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Volume Nr. 47, 26. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
47. Sitzung vom 26. Oktober 1990 
Thiemann 
(A) Ihre Stellung würde kaum umstritten sein, wenn nicht das 
außerordentliche Anwachsen des sonstigen, Oberflächen 
verkehrs - insbesondere des Automobilverkehrs - den an 
sich schon zu engen Straßenraum in zum Teil unüberwindli 
cher Art im inneren Kern der Großstädte verstopfen würde. 
[Vogt (CDU): Wie soll denn nun der Verkehr 
nach Neukölln laufen?] 
Diese Verstopfung senkt insbesondere die Reisegeschwin 
digkeit der Straßenbahn und auch ihres modernen Konkur 
renten, des Omnibusses, in den City-Kernen. 
19301 Eine Entwicklung, die wir heute vorfinden - Sie predigen 
gegen die Busspuren allerdings kommt Reuter noch zu einem 
anderen Schluß: 
Der großstädtische Verkehr steht vor der Aufgabe, für 
dieses Anwachsen neuen Raum durch Straßenverbreite 
rung zu schaffen. 
Ich teile sonst die Meinung von Reuter, aber wir wissen, daß 
genau diese Entwicklung von den 30er Jahren bis heute 
gescheitert ist. Ich teile nicht die Meinung von Reuter, und würde 
er heute noch leben und heute diese Entwicklung nachvollziehen 
können, würde er wahrscheinlich - so klug war er damals schon 
in seiner vorausschauenden Politik - zu anderen Mitteln gegrif 
fen haben. 
[Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU] 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Herr Thiemann, lassen Sie 
eine Zwischenfrage von Herrn Giesel zu? 
Thiemann (SPD); Ja, bitte! 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Herr Giesel, bitte! 
Giesel (CDU): Herr Kollege Thiemann, nachdem Sie nun bei 
Ernst Reuter - schade, ich verehre ihn; 
[Frau Ruhr (SPD); Hai] 
er hat es nicht verdient, daß Sie das tun - mal hierhin greifen und 
sich etwas nehmen, was Ihnen paßt, mal dorthin greifen, etwas 
ablehnen, was Ihnen nicht ganz paßt, können Sie diesem Hause 
endlich klarmachen, was Ihre Politik ist? Wir leben im Jahre 
19901 Wir müssen die gesamte wiedervereinigte Stadt verkehr- 
lich neu ordnen! Das scheinen Sie noch gar nicht begriffen zu 
haben I 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Herr Thiemann, bitte! 
Thiemann (SPD): Herr Giesel, ich denke, das war nur so eine 
rhetorische Zwischenfrage, um mir hier vielleicht Schwierigkei 
ten zu bereiten. Sie kennen doch unser Konzept. Und ich beziehe 
mich doch genau auf diese Auseinandersetzung, die wir gestern 
und vorgestern beispielsweise bei den Beratungen zum Auto 
bahnbau und der Busspuren hatten. Sie wissen doch, daß es die 
autogerechte Stadt nicht mehr sein kann; andere Konzepte, die 
Förderung des ÖPNV, stehen im Vordergrund, das kennen Sie 
doch alles. 
Ich stelle also noch einmal fest, daß der Beweis heute angetre 
ten ist, daß die Politik der autofreundlichen Stadt stadtzerstö 
rerisch und gescheitert ist, meine Damen und Herren von der 
CDU - ich will aber einige Mandatsträger unserer Partei hier ein 
beziehen! - Sie predigen mit Ihrem miesen Slogan: „Wir beseiti 
gen den Stau“ - und Herr Buwitt hat hier niemandem erklären 
können, wie der Stau zu beseitigen ist - nach wie vor den Auto 
bahnbau. Tun Sie das; Sie haben hier zu keinen klaren Aussagen 
gefunden. Ich stelle fest: Ich bin froh darüber, daß die Auseinan 
dersetzungen bei den Busspuren zum Beispiel erfolgt und will 
abschließend Ihre Politik so zusammenfassen und dazu in leich 
ter Abwandlung einen Liedtitel von Reinhard Mey benutzen: Die 
CDU-Hühner auf dem Weg nach vorgestern! - Schönen Dank! 
[Beifall bei der SPD - 
Vogt (CDU): Gummiadler zurück ins Nestl] 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Für die Fraktion GRÜNE/AL (C) 
hat das Wort der Kollege Gramer. - Bitte schön! 
[Zurufe von der CDU: Ah!] 
Gramer (GRÜNE/AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und 
Herren! Die verkehrspolitischen Erfolge des rot-grünen Senats 
sind allgemein bekannt; ich will sie nicht wiederholen. Ich will 
mich aber auf den Kollegen Buwitt beziehen, denn die Haus 
haltsdebatte ist eigentlich die Stunde der Opposition, und man 
hätte erwarten können, daß Sie Gegenkonzepte liefern: Wie 
werden wir die Mobilität in einem wiedervereinigten Berlin im 
Zentrum der Stadt sichern? - Das wäre die Frage! 
[Buwitt (CDU): Das habe ich sogar gemacht! 
Es ist ein Unterscheid, ob man die S-Bahn 
in 20 Jahren zur Verfügung hat oder sofort!] 
Dazu haben Sie als Antwort gegeben, dieses oder jenes Finan 
zierungskonzept sei zu bevorzugen. Es kommt aber darauf an, 
welche Ziele Sie anstreben! 
Sie hätten zum Beispiel den Senat kritisieren können, daß er 
für viel teures Geld ein Gutachten in Auftrag gibt an einen auto 
freundlichen Gutachter, der prognostiziert, im Innenteil der Stadt 
wird der Verkehr um das Zweieinhalbfache wachsen, kein Auto 
wird mehr fahren, alle Knotenpunkte werden über Stunden ver 
stopft sein - egal, wieviel Straßen man baut! Die Konsequenz 
aus diesem Gutachten kann doch nur die sein, daß jede Mark, 
die in den Straßenbau gesteckt wird, falsch investiert ist, weil 
damit der nächste Stau finanziert wird. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Insofern kritisiere ich den Senat aufs schärfste und besonders 
die dafür zuständigen Senatoren Wagner und Nagel, daß sie die 
Konsequenz aus dem von ihnen selbst finanzierten Gutachten 
nicht offensiv vertreten und sagen: Alles andere verstärkt den 
Stau, wir müssen in die entgegengesetzte Richtung gehen, näm- 
lieh den Autoverkehr verringern, wie wir es hier mühsam auf 1 ' 
den Weg gebracht haben. Das wäre meine erste Kritik! 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD - 
Zuruf des Abg. Buwitt (CDU)] 
Die zweite wäre; Herr Kollege Buwitt, ich stimme doch Ihnen 
zu, daß das alles schneller gehen muß! Natürlich ist Herr Nagel 
zu kritisieren, weil er statt 60 Millionen 110 Millionen in die 
U-Bahn steckt, weil er mit West-Berliner Inselblick ins Märkische 
Viertel gehen will, weil er von der Oberbaumbrücke nicht spricht, 
weil die Straßenbahn keine Rolle spielt, weil Luxus gegen 
Schnelligkeit der Fährbetriebe ausgespielt wird, weil die Strecke 
Wannsee - Potsdam plötzlich vergessen wird und er im Haupt 
ausschuß erst daran erinnert werden muß, weil eine Brücke über 
den Teltowkanal für den Autoverkehr in sechs Monaten fertigge 
stellt worden ist, es für die S-Bahn aber drei Jahre dauert. An 
diesen Punkten sollten Sie richtig kritisieren. Wir sollten zusam 
men darauf dringen, daß die 75 km S-Bahn möglichst schnell 
wieder in Betrieb genommen werden. 
[Buwitt (CDU): Das sage ich doch!] 
Es ist ein Skandal, daß wir für die Wiederinbetriebnahme von 
25 km Ringbahn im westlichen Teil genauso lange brauchen wie 
für den Neubau der Schnellbahn zwischen Hannover und Berlin. 
[Beifall bei GRÜNE/AL, bei der SPD und der CDU - 
Buwitt (CDU): Völlig richtig!) 
Vorletzter Punkt: Der Verkehrssenator stellt sich im Verkehrs 
ausschuß hin und sagt, daß er nur ausführendes Organ ist und 
mit Planung nichts zu tun hat. 
[Dr. Niklas (SPD): Der Bausenator!] 
- Richtig: Der Bausenator. Der Bausenator stellt sich hin und 
sagt, daß er mit Planung nichts zu tun hat und nur ausführendes 
Organ ist. Er macht aber mit dem, was er als technisch möglich 
und unmöglich ansieht, ganz klar Verkehrspolitik. Er plant. Und 
das ist der Skandal, daß sich der Verkehrssenator hier das Heft 
aus der Hand nehmen läßt und daß der Bausenator sich diese 
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