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Volume No. 34, 16. November 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

18, sondern 19 m breit werden. Die Schlußfolgerung liegt doch auf 
der Hand, daß diese Verbreiterung den Bedürfnissen entsprechen wird, 
nachdem die beiden Engpässe von 12 m beseitigt sind. 
(Sehr richtig!) 
Herr Kollege Schulz spricht immer von einer großzügigen Ver 
kehrspolitik. Läßt sich denn die großzügige Verkehrspolitik nur mit 
dem Metermaß messen? 
(Ja!) 
— Nein! Da muß noch gar manches andere hinzukommen. Wenn 
der Herr Kollege Schulz das Metermaß an die Leipziger Straße an 
legt und dann die Prenzlauer Straße damit vergleicht, so sind das 
doch ganz verschiedene Dinge. 
(Widerspruch.) 
— Sie haben die Leipziger Straße genannt. Wir müssen doch berück 
sichtigen, daß die Leipziger Straße gar keine Parallelstraßen hat, um 
den Verkehr zu verteilen, 
(lebhafter Widerspruch) 
und es wird hier immer außer Acht gelassen, daß eine Parallelstraße 
der weit weniger belebten Prenzlauer Straße die auf 24 m zu ver 
breiternde Neue Königstraße ist. Diese Neue Königstraße nimmt den 
stärksten Verkehr von Weißensee auf, wird ihn in alle Zukunft vor- 
pgsweise aufnehmen. Der Hauptverkehr nach der Peripherie ist ja 
er mit Weißensee und wird es immer bleiben, und der Verkehr nach 
Pankow und weiter geht nicht ausschließlich durch die Prenzlauer 
Straße, er wird auch durch die Weidinger- und Kaiser Wilhelmstraße 
abgelenkt. 
Meine Herren, ich kann schließen: wer die Zukunft der Prenzlauer 
Straße im Auge hat, wer der Prenzlauer Straße wohl will, der 
suche das zu verwirklichen, was momentan zu verwirklichen ist. Der 
Magistrat wird unserm Beschlusse von 24 m nicht beitreten; also 
müssen wir, wenn wir die Zustände in der Prenzlauer Straße bessern 
wollen, das beschließen, was zu erreichen ist: 19 m. Die 1 1 / 2 Millionen 
unnötiger Mehrkosten können wir für dringendere Aufgaben besser 
verwenden. 
(Beifall und Widerspruch.) 
Stadtverordneter Werner: Meine Herren, die Mehrzahl 
meiner in der heutigen Fraktionssitzung anwesenden Freunde hat 
beschlossen, sich dem Magistratsantrag anzuschließen. 
Als Bewohner Berlins kennen wir den Alexanderplatz mit allen 
Zufahrtsstraßen. Ein Grund, der mir zunächst gegen die übermäßige 
Verbreiterung der Prenzlauer Straße zu sprechen scheint, ist der: 
als im das Scheunenviertel niederlegten, hatten wir die Absicht, 
den Verkehr von der Prenzlauer Straße nach der Kaiser 
Wilhelmstraße abzulenken, und wir haben mit vielen Kosten diese 
und die Weydingerstraße angelegt. Nun ist dieses Projekt noch nicht 
durchgeführt; da wollen wir den Verkehr wieder unterbinden, den 
starken Verkehr nach dem Alexanderplatz noch verstärken und die 
Absicht, ihn nach der Kaiser Wilhelmstraße abzulenken, vereiteln. 
Das kann doch Ihr Wille nicht sein!. Wir haben das Geld für einen 
bestimmten Zweck ausgegeben und sollen jetzt ngues Geld ausgeben, 
um diesen Zweck zu vereiteln. 
Dann ist von den Interessenten gesprochen worden. Es kommt 
doch darauf an, wie man den Interessenten die Sache vorträgt. Die 
Interessenten denken immer, uns hingen noch wie in den Jahren 
1895 bis 1900 die Tausendmarkscheine aus den Taschen. Wenn 
wir bedenken, daß wir im Jahre 1904 350 Millionen Anleihe gehabt 
haben, und daß wir nach Begebung der jetzigen Anleihe 800 Millionen 
Schulden haben werden, so muß man fragen: wo soll diese Pro 
gression hinführen? Ich habe mir erlaubt, im Anleihcausschuß 
auszuführen, daß, wenn wir die Anleihe, die wir heute beschlossen 
haben, ausgegeben haben, die Einkommensteuer, sofern wir das 
Bedürfnis der heutigen Anleihe gleichmäßig auf Grund-, Einkommen» 
und Gewerbesteuer verteilen, allein um 12*/» pCt. steigen wird. 
Ich möchte dabei wegen der anderen Steuern vorausschicken, 
daß die heutige Anleihe allein zur Verzinsung und Tilgung 18 Milli 
onen in Anspruch nimmt, 4 pCt. für Verzinsung, 2 pCt. zur Til 
gung. Von diesen 18 Millionen ist uns berechnet worden, daß 
wahrscheinlich 6 Millionen aus werbenden Anlagen gedeckt werden, 
so daß 12 durch die Steuern aufzubringen sind. Was heißt das 
nun: aus den Steuern aufbringen? Sie wünschen doch alle nicht 
die Einkommensteuer zu erhöhen, weil dann die Wohlhabenden ab 
ziehen; auch die Gewerbesteuer nicht, weil dann die Gewerbetreibenden 
abziehen. Was bleibt dann übrig? Dann bleibt uns nur übrig, alles 
auf die Grundsteuer zu werfen, und ist spreche ein offenes Geheimnis 
aus, wenn ich konstatiere, daß der Grundbesitz heute schon 26 pCt. 
zuviel Grundsteuer bezahlt. Nehmen Sie aber an, es ließe sich 
vermeiden, den Grundbesitz weiter einseitig zu belasten, dann würde 
doch bei einer gleichmäßigen Verteilung der 12 Millionen die Ein 
kommensteuer sich von 100 auf 112 pCt., die Gewerbesteuer sich 
auf 193 pCt. und die Grundsteuer sich auf denselben Prozentsatz er 
höhen. Dabei ist nicht gedacht an die Höhe der laufenden Ausgaben, 
die wir in den nächsten Jahren haben werden. Wir haben für 
Schulen, Fortbildungsschulen für Mädchen, für die Verlegung eines 
Realgymnasiums, wir haben ferner für die Krankenhäuser, für ein 
Krankenhaus für Rekonvaleszenten, für die Aussteuer der Feuerwehr 
mit Automobilen usw. in diesen Jahren überall neue Mittel ein 
zustellen und nicht nur aus Anleihen, sondern aus dem ordentlichen 
Etat zu decken. Als ich diese Aussichten einigen Herren auf dem 
Gesundbrunnen darstellte, die eigentlich Untergrundbahnschwärmer sein 
sollten, da behaupteten sie, das seien sie gar nicht, sie wollten gar 
nicht nach Rixdorf fahren, sie wollten nach Berlin. Wenn man 
ihnen eine Reihe von Straßenbahnen verlängerte, so würden die Be 
wohner des Gesundbrunnens sehr zufrieden sein, und wenn sie 
die Bornholmer Straßenbrücke nach dem Osten bekämen, dann seien 
sie für eine Reihe von Jahren vollkommen zufrieden. Es kommt 
eben alles darauf an, wie wir die Sache den Interessenten vortragen. 
Tragen wir den Interessenten vor: wir bauen eine schöne breite 
Straße, und ihr braucht sie nicht zu bezahlen —, dann sagen die Inter 
essenten: ja, wir sind sehr vergnügt darüber. Sagen wir ihnen aber: 
das kostet Geld, und das müßt ihr aus eurer Tasche bezahlen —, 
dann stellen sie sich dazu ganz anders. Relativ sind wir nach Unter 
bringung der heutigen Anleihe so hoch verschuldet wie Paris, relativ 
verschuldeter als London, und wir sehen höhere Rekordzisfern an 
Verschuldung nur in Amerika, wo doch offensichtlich unterschlagen 
und gestohlen wird. 
(Heiterkeit.) 
Jeder Fachmann muß doch sagen: in eine derartige Schuldenkon 
kurrenz wollen wir nicht eintreten. Sie finden in der-Literatur schon 
Anzeichen, daß auch die Staatsbehörde intervenieren wird wegen 
der großen Konkurrenz, welche die Stadtanleihen den Staatsanleihen 
machen. Es werden vielleicht Maßregeln getroffen werden, die die 
Anleihen für die industriellen Unternehmungen der Städte ein 
schränken. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß das, was der 
Magistrat in seiner Vorlage vorgeschlagen hat, vollkommen richtig ist 
und den Bedürfnissen genügt, und ich bitte Sie, die Magistrats 
vorlage anzunehmen. 
Stadtrat Dr. Franz: Materiell läßt sich über die Sache nicht 
mehr viel sagen. Es stehen sich zwei Ansichten gegenüber: die einen 
glauben, daß eine Straße von 19 m Breite jetzt und in Zukunst 
genügt, und zu diesen gehört der Magistrat. Die anderen sagen, daß 
das nicht genügt, daß man 24 m nehmen muß; es ist bei dieser 
Sachlage schwer, sich gegenseitig zu überzeugen. 
Nur auf zwei Punkte möchte ich hinweisen, die in der Debatte 
zur Sprache gekommen sind. 
Es ist gesagt worden: wenn in der Prenzlauer Allee eine Unter 
grundbahn angelegt wird, so sind 19 m zu gering. Das stimmy chjst; 
wir haben bei der Untergrundbahn viel engere Straßen, z. B. die 
Niederwallstraße. Dann ist gesagt worden, die Kost-M (mit bei de' 
größeren Breite nicht so hoch, weil die wirtschaftlichen Vorteile 8" 
die gegenüberliegende Seite sehe erheblich seien und wir a> f Grund 
des § 9 des Kommunalabgabengesetzes die Interessenten heranziehen 
können. Das ist zwar richtig, aber wir haben bisher mit dem § 9 
so wenig günstige Erfahrungen gemacht, 
(sehr richtig!) 
daß ich dringend warnen möchte, zu große Hoffnungen darauf zu 
setzen. Wir versuchen natürlich in allen Fällen, die Beteiligten auf 
Grund des § 9 heranzuziehen, aber wie weit wir damit kommen, 
läßt sich nicht vorher sagen. Auf die finanzielle Folge ist ja schon 
von dem Herrn Vorredner hingewiesen worden. Gerade bfe Ver 
handlungen über die Anleihe haben gezeigt, daß Sparsamkeit in allen 
städtischen Betrieben sehr wünschenswert und am Platze ist. _ Aus 
diesem Grunde — aber nicht allein aus diesem Grunde — ist der 
Magistrat der Meinung, daß wir die Straße nicht auf 24 m ver 
breitern sollen. Ich kann Sie daher nur bitten, die Vorlage anzunehmen. 
Stadtverordneter Cremer: Ich kann nur das wiederholen, 
was ich damals schon ausgeführt habe. Die Prenzlauer Straße hat keine 
Berechtigung, wie etwa die Königstraße und die Landsberger Straße, 
denn sie hat keinen Durchgangsverkehr. Sie läuft einfach auf den 
Alexanderplatz aus, Tietz gegenüber. Nun heißt es, die Grundstücke 
haben eine solche Tiefe, daß es ein Unglück wäre, die Straße nicht so 
breit zu machen. Aber es ist doch auch eine große Anzahl von Grund 
stücken auf der Westseite. Ich hatte ja den Antrag gestellt, die Straße 
auf 22 m zu verbreitern, weil wir damals annahmen, daß ein Mittel 
ding vielleicht das Richtige sei. Jetzt aber sind meine Freunde und 
ich auf den Standpunkt des Magistrats getreten, und ich bitte Sie, 
den Magistratsantrag anzunehmen. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Khllmann: Ich bin entgegengesetzter Ansicht 
und bitte Sie, dem Antrag Thieme zuzustimmen. Wenn behauptet 
wird, daß 19 m Straßenbreite nicht genügten, um eine Untergrund 
bahn durchzuführen, so ist das eine irrtümliche Behauptung, denn für 
eine Untergrundbahn genügt die Breite; ich erinnere aber die Herren 
der Tiefbaudeputation und der Verkehrsdeputation daran, daß wir 
an einzelnen Stellen zwei Untergrundbahnen nebeneinanderlegten. 
An eine solche Zukunft müssen Sie hier denken und müssen nicht bloß
	        
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