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Volume Nr. 47, 26. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
47. Sitzung vom 26. Oktober 1990 
Frau Sen Dr. Schreyer 
(A) den Bundesrat, die entsprechenden Ministerien, die diplomati 
schen Vertretungen und die Landesvertretungen unterzubrin 
gen? -, sondern es geht auch um die Frage; Wie gehen wir in 
Berlin mit der baulichen Manifestation der Geschichte unserer 
Stadt um? - Der Wahn und die Menschenverachtung des Drit 
ten Reichs haben sich auch in der Architektur und der städtebau 
lichen Konzeption niedergeschlagen. Beim Umgang mit der 
Geschichte kann es natürlich nicht sein, daß wir diese Gebäude 
einfach abreißen und dadurch aus unserem Bewußtsein und 
unserer Stadtgeschichte eleminieren. Auch die Kommandowirt 
schaft des SED-Regimes hat städtebaulich ihren Niederschlag 
gefunden - beispielsweise am Marx-Engels-Platz, soweit das 
Wort „Platz“ hier überhaupt noch angemessen ist. Wir schlagen 
aber vor, diese Gebäude weiter zu nutzen. Natürlich nicht den 
Palast der Republik, 
[Dr. Hassemer (CDU); Das geht ja schon 
wegen Asbest nicht so gut!] 
aber beispielsweise das Haus der Ministerien - das frühere 
Reichsluftfahrtministerium - und beispielsweise auch das Haus 
der Parlamentarier. Indem wir dies Vorschlägen, ist eine gewisse 
stadträumliche Konzentration dieser Institutionen vorgegeben. 
Es wird dabei eine sehr schwierige Aufgabe der Stadtentwick 
lung sein, durch eine Verdichtung gleichzeitig eine andere Nut 
zung in diesen Bereich hineinzubringen. Auch durch die Nutzung 
des Reichstagsgebäudes für den Deutschen Bundestag ist eine 
bestimmte Vorentscheidung gegeben, genauso wie das 
Bundeseigentum an Flächen im Spreebogen eine bestimmte 
Vorgabe bedeutet. Danach würde das Parlament in der Mitte der 
Stadt angesiedelt werden, und ich meine in der Tat, daß es kein 
schlechtes Zeichen wäre, wenn der Sitz des Volkssouveräns in 
der Mitte der Stadt liegt. 
Wir werden in der nächsten Sitzung des Senats und des 
Magistrats meinen zusammen mit dem Kollegen Thurmann ver 
faßten Bericht über unsere Vorschläge zur städtebaulichen 
Gestaltung der Hauptstadt Berlin diskutieren. Bei der Planung 
(B) der Hauptstadt wird es nicht allein mit städtebaulichen Wettbe 
werben genug sein. Ich betone, daß ich es ablehne, einen zen 
tralen Wettbewerb „Hauptstadt Berlin“ - so wie es die Stadt 
schon einmal hatte - auszuloben, sondern ich meine, daß wir für 
die verschiedenen Flächen städtebauliche Wettbewerbe auslo 
ben sollten. Aber wir werden natürlich auch sehr viele Sympo 
sien brauchen. Ich bin dankbar, daß hierfür die Mittel im Haushalt 
zur Verfügung gestellt werden. 
Das Interesse der Berliner und Berlinerinnen an den städte 
baulichen Planungen ist erfreulicherweise und verständlicher 
weise ungeheuer groß. Die öffentlichen Veranstaltungen bei 
spielsweise für die Vorbereitungen des Wettbewerbes „Potsda 
mer/ Leipziger Platz“ im Otto-Braun-Saal waren überfüllt. Diese 
öffentlichen Erörterungen sind in die Wettbewerbsunterlagen 
eingegangen, und ich hoffe sehr - ich darf das auch noch einmal 
an dieser Stelle als Appell formulieren -, daß der Koalitionspart 
ner auch die verkehrspolitsichen Vorgaben erörtert, so daß wir im 
Senat über diesen fehlenden Punkt beschließen können. 
[Dr. Hassemer (CDU): Wann denn?] 
- Die Wettbewerbsunterlagen, Herr Hassemer, um das aufzu 
nehmen, sind seit Wochen fertig. Ich denke, wir sollten diesen 
städtbaulichen Wettbewerb in dieser Zeit ausloben. Es geht 
nicht an, daß hier weiter verzögert wird, denn der Druck beson 
ders auf die innerstädtischen Flächen ist ungeheuer groß, und 
auch dieses Parlament will wissen, wie und wann beispielsweise 
der Preußische Landtag bezogen werden kann und wie die 
Erschließung dieses Gebäudes aussehen soll. Auch dafür ist es 
wichtig, daß dieser Wettbewerb schnell ausgelobt wird. 
Herr Hassemer, Sie hatten vor gut einem Jahr den Vorschlag 
gemacht, man sollte in dieser Phase die besten Köpfe der Welt 
in Berlin zusammenholen - so hatten Sie es genannt -, um über 
die Berliner Zukunft und die städtebauliche Zukunft zu sinnieren. 
Etwas Ähnliches wurde jetzt in Ost-Berlin gemacht, und diese 
Veranstaltung war eher ein Flop. 
[Dr. Hassemer (CDU): Es war die beste Veranstaltung, 
die dazu stattgefunden hat!] 
- Ich höre da gänzlich andere Meinungen. - Es kann nicht ange- (C) 
hen, daß nur Externe gefragt werden. Die Japaner sind beispiels 
weise früher abgereist, weil sie ein solches Verfahren nicht für 
sinnvoll hielten. 
[Dr. Hassemer (CDU); Zu Ihnen 
sind sie nicht einmal gekommen!] 
Wir können nicht auf die externen Vorgaben warten, und es gibt 
zunehmend ein externes Interesse an Berlin. Dieses Interesse ist 
gut, aber gleichzeitig muß klar sein, daß die externen Interessen 
an Berlin nicht die Stadt beherrschen, 
[Dr. Hassemer (CDU): Berlin unseren Berlinern!] 
sondern wir als die gewählten Vertreter haben die Aufgabe, die 
Interessen der 3,4 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen der 
Stadt an die oberste Stelle unserer Politik zu setzen. 
[Vereinzelter Beifall bei GRÜNE/AL] 
Die Zusammenarbeit mit den Magistratsverwaltungen und den 
Umlandbehörden hat im November begonnen und nicht nur in 
der Regionalpolitik und der Stadtentwicklung, sondern auch im 
Umweltschutzbereich. Wir haben sofort mit dem Aufbau eines 
gemeinsamen Luftmeßnetzes begonnen, und der erste ge 
meinsame Luftgütebericht liegt bereits vor. Das ist der erste 
Schritt zu einem gemeinsamen Sanierungsprogramm zur Ver 
besserung der Luft. Im Altlastenbereich haben wir eine gemein 
same Übersichtskarte erstellt - nicht nur für Gesamtberlin, son 
dern auch für die Umlandgemeinden -, und wir haben vereinbart, 
daß zukünftig gleiche Sanierungsrichtwerte gelten; die berlin- 
brandenburgische Liste für die Sanierungsrichtwerte wurde 
erstellt. 
Herr Hassemer, ich möchte auf Ihre Worte eingehen; Es ist 
völlig falsch, daß die beiden Bodenwaschanlagen, die wir in 
Berlin haben, unterausgelastet sind, sondern das Gegenteil ist 
der Fall. 
[Dr. Hassemer (CDU); Soll ich Ihnen die Briefe vorlesen? - 
Frau Dr. Zillbach (SPD): Der kann doch nicht zuhören I] ' ' 
Wenn wir diese Zeit mit Ihrer Zeit vergleichen, zeigt sich ein gra 
vierender Unterschied in der Umweltpolitik. Sie haben zwar 
Sanierungsanordnungen für die Bodensanierung erlassen, aber 
wir haben Anlagen auch stillgelegt. Was war mit der Kabelver 
schwelungsanlage in Heiligensee? Auch unter Ihrer Führung 
des Ressorts ist diese Kabelverschwelungsanlage unrechtmäßig 
betrieben worden. 
[Dr. Hassemer (CDU); Richtig, wir haben das falsch 
eingeschätzt! Aber „unrechtmäßig“ ist falsch!] 
Wir haben jetzt dadurch die Dioxin-Problematik. Erst in meiner 
Amtszeit wurde diese Anlage stillgelegt, aber diese Stillegung 
wäre schon vorher dringend notwendig gewesen. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Es wird eine interessante Aufgabe sein, herauszufinden, warum 
Sie die Proteste der Bürger damals nicht zur Kenntnis genom 
men und entsprechend gehandelt haben. 
[Zurufe - Dr. Hassemer (CDU): Sie müssen nicht 
mich entsorgen, sondern die Altlasten I] 
Der Umweltschutz in der ehemaligen DDR darf kein Um 
weltschutz 2. Klasse sein, denn nirgendwo ist die Beziehung zwi 
schen Ökonomie und Ökologie so deutlich sichtbar - geradezu 
anfaßbar - wie in der ehemaligen DDR. Die Beziehung ist dabei 
eindeutig: Wenn die Umwelt zerstört ist, bricht auch die Ökono 
mie zusammen. Ein großer Teil des Wassers - des Grund- und 
Oberflächenwassers - ist für die Produktion nicht mehr zu 
gebrauchen. Der Erwerb von Flächen und die Neuinvestitionen 
scheitern ständig an den großen Altlastenproblemen. Wie will 
man qualifizierte Arbeitskräfte in einem Gebiet wie Bitterfeld 
oder Öottbus anziehen? 
Wir müssen uns bewußt machen, daß die Menschen in der 
ehemaligen DDR im Durchschnitt eine wesentlich kürzere 
Lebenserwartung haben als die West-Berliner oder Bewohner 
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