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Volume No. 22, 27. Juni 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

durch wird das Schiedsgericht zu einer reinen Farce. Der Präsident 
der Eisenbahndirektion Stettin oder der Präsident der Behörde, die 
mit uns kontrahiert und den Obmann stellt, beide stehen unter dem 
selben Herrn Minister, der, wie wir hören, diese Fassung verlangt, 
die auf nichts anderes abzielen kann, als das; die Gestaltung des 
Schiedsgerichtes in seiner Mehrheit von der Behörde oder dem der 
Behörde vorgesetzten Minister abhängt. Man wird nicht annehmen, 
daß die Eisenbahndirektion Stettin etwaigen Forderungen des Ministers 
Widerspruch entgegensetzen wird. Deshalb haben meine Freunde diese 
Bestimmung für nicht erträglich erachtet, und wir wollten eigentlich 
beantragen, daß statt des Präsidenten der Königlichen Eisenbahndirektion 
Stettin der Landgerichtspräsident des Landgerichts Berlin I als der 
jenige eingesetzt wird, der den Obmann bestellen soll: das geschieht in 
sehr vielen Fällen von Schiedsgerichtsverträgen, und die Präsidenten 
der Landgerichte wissen dann die geeigneten Männer für eine solche 
Stelle nach Erkundigungen herauszufinden. 
Nun ist von seiten des Magistrats mitgeteilt worden, daß seitens 
der Staatsregieruug erklärt worden ist, das; eine Aussicht aus Aenderung 
nicht vorhanden ist, sondern daß unbedingt auf Annahme der Schieds 
gerichtsklausel in der vorgeschlagenen Weise bestanden wird. 
(Hört, hört!) 
Meine Herren, nur mit äußerstem Univillen, Verdruß und Bitter 
keit werden wir uns dieser Bedingung fügen, weil schließlich ein vitales 
Interesse der Stadt Berlin vorliegt, daß der Osthafen gefördert und 
der Anschluß endlich erreicht wird. Wir wollen aber konstatieren, das; 
wir dabei nur dem Umstande Rechnung tragen, das; mir uns in einer 
Notlage befinden, die man von der anderen Seite auszunutzen scheint. 
Wir brauchen den Hafen und dessen Verwendung, und wir wollen 
hoste.>, das; uns ans dieser Bestimmung nicht übermäßige Nachteile 
entstehen werden. Wir müssen aber vor dem ganzen Lande betonen, 
daß man mit d:. Annahme dieses Vertrages, während man sonst von 
sehr hoher Stelle Worte der Anerkennung für die Selbstverwaltung 
hat, der Selbstverwaltung zumutet, gewissermaßen durch ein eaudinisches 
Joch zu gehen. 
Es ist daher sehr schwer, in dieser Sache die Entscheidung zu 
treffen. Wenn wir aber überlegen, daß wir schließlich nicht immerfort 
garnichts durchsetzen wollen, das; wir notwendige Verbesserungen des 
Verkehrs einmal verlangen müssen, können wir uns nicht entschließen, 
aus diesem Grunde die Vorlage abzulehnen, um nicht die Eröffnung 
des Hafens ad Kalendas graecas zu verschieben. Ter Oeffentlichkeit 
gegenüber wollen wir aber betonen, daß, wenn soviel davon die Rede 
ist, daß mir Forderungen des Verkehrs nicht erreicht haben, es daran 
liegt, daß man der Hauptstadt Betlin im Widerspruch mit den feier 
lichen Erklärungen, die so oft abgegeben werden, in der geschilderten 
Weise entgegentritt. Wir wollen uns den Vorfall merken und auch 
Veranlassung nehmen, an anderer Stelle vorzutragen, was man uns 
hier ansinnt. 
Ich erkläre, daß, wenn mir uns entschließen, dafür zu stimmen, 
es nur geschieht, weil wir uns in einer Notlage befinden, und weil 
wir die Bevölkerung nicht unter der Abweisung solcher Zumutungen 
leiden lassen wollen. Wir müssen aber der Hoffnung Ausdruck geben, 
daß in Zukunft mehr Einklang herrschen wird zwischen den Aner 
kennungen der Selbstverwaltung, die man in der Oeffentlichkeit aus 
spricht, und den Taten der Regierung, die sich in solcher Weise zeigen, 
wie wir es aus dieser Vorlage ersehen. 
(Lebhafter Beifall.) 
Stadtverordneter Leid: Auch meine Freunde haben mich be 
auftragt, entschiedenen Protest gegen die Zumutung der Eisenbahnver 
waltung einzulegen, in der mir geradezu eine Ungeheuerlichkeit sehen. 
Meine Sperren, die Eisenbahnverwaltung hätte es viel leichter als wir 
gehabt, zu erklären: wir sollen ein Schiedsgericht bilde», — und zwar 
insofern, als sie ganz offen gesagt hätte: wenn Berlin und die Eiscn- 
bahuverwaltung in Streit kommen, dann entscheidet einfach die Eisen 
bahnverwaltung. Das wäre klipp und klar der Sachverhalt, wie er 
sich aus der uns vorgelegten Formel ergibt. Nun beruft sich zwar 
die Eisenbahnverwaltung darauf: das ist der Vertrag, den wir mit 
allen Gemeinden schließen. Um so schlimmer ist das. Aber ganz recht 
hat die Eisenbahnverwaltung nicht, soweit Berlin in Frage kommt. 
Wir könnten uns eigentlich darauf berufen, das; beim Abschluß des 
Vertrages über unsere Putlitzbrücke die Eisenbahnverwaltung uns einige 
Konzessionen gemacht hat, und daß es garnicht einzusehen ist, warum 
sie in dein vorliegenden Falle davon abgewichen ist. Es bleibt also 
dabei, daß diese Vorlage, der wir ja heute zustimmen, allerdings eine 
Ungeheuerlichkeit darstellt, gegen die wir mit aller Schärfe Protest 
einlegen. 
Meine Herren, nun hat Herr Kollege Cassel, dem ich mich an 
schließe, gesagt: wenn wir heute in unserer Entscheidung frei wären, 
ivürden wir die schärfste Form der Ablehnung finden, indem wir, ohne 
ein Wort zu sagen, die Vorlage schlank ablehnen würden. Leider sind 
wir nicht frei, und das benutzt die Eisenbahnverwaltung, uns hier ihre 
Bedingung zu diktieren. Meine Herren, auch meine Freunde erkennen 
die Zwangslage an und wollen nicht dazu beitragen, daß unsere große 
Unternehmung, der Hafen, noch weiter hinausgeschoben wird. Würden 
wir es ablehnen, so ivürden Verhandlungen nötig sein, die uns erheb 
liche Kosten verursachen würden. Ans diesem Grunde können wir 
zwar nicht von einer Zustimmung reden, sondern müssen die Sache so 
schlucke», wie sie uns vorgelegt wird. Das ist die Veranlassung, so 
zu verfahren, wie mein Herr Vorredner schon dargelegt hat. 
) 
Stadtrat Dr. Franz: Es ist dein Magistrat ebenfalls sehr 
schwer geworden, diese Schiedsgerichtsklausel anzunehmen und Ihnen 
die heutige Vorlage zu machen. Aber der Versuch, den wir gemach 
haben, diese Klausel hinauszubringen, ist gescheitert. Es handelt sich 
darum, daß der Minister der öffentlichen Arbeiten einen Erlaß für 
die ganze preußische Monarchie gemacht hat, in dem es heißt, daß in 
alle Verträge mit Gemeinden, die einen solchen Inhalt haben wie der 
vorliegende, diese Schiedsgerichtsklausel in genau dieser Form aufge 
nommen werden soll. Selbstverständlich ist nunmehr nicht die Mög 
lichkeit gewesen, in dem einzelnen Fall für Berlin eine Ausnahme 
hiervon zu machen. Also der Versuch, den mir. gemacht haben, ist 
mißlungen. Andererseits ist es sehr erwünscht, daß wir mit dem Ost 
hafen vorwärts kommen, und es wäre sehr schade, wenn durch eine 
Ablehnung der Bauvertrag und damit der Bau dieser Anlage weit 
hinausgeschoben würden. Ich habe noch einen kleinen, schwachen Trost; 
das ist nämlich der, daß wir nach den Erfahrungen, die wir bisher 
mit der Eisenbahnverwaltung gemacht haben, hoffen dürfen, das; die 
Schiedsgerichtsklausel nicht zur Anwendung kommen wird. 
Stadtverordneter Rosenow: Was den Trost betrifft, den der 
.Herr Stadtrat gegeben hat, — ans die Brücke trete ich nicht gern. 
Denn wenn wir mit dem Fiskus, auch mit dem Eisenbahnfiskus, 
Geschäfte abzuwickeln haben, sind wir immer die Leidtragenden 
gewesen. 
Auch meine Freunde sind in helle Empörung geraten über die 
Zumutung, die uns von seiten der Eisenbahnverwaltung und indirekt 
vom Magistrat gemacht wird, daß wir eine solche Schiedsgerichts 
klausel annehmen sollen. Meine Herren, beide Parteien wählen je 
einen Schiedsmann, also die Eisenbahn ihren Mann. Dieser eine 
Mann hat es in der Hand, sich in jedem einzelnen Falle mit dem 
anderen nicht zu einigen und dadurch zu erwirken, daß der Obmann 
durch den Eisenbahndirektionspräsidenten in Stettin gewählt wird. Ich 
glaube, Herr Kollege Leid hat ganz recht: wir sind der Eisenbahn- 
verwaltung mit Haut und Haaren ausgeliefert. Jedenfalls stellt sie 
die Mehrheit des Schiedsgerichts. 
Wenn der Herr Minister sagt: mit allen Gemeinden wird so ab 
geschlossen, — so kann das auch kein Trost sein. Seit Jahren wird 
wegen des Eisenbahnanschlusses mit der Eisenbahnverwaltung ver 
handelt, und jetzt im letzten Augenblick, da der Vertrag geschlossen 
werden soll, kommt man uns mit einer solchen Bedingung, bei der 
wir uns in einer Notlage befinden, wie schon betont ist; eine Notlage 
wird mit einer Klausel ausgenutzt, die man im bürgerlichen Leben anders 
bezeichnet. Wir können nicht anders als diese Vorlage annehmen, 
und ich muß sagen: es wäre gut, wenn die Oeffentlichkeit und unsere 
Bürgerschaft Kenntnis davon nähme, wie die Stadt Berlin behandelt 
wird, wie in einer Weise, die geradezu schimpflich ist, mit uns um 
gegangen wird, wie die Eisenbahnverwaltung, nachdem mir große 
Mittel zu Nutz und Frommen der ganzen Stadt nicht nur, sondern 
des ganzen Landes für Hasenanlagen usw. aufgewendet haben, mit 
uns umspringt, wenn wir Eisenbahnanschlüsse haben wollen. Es kaun 
nicht scharf genug unterstrichen werden, wie die Königlich Preußische 
Staatseisenbahnverwaltnng hier mit uns umgeht. 
Meine Herren, wir können auch nicht anders Stellung nehmen, 
als wie die Herren Vorredner gesagt haben. Der Osthafen naht sich 
seiner Vollendung. Wir würden das Schauspiel erleben müssen — 
vielleicht wäre cs nicht übel, den Minister vor diese Frage zustellen—, 
daß der Hasen fix und fertig ist, daß er aber wegen der schlechten 
Behandlung der Stadt Berlin nicht eröffnet werden kann. Aber mir 
wollen keine Bosheitspolitik treiben, sondern den Hafen fertiggestellt 
sehen. Deswegen nehmen luir leider die Vorlage an. 
Stadtverordneter .Körte: Meine Herren, ich ivill blos; keinen 
Zweifel daran bestehen lassen, daß meine Freunde und ich ebenso empört 
smd über diese Verfügung, welche gradczu einen .Hohn aus das Schieds 
gerichtsverfahren bedeutet. Ich möchte aber an den Magistrat die Bitte 
richten, daß er, da es sich mit eine Verfügung handelt, die nicht nur 
Berlin, sondern alle preußischen Städte angeht, den preußischen Städte 
tag veranlassen möge, gegen diese wirklich unbegreifliche Verfügung 
Sturm zu laufen und in Gemeinschaft mit den anderen großen Städten 
zu sehen, daß in diese Verfügung Bresche gelegt wird. 
(Sehr gut! Bravo!) 
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage des Magistrats, 
wie folgt: 
Die Versammlung stimmt der int § 8 des Entwurfs zum Bau 
verträge mit der Königlichen Eisenbahndirektion über die Herstellung 
eines Anschlußgleises von der Berliner Ringbahn nach dem städtischen 
Osthafeu enthaltenen Schiedsgerichtsklausel zu.) j
	        
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