Damals wurde beantragt, bis 3000 oder wenigstens bis 1500 M
frei zu lassen, auch von den Staatssteuern. Es ist leider nicht durch
gedrungen; im Gegenteil ist das Ungeheuerliche zu verzeichnen, daß
selbst die Einkommen von 1200 JM> an mit einem Zuschlage von
5 pCt. belegt worden sind. Weswegen Zuschlag'? Damit ein Teil
der Erhöhung wettgemacht werden kann, die durch die indirekten
Steuern für die Beamten herbeigeführt ist. Meine Herren, gibt es
etwas Aufreizenderes'? Wir wollen die Aufreizung nicht; mir wollen
ruhige Bürger.
(Heiterkeit.)
Worauf gehl denn unsere ganze Agitation'? Tie geht darauf, das
jenige, was die Unzufriedenheit schürt, zu beseitigen.
(Fortgesetzte Heiterkeit.)
Meine Herren, Sie lachen. Sie verstehen das in der Tat nicht.
Unser Ziel geht doch dahin: jedem das Seine, jedem die Gerechtigkeit!
(Andauernde Heiterkeit.)
Wir wollen doch einen Zustand herbeiführen, in dem alles gerecht
ist, was bisher unrichtig war. Wir wollen also geradezu die Un
zufriedenheit aus dem Wege räumen; unser Antrag will ein kleines
Sternchen aus dem Wege räumen, damit wir zur Zufriedenheit,
zum Glücke kommen. Meine Herren, beseitigen Sie doch das Miß
trauen, mit dein Sie unsern Anträgen begegnen! Denken Sie daran,
wie viele Anträge von uns Sie zuerst bekämpft haben, nachher aber
doch angenommen haben!
Meine Herren, wenn sich der Most auch ans den verschiedenen
Reden ganz absurd gebärdete, ich hoffe, im Ausschuß wird es zu
’nein guten, 'nein sozialdemokratischem Wein kommen.
(Heiterkeit.)
Stadtverordneter (Lasset (zur Geschäftsordnung): Ich wollte
zur Geschäftsordnung nur bemerken, daß nach unsrer Geschäftsordnung
eine Erwiderung auf das Schlußwort des Antragstellers nicht mög
lich ist;
(Zuruf: Zur Geschäftsordnung!)
Mau muß. sich also die Entgegnung auf ein ander Mal vorbehalten.
— Das ist eine Konstatierung zur Geschäftsordnung, die in allen
Parlamenten, Herr Hoffman», der Sie ja auch Parlamenten an
gehören, üblich,ist.
(Die Versammlung beschließt die Einsetzung eines Ausschusses.)
Votsteher Michelet: Sie haben vorhin einen Ausschuß beschlossen
zu der Vorlage über die Gehälter bei der städtischen Straßenbahn; der
Ausschuß ist vom Vorstande wie folgt zusammengesetzt worden: Vor-
sleherstellvertreter Cassel, Stadtverordnete Bamberg, Bruns,Fried
berg, Glocke, Groh, Heiinann, Jacobi, Dr. Kuhlmann, Lindau,
Loeser, Dr. Rosenfeld, Roseuow, Solinger und Zylicz.
Nun möchten wir zurückgreifen auf die Nummer 12, die wir
vorhin ausgesetzt haben. Der Herr Magistratsdezernent ist jetzt an
wesend und wird vielleicht Auskunft zu geben in der Lage sein.
Stavtrat Rast: Meine Herren, ich habe gehört, daß Sie nähere
Auskunst haben wollten über den Ankauf des Terrains, den der
Magistrat Ihnen vorgeschlagen hat. Sie werden sich entsinnen,
meine Herren, daß wir Ihnen im Laufe dieses Jahres empfohlen
haben, ein Terrain, welches hier angrenzt, au Treptow zur Anlage
eines Friedhofs zu verkaufen. Wenn Sie den Plan zur Hand
nehmen, der der Vorlage beiliegt, werden Sic es finden. Das
Stück neben der gelbgeränderten Parzelle bis zur Weichbildgrenze
haben lvir an Treptow zur Anlage eines Kirchhofs verkauft.
Treptow wendete sich an uns aus diesem Grunde. In der Grund
eigentumsdeputation wurde das zuerst abgelehnt, weil wir meinten,
daß das Terrain nach einigen Jahren viel vorteilhafter zu verwerten
sein würde. Treptow war aber in der größten Verlegenheit und
erneuerte sein Gesuch, und in der Grundeigentumsdeputation wie
auch im Magistrat gaben wir nach, um Treptow aus dieser Verlegen
heit zu befreien. Ich betone ausdrücklich, daß wir auch nur aus dem
Grunde, um Treptow gefällig zu sein, dieses Terrain an Treptow
verkauft haben; sonst würden lvir es wahrscheinlich zn dem Preise
von 8 M nicht gegeben haben. Es grenzt ein großer Teil fis
kalischen Terrains an, welches Sie auf dem Plan rot eingerändert
sehen. Treptow wollte nun das Terrain bis zum Kanal kaufen;
dies wurde unsererseits aber abgelehnt, da am Kanal entlang eine
Uferstraße geplant ist.
Nun, meine Herren, haben lvir diese Baustellen am Kanal
abgeschnitten. Da uns nun diese Baustellen noch zum Verkauf
bleiben, werden wir von der Straße abgeschnitten, wenn wir die
Maske nicht hinzuerlverben. Treptow hat nun mit dem Fiskus ver
handelt und hat das daran liegende Terrain ebenfalls erworben.
Nun hatte ich begründeten Verdacht, daß uns dieses Stück weggekauft
wird, und wir nachher eben von der Straße abgeschnitten lverden.
Ob das mal auf Anliegerbeiträge zu verrechnen ist oder nicht, kann
ich heut noch nicht sagen. Wir verkaufen alle Baustellen, wie
Sie wissen, ohne Anliegerbeiträge. Wenn wirklich von der Ge
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meinde dieses Terrain erworben werden müßte zur Anlegung der
Straße, dann wird es uns später als Anliegerbeitrag angerechnet.
Das Resultat bleibt also immer dasselbe. Ich kann Sie im Namen
des Magistrats, wo die Sache sehr eingehend erwogen wurde, mir
bitten, die Vorlage anzunehmen.
Stadtverordneter Liebeherr: Ich bin von den Ausführungen
des Herrn Stadtrats voll und ganz befriedigt.
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage des Magistrats,
wie folgt:
Die Versammlung erklärt sich mit dem Ankauf des auf dem vor
liegenden Plane rot angelegten, an der Kanner Kreischaussee in
Niederschöneweide telegenen Grundstücks von etwa 1 470 qm zum
Preise von 11,20 Ji für 1 qm und unter den in der Magistratsvorlage
vom 19, Oktober 1911 näher bezeichneten Bedingungen einverstanden
und bewilligt das Kausgeld sowie die Kosten, Stempel und Umsatz
steuer aus dem Grundstückserwerbungsfonds).
Borsteher Michelet: Der Ausschuß zur Vorberatung der Vor
lage über die Gehälter bei den städtischen Straßenbahnen hat sich kou
stituiert, zum Vorsitzenden Herrn Kollegen Cassel, zum Stellvertreter
Herrn Roseuow gewählt und mit der Schriftführung das Bureau
beauftragt.
Vierzehnter Gegenstand der Tagesordnung:
Vorlage — >ur Kenntnisnahme —, betreffend die erfolgte
Vanabnahme der Fach- und Fortbildungsschule, Linien-
stratzc 162. — Vorlage 1072.
(Die Versammlung nimmt Kenntnis.)
Fünfzehnter Gegenstand der Tagesordnung:
Vorlage — zur Beschlußfassung —, betreffend den Abschluß
von Verträgen mit der Gemeinde Rosenthal wegen Verkaufs
eines Grundstücks zur Errichtung eines Rathauses und wegen
Wasserlieferung sowie über die Abänderung des mit dieser
Gemeinde abgeschlossene» Kanalisationsvertrages. — Vor
lage 1073.
(Die Versammlung beschließt nach dem Antrage des Magistrats,
wie folgt:
Die Versammlung erklärt sich damit einverstanden, daß zwischen
der Landgemeinde Rosenthal und der Stadtgemeinde Berlin nach
Maßgabe der der Magistratsvorlage vom 20. Oktober 1911 bei
gefügten Entwürfe ein Kaufvertrag und ein Wasserlieferungsvertrag
geschlossen sowie die Bestimmungen des § 13 des Kanalisations-
Vertrages vom ^j|zf 1907 geändert werden.)
Sechzehnter Gegenstand der Tagesordnung:
Vorlage — zur Beschlußfassung —, betreffend die Errichtung
einer vierten Oberrealschule mit angegliedertem Reform-
realgymnasium im Stadtteile Moabit. — Vorlage 1074.
Dazu liegen zwei Anträge vor. Zunächst ein Antrag der
Herren Kollegen Dr. Arons iuttd Genossen:
Die Versammlung wolle beschließen:
Bei der Errichtung der vierten Oberrealschule mit angegliedertem
Reformgymnasium wird von der Einrichtung einer Vorschule
Abstand genommen.
Zweitens liegt der Antrag vor:
Wir beantragen, die Schlußworte in der Vorlage 16, die Worte
„mit angegliedertem Reformgymnasium", zu streichen, die Ent
scheidung' über diese Angliederung einem Ausschuß von 15 Mit
gliedern der Versammlung zur Vorberatung zu .überweisen, im i
übrigen aber die Vorlage des Magistrats anzunehmen.
Stadtverordneter Dr. Knhlmann: Meine Herren, wir haben j
diesen letzten Ansschußantrag gestellt; aber nur wollen keineswegs, j
wie Sie aus dem Wortlaut schon ersehen haben, die ganze Sache j
dadurch aufhalten. Denn wir sind im Gegenteil der Ansicht, daß die
Oberrealschnle so schnell wie möglich gebaut lverden muß; wir
meinen sogar, es hätte vielleicht schon etwas früher an das Projekt
herangetreten werden können. Wir sind auch damit zufrieden, daß I
die Zwinglistraße für den Bau dieser Schule gewählt ist, weil wir
glauben, daß diese Wahl außerordentlich glücklich ist. Denn sowohl ]
die Schüler ans Moabit als auch die aus dem neuen Hansaviertel
und dem Bellevueviertel haben es leicht, die Schule zu erreichen.
Es ist eine prinzipielle Frage, die wir im Ausschusse mit Ihnen
etwas näher erörtern möchten; es ist die prinzipielle Frage; ist es heute
noch nützlich und angebracht, Realgymnasien zn errichten? mit der
Unterfrage, wenn dieses zu bejahen ist: ist es notwendig, nun, Ziach-
dem wir von höheren Lehranstalten 3 Typen in unserer Stadt
haben, noch einen vierten Typ zu schaffen? Meine Herren, die
Schulmänner werden wahrscheinlich sagen — es ist mir sogar von
einem schon gesagt worden —: was will Saulus unter den Pro
pheten? Aber ich stehe nicht allein hier; hinter mir steht ein Mann,