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Volume No. 27, 21. September 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

bekommen will, so erhebliche Einwände gemacht werden, wie sich das 
hier im Norden zeigt, so muß man doch bedenklich werden. Herr 
Geheimrat Krause hat uns ja gesagt: es ist eigentlich erstaunlich, woher 
solcher Widerstand kommt. Ja, auf diesen Widerstand muß man aber 
eine gewisse Rücksicht nehmen. Dieselben Seilte, die jetzt durch ihre 
Forderung die Sache erschweren, wollen doch die Schnellbahn haben, 
und Sie werden doch nicht annehmen, daß sie boshafterweise etwas 
tun, um die Schnellbahn zu Fall zu bringen, sondern sie meinen, daß 
die Bahn im Norden wie im Süden als Untergrundbahn gebaut 
werden muß. Für den Süden scheint ja eine Mehrheit vorhanden zu 
sein. Da ist es ja natürlich, daß in dem Augenblick, wo dies dem 
Süden konzediert wird, der Widerstand des Nordens sich zeigt. Wenn 
ich nun auch zugebe, daß die technischen Schwierigkeiten groß sind, so 
habe ich doch schon im Ausschuß den Technikern die Bitte vorgetragen, 
doch endlich eine Lösung zu finden, die die Untergrundbahn auch für 
den Norden bringt. Bisher ist das abgelehnt worden. Jetzt ist ja eine 
Lösung vorhanden, nur kostet sie viel Geld. Ich muß nun sagen: wenn 
es sich nur um die Frage der Kosten handelt, so tväre ich bereit, den 
Norden nicht schlechter zu behandeln als den Süden. 
Nun kommen noch einige unerträgliche Bedingungen hin^ti, die 
Garantie der Einnahme für die beiden Bahnhöfe, und die Bedingung, 
daß tvir eine Straße für eine Rampe hergeben sollen, die eine Verkehrs 
straße vollständig sperren tvürde. Das kaun man natürlich nicht 
annehmen. Dagegen würde ich bereit sein, wenn einmal der Wunsch 
der Bevölkerung |o lebhaft ist, auch von städtischer Seite Opfer zu 
bringen. Ob diese Opfer zu groß sind, kann ich als Laie nicht ermessen. 
Ich möchte Sie bitten, doch die Ausführungen des Kollegen Rei- 
inamt mehr zu beachten. Der Ausschuß hat beschlossen: die Bahn soll 
im allgemeinen auf der Grundlage des Vertrages gebaut werben, 
Diesen Vertrag kann man sich ja im einzelnen noch ansehen; aber im 
allgemeinen wird keine Schwierigkeit entstehen, und nur über den Ban 
der Endstrecken soll uns der Magistrat eine Vorlage machen. 
An und für sich bedaure ich die Erklärung des Herrn Oberbürger 
meisters, daß der Magistrat im voraus beschlossen hat: es wird nicht 
verhandelt, aus der Sache wird dann nichts. Ich muß sagen: es sind 
doch seit den Ferien, seit der letzten Sitzung am 29. Juni beinahe 
3 Monate vergangen, und inzwischen hätte doch der Magistrat den 
Versuch machen können, mit der Gesellschaft noch einmal zu verhandeln. 
Ich kann nur anerkennen, daß es durchaus möglich ist, neuerdings zu 
verhandeln und uns möglichst schnell durch eine neue Vorlage darüber 
zu berichten. Die Vorlage wird ja heute nicht abgelehnt, sondern es 
ist nur ein dilatorischer Beschluß, denn die Bahn selbst wollen wir ja alle. 
Wenn der Herr Oberbürgermeister sagt, der Zweckverband würbe 
Schwierigkeiten machen, so erkenne ich das an; aber um so mehr hätte 
der Magistrat in den 3 Monaten versuchen sollen, mit der Gesellschaft 
zu verhandeln. Er hätte uns dann heute sagen können: wir haben 
verhandelt, aber es ist nichts zu machen gewesen. 
So schwer es mir nun wird, heute gegen meine ursprüngliche Stel 
lungnahme zu stimmen, so habe ich doch den einstimmigen Wunsch 
meiner Fraktionsgenossen auszusprecheu, daß Sie den Ausschußantrag 
annehmen. Wir wollen, daß die Bahn gebaut wird, und es handelt 
sich nur darum, ob die AEG ihren Standpunkt noch ändert. Tut sie 
das nicht, dann bleibt der Versammlung noch immer die letzte Ent 
scheidung, ob sie auf die Bedingungen eingehen will. 
Ich würde deswegen bitten, ohne auf die Details einzugehen — 
die interessieren ja im Plenum nicht so sehr, etwa die Treppen 
oder Fahrstühle; die grundsätzliche Frage ist die: soll der Versuch gemacht 
werden, die Bahn im Norden und im Süden als Untergrundbahn durch 
zuführen? — den Ausschußantrag anzunehmen. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Jacobi: Meine Herren, entgegen den Aus 
führungen des Herrn Kollegen Reimann bin ich der Ansicht, daß der 
Herr Oberbürgermeister vollkommen im Rechte, ja sogar dazu verpflichtet 
tvar, die Angaben zu machen, die wir von ihm gehört haben. Im 
Gegenteil hätte man ihm einen Vorwurf machen müssen, wenn er uns 
den Eindruck, den er aus den jahrelangen Verhandlungen erhalten hat, 
nicht mitgeteilt hätte. Nur so sind wir in der Lage, die Sache richtig 
zu beurteilen. 
Wenn der Herr Kollege Reimann immer von unserem „Gegner"' 
gesprochen hat, so war das wohl ein falscher Ausdruck; er wollte 
vielleicht sagen: Gcgenkontrahenten. Denn mit einem „Gegner" haben 
wir nichts zu tun. Es ist eine Gesellschaft, die das Unternehmen 
herstellt, und mit der wir, wenn das Werk zustande kommt, hoffentlich 
in derselben Freundschaft leben werden wie bisher mit ihrer Tochter 
gesellschaft. 
Herr Kollege Hintze hat es für notwendig gehalten, nochmals 
hervorzuheben, daß seine Partei auf dem Standpunkt steht, ans alle 
Fälle nur selbst Bahnen zu bauen. Er hat hinzugefügt, er wünsche, 
daß die Gesellschaft die neuen Anträge ablehnt, damit wir dann in 
die Lage kommen, die Bahn selbst zu bauen. Herr Kollege Hintze ist 
nicht Mitglied der Verkehrsdeputation; ich bin aber erstaunt, daß 
seine Spezialkollegen, die der Verkehrsdeputation angehören, ihm nicht 
die Mitteilungen gemacht haben, die wirklich nötig sind. Erstens ist 
in der Verkehrsdeputation die Rentabilität genau besprochen worden 
und sind uns Vorlagen gemacht, nach deren Einblick wir zu dem 
Entschlüsse kamen: die Stadt soll diese Schnellbahn nicht bauen. So 
dann hat Herr Geheimrat Krause ausdrücklich folgende Erklärung 
abgegeben: durch den Bau der Nord-Südbahn, durch den Ban der 
Moabit—Rixdorfbahn, durch die Niveaubahnen, die beschlossen sind, 
und deren Vorlage in den nächsten Tagen erfolgen wird, durch die 
großen Hafenanlagen, deren Kosten zirka 40 Millionen betragen 
werden, durch alle diese Unternehmungen ist die Stadt für absehbare 
Zeit nicht in der Lage, ein derartiges neues Unternehmen wie das 
vorliegende in Angriff zu nehmen. Daraus folgt, daß, wenn die 
Stadt es nicht bauen kann, entweder ein anderer Unternehmer es 
baut, oder daß die Ausführung untetbleibt. Das ist doch keine 
Verkehrspolitik, zu sagen: wenn es die Stadt nicht baut, wollen wir 
lieber gar keinen Bau haben. Das würbe auch den Herrn Kollegen 
Hintze in Widerspruch bringen, weil er selbst diesen Bau für außer 
ordentlich nötig hält. Ich nehme Ihnen nicht das Dogma, das in 
Ihrem Programm steht; aber wenn Sie in diesem Fall eine Schnell 
bahn haben wollen, müssen Sie den Ban einer Gesellschaft übertragen. 
Und sind nicht auch Nachteile vorhanden, wenn die Stadt selbst baut? 
Ich erinnere an einen, weil Sie soeben von der Niveau-Nordlinie 
sprachen. Die Große Berliner Straßenbahn braucht zu einer Linie 
wie die Nordlinie eine Arbeitszeit von 6 Wochen. Bei uns hat es — 
ich mache der Verwaltung keinen Vorwurf, das lag in den Verhält 
nissen — 21/2 Jahre gedauert, von dem Beschluß bis zur Eröffnung. 
(Widerspruch.) 
Ich spreche so etwas nicht aus, wenn ich es nicht beweisen kann. 
Von dem Tage des Beschlusses in der Versammlung bis zu dem Tage 
der Betriebseröffnung hat es 2 1 / 2 Jahre gedauert. 
(Erneuter Widerspruch.) 
— Ich erkläre, daß das richtig ist, wie ich es sage. 
Meine Herren, hier wurde heute verschiedentlich im Saale 
behauptet, es sei selbstverständlich, daß Schnellbahnen rentieren; auch 
Untergrundbahnen, wenn sie auch im Anfange nicht rentieren, könnten 
niemals zu Verlusten führen. Die Erfahrungen haben gelehrt, daß 
reine Untergrundbahnen — besonders auch im Auslande — sich fast 
immer in Notlage befinden. Besonders können Sie das jetzt in London 
erblicken. Alle modernen Städte, Paris, London, New Port, haben 
ein gemischtes System, Hochbahn mit Untergrundbahn verbunden; 
sonst sind sie nicht existenzfähig. 
Ein Kollege hat heute wieder gesagt: es ist vor unseren Toren zu 
sehen, daß die Vororte nur Untergrundbahnen bauen. Dagegen ist 
in diesem Saale wiederholt angeführt, daß das nicht die Städte be 
zahlen, sondern die Ballgesellschaften, die dort Terrain besitzen; die 
bezahlen die Differenz. Sonst hätte Siemens & Halske nicht gebaut. 
Mit solchen Ausführungen ist also hier nichts getan. 
Herr Kollege Lentz, der nach meinem Gefühl weniger als Referent 
hier berichtet hat, wie als unbedingter Anhänger und Verfechter der 
Untergrundbahn auf dem Gesundbrunnen, hat es sich sehr leicht ge 
macht; er hat gesagt: zu Anfang wird die Bahn selbstverständlich nicht 
viel abwerfen, aber nachher ist es so gut wie sicher Nun wollen wir 
uns einmal ansehen, wie die Hoch- und Untergrundbahn in Berlin, 
die nach aller Meinung gut geführt wird, dasteht. Sie hat 3 1 / 2 , 4, 
5 pCt., zuletzt 5 V 3 pCt. verteilt; das macht im Durchschnitt zirka 4 1 /* pCt. 
Es ist kein großes Resultat für ein industrielles Unternehmen; aber 
die Aktionäre können wohl damit zufrieden sein. Nun muß man aber 
nicht verkennen, daß ungefähr die Hälfte dieser Bahn als Hochbahn 
gebaut ist. Wenn das nicht der Fall wäre, würde sich die Sache 
anders stellen. Professor Dr. Blume, der eine der ersten Kapazitäten 
auf diesem Gebiete ist — im übrigen kann jedermann die Zahlen 
prüfen —, hat folgende Ausstellung gemacht. Wenn die Siemens- & 
Halskebahn ganz Unterpflasterbahn wäre, so hätte sie auch dadurch, 
daß mehrere Wasserläuse hätten unterführt werden müssen, wo jetzt 
Brücken sind, 30 Millionen mehr Anlagekapital erfordert, und die 
Folge davon wäre, daß der Durchschnittsertrag bis jetzt ungefähr 
1 pCt. betragen würde. Meine Herren, das ist doch ein eklatanter Be 
weis der Nichtrentabilität der ausschließlichen Untergrundbahn. Was 
nutzen "mir die Phrasen: zu Anfang ist's nichts, aber es wird schon 
alles kommen! Hier haben Sie den- Beweis. Daß diese Bahn 
Jndustriegegenden und die besten Wohnviertel durchschneidet, steht fest. 
Aber sie würde trotzdem, wenn sie eine reine Untergrundbahn wäre — 
ich wiederhole es — den Aktionären bisher nur etwa 1 pCt. Dividende 
im Durchschnitt gebracht haben. Hätte die Stadt sich verleiten lassen, 
diese Linie als Unterpflasterbahn zu bauen, so wäre Das finanzielle 
Resultat verhängnisvoll geworden. 
Meine Herren, es geht daraus hervor, daß man nicht mit 
Sentimentalitäten sagen kann: dieser oder jener Bezirk will nur 
Untergrundbahn, — sondern daß die Stadt Berlin verpflichtet ist, zu 
rechnen, an den existierenden Beispielen zu lernen und danach zu 
handeln. 
Meine Herren, ich kann es keinem Bezirksverein und keinem 
Stadtteil verdenken, daß er versucht, nur Untergrundbahnen zu be 
kommen. Aber es ist unmöglich, weil die Stadt dann unerschwingliche 
Zuschüsse hergeben müßte, Zuschüsse, durch die sie ihre Finanzen^fast 
ruinieren müßte.
	        
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