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Volume No. 24, 29. Juni 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

der Magistrat ans seinen Antrag bereits die Genehmigung erhalten 
hat, entweder freihändig zu kaufen oder, wenn das nicht angemessen 
-erschien, dann zu enteignen, — ich kann nicht annehmen, daß der 
Magistrat erst einen Vertrag, den Herr Roeder annimmt, für un 
gangbar hält, ihn ein Jahr in seinen Akten liegen läßt, ehe er sich 
schlüssig ivird, ihn anzunehmen, und ihn i» der Minute erst uns 
vorlegt, in der jede ändernde Beschlußfassung durch eine Zwangslage 
unmöglich wird- Ich werde abwarten, ob der Magistrat die Nei 
gung hat, sich in ein solches Licht zu setzen; ich halte das für un 
denkbar. 
Wenn ich mich auf den Standpunkt stelle, daß uns der Magistrat 
das nicht angetan hat, uns in eine Zwangslage zu bringen, in der 
wir Ja sagen müßten, sondern daß wir als gleichberechtigte Behörde 
vom Magistrat dadurch anerkannt sind, daß wir ernsthaft, nicht bloß 
pro forma an den Verträgen mitzuwirken haben, die die Stadt 
Berlin abschließen soll, dann wird man den Vertrag einer Kritik 
unterziehen dürfen oder, richtiger gesagt, unterziehen müssen. 
Meine Herren, in der Plenarsitzung, in welcher der Vertrag 
dem Ausschuß überwiesen wurde, ist, glaube ich, von allen Seiten 
betont worden, daß der Vertrag in der Tat ein höchst seltsames 
Aussehen hat, und man konnte sich darauf berufen, daß per Magistrat 
in seiner Vorlage schon selbst das Zugeständnis gemacht hat, der 
Vertrag sehe eigentümlich aus. Wenn er eigentümlich aussieht, so 
ist es unsere Aufgabe, zu untersuchen, ob diese Eigentümlichkeiten 
dem Herrn Roeder Vorteile bringen oder der Stadt Berlin. 
Dabei schicke ich voraus, daß selbstverständlich Herr Roeder das 
gute Recht hat, an seinem Grund und Boden soviel zu verdienen, 
als der Sachlage entspricht. Ich schicke voraus, daß mich auch 
ein ungewöhnlich hoher Verdienst des Herrn Roeder nicht verhindern 
könnte, dem Herrn zu geben, was für die Stadt Berlin preiswert ist. 
Aber darüber hinaus könnte ich nicht gehen. Wenn nun richtig ist, 
daß der Preis, den Herr Roeder für das Grundstück fordert, an 
gemessen ist, dann ist die zweite Frage, ob auch der Preis ange 
messen ist, den er für den Eisenbahnanschluß von uns fordert. Er 
fordert für diesen 150 000 M. Ich habe gar nichts dagegen, auch 
diese 150 000 M zu bewilligen, obwohl dem die Erklärung des 
Herrn Magistratsvertreters im Ausschuß im Wege steht, daß der 
Magistrat am liebsten das Terrain ohne den Eisenbahnanschluß ge 
nommen hätte. Es scheint doch die Auffassung des Magistrats 'dahin 
zu gehen, daß der Eisenbahnanschluß keineswegs eine absolut not 
wendige Anlage ist. Was der Herr Kollege Herzberg vorgetragen 
hat, daß und weshalb der Eisenbahnanschluß von Wert ist, will ich 
ganz unterschreiben. Auch ich halte den Eisenbahnanschluß für 
wertvoll, aber doch in gewissen Grenzen. Es ist doch nicht jeder 
Preis und nicht jede Demütigung, die im Vertrage angesonnen wird, 
durch die Gegenleistung hinreichend ausgewogen. 
Meine Herren, sehen wir uns den Vertrag im einzelnen an! Ich 
will dabei auf Schönheitsmängel nicht eingehen, sondern nur auf 
wenige springende Punkte, die uns von Wichtigkeit waren. Eine 
Parzelle, die Herr Roeder bereits im Jahre 1890 in einem Vertrage 
mit der Gemeinde Lichtenberg sich verpflichtet hat aufzulassen, sicherlich 
nicht geschenkweise, sollen wir bezahlen, aber unentgeltlich an die Stadt 
Lichtenberg wieder freigeben. Die ganze Parzelle repräsentiert einen 
Wert von ungefähr 3 900 M, gerechnet nach dem Preissatze, den wir 
im ganzen zählen. Das würde an sich kein Hindernis sein; aber es 
kennzeichnet den ganzen Geist des Vertrages, der uns das in dieser 
Form ansinnt. 
Es kommt hinzu: wir haben uns wiederholt in der unangenehmen 
Lage befunden, mit Herrn Roeder Verträge abschließen zu müssen. Im 
Jahre 1890 war es ungefähr ebenso wie jetzt. Wir brauchten das 
Terrain für die Anlage des Wasserwerkes; wir haben uns mit Herrn 
Roeder nicht einig werden können. Damals hat der Magistrat kürzeren 
Prozeß gemacht; er hat das Enteignungsverfahren eingeleitet. 1889 
war ihm die Enteignung durch Kabinettsorder bewilligt, und nun auf 
einmal kam ein angemessener Vertrag mit Herrn Roeder zustande. Das 
ist bezeichnend dafür, daß wir, wenn nicht ein starker Druck auf Herrn 
Roeder ausgeübt wird, nicht zu einer gütlichen, angemessenen Ver 
ständigung kommen können, daß aber, wenn dieser Druck ausgeübt 
wird, Herr Roeder weiß, daß es sein eigenstes Interesse ist, mit uns 
den Vertrag abzuschließen. 
Damals hat er sich das Recht ausbedungen, über das Terrain, 
das er uns verkauft, eine Straße ziehen zu dürfen. Dieses Recht ist 
ihm bewilligt worden. Als etwas Selbstverständliches ist damals in 
den Vertrag aufgenommen worden, daß jede Gefährdung unseres Rohr 
lagers durch die Straße vermieden werden muß auf Kosten desjenigen 
Mannes, dem wir das Recht einräumten, nämlich des Herrn Roeder. 
Was sagt der jetzige Vertrag? Er dehnt dieses alte Recht auf neue 
Streifen aus. Das halte ich für vollkommen berechtigt. Aber er 
wünscht eine weitere Ausdehnung: Herr Roeder will nicht nur Straßen 
hinüberlegen können, auch Druckrohre jeder Art. Das hat er dann 
fallen lassen er will aber zwei Eisenbahngeleise legen, eines, das 
sofort gebaut werden soll, eines, dessen Legung er sich für später 
vorbehält. Hier mußte man erst recht von Herrn Roeder verlangen, 
daß er sich >vie 1890 verpflichte, durch seine Eisenbahnanlagen 
unsere Rohranlagen nicht zu beschädigen. Aber was geschieht? Frisch 
gentut bringt Herr Roeder in den Vertrag Bestimmungen hinein, daß 
wir bezüglich des ersten Eisenbahngleises selbst dafür zu sorgen hätten, 
daß unsere Röhren nicht beschädigt würden, und er schreibt uns auch 
vor, welcher Art die Brücke sein soll, die mir baue» müssen, damit 
das Eisenbahngleis int gefährdet über unsere Röhrenleitung hinweggeht. 
Meine Herren, sehen Sie sich bett Unterschied an zwischen diesem Ver 
trage vor der Enteignung und jenem Vertrage von 1890 nach der 
Enteignung! Die Mehrheit des Ausschusses ivar der Meinung, daß 
das nicht angeht, und daß wir die eine Hälfte der Kosten tragen 
wollen, daß aber die andere Hälfte der Brückenkosten derjenige trage» 
solle, der unsere Röhreuleitungcn gefährdet. Meine Herren, bat? ist 
eine finanziell winzige Bestimmung, die uns an' und für sich auch 
nicht anseinanderzubringen brauchte, die, wie ich meine, auch Herrn 
Roeder nicht dazu veranlassen würde; es handelt sich im ganzen um 
4 000 M. 
Jetzt kommt finanziell und auch aus einem anderen Grunde 
Wichtigeres. Weil Herr Roeder viel Geld an uns verdient, was ich 
ihn: von Herzen gönne, muß er eine sehr hohe Wertzuwachssteuer 
zahlen, und weil er an uns Geld verdient, sollen wir ihm die Hälfte 
dieser Wertzulvachsstener ersetzen. Das, meine Herren, scheint mir in 
der Tat nahezu gegen die Würde der Stadt Berlin zu verstoßen. 
Weil er an uns so viel Geld verdient, daß er eine hohe Wertzuwachs- 
steuer zu zahlen hat, sollet: wir, weil wir so viel zahlen müssen, noch 
mehr zahlen. Meine Herren, das geht nicht; das geht außerdem des 
halb nicht, weit wir die Höhe der Wertzulvachsstener garnicht übersehen 
können. Wird der Vertrag in der Art geschlossen, wie er jetzt gedacht 
ist, dann würde die Wertzuwachssteuer, wenn der Magistrat richtig 
rechnet, ungefähr 86 000 M betragen; wir hätten also die Hälfte davon 
zu ersetzen, das wären ungefähr 43 000 M. Das ist immerhin schon 
ein Objekt, das finanziell seine Bedeutung hat. Aber, meine Herren, 
da ist folgendes Rechenexempel aufgemacht. Es ist nur der Wert 
zuwachs eingesetzt, den Herr Roeder verdient, wenn der Preis in 
Rechnung kommt, der für das Grundstück allein angegeben ist, nämlich 
die 338 000 M. Nun geht aber die allgemeine Meinung dahin, daß 
die 150 000 M für den Eisenbahnanschluß in Wirklichkeit gar kein 
Aequivalent für den Eisenbahnanschluß seien, sondern daß sie nichts 
anderes seien als ein Zuschlag zu dem Gesamtkaufpreise. Darum steht 
auch Herr Roeder auf dem Standpunkt, zu sagen, er verkaufe das Land 
nur, wenn ihm gleichzeitig der Eisenbahnanschluß abgekauft werbe. 
Die Herstellungskosten betragen 16 000 ..S ohne Berücksichtigung des 
Grund und Bodens, den Herr Roeder dazu hergibt. Meine Herren, 
wenn diese 150 000 M noch zugeschlagen werden zu dem Wertzuwachs 
des Grundstücks, dann wächst allerdings die Wertzulvachsstener um 
einen außerordentlich hohen Betrag; ich weiß jetzt nicht, um wieviel; 
aber jedenfalls wird auch finanziell diese Frage von sehr erheblicher 
Bedeutung sein. 
Meine Herren, alle Bemängelungen zusammengenommen würden 
erst eine Preisdifferenz von insgesamt 50 000 M ergeben. Ich habe 
auch im Ausschuß erklärt, daß, selbst wenn Roeder uns sagte, er wolle 
50 000 M mehr haben, ich daran den Vertrag nicht würde scheitern 
lassen. Ich würde für meine Person bereit sein, 50 000 M mehr zu 
bewilligen, wenn Herr Roeder uns von der Wertznlvachssteuer frei 
läßt, und ich habe nicht das unangenehme Gefühl, daß ich dafür, daß 
du von mir verdienst, Strafe bezahlen muß. 
Und jetzt kommt der Punkt, den ich für den springenden halte, 
und den die Stadt Berlin nicht annehmen darf, wenn sic sich nicht 
etlva auf den Standpunkt stellt, zu sagen: ach, was nachher kommt, ist 
mir ganz egal. Das ist folgendes. 
Im dem § 1 gewährt uns für die 150 000 M Herr Roeder, wie 
er sagt, ein Recht auf dauernde Benutzung des Eisenbahngleises. Die 
Magistratsvorlage schreibt das Wort dauernd in Sperrdruck, legt also 
großen Wert darauf, will auch, daß wir entzückt sind: wir haben 
jetzt dauernd das Recht. Einige Paragraphen dahinter sagt derselbe 
Vertrag: mir aber, Herr Roeder und die Terraingesellschaft, sind nicht ver 
pflichtet, den Eisenbahnanschluß dauernd aufrecht zu erhalten. Zimt Ueber- 
. fluß wird noch folgendes hinzugefügt: mir sind aber so freundlich,sagt .Herr 
Roeder und die Terraiugesellschast, dann, wenn der Eisenbahnbetrieb 
von uns eingestellt wird, der Stadt Berlin die Benutzung unserer 
Gleise, die Benutzung unserer Strecke für die Zeit bis 1950 zu be 
lassen. Nun frage ich Sie, ob man in der Lage ist, einen Vertrag 
abzuschließen, der dahin geht: ich zahle dir 150 000 M für die Ge 
nehmigung, einen Eisenbahnanschluß benutzen zu dürfen, du trägst mit 
allen anderen, die die Bahn benutzen, die Unterhaltungskosten voll 
kommen, — und am 1. Januar 1950, also in noch nicht ganz 40 Jahren 
hört dein Recht auf; wenn du dann deinen ganzen Betrieb darauf 
eingerichtet hast, daß du diese Eiseubahnstrecke brauchst, dann kommen 
wir und sagen: jetzt gehts nicht weiter, jetzt zahle mal was! Wettn 
wir heute 150 000 M zahlen, dann wird es nach 40 Jahren nicht 
billiger werden, und so wird das eine fortgesetzte Schraube sein. Ich 
bin der Ansicht: wenn wir 150 000 M> für den Eisenbahnanschluß 
zahlen, dann muß uns das Recht eingeräumt werden zur dauernden 
Benutzung dieser Strecke, und dieses dauernde Recht muß uns auch 
eingetragen werden. Diese Ansicht ist gerechtfertigt angesichts des 
loyalen Verhaltens der Stadt Berlin gegenüber Herrn Roeder. Ein 
Anschlußgleise nach Herzberge gehört uns heute noch; ein zweites
	        
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