Path:
Volume No. 24, 29. Juni 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

vernünftige Dividenden- und Abschreibungspolitik zu führen. Sie 
kann nicht durch Verteilung hoher Dividenden etwa die Stadt schädigen 
wollen; denn dadurch würde sie zwar den Erwerbspreis verteuern, 
den die Stadt zu zahlen hat, aber da das doch nur ans Kosten der 
Abschreibungen und Rückstellungen geht ■*— die Fonds fließen der Stadt 
wieder zu —, würde die Stadt sehr leicht am Ende der Dinge lieber 
von iöem Heimfallsrecht Gebrauch machen. Dann ist das der Schaden 
der Straßenbahn; denn im Falle des Heimsalls verbleiben die Fonds 
der Straßenbahn. Sind diese zu gering, dann hat sie das Nachsehen. 
Diese Konstruktion des Vertrages möchte ich als sehr glücklich gewählt 
bezeichnen, und sie muß die Straßenbahn zwingen, selbst dann, wenn 
einmal die Verwaltung den Vertrag nicht loyal ausführen wollte. 
Das begrüße ich als etwas besonders Geschicktes und Gutes in dem 
Vertrage. 
Nun sagt man immer: dem Zweckverband dürfen wir nicht vor 
greifen. Wir wollen doch mal offen sagen: alle, die wir hier im 
Saale sitzen, hätten das Zweckverbandsgesetz lieber nicht gesehen. Es 
ist trotzdem gekommen, lind ich finde uns eigentlich sehr nett und 
sehr loyal, wenn wir die größte Schwierigkeit, die dem Zweckverbande 
zunächst obgelegen hätte, die Wirren mit der Straßenbahn nach dem 
alten Vertrage zu ordnen, dem Zweckverbande abnehmen. Man kann 
über den Zweckverband denken, wie man will; darüber sind wir doch 
einig, daß er an sich zunächst schwerfälliger arbeiten wird als die 
Stadt allein. Und dann sind wir wohl darüber einig, daß der Zweck- 
verband solche Fragen für die Interessen der Stadt Berlin nicht so gut 
wahrnehmen kann wie wir allein. Oder glauben Sie, daß der Ober 
bürgermeister unserer größten Nachbarstadt, wenn er in dem Zweck 
verband an hervorragender Stelle tätig sein wird, anders handeln 
wird als jetzt im Herrenhause? Ich möchte nicht sehen, was für 
Knüppel an Kirchturmsinteressen uns dann in den Weg geworfen 
werden. Herr Kollege Rosenow, darum werden wir mit der Annahme 
der Bürgerschaft von Berlin selbst einen besseren Dienst leisten; aber 
lvir werden ihn auch leisten der Bürgerschaft sämtlicher Berliner Bor 
orte. Denn das ist keine Frage: das Verhältnis zwischen Berlin und 
den Vororten in bezug auf Flachbahnen, wie es hier geregelt ist, 
kann kein einzelner Vorort besser regeln; ich glaube, das können wir 
den Vorortgemeinden gegenüber behaupte«. Sie behalten alle Rechte, 
die sie hatten; wir aber haben der Straßenbahn gegenüber gleichzeitig 
so viele Rechte erworben, daß das eine durchaus zweckmäßige Verkehrs 
regelung ergeben muß. 
Meine Herren, ich freue mich doppelt, wenn es uns gelingt, 
dieses schwierige Werk möglichst schnell zum Abschluß zu bringen, weil 
wir dann der Regierung, die den Zweckverband, vielleicht unter freund 
licher Hilfe eines Nachbars, erfunden hat, zeigen, daß dieser an 
gebliche .Hauptgrund — da finde ich mich vielleicht mit Herrn Heimann 
zusammen, wenn auch aus anderen Gründen — hinfällig war; denn 
wir waren in der Lage, die Sache mit der Straßenbahn allein durch 
verständige Verhandlungen zu ordnen. 
Meine Herren, ich will auf Einzelheiten nicht näher eingehen; ich 
will meine Zusage einhalten. Ich möchte nur noch einmal betonen: 
derartige Vertrüge können wir in dieser Versammlung nicht lediglich 
darauf ansehen, ob nun der Stadt Berlin ein größerer oder ein 
kleinerer Gewinn in Aussicht steht, ob die Bruttoabgabe von 8 pCt. 
uns ausreicht, ob wir nicht, wie Herr Kollege Rosenotv meint, 10 pCt. 
hätten fordern sollen. So ein Vertrag ist eine Gesamtheit. Ich gebe 
Herrn Kollegen Rosenotv durchaus zu: die 23 Millionen, die darin 
stehen, sollen uns nicht veranlassen, etwas Schlechtes daraufhin anzu 
nehmen. Auf mich haben die 23 Millionen — ich sage es ehrlich — 
von Anfang an nicht den großen Eindruck gemacht. Ich habe daraus 
nur gefunden, daß die Straßenbahn doch anerkennt, daß unser Rechts 
standpunkt bezüglich des Vertrages im Jahre 1919 nicht so ganz un 
begründet war; denn sonst würde sie uns diese Zahlung, die allein 
daraus folgt, nicht leisten. Meine Herren, das bestimmt mich nicht; 
aber tatsächlich — und das sollteil auch die, die prinzipiell den eigenen 
Betrieb wollen, anerkennen — ist der Vertrag jetzt so, daß dadurch 
die Berkehrsverhältnisse wirklich ein Stück vorwärts kommen. 
Ich möchte .Herrn Kollegen Rosenotv fragen, wenn er es zuwege 
bringt, dadurch daß er noch Bedingungen hineinbringt, den Vertrag 
jetzt scheitern zu lassen, ob und wie er uns den Weg zeigen will, für 
das nächste Jahrzsnt zum mindesten, die Verkehrsverhältnisse in 
Berlin, was die Straßenbahn betrifft, die jetzt nicht so sind, tvic wir 
wollen, anders zu regeln. Das kann Herr Rosenotv nicht, und da 
wir eine Gemeindeverwaltung sind, die nicht nur auf ferne Zuukunft 
spekuliert, sondern alles tun muß, um die gegenwärtigen Bedürfnisse 
zu befriedigen, ist es notwendig, jetzt zuzugreifen und die Verkehrs- 
Verhältnisse jetzt so zu ordnen, wie der Vertrag es zuläßt. 
Herr Kollege Cassel hat schon darauf hingewiesen: wir haben 
sonst, wenn mir solche Verträge verhandeln, immer mit dem Wider 
stände unserer Bürgerschaft zu kämpfen. Große Teile unserer liberalen 
Zeitungen haben früher bei derartigen Verträgen eine gegnerische 
Stellung eingenommen; was sehen Sie jetzt? Sie finden in den 
Kreisen, die sonst opponiert haben, außer dem Kollegen Rosenow und 
seinen Freunden diesmal keinen einzigen, der diesen prinzipiellen 
Widerspruch noch erhebt. Die öffentliche Meinung hat in diesen 
Fragen ein ganz gutes Gefühl; sie fragt nicht, ob ein paar mal 
hunderttausend Mark mehr herauskommen; sie fragt: habt ihr die Ver 
kehrsverhältnisse gut geordnet? 
Wenn jetzt die Vorlage einem Ausschuß zur Vorberatung über 
geben wird, so bitte ich, daß der Ausschuß nicht erst nach den Ferien, 
sondern womöglich sofort berichtet. Ich stimme dem Antrage aus 
Ausschußberatung zu; aber ich hoffe, der Ausschuß wird gute und 
schnelle Arbeit machen und uns den Vertrag unverändert am Montag 
zur Annahme vorlegen. 
(Beifall.) 
Vorsteher Michelet: Meine Herren, cs liegen zwei Anträge 
vor; sie gehen beide darauf hinaus, die Angelegenheit durch einen 
Ausschuß von 15 Mitgliedern vorberaten zu lassen. Der eine wünscht, 
daß der Ausschuß vom Vorstände ernannt werde, der zweite, daß er 
von den Abteilungen gewählt werde. Ich will bemerken, daß voraus 
sichtlich einer der beiden Anträge zur Annahme gelangen wird; in solchem 
Falle nehme ich in Aussicht, daß die Berichterstattung des Ausschusses 
am nächsten Montag erfolgen kann. Wenn dies der Wunsch der 
Versammlung sein sollte, so will ich den Antrag stellen, daß wir den 
Beschluß über unsere Sommerferien aufhebe» und ihn so umändern, 
daß der Anfang der Ferien ans den 4. Juli festgesetzt wird, damit uns 
ans diesem Beschluß keine Schwierigkeiten entstehen können. 
Bürgermeister Dr. Reicke: Meine Herren, mit den Herren 
Vorrednern lvird es auch dem Magistrat und insbesondere auch mir 
nicht leicht, an dieser Stelle heute nicht denjenigen Mann zu sehen, der 
seit vielen Jahren mit großem Eifer und großer Hingabe die Verkehrs 
politik der Stadt in Händen gehalten und sie von diesem Platze aus 
ja so vielfach vertreten hat. Auch unsere Wünsche begleiten ihn auf 
seiner Reise. 
Meine Herren, die Vertretung, die mir heute zufällt, würde mir 
aber noch schwerer werden, wenn ich nicht das Bewußtsein hätte, daß 
der Herr Oberbürgermeister dieser Vorlage seine Zustimmung gegeben 
hat. Der Herr Vorredner hat ganz richtig berichtet: der .Herr Ober 
bürgermeister ist voll der erheblichsten Zweifel gegen diese Vorlage 
gewesen. Von einer Ueberstimmung im Magistrat, von der gesprochen 
wurde, ist aber keine Rede gewesen, da der Herr Oberbürgermeister 
der entscheidenden Sitzung nicht beigewohnt hat. Er hat jedoch nach 
träglich unter der Vorlage, die er gezeichnet hat, einen Vermerk zu den 
Akten gegeben, daß er sich nachträglich aus taktischen und praktischen 
Gründen, ganz besonders mit Rücksicht ans das in der Schwebe befind 
liehe Projekt des Zweckverbandes, mit der Vorlage einverstanden 
erkläre. 
(Hört, hört!) 
Meine Herren, es liegt mir fern, irgend ein Wort gegen den 
Ausschuß sagen zu wollen. Aber ob es erforderlich ist, den Ausschuß 
solange hinauszuschieben, wie von einer Seite in Vorschlag gebracht 
ist, erlaube ich mir zu bezweifeln. Es ist richtig, daß die Vorlage 
unerwünscht spät erscheint; aber, es ist auch schon gesagt, doch nicht 
unerwartet. Sie haben alle gewußt, daß diese Vorlage kommen würde. 
Infolge der Beteiligung sämtlicher Fraktionen an und in der leitenden 
Deputation, der Verkehrsdepntation, sind Ihnen auch die einzelnen 
Bestimmungen bekannt gewesen. Ja, ich glaube, nicht zu weit zu gehen, 
wenn ich sage: Sie haben alle schon längst Ihre vorgefaßte Meinung 
zu der Vorlage gehabt, als Sie diesen Saal betraten. 
Es ist dem Magistrat auch nicht möglich gewesen, diese Vorlage 
früher einzubringen. Sie wissen alle, daß das Zweckverbandsgesetz für 
uns in gewissem Sinne überraschend gewesen ist, und daß wir leicht 
sinnig gehandelt hätten, weitn wir die Vorlage aus den Händen ge 
geben, ehe wir den Wortlaut des Gesetzes kennen gelernt hatten. Nun 
wissen Sie ebenfalls, daß geradezu einschneidende Bestimmungen des 
Gesetzes erst in letzter Stunde festgelegt worden sind, und daß erst vor 
wenigen Tagen das Gesetz seinen Abschluß bekommen hat. Ich glaube 
also, sagen zu können, daß wir kaum eine Stunde gezögert haben, 
Ihnen die Vorlage zu machen, als die Möglichkeit dazu bestand. 
Meine Herren, es ist gesagt worden — und das ist unbedingt 
richtig : die jetzt Ihnen unterbreitete Vorlage ist für das Berliner 
Berkehrsleben eine der wichtigsten, die Ihnen vorgelegt worden sind. 
Es ist ja ein offenes Geheimnis, daß die Große Straßenbahn, dieses 
vorzüglich geleitete und für die Berliner Verkehrsverhältnisse wichtigste 
Verkehrsnnternehineu, das allem Anschein nach noch für einige Jahr 
zehnte bestimmt sein lvird, das wichtigste Verkehrsmittel zu bleiben, 
daß dieses Institut vermöge der tatsächlichen Machtentfaltnng auf unseren 
Straßen für den Eigentümer dieser Straßen, die Stadt, Unbequem 
lichkeiten und Mißstände hervorgerufen hat, indem wir als Eigentümer uns 
naturgemäß in der sonstigen Ausübung unserer .Herrschaft über diese 
Straßen beeinträchtigt sahen. Es ist Ihnen ebenso bekannt, daß außer 
diesem räumlichen Aufeinanderstoßen auch in den Rechtsbeziehungen 
zwischen uns und der Straßenbahn, in Auslegung und Anwendung 
der bestehenden Verträge große Differenzen zutage getreten sind. Ich 
erinnere nur an die Koukurrenzklausel. Wir sind dadurch auf der 
einen Seite wie auf der anderen Seite in unerwünschter Weise fest 
gelegt worden. Wir haben in unsern Bahnbauten, und zwar nicht 
bloß hinsichtlich der Flachbahnen, sondern auch hinsichtlich der Schnell 
bahnen, vermöge der bekannten Entscheidung uns die größte Zurück-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.