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Volume No. 14, 30. März 1911

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue38.1911 (Public Domain)

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Dienstzeit einzuführen, dahin zu erweitern, daß ein Urlaub schon nach 
dreijähriger Dienstzeit und für die älteren Arbeiter ein zehntägiger 
Urlaub gewährt werden soll. Noch schöner wäre es ja, wenn man 
den Urlaub schon nach einjähriger Tätigkeit einführen könnte. Das 
werben Sie aber doch wohl anerkennen, daß die Privatindnstrie ans 
dem Gebiete der Urlanbsgewährung doch im ganzen genommen hinter 
den.Leistungen der Gemeinde Berlin zurücksteht, und mein Wunsch ist 
es, daß solche Einrichtungen der Gemeinden mustergültig wirken, die 
Privatindustrie dazu erziehen, auch ihrerseits Urlaub für die Arbeiter 
einzuführen. Daß das vereinzelt geschehen ist, ist erfreulich; daß auch 
ausnahmsweise Urlaub gewährt ivird nach einjähriger Tätigkeit, beweist 
natürlich »och nichts dafür, daß das heute schon allgemein durchgeführt 
werden könnte. Es muß doch auch beachtet werden: Urlaub will man 
einem Manne gewähren, der sich lange Jahre abgeplagt hat, älter ge 
worden ist und einer solchen Auffrischung dringend bedarf. In den 
jüngeren Jahren ist das Bedürfnis hierfür naturgemäß nicht so groß 
wie bei älteren Leuten, und auch Kollege .Hintze und die meisten von 
Ihnen wissen, daß sie nicht das Glück gehabt haben, in ihrer Geselleu- 
vder Lehrlingstätigkeit sich eines Urlaubes zu erfreuen. 
(Zuruf.) 
Lassen Sie mich doch erst ausreden! Ich weiß, wir leben in einer Zeit 
mit größerer sozialer Einsicht, und diese Einsicht wird sich weiter ver 
tiefen und uns ans allen Gebieten bessere Zustände schassen helfen. 
Wenn wir aber im Ausschuß mit dem Antrage gekommen wären, den 
Urlaub schon nach einem Jahre zu bewilligen, so wäre er selbst für 
den Fall seiner Annahme von der Versammlung abgelehnt worden. 
Als der Magistrat damals den Urlaub einführen wollte, da sollte er 
erst nach zehnjähriger Tätigkeit gelten. Ich habe den Wunsch, daß die 
neue Urlanbsordnnng noch in diesem Jahre in Kraft trete, und 
den ferneren Wunsch, daß der Magistrat auch den anderen Anträgen 
des Ausschusses beitrete. 
Bezüglich der Löhne hat er im Ausschuß einen Einfluß ans- 
geübc, daß dort an Beispielen gezeigt werden konnte, wie die Löhne 
in den städtischen Betrieben dauernd im Flusse sind, wie in der Zeit, 
wo uns die Vorlage gemacht worden war, und während unserer Ver 
handlungen mehrere Lohnverbessernngen dem Ausschüsse angezeigt 
werden konnten. Inzwischen sind wieder weitere Verbesserungen vor 
genommen. Die Verhandlungen ließen erkennen, daß es eine große 
Schwierigkeit ist, die Löhne eines so großen Wirtschaftskörpers, wie 
ihn die Gemeinde Berlin darstellt, von einer Stelle aus derart 
ordnen zu wollen, wie das versucht worden ist. 
Herr Hintze hat die Frage seines Eventualantrages sehr 
knapp behandelt, obgleich es sich hier»,» eine sehr wichtige prinzipielle 
Frage handelt. 
(Sehr richtig!) 
Die Gestaltung der Löhne ist eine Sache, die, wenn das Geld dafür 
da ist oder beschafft werden kann, uns kein allzu großes Kopfzerbrechen 
zu verursachen braucht. Die Frage aber, ob die Löhne in Zukunft 
festgesetzt werden sollen auf Grundlage einer Vereinbarung zivischen 
den Organisationen der Arbeiter und den einzelnen Verwaltungs 
deputationen, scheint mir doch nicht so glatt bejah! werden zu können. 
Ich bin gewiß gefeit gegen den Borwurf, daß ich nicht der friedlichen 
Verständigung das Wort reden möchte. Ich habe das ein Menschen» 
alter hindurch tun können und bin bis ans diesen Tag derselben 
Meinung geblieben. Ich habe das schon tun können in einer Zeit, 
wo man in dem Lager der Herren Antragsteller von einer solchen 
Verständigung nichts wisse» wollte, wo man uns entgegenhielt, daß 
diese Dinge nur entschieden werden könnten aus dem Wege des 
Klassenkampfes, daß eine Verständigung zwischen Unternehmern und 
Arbeitern praktisch ebenso unmöglich sei, wie Wasser und Feuer zu 
mengen. Ich bin an sich erfreut darüber, daß hier eine Bekehrung 
vor sich gegangen ist, wenn ich auch noch daran zweifle, ob diese 
Bekehrung auch schon innerlich erfolgte. Wo es paßt, wird wohl auch 
in Zukunft das Klassenkampfroß geritten, »nd da, wo es nicht paßt. 
läßt man das nach meiner Ansicht Bessere, die Verständigung, in den 
Vordergrund treten. Die Anwendung des Prinzips der Verständigung 
.zwischen Unternehmern und Arbeitern durch ihre beiderseitigen 
Organisationen ist für die Privatindnstrie eine Notwendigkeit geworden 
und liegt sowohl im Interesse der Industrie wie der Arbeiter; die 
Arbeitgeber wissen: Tarifverträge sind eine wichtige Waffe gegen die 
Schnintzkonknrrenz, weil sie entgegenwirken der Lehrlingszüchterei und 
der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Ui» konkurrieren zu können, 
müssen die Unternehmer wünschen, daß sie geordnete Verhältnisse im 
Gewerbe haben. Und für den Arbeiter bedeutet eine solche Verein 
barung natürlich auch eine größere Stetigkeit in seinen Verhältnissen. 
Er lernt dann auch zu rechnen mit seinem Einkommen und weiß, 
daß es ihm auf längere Zeit gesichert ist, so weit man überhaupt 
beim Arbeitsverhältnis von Stetigkeit und Sicherheit sprechen kann. 
So liegt also eine Tarifvereinbarung im Interesse beider Teile; aber 
die Städte unter einander betreiben doch keine Konkurrenz in der 
Produktion irgend einer Ware. Man kann doch nicht sagen: wir 
müsse» um deswillen eine solche Tarifvereinbarung mit den Arbeiter 
organisationen haben, damit die besseren Städte, die sich anständig 
gegenüber ihren Arbeitern verhalten, nun nicht durch die Konkurrenz 
solcher Gemeinden leiden, die das nicht tun. Der wesentlichste Grund 
fällt also für eine solche Tarisvereinbnrung weg. Die Antragsteller 
sagen, sie wünschen eine einheitliche. Regelung; das wäre auch mir 
sehr erwünscht; aber glauben Sie denn wirklich, daß, wenn wir 
die Regelung der Löhne auf diesen Weg verwiesen, dann eine 
Einheitlichkeit in der Lohngestaltung für Berlin eintreten 
würde? Nein! Da gibt es eine Deputation, i» der man 
mancherlei 'Wünsche ohne besondere Schwierigkeiten durchsetzen kann; 
dann wieder eine andere, in der man das nicht tun kann, die sich sehr 
hart und wenig entgegenkommend erweist. Es würden dann die Löhne, 
festgesetzt zwischen Organisation und Deputation, erst recht die ge 
wünschte Einheitlichkeit vermissen lassen. 
Dann bitte ich, zu beachten, daß in der gesamten Tarifliteratur 
auch nicht ein Fall gefunden werden kann, der das praktisch machte, 
was die Herren hier mit ihrem Eventnalantrag wünschen. Alle Vor 
gänge solcher Art betreffen immer Unternehmer und Arbeiter der 
Privatindustrie. Nun sagt allerdings Herr Hintze, daß ein solcher Fall 
für die Gaswerke schon bestehe. Schön, das soll ja auch in Zukunft 
nicht verboten werden. Wenn der betreffende Dezernent es für 
wünschenswert hält, sich mit den beteiligten Organisationen — nicht 
bloß mit einer — zu verständigen, so soll ihm das natürlich gern ge 
stattet sein: aber wir wollen ihm nicht durch einen Beschluß dies als 
Pflicht auferlegen. In der Privatindustrie erfolgt die Verständigung 
in der Regel erst nach schweren Kämpfen. Und in der Privatindnstrie 
sitzt im Rate der Unternehmer nur der Unternehmer; im Rate Arbeit 
geberin Stadt Berlin aber sitzen Freunde der Arbeiter, die sich der 
Wünsche der Arbeiter annehmen, auf allen Bänken. 
(Widerspruch.) 
— Wozu denn hier einen Widerspruch erheben? Wir hätten ja dann nichts 
leisten können ans dem Gebiete der Verbesserung der Arbeiterlage, weil 
hier doch nichts beschlossen werden kann, was hier nicht eine Mehrheit 
findet. Die Herren Hintze und Genossen sind doch nur die Minorität 
und würden nichts durchsetzen können. Es'muß also sicherlich Freunde 
der Arbeiter auf allen Bänken dieser Versammlung und auch im 
Magistrat geben, die das Interesse der Arbeiter wahrnehmen. Wenn 
also in den Privatunternehmnngen die Arbeiter so zahlreiche Anwälte 
hätten wie hier und wie z. B. in dem Kollegen Hintze, dann würden 
sie sicherlich besser daran sein. Eine Unterscheidung zwischen den 
Arbeitern in öffentlichen Betrieben und in der Privatindnstrie wird 
doch auch in der sozialdemokratischen Literatur gemacht. Ich habe schon 
im Ausschuß hingewiesen ans die Schrift des Führers der sozial 
demokratischen Richtung in Holland, Troelstra. 
(Zuruf.) 
— Ah, meine Herren, Kollegen Stadthagen kann ich verstehen; es 
liegt in seinem Naturell, wenn er Zwischenrufe dieser Art macht. 
Ich nehme es ihm daher auch garnicht übel; aber das wird doch wohl 
noch erlaubt sein, sich auf einen angesehenen Mann ans der Sozial 
demokratie .Hollands zu beziehen, der, ivie ich doch immerhin glaube, 
in seinem Ansehen in Holland nicht gerade tiefer steht als der Kollege 
Stadthagen in seiner Partei. 
Meine Herren, Herr Troelstra sagt bezüglich des Verhältnisses 
der städtischen Arbeiter zur städtischen Verwaltung: 
Dürfen die Beschwerden der Genieindebeamten und Gemeinde 
arbeiter öffentlich geäußert werden? Der Zentralbericht und die 
Antwort des Magistrats sagen: nein; und innerhalb ge 
wisser Grenzen st i m m e ich dem bei. Das Inter- 
e s s e des D i e n st e s soll hier die Richtlinie sein, 
und nun bringt dieses Interesse mit sich, daß nicht jeder Gemeinde'» 
beamte und -arbeitet ans eigene Faust und öffentlich über seinen 
Vorgesetzten und dessen Fehler Klage erhebt. 
Meine .Herren, in dem Augenblick, wo allem bisherigen Gebrauch 
zuwider die Lohnverhältnisse der städtischen Arbeiter nach dem Ver 
langen des Eventnalantrages geregelt würden, obgleich doch die Stadt 
verordneten und der Magistrat auch in diesen Fragen der gesamten 
Bürgerschaft allein verantwortlich sind, dann könnte es leicht zu 
Vorgängen kommen, die Troelstra verurteilt. Wenn die Vertreter 
der Arbeiter vom Rathause zurückkämen ltub nicht all das mitbrächten, 
>vas man ihnen an Wünschen mit ans den Weg gegeben hatte, dann 
ginge es weder ihnen gut noch den Vorgesetzten, mit denen die Ver 
handlungen stattgefunden hätten. 
Meine Herren, es wäre sehr leicht, ausschließlich aus der sozial 
demokratischen Literatur den Nachweis zu führen, daß neben Dem 
Berstündigungseiser die Schürung des schärfsten Klassenkampses, wo 
dies agitatorisch nützlich ist, betrieben wird und die Arbeiter netto irrt 
gemacht werden. Ich will aber für heute davon absehen, darauf näher 
einzugehen. Ich möchte nur nochmals den dringenden Wunsch an die 
geehrte Versammlung richten, dahin mitzuwirken, daß in steigendem 
Maße die Verhältnisse unserer städtischen Arbeiter verbessert werden, 
soweit es die Etatsverhältnisse nur irgend zulassen. Denn das soll 
doch wahr werden, daß die öffentlichen Betriebe Musteranstalten sind. 
(Bravo!) 
Stadtverordneter Rettig: Meine Herren, meine Freunde und 
ich werden der Vorlage zustimmen, wie sie aus dem Ausschusse her-
	        
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