Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
47. Sitzung vom 26. Oktober 1990
Sen Wagner
(A) Zu den 750 000 Kfz West-Berlins sind nunmehr die 500 000
Ost-Berlins und der Zentren im Umland hinzuzuzählen. Damit
haben wir eine Zahl erreicht, die die überschreitet, die für das
Jahr 2000 prognostiziert war. 2,4 Millionen Kfz sagt eine Studie
des DIW für das Jahr 2010 für den Großraum Berlin voraus.
[Dr. Wruck (CDU): Ihre Prognosen und Statistiken!
Damit haben Sie schon einmal falsch gelegen!]
-Jeder liegt bei Prognosen möglicherweise falsch; aber es wäre
genauso falsch, jede Prognose zu übersehen, wie Sie das tun
und sich keine Gedanken über die Zukunft machen!
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL - Dr. Wruck (CDU):
Arbeitsplätze in der Autoindustrie kaputtmachen!]
- Hören Sie doch mal einen Moment zu! Sie wissen doch nicht,
was ich sagen werde. - Selbst wenn diese Prognose zutrifft,
werden wir 490 Pkw je 1 000 Einwohner haben, immer noch
erheblich weniger als im Ballungsraum Frankfurt, wo es heute
schon 600 sind.
Der Straßenbau im Großraum Berlin darf in der Zukunft nicht
vernachlässigt werden.
[Dr. Wruck (CDU): Fangen Sie mal damit an!
Zwei Jahre haben Sie nichts getan! -
Weitere Zurufe von der CDU]
Dabei geht es aber nicht um die heimliche Verwirklichung frühe
rer Planungen einer autogerechten Stadt, und es kann auch
nicht um die Verwirklichung der sogenannten Utopie einer auto
freien Stadt gehen. Die Politik muß in Berlin der Rolle der Stadt
gerecht werden, auch im Verkehr. Es geht also um die Wieder
herstellung alter Straßenverbindungen und die Schaffung unbe
dingt erforderlicher neuer Straßen. Ich will nicht noch einmal dar
stellen, in welcher Geschwindigkeit wir erste Straßenverbindun-
gen nach Öffnung der Grenzen geschaffen haben. Ich denke, wir
sollten die insgesamt 160 Straßenzüge, die unterbrochen wor
den sind, wiederherstellen.
(B) Der Senat hat bei Regierungsantritt im April 1989 auf weiteren
Straßenneubau verzichtet und statt dessen dem Ausbau des
ÖPNV absoluten Vorrang eingeräumt. Dies betraf vor allem die
Verlängerung der Autobahn in Neukölln, die Nord-Süd-Straße
sowie die B 101. Auch nach dem 9. November wollen die über
holten Planungen nicht wieder aufnehmen. Drei Punkte müssen
jedoch bedacht werden:
1. Die verkehrsplanerischen Vorhaben im Bereich Potsdamer
Platz/Leipziger Platz müssen schnell umgesetzt werden. Nach
meiner Auffassung bedarf es sofort auch einer provisorischen
Verbindung der Straße des 17. Juni und der Straße Unter den
Linden.
[Giesel (CDU): Durch’s Tori]
- Ich meine nicht „durch's Tor“, das ist bekannt.
2. Die Planungen in Neukölln sind wieder aufzunehmen. Es
geht nicht unbedingt um einen Autobahnbau, aber eine lei
stungsfähige Straßenverbindung ist hier dringend geboten.
Dies erfordern das gestiegende Verkehrsaufkommen und vor
allem der Umweltschutz und die Bedürfnisse der Menschen in
diesem Stadtgebiet. Wir können nicht von der Sicherung der
urbanen Lebensqualität reden und die Belastungen durch den
Lkw- und Pkw-Verkehr im Bereich der Oberland-, Silberstein-
und Emser Straße ignorieren. Es bedarf auch der neuen Verbin
dungen zwischen Neukölln und Treptow und einer entsprechen
den Verbesserung der Anbindung des Flughafens in Schönefeld.
3. Es muß eine sinnvolle Verknüpfung von Fern- und Regio
nalverkehr im System Straße realisiert werden. Hier aber gilt,
daß dem Eisenbahnverkehr absolute Priorität einzuräumen ist.
In und um Berlin wurde in der Vergangenheit versäumt, ein
ausreichendes Angebot von Park-and-Ride-Plätzen zu
machen. Hier ist ein dringender Nachholbedarf gegeben, wenn
wir wollen, daß der Verkehr des Umlands an den Rändern Berlins
stehenbleibt. Hier ist es nächste Aufgabe, ein Konzept für Park
and Ride anzubieten, das großzügig derartige Einrichtungen
schafft, um den Verkehr aus der Stadt herauszuhalten.
Haben Sie Verständnis dafür, daß ich es kurz mache. Ich will (C)
auch nicht auf die einzelnen Planungen und Abläufe bei U- und
S-Bahn eingehen. Vielleicht ein aktueller Hinweis: Die Anregung
der Fraktionen, daß der Nord-Süd-Tunnei nicht im Januar repa
riert werden soll, habe ich weitergegeben. Der Beginn ist für den
April vorgesehen.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD -
Beifall bei GRÜNE/AL]
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal sagen: Der Aus
bau der S-Bahn geht viel zu langsam. Ich bedaure es sehr, daß
die Bundesregierung die Mittel zur Lückenschließung und zum
Ausbau der S-Bahn nur sehr unzureichend zur Verfügung stellt.
Die Stadt hat doch bereits genügend unter den Folgen der Teil
ung gelitten.
[Buwitt (CDU): Anderer Leute Geld ausgeben!]
- Sagen Sie, haben Sie denn das Geld im Lande Berlin, um es
dort in noch größerem Maße auszugeben, als wir das tun, Herr
Buwitt? Wir haben die Mittel verdoppelt, wir setzen sie ein. Wir
wissen dennoch, daß es nicht reicht, um es zu beschleunigen.
Mehr kann man doch nicht feststellen zu diesen Dingen. Wenn
Ihnen dazu Besseres einfällt, dann sagen Sie es.
[Buwitt (CDU): Das haben wir gesagt.
Sie gehen gehen nicht darauf ein!]
- Darauf bin ich doch eingegangen. Diese Mehrverschuldung
nach oben ist doch kein Weg.
[Buwitt (CDU): Sie können ja noch nicht mal
frei reden!]
- Was machen Sie denn, wenn Sie hierherkommen?
[Zuruf des Abg. Buwitt (CDU)]
- Wunderbar! Für diese Rede war auch ein Zettel gut genug, da
haben Sie recht. Für das, was Sie zu sagen hatten, war der Zettel
ausreichend!
[RBm Momper (SPD): Du sollst nicht so lange reden!]
- Da hat er ja auch recht, daß ich nicht so lange reden soll. Aber
ich soll eine Verkehrspolitik darstellen, Entschuldigung. - Wer
Busspuren propagiert - und die Union sagt es auch der darf
nicht bei jeder, die gezeichnet wird, nein sagen. Das ist nämlich
auch ein Widerspruch in sich.
[Vogt (CDU): Sie gehen wieder zu weit hier!]
Lassen Sie mich eines zum Abschluß sagen. Der Senat hat in
knapp zwei Jahren das Ruder in der Verkehrspolitik herumgewor
fen. Wir haben keine starren und ideologisierten Verkehrskon
zepte vorgelegt, sondern konzeptionell, schrittweise und prag
matisch gehandelt. Die Mittel der Umsetzung waren nicht auf
Zwang und Verbote gegründet. Wir wollen vor allem die ver
kehrspolitischen Rahmenbedingungen verändern, damit die
urbane Lebensqualität in Berlin erhalten wird. Wer das mitmacht,
wird zu diesem Vorrang des öffentlichen Personennahverkehrs
keine Alternative finden.
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Ich darf darauf hinweisen,
daß der Herr Senator 17 Minuten gesprochen hat.
[Zurufe von der CDU]
- Nein! Hier müssen alle gleich behandelt werden, und dafür
werde ich sorgen. Das bitte ich, zur Kenntnis zu nehmen.
[Buwitt (CDU): Herr Wagner hat 33 Minuten gesprochen!]
Jetzt hat das Wort für die CDU-Fraktion Herr Kollege Giesel!
Giesel (CDU): Frau PräsidentinI Meine Damen und Herren!
Herr Senator Wagner! Sie haben gesagt, Sie machen keine
starre Verkehrspolitik, sie haben keine Ideologie. Da lachen ja die
Hühner in ganz Berlin und darüber hinaus, denn just das ist der
Fall.
[Gramer (GRÜNE/AL): Bleifuß!]
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