. Aber wir können uns mit Herrn 
Kollegen Sounenfeld einverstanden erklären, daß auch wir glauben, 
daß nur auf dem Wege der Selbsthilfe zu helfen ist. Ich glaube 
deshalb, daß wir den Antrag des Herrn Kollegen Sonnenfeld akzep 
tieren können, wenn mir auch unserem Antrag den Vorzug gegeben 
hätten, und ziehe im Auftrag der Antragsteller unseren Antrag zu 
gunsten des Antrages Sounenfeld zurück. 
Bezüglich der Mittel und Wege, die zu ergreifen sind, möchte ich 
besonders' daraus hinweisen, daß wir die gemischte Deputation, die 
eingesetzt wird, speziell bitten, sich auch einmal eingehend mit den 
Verhältnissen des städtischen Psandbriefaintes zu beschäftigen. Es 
dürfte möglich sein, daß die wesentlichen Grundlagen des städtischen 
Pfandbriefamtes, die aus dem Jahre 1862 stammen, doch in irgend 
einer Weise modernisiert werden, beispielsweise da, wo die Bedenken, 
die von anderer Seite ausgesprochen sind, nicht geteilt sind, durch eine 
Erhöhung der Beleihungsgrenze, so daß sich der Wirkungskreis des 
Pfandbriefamtes wesentlich erweitern könnte. Die Beleihung durch 
Pfandbriefe ist durch die ungemein niedrige Beleihuugsgrenze jetzt für 
vieleDarlehnssucher ausgeschlossen; das Privatkapital geht aber bekanntlich 
sehr gern in zweite Stellen hinter Pfandbriefen. Ist es daher möglich, 
daß die sogenannte erste Stelle durch Berliner Pfandbriefe höher 
beliehen wird, so ist zu hoffen, daß die weiteren Beleihungen vielfach 
leichter erfolgen können. 
Ich danke Ihnen, meine Herren, nochmals für das Interesse, das 
Sie unserem Antrage entgegengebracht haben, und bitte Sie, den Alt 
trag aus Einsetzung einer' gemischten Deputation anzunehmen. 
Vorsteher Michelet: Der Antrag Knauer-Jmherg ist zurück 
gezogen; wir haben es also nur mit dem Antrage Sonnnenfeld zu tun. 
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage der Stadtverord 
neten Sonnenfeld und Genossen, wie folgt: 
Die Versammlung ersucht den Magistrat, mit ihr in gemischter 
Deputation, bestehend aus 10 Stadtverordneten und 5 Magistrats 
mitgliedern zu beraten: 
a) welches die Gründe der schwierigen Verhältnisse auf dem Real 
kreditmarkt hiersclbst sind, 
b) ob und bejahendenfalls, wie die Stadtgemeinde Bestrebungen, auf 
dem Boden der Selbsthilfe Abhilfe zn schaffen, fördern kann.)
	        
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