Path:
Volume No. 11, 21. März 1912

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue39.1912 (Public Domain)

149 
vor einiger Zeit einmal eine Versammlung ausgelöst wurde, in der 
du Vortrag über den Dickster Schubert gehalten werden sollte — 
das scheint nicht gerade ein politisches Thema zu sein —, da wurden 
-die jungen Leute zur Wache gebracht. Es war dann ein Polizei- 
icutnant, der auf der Wache einem jungen Manne zurief: „Soalt’S 
Maul, grüner Lümmel!" 
(Hört, Hort!) 
Las ist eine Aeußerung eines Polizeileutnants. Wenn immer gesagt 
n irb, es seien gar nicht die Offiziere, es seien nur die untergeordneten, 
Organe der Schutzmannschaft, die sich Beleidigungen zuschulden 
iotmnen lassen, so beweist dieser Fall, das; das Gegenteil richtig ist. 
Der Leutnant ist vor Gericht wegen Beleidigung mit 20 M Geldstrafe 
belegt worden. 
Auch sonst beschäftigt sich die Polizei mit den Versammlungen 
von Jugendlichen. Bei einer ähnlichen Veranlassung wurden 24 
junge Leute unter 18 Jahren, bei einer anderen Gelegenheit 12 
(jugendliche, die einen wissenschaftlichen Vortrag anhören wollten- zur 
Wache sistiert. Sie wurden angeklagt, mußten aber alle freigesprochen 
werben, weil sich herausstellte, daß sie nicht das geringste Strafbare 
begangen hatten. 
(Hört, hört!) 
Ebenso unberechtigt ist das Vorgehen der Polizei gegen den 
Jiigendausschuß, den die Berliner Arbeiterschaft eingesetzt hat, um 
bildende und belehrende Vorträge für die jugendlichen Arbeiter zu 
veranstalte». Wir sehen auf der einen Seite, wie unsre Behörden 
nicht Geld genug bewilligen können, um angeblich neutral gehaltene 
bildende Veranstaltungen für die Arbeiterjugend zu betreiben; ans 
der andern Seite sehen ivir, daß dieselben Behörden, die auf der 
einen Seite der arbeitenden Jugend Zuckerbrot hinreichen, durch 
polizeiliche Auslösungen und Verfolgungen dieselbe Arbeiterjugend 
bei ihren Bildungsbestrebungen stören. Dieser» Jugendausschuß, den 
man verfolgt hat, ist nichts andres nachgewiesen worden, als daß aus 
einen, Parteitag der sozialdemokratischen Partei ein Beschluß gefaßt 
norden ist, dahingehend, daß Kommissionen der erwachsenen Arbeiter 
schaft -gebildet werden sollen, die die Einrichtung solcher Veranstal 
tungen veranlassen. Man hat gesagt: es muß notwendig Politik sein, 
was dieser Jugendansschnß treibt. Dabei besteht der Jugendausschuß- 
jetzt mehrere Jahre, und man hat nicht eine einzige Versammlung des 
Jugendausschusses nachweisen können, die politisch gewesen ist. Ganz 
ähnlich ist das Verhalten, das die Polizei in der letzten Zeit gegen 
den 'Verein Jugendheim entwickelt hat. Diesem Verein gehören in 
der Hauptsache Arbeiter an, und er hat einzig und allein den Zweck, 
Jugendheime zu gründen, den jugendlichen Arbeitern Räume zur 
Verfügung zu stellen, >vv sie nicht den Gefahren des Alkohols aus 
gesetzt sind, >vo sie vor den Gefahren der Straße geschützt sind. Auch 
da wiederum zeigt es sich, daß, während dieselben Jugendheime von 
der Regierung gefordert, von allen möglichen Behörden und Vereinen 
unterstützt werden, da, wo die Arbeiterschaft genau dasselbe macht, die 
Polizei eingreift und die Arbeit in den Jugendheimen zu stören 
versucht. 
Und nun, verehrte Anwesende, hat ja weiter auch die Polizei eine 
Tätigkeit entfaltet, die ich als direkt ungesetzlich bezeichnen muß. 
Sie werden sich erinnern, daß sich die hohe Versammlung vor einigen 
Jahren schon einmal mit der Behandlung beschäftigt hat, die die 
Turnvereine durch die Polizei erfahren. Damals hat die Polizei 
verlangt, daß nur diejenigen mit den jugendlichen Turnern turnen 
dürfen, die einen Unterrichtserlaubnisschein haben, und es ist damals 
nn „Vorwärts" aufgefordert worden, diese Verfügjung der Behörden zu 
übertreten. Gegen den Vorwärtsredakteur wurde Anklage erhoben, 
und das Reichsgericht hat in höchster Instanz ausgesprochen, daß es 
eines Unterrichtserlaubnisscheines in den Fällen gar nicht bedarf, 
wo es sich nicht um Unterricht handelt, und >vo es sich um Schulent 
lassene handelt. Trotz dieses klaren Erkenntnisses des Reichsgerichts 
scheut sich die Polizei .gar nicht, den klaren Rechtsboden, den das 
Reichsgericht geschaffen hat, zu verlassen und nach wie vor die Jugend- 
vcranstaltnngcn der Arbeiterschaft auf Grund alter und vom Reichs 
gericht für nicht anwendbar erklärter Verordnungen von 1834 und 
1839 zu hindern. Meine Herren, es hat auch einmal der Kollege 
. Hoffman», der unsrer Versammlung angehört, einen unpolitischen 
Vortrag bei den Jugendlichen halten wollen; da hat der Polizei 
Präsident, korrekt, wie er ist, einen Polizeibeamten zu dem Kollegen 
Hosfmann geschickt und ihn fragen lassen, ob er auch einen Unterrichts 
erlaubnisschcin besitze. Darauf hat Herr Kollege Hoffman» ge 
antwortet, daß er prinzipiell nur ans schriftliche Anfragen schriftliche 
Auskunft gibt. Die schriftliche Anfrage ist dann unterblieben; der 
Polizeipräsident hat aber auch dem Kollegen Hosfmann untersagt, 
einen Vortrag bei den Jugendlichen zu halten. 
Der Polizeipräsident hat auch in einem anderen Falle, als ein 
Vortrag über Land und Leute in Nordafrika gehalten werden sollte, 
sogar dem Wirt untersagt, die Jugendlichen bei sich aufzunehmen und 
einen Vortrag über Land und Leute in Nordafrika zu hören. Soweit 
geht das Vorgehen des Polizeipräsidenten. Die preußische Untcrrichts 
vcrwaltung, die diese Dinge anordnet, setzt sich einfach über das 
höchste deutsche Gericht hinweg, und während wir sonst sehen, daß man 
uns Vorwürfe macht, wenn wir Urteile höchster Gerichte kritisieren, sehen 
ivir in diesem Falle/' daß es die preußische Unterrichtsverwaltung ist, 
die einfach hinweggeht über die Autorität" des Reichsgerichts und 
tut, was sie ivill, obgleich dieses Verhalten ungesetzlich ist. 
Wir machen auch dem Herrn Polizeipräsidenten einen Vorwurf 
aus diesem Verhalten. Allerdings ist hier der Polizeipräsident nur 
das ausführende Organ der Königlichen Regierung zu Potsdam; aber 
auch der Polizeipräsident darf unsrer Meinung nach nichts Ungesetz 
liches tun und müßte sich deshalb weigern, eine solche ungesetzliche 
Maßnahme, die ihm die Regierung in Potsdam ansinnt, auszuführen. 
Wir haben aber davon bisher nichts gehört. Wir sehen vielmehr, 
daß die Nachstellungen der Arbeiterjugendbewegung in dieser Weise 
fort und fort ausgeübt werden, und wir müssen hier , gegen dieses 
Verhalten der Polizeiverwaltuug Widerspruch erheben. 
Meine Herren, ein andrer Punkt, der immer wieder zu Klagen 
schärfster Art Anlaß gibt, ist, daß die Polizei sich nicht enthalten 
kann, sich des Dienstes von Polizeivigilanten allerschlimmster Art 
zu bedienen. Erst bor wenigen Tagen war aus einer Verhandlung 
vor Gericht ersichtlich, daß die Polizei einen Vigilanten beschäftigte, 
der bereits zweimal wegen Diebstahls mit 1 Jahr 9 Monaten vor 
bestraft war, der eben erst ans der Strafanstalt entlassen ivar. Meine 
Herren, solche Personen sind die Vertrauensmänner unsrer Polizei; 
das find die Vertrauensmänner, die Angaben machen müssen, auf 
Grund deren Anklagen erhoben werden. Wie leicht es überhaupt 
kommen kann, daß Anklagen gegen Personen erhoben werden, die 
nicht das geringste getan haben, das haben wir gerade in der letzten 
Zeit sehr häufig sehen können, wenn unschuldige Leute plötzlich ver 
haftet wurden, weil sie ans irgendwelchen Gründen in den Verdacht 
gerieten, irgendeinen Raubmord begangen zu haben. Solche Miß 
griffe find gerade in letzter Zeit häufig vorgekommen. Ich erinnere 
Sie an den Raubmord an der Schlächtersrau Nickel in Lichtenberg. 
Mit diesem wurde der Gewerkschaftsbeamte Schabet in Verbindung 
gebracht; er geriet in den Verdacht, der Mörder zu sein, und wurde 
verhaftet; es erschienen bann Preßnotizen, in denen behauptet wurde, 
der Alibibeweis des Verhafteten fei mißglückt, und in denen hinaus 
posaunt wurde in alle Welt, daß der Verbrecher gefaßt und entlarvt 
sei. Kurz darauf wurde der Mann aus der Untersuchungshaft ent 
lassen: es hatte sich herausgestellt, daß er ganz unschuldig war. 
Ganz ähnlich war es bei dem Raubmord an der Frau Hoffman» 
in der Blumenthasstraße. Es wurde ein Sattler Mielkc verhaftet 
und ein Krankenpfleger Griehl; in beiden Fällen hat die Polizei 
in Preßnotizen hinausposaunt, sie habe den Mörder, er sei voll 
kommen überführt, es sei kein Zweifel mehr. Und dann hörte man, 
daß diese damals Verhafteten eines Tages einfach aus der Unter 
suchungshaft entlassen wurden, weil sich herausstellte, daß nicht der 
geringste Grund vorlag, diese Leute in Untersuchung zu nehmen. 
Was bei diesen Dingen noch besonders der Kritik bedarf, das 
ist die 'Art der Prefseorientiernng, deren sich die Polizei bedient. Meine 
Herren, Sie dürfen nicht vergessen, daß auch unschuldige und unbe 
scholtene Menschen sehr leicht in Verdacht kommen können und ver 
haftet werden können, weil sie irgendwie verdächtig erscheinen. Der 
Gewerkschaftsbeamte Schabet, den ich erwähnte, ein völlig unbe 
scholtener Mann, der niemals das geringste Vergehen begangen hat, 
wurde so behandelt, und ebenso geschah es dem unbescholtenen, beinahe 
60 jährigen Krankenwärter Griehl. In diesem Falle wurde das 
Verfahren sogar auf Antrag des Staatsanwalts eingestellt. Gegen 
diese Art der Presseorientierung möchte ich in erster Linie an die an 
ständige Presse — der Vorwärts befolgt sie längst ----- die Bitte richten, 
solche Notizen nicht aufzunehmen, sondern in den Papierkorb zu 
werfen. 
Dann möchte ich protestieren gegen die Pressekampagne, durch die 
seitens der Kriminalpolizei unschuldige Menschen verdächtigt werden. 
Ich erwähne den Fall, daß ein Polizeiagent, der bereits wiederholt 
vorbestraft ist, doch von der Polizei verwandt wird, und ich füge 
hinzu, daß die Polizei sich auch heute noch der Spitzel bedient im 
Kampfe gegen politische Parteien. Erst ganz kürzlich ist festgestellt 
worden, daß ein Polizeiagent mit dem angenommenen Namen Eduard 
Reimann, mit dem wirklichen Namen Georg Prawitz, 5 Jahre lang 
an der Expedition der Zeitung „Der Revolutionär" mitgewirkt und 
für die Verbreitung dieser anarchistischen Zeitung Beiträge gespendet 
hat; nachdem er sich 5 Jahre als Anarchist aufgespielt hat, hat sich 
herausgestellt, daß er nichts andres ist als ein Polizeiagent. Wenn 
Sie Zweifel haben, ob das richtig ist, so kann ich die Photograph» 
des Mannes auf den Tisch des Hauses niederlegen. 
(Geschieht. — Zuruf.) 
— „Ein ganz netter Kerl", höre ich sagen. Gewiß, die dümmsten 
Leute benutzt die Polizei hierzu nicht. Es ist aber doch unerhört, 
daß auf diese Weife die Polizei ihre Beamten in den Dienst einer 
politischen Bewegung, der sozialdemokratische» oder der anarchistischen, 
stellt. Wir haben nichts dagegen, wenn wir aus den Kreisen bei 
Polizei Unterstützung bekommen; aber daß dies eine Korruption 
allerschlimmster Art ist, das wird doch niemand von Ihnen be 
streiten können. 
Alle diese Mißstände veranlassen uns, gegen die ganze Art, wie
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.