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Volume No. 23, 22. Juni 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

von diesem Zugeständnis des Magistrats Kunde erhielten. Bleibt die 
Versammlung fest, dann, bin ich überzeugt, ratifiziert die Hochbahn 
gesellschaft, wenn auch zunächst mit einein gewissen Widerstreben, 
diesen Vertrag, auch wenn die Abgabenfreiheit beseitigt wird. Davon 
bin ich so überzeugt, wie vom ,Amen in der Kirche. 
Ich traute in der Tat meinen Augen nicht, als ich diese Be 
stimmung las. In der Verkehrsdeputation lautete der Beschluß 
nämlich ganz anders. In der Verkehrsdeputation wurde gesagt, man 
habe nun mal in dem Allgemeinen Mektrizitätsgesellschaftsvertrag 
der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft eine Abgabenfreiheit von 
8 Jahren bis zur Höhe von 4y 4 pCt. bewilligt, und was der Allge 
meinen Elcktrizitätsgesellschaft Recht ist, das müsse schließlich auch 
der Hochbahn billig sein. Hier aber hat man, tute ich bereits er 
wähnt habe, nicht nur 8 Jahre bis zu 4y 4 Mt., sondern 15 Jahre 
bis zur.Höhe von 5 pCt. bewilligt. 
Nun bedenken die Herren: die Spittelinarktlinie ist die teuerste 
Untergrundlinie, die wir in Berlin besitzen. In diesem Bertrage 
über die Spittelmarktlinie ist auch nicht eine Stunde Abgabeufreiheit 
vorgesehen! 1895 ivurbe der erste Vertrag mit der Hochbahngesell 
schaft geschlossen. Damals konnte mau noch nicht übersehen, ob und 
wie das Unternehmen florieren würde. Aber auch in diesem Ver 
trage von 1895 hat die Hochbahngesellschaft weder die Abgaben 
freist eit verlangt noch die Stadt je daran gedacht, ihr eine Abgaben 
freiheit zu gewähren. 
Der Beschluß ist in der Verkehrsdeputation mit solcher Schnellig 
keit angenommen worden, daß niemand sich im Augenblick klar machen 
konnte, ivas dieser Beschluß, in Mark und Pfennige umgesetzt, denn 
eigentlich bedeutet. Meine Herren, wenn tvir hier Anträge jüber 
Anträge stellen, um für die städtischen Angestellten ein paar Pfennige 
Lohn mehr zu erhalten, dann predigen wir meist tauben Ohren. Der 
Leiter des größten Bankinstituts der Welt kommt in die Verkehrs 
deputation, hält dort eine, wenige Minuten währende Rede, daß die 
.Hochbahngesellschaft in erster Reihe aus Betriebsrücksichten eine neue 
Untergrundlinie haben müsse, obwohl die armen opferwilligen Ak 
tionäre sich mit einer Verzinsung von nur 1 pCt. begnügen müssen, 
und der Erfolg ist, daß die Hunderttansende aus deut Stadtsäckel 
nur so in die Kasse der Hochbahngesellschaft fliegen! 
(Heiterkeit.) 
Meine Herren, Herr Kemmann, der bekannte Gutachter, hat 
über die Rentabilität dieser Linie ein Gutachten erstattet, das unser 
Herr Baurat Krause schon als für die ersten Jahre des Betriebes 
für zu gering und zu niedrig geschätzt ansieht. Es kann nun keinem 
Zweifel unterliegen, daß, wenn man diese Ziffern des Herrn Kemmann 
nicht für die ersten Jahre, sondern für die ganze Zeitspanne von 
15 Jahren zugrunde legt, man dann mit Zahlen operiert, die lächer 
lich gering sind. Aber selbst Ivenn mau das tut, wenn man die 
Zahlen des Herrn Kemmann für die ganzen 15 Jahre zugrunde legt, 
so bedeutet der Beschluß des Magistrats nicht mehr und nicht weniger 
als rund 700 000 M zugunsten der Gesellschaft! Was will nun, 
meine Herren, gegen dieses Zugeständnis das kleine Zugeständnis 
jener ganz unzulänglichen Tarifgemeinschaft besagen! 
Wenn etwa eingewendet wird, die Hochbahngesellschaft baue doch 
die ganze Linie als Untergrundlinie, und daß die ganze Strecke als 
Nntergruirdlinie gebaut werde, stelle ein Zugeständnis dar, das man 
von der Gesellschaft herausgeholt habe, so habe ich darüber jeine 
ganz andre Auffassung. Die Gesellschaft hat nach den Erfahrungen 
mit der Schönhauser Alleehochbahnstrecke genau gewußt, daß sie ein 
zweites Mal selbst von der Berliner Stadtverordnetenversammlung 
eine solche Hochbahnstrecke nicht zugestanden erhalten würde. 
(Zustimmung, und Widerspruch.) 
Meine Herren, die Herren der Hochbahngesellschaft, die sehr kluge und 
weitsichtige Herren sind, haben, wie ichüberzeugt bin, in ihrem Projekte 
von vornherein die ganze Strecke als Untergrundstrecke projektiert, 
und sie haben schließlich dieses Stück Hochbahnstrecke uns nur vorge 
schlagen, unt ein anständiges Kompensationsobjekt in der Hand zu 
haben. 
(Widerspruch.) 
— Meine Herren, mir liegt ein gedruckter Wertragsentwnrf vor, -er 
die endgültige Grundlage für die Schlußverhandlung mit der Ge 
sellschaft bilden sollte. In diesem gedruckten Vertragsentwurf findet 
sich auch nicht ein Wort von irgend welcher Abgabenfreiheit. 
Ich muß Sie, meine Herren, nach allein nur bitten, und zwar 
auf das Dringendste bitten, diese Abgabenfreiheit zu streichen. Bleibt 
die Versammlung fest, natürlich nur dann, dann können Sie über 
zeugt sein. Sie bekommen von der Hochbahngesellschaft auch ohne 
Abgabenfreiheit diese Strecke, und die Herren brauchen dann jetzt 
nicht bei einem glänzend eingeführten, allgemein bekannten Unter 
nehmen Zugeständnisse zu machen, wie sie bei allen früheren und 
weit schwierigeren Stadien der Unternehmung kein Mensch verlangt 
oder gewährt hat. 
Meine Herren, bei diesem Zugeständnis der Abgabenfreiheit hat 
man den AEGvertrag nicht nur zugrunde gelegt, sondern hat ihn 
übertrumpft. Als aber auf der andern Seite die Verkehrsdeputation 
verlangte, die Hochbahngesellschaft möchte allgemein den AEGvertrag 
2H) 
zugrunde legen, insbesondere für die Regelung der Erwerbsrechte und 
die Sicherung der Stadtgemeinde, hat die Hochbahngesellschaft diese 
Forderung, gestützt auf ihren früheren Vertrag, wieder rundweg ab 
gelehnt, und die Verkehrsdepntation hat hier, wie leider in allen 
andern Fällen, nachgegeben. 
Dabei, meine Herren, kann gar kein Zweifel darüber feilt, daß 
das AEGvertragsformular für uns nicht nur materiell weit gün 
stiger ist, sondern daß es auch juristisch klarer und viel besser 
durchgearbeitet ist als dieser Vertragsentwurf mit der Hochbahn- 
gesellschaft. 
Meine Herren, dieser Vertragsentwurf hat in der Tat für mich 
und meine Freunde nicht e i n versöhnendes Moment, nicht eine Be 
stimmung, die es uns selbst vom Standpunkt der Herren hier ver 
ständlich erscheinen läßt, jetzt noch, kurz vor dem Inkrafttreten 
des Zweckverbandes, einen solchen Vertrag zu schließen. Meine 
Herren, wir vertreten eben auch hier den Standpunkt, daß, nachdem 
einmal der Verband kommt, so außerordentlich schwere Bedenken 
wir auch gegen den Verband, insbesondere in seiner jetzigen Aus 
gestaltung haben, man doch dem Verband das Weitere siberlassen 
müsse. Wir halten uns nicht für berechtigt, unmittelbar vor Peru 
Inkrafttreten dieses Verbandes, der Gesellschaft für lange Zeit ein 
neues Verkehrsgebiet noch zu übergeben. Das um so weniger, weil, 
abgesehen von unsern prinzipiellen Bedenken, das, was für den 
Verband das bei weitem wichtigste und wesentlichste ist, nämlich 
die Regelung der Erwerbsrechte und die dadurch geschaffene Mög 
lichkeit, eventuell vor Ablauf des Vertrages das Unternehmen in die 
Regie des Verbandes zu übernehmen, hier eben in einer Weise ge 
regelt ist, daß die praktische Durchführbarkeit auf das äußerste er 
schwert wird 
Meine Herren, ich kann Sie nach allem aus tatsächlichen, recht 
lichen und materiellen Gründen nur bitten, die Frankfurter Allee- 
linie und alles das, was, wie ich mir erlaubt habe auseinanderzu 
setzen, an der Frankfurter Alleelinie hängt, nämlich die ganze Lands 
berger Allecgegend, der Gesellschaft nicht zu geben. Die notwendigen 
Verkehrserfordernisse werden wir auf andere Weise besser und nach* 
haltiger befriedigen können, als indem wir hier wieder einer schon 
übermächtigen Verkehrsgesellschaft einen neuen Machtzuwachs ge 
währen, und damit etwas tun, ivas am letzten Ende unsrer Stadt 
gemeinde nur Nachteil und Schaden bringen kaun. 
Anders nun als dem Teile des Vertrages, der die Ausdehnung 
des Netzes vom Alexanderplatz nach der Frankfurter Allee betrifft, 
stehen meine Freunde den Bestimmungen gegenüber, die die Auf 
lösung des Gleisdreiecks bezwecken. 
Meine Herren, nachdem die Hochbahngesellschaft jetzt zu der Auf 
fassung gekommen ist, die unser verehrter Herr Stadtbaurat von 
Beginn an vertreten hat, daß nämlich dieses viel gepriesene Wunder 
werk des Gleisdreiecks eine Gefahrenquelle darstellt und ein Hin 
dernis dafür ist, daß der Verkehr so dicht gestaltet wird, wie die 
Verkehrsbedürfnisse es erfordern, sind meine Freunde natürlich bereit, 
all das zu genehmigen, ivas zur Auflösung dieses Gleisdreiecks er 
forderlich ist. Zwar werden durch die air Stelle des Gleisdreiecks 
neu projektierte Linienführung spezielle Berliner Interessen dadurch 
geschädigt, daß ein direkter Verkehr vom Osten nach dem Zoologischen 
Garten fortan nur durch Umsteigen ermöglicht ist. Aber nachdem 
die Hochbahngesellschaft uns in -er Berkehrsdeputation, wie ich lohaler- 
weise gern anerkenne, den Nachweis geführt hat, daß diesen speziellen 
Berliner Nachteilen für den Verkehr in Großberlin Vorteile gegen 
überstehen, sind meine Freunde bereit, die früher erhobenen Bedenken 
fallen zu lassen. 
Meine Herren, ich habe Sie danach zu bitten, den Vertrag litt 
einen Ausschuß zu geben. Wir beabsichtigen, int Ausschuß die inein 
ander verschlungenen Linien der Frankfurter Allee und der Mr- 
sürstenstraße wieder auseinander zu arbeiten, um die eine Linie an 
nehmen, die andre ablehnen zu können. Sollten die Herren über, 
was ich nicht wünschen würde, doch geneigt sein, jetzt der Hochbahn 
gesellschaft die Frankfurter Allee — mit allem, was daran hängt, 
kann ich immer nur wiederholen — zu übergeben, so bitte ich Sie 
noch einmal auf das allerdringendste: streichen Sie dann wenigstens 
die in § 5 stimulierte Abgabenfreiheit! Sie bekommen den Vertrag 
mit der Hochbahngesellschaft ohne diese Abgabenfreiheit, und die 
700 000 M, meine Herren, können für andre Zwecke besser angewendet 
werden, als daß sie der Hochbahngesellschaft zugeschanzt werden. 
Ich bitte Sie, dementsprechend zu verfahren. 
(Bravo!) 
Vorsteher Michelet: Von den Herren Arons, Bruns und 
Genossen ist der Antrag eingegangen, die Vorlage einem durch die 
Abteilungen zu wählenden Ausschusse von 15 Mitgliedern zu über 
weisen. 
Stadtverordneter Ladewig: Meine Herren, mit dem Herrn 
Kollegen Heimann begrüße ich es mit Freuden, daß das Gleisdreieck, 
das uns seinerzeit als ein Wunder der Technik angepriesen wurde, 
und welches, wie die Vorgänge gelehrt haben, große Gefahren für 
den Verkehr mit sich bringt, beseitigt wird. Wir können die kleine 
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