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Volume Nr. 39, 30. August 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
39. Sitzung vom 30. August 1990 
Andres 
(A) Problematik ist und daß - Herr Dr. Köppl, da komme ich Ihnen 
direkt entgegen - die Fristenlösung durchaus praktizierbar ist, 
aber - jetzt kommt der entscheidende Punkt - es darf nicht so 
sein, daß die Frau die Verantwortung auf die Gemeinschaft dele 
giert. Das heißt, die finanziellen Kosten soll derjenige überneh 
men, der abtreibt. Es geht nicht an, daß auf Krankenschein 
„wilde Betten“ veranstaltet werden. Dies darf nicht sein! 
Und dann bekommen wir auch in diese Thematik die Verant 
wortung hinein, die jeder auf sich nehmen sollte. Denn Familien 
planung - Herr Dr. Köppl, ich glaube, da stimmen wir überein - 
ist Privatsache! Oder sind Sie da konträrer Meinung? Und dabei 
wollen wir es auch belassen. Wenn aber Familienplanung Pri 
vatsache ist, dann sollen auch die Kosten Privatsache bleiben. 
Und dafür setzen sich die Deutschen Demokraten ein. Ich 
glaube, dies ist ein gangbarer Weg, so daß wir die Diskussion 
über den § 218 endlich aus der Zeitung und aus der öffentlichen 
Diskussion herauskriegen. Denn wenn wir uns weiter darüber 
streiten und etwa daran die deutsche Einigung zerbrechen sollte, 
dann haben wir allen Deutschen einen Bärendienst erwiesen. 
Präsident Wohlrabe: Jetzt kommen Sie bitte zum Schluß. 
Andres (fraktionslos): Bitte, einen Satz noch: Für uns Deut 
sche Demokraten ist es entscheidender, daß man sich um das 
Scheidungsrecht der DDR kümmert, denn das ist ein hervorra 
gendes Recht. Da sollte man über die Übernahme dieses Schei 
dungsrechtes nachdenken und nicht über § 218. Dies ist doch 
wohl bereits der Schnee von gestern, und wir brauchen darüber 
nicht mehr lange zu diskutieren. - Danke schön! 
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat jetzt Frau Senatorin 
Dr. Limbach und danach Frau Senatorin Klein. Beide Senatorin 
nen haben zusammen eine Redezeit von 15 Minuten angemeldet. 
Frau Dr. Limbach, Senatorin für Justiz: Herr Präsident! 
(jj) Meine Damen und Herren! Das in den vergangenen Tagen weid 
lich strapazierte Tat- bzw. Wohnortprinzip ist nur ein Kürzel für 
eine grundlegende Neuorientierung des Rechts im Bereichs des 
Schwangerschaftsabbruches. Es ging und geht um den Rück 
zug des Strafrechts aus einem Bereich, in dem es nicht fruchtet, 
sondern Konflikte nur verschärft. 
Leider stehen nach wie vor viele im Banne des Denkschemas; 
„Schutz des ungeborenen Lebens ohne Strafrecht gleich verfas 
sungswidrig“. Die dem Strafrecht verfallenen Geister bedenken 
nicht, daß die Zuflucht des Bundesverfassungsgerichts in das 
Strafrecht ein Produkt des Nichtwissens und der Hilflosigkeit 
war. Heute müßte das Bundesverfassungsgericht konstatieren, 
daß § 218 keine Probleme gelöst und die Zahl der Schwanger- 
schaftsabbrüche nicht gemindert hat. 
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL] 
Er ist ein patriarchalisches Relikt, das niemanden schützt, auch 
nicht das ungeborene Leben! Mag es auch in vielen Teilen der 
Bundesrepublik, wie hier auch in Berlin, nur wenige Verurteilun 
gen geben, so ist dieser Paragraph doch geeignet, Frauen 
Furcht einzuflößen. Eine Vorschrift, die sich nur im Zufall auf 
grund einer Steuerfahndung oder eines privaten Racheaktes ver 
wirklicht, dient nicht der Gerechtigkeit; denn dieses Prinzip ist 
dem Gleichheitsgrundsatz verpflichtet. 
Der Senat folgt dem Appell des Europäischen Parlaments, 
daß die Bundesrepublik von einer strafrechtlichen Verfolgung 
des Schwangerschaftsabbruches absehen möge. 
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL] 
Eine Politik, die Schwangerschaftsabbrüche seltener machen 
will, muß sich von der Strategie des Strafens und Einschüch- 
terns lösen. Sie muß sich auf das Vermeiden benachteiligender 
Lebenslagen konzentrieren. Darum wird der Senat als Bundes 
ratsinitiative ein Schwangerschaftsgesetz einbringen, das mit 
einem Recht jeder Frau und jedes Mannes beginnt, sich in den 
Fragen der familienfördernden Leistungen, wirtschaftlichen und 
sozialen Hilfsangeboten bei Schwangerschaften sowie in 
Fragen der Sexualität und Familienplanung von einem Arzt, einer 
Ärztin oder einer hierfür vorgesehenen Beratungsstelle beraten (C) 
zu lassen. 
Die Regelung des Schwangerschaftsabbruches soll nach 
der Konzeption des Senats nicht mehr Sache der Justitia mit den 
verbundenen Augen sein. An die Stelle der Furcht sollen die Auf 
klärung und das Wissen treten, an die Stelle der Strafe die medi 
zinische Beratung und soziale Hilfen. Darum wird das Schwan 
gerschaftsgesetz nicht unter der Federführung der Justiz, son 
dern der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, meiner 
Kollegin Ingrid Stahmer, erarbeitet werden. Die in dieser Hinsicht 
zusammenarbeitenden Senatorinnen richten ihren Ehrgeiz auf 
Mittel und Einrichtungen, die das sozial- und familienpolitische 
Klima verbessern sollen. Wir haben uns die Einsicht zunutze 
gemacht, daß in Ländern mit weniger strengen Gesetzen, wie 
etwa in den Niederlanden, die Abbruchquote geringer ist als in 
der Bundesrepublik. Niederländische Fachleute führen das dar 
auf zurück, daß die Kontrazeptionsberatung in den Niederlanden 
sehr viel besser ausgebaut ist. 
Gestatten Sie mir zum Schluß ein persönliches Wort: Wir 
Senatorinnen haben in den letzten Tagen an den verschieden 
sten Orten dieser Stadt eine Vielzahl von Bekundungen der 
Ermutigung und des Beifalls erfahren. Danke! Das hat uns gut 
getan und uns vor allem gezeigt, daß wir für das, was hier man 
che eine ideologische Kampagne nennen, den Nerv der Frauen 
getroffen haben. 
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL] 
Wir haben auch viel Beistand und Verständnis in der Männerwelt 
gefunden, zuerst bei unseren Kollegen im Senat. Gleichwohl ist 
es ein Ärgernis, daß über diese zentrale Frauenfrage in der Mehr 
zahl Menschen entscheiden werden, die aufgrund ihres 
Geschlechts nicht in die Rolle des Opfers und der Leidtragen 
den geraten können. Und ich meine, das ist eines der wenigen 
Gebiete, in denen tatsächlich Selbstbetroffenheit die Einsicht 
fördert. 
Was das Geschlechterverhältnis im Berliner Senat angeht, so ([)) 
ist es dort zum Glück anders. Und ich darf im Geiste der Schwe- 
sterlichkeit das Rednerinnenpult für die Senatorin für Frauen, 
Jugend und Familie räumen. 
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL] 
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat Frau Senatorin Klein. 
Frau Klein, Senatorin für Frauen, Jugend und Familie: Herr 
Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn morgen im Reichs 
tag der Einigungsvertrag unterzeichnet werden sollte, sofern in 
der Abtreibungsfrage heute eine Einigung erzielt wird, hat die 
Mehrheit der Frauen in der Bundesrepublik und in der DDR auf 
dem Weg zur Abschaffung des § 218 einen ersten bedeutenden 
Erfolg errungen. 
Die Verhandlungen zum Einigungsvertrag in Bonn haben deut 
lich gemacht, daß die Strafbarkeit der Abtreibung, wenn es 
nach den Vorstellungen der Regierungskoalition in Bonn gegan 
gen wäre, so bald wie möglich auf das Gebiet der ehemaligen 
DDR ausgedehnt werden sollte. Das darf nicht geschehen und 
wird nicht geschehen. Wenn es um eine die Frauen derart exi 
stentiell berührende Frage und eine in leidvoller Geschichte 
erfahrene, bevormundende Regelung geht, darf das nicht von 
Männern entschieden werden - das ist übereinstimmend von 
fast allen Frauen gesagt worden -, sondern dann müssen Frauen 
sich einmischen und das tun, was in breiter Initiative geschehen 
ist. In einer vorbildlichen, parteiübergreifenden Initiative in Bonn 
haben Frauen aller Parteien - die CSU ausgenommen - festge 
stellt, daß eines nicht geht; Es kann keine Strafe für eine Abtrei 
bung, für eine Konfliktsituation geben. Strafe nützt nichts, Strafe 
schützt nicht - im Gegenteil: Strafe drängt Frauen in die Illegali 
tät und stürzt sie in tiefes Unglück. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Die Geschichte des § 218 ist viel zu leidvoll für die Frauen, und 
in den jahrzehntelangen Kämpfen - wir in Berlin wissen das aus 
besonderer Nähe zu schildern, wir waren mit auf den Straßen - 
1946
	        
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