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strenge Praxis geübt wird, so koinnren viele dorthin, und dann ist
ans einmal ganz unerwartet die Station überfüllt. Wir werden es
mts angelegen sein lassen, Abhilfe zu schaffen. Ich habe mit dem
Dezernenten gestern und heute konferiert, und es wird wahrscheinlich
in der morgigen Magistratssitzung Beschluß gefaßt werden, daß wir
schleunige Abhilfe schaffen, so daß schon in wenigen Tagen Vorsorge
getroffen ist.
Wenn von Herrn Stadtverordneten Bruns mit einer gewissen
sittlichen Entrüstung gesagt ist, daß in diese Geschlechtskrankenstation
auch Fürsorgezöglinge gebracht werden, so kann ich das nicht in Ab
rede stellen. Es sollen sich gegenwärtig vier solcher Zöglinge dort
befinden; aber die sind nicht von uns dorthin gebracht, das sind
nicht Berliner Zöglinge, sondern das sind Mädchen, die auswärts
unter Fürsorge gestellt sind, die hier die Polizei aufgreift und in
diese Station schafft. Denen können wir nicht ansehen, daß sie Für
sorgezöglinge sind, und wir haben auch nicht .die Verpflichtung, sie
anderweitig in der Fürsorge unterzubringen. Also das sind Tat
sachen, denen gegenüber wir einen Einfluß überhaupt nicht haben.
Wir können nur darauf dringen, daß sie wieder fortgeschafft werden;
aber sie werden uns gebracht, ohne daß wir sie als Fürsorgezöglinge
selbst kenne».
Der Herr Stadtverordnete Bruns hat eine ganze Reihe von
Ausgabe» in Aussicht gestellt, die ivir noch übernehmen sollen. Ob
das für unsern Etat günstig sein würde, lasse ich dahingestellt. Es
ist li. a. gewünscht worden, daß wir dir Wohnungsfrage lösen, ein
Wohnungsamt errichten. Ich bin mit dem Herrn Vorredner ein
verstanden, daß die Wohnungsfrage in Berlin dringend einer Lösung
bedarf: aber ich mache Sie auf eins aufmerksam. Solange wir nicht
die Wohnungspolizei haben, ist die wirkliche Lösung der Wohnungs
frage für die Gemeinden kaum möglich.
(Sehr richtig!)
Man hat gesagt, das müsse durch Baubeschränkungen erreicht
werden. Ja, welchen Einfluß haben wir auf die Baubeschränkungen?
Wir könnten vielleicht eine Anregung geben, aber ob der Anregung
stattgegeben wird, müssen wir abwarten. Ich meine, es ist eine
nicht recht würdige Stellung für uns, wenn wir jetzt ein großes
Wohnungsamt einführten, das eigentlich nichts anderes tun kann,
als in denjenigen Fällen, wo cs glaubt, es müsse etwas geschehen,
zur Polizei zu gehen und zu sagen: sei so gut und hilf hier ab!
Ob man es trotzdem tun will, obwohl es eine halbe Maßregel bleiben
muß, kann später erwogen werden. Aber etwas Durchgreifendes
können wir aus diesem Gebiet zur Zeit nicht schaffen.
Endlich sind hier eine ganze Reihe von politischen Fragen er
örtert worden, und es liegt ja nahe, daß man bei der Etatberatnng
an diesen Sachen nicht vorübergeht. Ich möchte zunächst eine Spe
zialfrage ausschalten, das ist die Erwerbung des Opernhauses. Ich
stimmte mit Herrn Geheimrat Cassel vollständig überein, daß wir
vom rein kommunalen Interesse ans das Opernhaus zu erwerben
kein Bedürfnis empfinden können. Ich glaube, wir werden einmal
über diese Frage zu einer andern Zeit diskutieren. Darauf aber
möchte ich schon heute hinweisen, daß wir ein gewisses Interesse
haben, daß dieses Gebäude an der Stelle, in der Schönheit, die cs
früher hatte, und zu der es wieder hergestellt werden soll, erhalten
bleibe, und daß wir auch ein gewisses Interesse daran haben, daß
ein neues Opernhaus in schöner Weise an anderer Stelle entstehe.
(Sehr richtig!)
Ich glaube, man muß da den Standpunkt einnehmen, daß wir
men» wir hier entgegenkommen, auch ein Entgegenkommen bei andern
Stellen erwarten können.
(Sehr richtig!)
Ich hoffe, daß sich eine Form finden wird, um das zu erreichen.
Dann ist sehr viel über den Zweckverband und über die Ent
wicklung vvil Groß-Berlin gesprochen worden. Ich glaube, Sie können
von Ihrem Oberbürgermeister verlangen, daß er seine Meinung zu
dieser Sache ansspricht. Da kann ich nur sagen: die beiden Zweck-
vcrbandsgesetze, sowohl das für Groß-Berlin als auch das allgemeine
Gesetz, sind in der Fassung, wir sie eingebracht worden sind und jetzt
Gegenstand der Beratung sind, für mich unannehmbar.
(Bravo!)
Sie enthalten eine sehr große Gefahr nicht nur für Berlin, son
dern für du Entwicklung der Städte überhaupt. Insbesondere möchte
ich betonen, daß mich das allgemeine Zweckverbandsgesetz für Berlin
eine ernste Gefahr in sich schließt; denn es ist gar nicht änsgeschtossen,
auch wenn das Zweckverbandsgesetz für Groß-Berlin Gesetz werden
sollte, dann daneben noch ans Grund des allgemeinen Zweck
verbandsgesetzes besondere Zweckverbände für dieses und jenes Ge
biet zu schaffen. Daß das eine vollständige Zersplitterung des Ge
meindewesens würde, und daß es kaum möglich wäre, dann den Ge
meinsinn und das Interesse an der Gemeinde so, wie es die Städte-
vrdnung gewollt hat, und auch den Bürgersinn für das Vaterland zu
entwickeln, das brauche ich Ihnen nicht näher darzulegen. Jedenfalls
also müßten erhebliche Aenderungen kommen, wenn man diese Ge
setze als zweckmäßig anerkennen wollte.
Nichtsdestoweniger bekenne, ich offen: ich habe eine gewisse Freude
darüber, daß man endlich überhaupt an diese Materie herangegangen ist.
(Sehr richtig!)
Ich habe weit länger als 10 Jahre nie verabsäumt, auch an
dieser Stelle immer und immer wieder zu erklären, daß die Lösung
der Frage von Groß-Berlin das Allerdringendste ist, und daß die
Rückständigkeit ans 'diesem Gebiete der schwerste Schaden .ist, der
Berlin trifft. Ich habe immer betont, daß nach meiner Auffassung
eine richtige Lösung nur sein kann eine Eingemeindung in großem
Umfange.
(Lebhafte Zustimmung.)
Ich bin mir aber manchmal wie der Prediger in der Wüste
vorgekommen. Ich habe auch in Kreisen, tvo ich das eigentlich er-,
warten zu können glaubte, sehr wenig Widerhall gefunden. Jetzt
kommen die Verhältnisse mit zwingender Gewalt, und ich bin der
Ueberzeugung, daß die Lösung mit dem Zweckverband, etwa nach
Art des Londoner County Council, nicht eine endgültige sein wird.
Ich bemerke, daß bei uns Pie Verhältnisse iganz anders liegen.
In London sind die Gemeinden ziemlich von derselben Größe, und
das (Verhältnis, daß eine der Gemeinden an Einwohnerzahl und
Bedeutung so überragt, wie das hier der Fall ist, waltet dort
nicht ob. Ich bin überzeugt, daß die Bewegung, an deren Anfang
wir jetzt stehen, schließlich nicht anders enden kann als mit der
Schaffung eines Groß-Berlin durch eine angemessene Eingemeindung.
(Lebhafter Beifall.)
Stadtverordneter Rosenow: Meine Herren, die späte Stunde
wird es mir ermöglichen, sehr kurz zu sein. Ich werde mich mit
dem Etat selbst wenig beschäftigen, weil ich mir sage, daß, wenn
wir an dem Etat Aenderungen vornehmen wollen, um womöglich
die Belastung unserer Steuerzahler zu verringern, zuvor ein eifriges
Studium im Etatausschuß notwendig ist.
Auch ich möchte zunächst einmal Herrn Kollegen Dyhrenfurth
gegenüber sagen: was läßt er denn eigentlich noch an unserer städtischen
Verwaltung gelten?
(Sehr richtig!)
Er hat die sämtlichen Kapitel des Etats vom ersten bis zum letzten
durchgenommen und überall die erheblichsten Bemängelungen gezogen.
Ueber die Rieselgüter haben wir durch den Mund des Kollegen Mommsen,
seines Fraktionsfreundes, -gehört, wie sehr er den Leiter unserer Ka
nalisationsverwaltung und der Rieselfelder gelobt hat, wie er dessen
Grundsätzen zugestimmt hat. Jetzt nun, nachdem wir Herrn Stadtrat
Marggraff wegen seiner erheblichen Verdienste um diese Verwaltung
zum Ehrenbürger gemacht haben, tritt der Herr Kollege Dyhrenfurth
in der Versammlung aus und reißt alles herunter.
(Sehr richtig! und Widerspruch.)
Dann werden wir vielleicht ein Mitglied einer Landwirtschastskammer
oder sonst einen Agrarier herbeiholen müssen, um die Güter zu ver
walten. Ich glaube, wir werden vielmehr nach sorgsamer Abwägung
der Verhältnisse vorwärts gehen und weitersteigende Erträge von
den Gütern haben. Wir werden uns nicht dadurch beirren lassen,
daß uns jemand sagt, es sei dort zu teuer gebaut, oder der elektrische
Auszug sei überflüssig.
Dann wird geklagt über das Anwachsen unseres Beamtenheeres.
Ja, diese Klagen hören wir häufig, und wir setzen bei jeder Vorlage
des Magistrats, durch die neue Beamte verlangt werden, einen Aus
schuß ein. der hochnotpeinlich untersucht, ob die Beamten nötig sind,
und wir kommen dann aus dem Ausschuß heraus, ohne nur einen
Sekretär gestrichen zu haben.
(Sehr richtig!)
In einer bürokratischen Verwaltung, wie die einer Stadtgemeinde
nun einmal nur sein kann, müssen eben auch Beamte sein, um die
Arbeiten zu erledigen. Wenn wir die Summe unserer Verwaltnngs-
kosten der Gesamtsumme des Etats gegenüberstellen, so ist eine be
sondere Klage nicht zu erheben, daß der Prozentsatz zu hoch sei.
(Zuruf.)
— Herr Kollege Bamberg ruft mir das Wort Handelskammer zu.
Ganz richtig!
Auch sch habe die schmerzliche Empfindung gehabt, daß ein
Kaufmann hier auftritt und Vorwürfe gegen die Häsen erhebt. Häfen
kann -man dock nicht unter dem Gesichtswinkel werbender Anlagen
betrachten. Wenn sie etwas bringen, um so besser.
Was dann die, Wahl- und Pslichtsortbildungsschnlen betrifft
ja, wenn Herr Kollege Dyhrenfurth eine Ahnung hätte, nehmen Sie
mir das nicht übel —,
(Heiterkeit)
wie man den Wahlfortbildungsschulen ihr Ende voraussagte, als die
Pflichtfortbildungsschulen eingeführt würden, während sie jetzt erst
recht ihre Blüte erreicht haben! Es ist eine Freude, zu sehen, wie
alte und junge Leute sich nicht scheuen, ans derselben Bank zu sitzen,
wie sie weite Wege machen, um nur zu ihren Lehrern hin zu kommen,
wie alle Berufsklassen der Bevölkerung dorthin strömen. Wir haben