Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990
Gefragt ist heute eine Weltsozialpolitik. Auch unser
Haushalt leistet einen kleinen Beitrag dazu: Wir schulen
Ärzte aus der Dritten Welt, damit sie die Menschen bei
sich zu Hause besser heilen können. Wenn wir so etwas
unterlassen, könnten uns die Probleme eines Tages noch
überrollen. Deshalb müssen wir Sozialpolitiker quer durch
alle Parteien lernen: Wir dürfen uns unsere Ausgaben
nicht Vorhalten lassen. Wir verhindern doch viel höhere
Kosten! Und wir geben den Menschen erst die Sicher
heit, die sie brauchen, um wirtschaftliche Initiative und
Schwungkraft entfalten zu können.
Es gibt auch Quellen für mehr Mittel. Die Unternehmen
machen mit der plötzlichen Kaufkraft aus umgemünzten
Sparbüchern der DDR blendende Geschäfte. Es ist gut,
wenn die Wirtschaft floriert. Doch geht die Verantwortung
der Wirtschaft über das gesunde Streben nach privaten
Gewinnen hinaus. Wenn sie nur absahnt und nicht von
selbst investiert, dann muß der Staat eben mit Steuern
dieser Unternehmen für die Anschubinvestitionen
sorgen. Wir können auch bei der Rüstung sparen. Wir
dürfen dann nur keine neuen Krisenherde mit den Waffen
vollpumpen, die wir bei uns nicht mehr brauchen. Um die
Umwidmung solcher Mittel müssen wir ringen!
Wer für Gesundheit und Soziales politische Verantwor
tung trägt, der darf gerade heute nicht nur in Wahl
perioden denken. Wir können aber schon nach eindrei
viertel Jahren rot-grüner Gesundheits- und Sozialpolitik
eine Bilanz vorzeigen, die sich sehen lassen kann. Der
vorliegende Haushalt ermöglicht die Fortsetzung dieser
Politik, auch unter dem Vorzeichen einer vereinigten
Stadt. Der Aufbau im Osten darf dabei nicht zu Lasten
der kranken, pflegebedürftigen oder materiell benachtei
ligten Menschen im Westen gehen. Vor allem die älteren
Menschen, die Berlin nach dem Krieg wiederaufgebaut
haben und dabei viel leiden und entbehren mußten,
dürfen sich jetzt nicht zurückgesetzt fühlen! Dafür werden
wir auch in der nächsten Legislaturperiode kämpfen.
Präsident Wohlrabe: Alles klar! - Jetzt hat das Wort für die
CDU-Fraktion Herr Dr. Franz.
Dr. Franz (CDU); Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Nach den irreführenden Ausführungen des Kollegen Roß muß
hier einiges gesagt werden. Es ist gerade so, daß der Senat
seine Schulaufgaben nicht gemacht hat. Die Regionalplanung
in Berlin hängt absolut durch, obwohl kostbare Wochen und
Monate vergehen. Der Ausbau der Sozialstationen in den ehe
maligen Ost-Berliner Bezirken ist nur im Ansatz erkennbar.
In Bonn ist gegenüber Berlin immer Solidarität, lieber Herr
Roß, erkennbar gewesen. Es ist lächerlich, immer alles nur auf
diese Schiene abschieben zu wollen. Allerdings ist die seriöse
Verwendung der Mittel nachzuweisen. Daran mangelt es!
[Roß (SPD): Diese ist nachweisbar!]
Wie ein roter Faden zieht sich durch alle heutigen Etatdebatten
immer wieder der Gedanke, daß das Geld nicht vernünftig und
richtig ausgegeben wird. Was für Geld haben Sie z. B. durch die
Baugrube im Virchow-Krankenhaus verschwendet?
[Roß (SPD): Die uns Herr Hasinger beschert hat!]
Oder die Baugrube im Oskar-Helene-Heim, wo Sie uns um ein
vorbildliches sportmedizinisches Zentrum in Berlin gebracht
haben, oder Ihre schlimme Untätigkeit in der Regionalplanung.
Schon längst hätte die Frau Senatorin eine Eröffnungsbilanz für
einen neuen Krankenhausplan vorlegen können. Oder haben Sie
erwartet, daß die Regierung Modrow drüben noch große soziale
Einrichtungen aus dem Boden stampfen würde?
Die Behauptung, daß Bonn nun Berlin herunterwirtschaften
würde, lieber Herr Roß, ist der Gipfel der Unverschämtheit über
haupt.
[Unruhe bei der CDU und der SPD]
Dieser Senat hat mit der AL in zwei Jahren diese Stadt in der Tat (C)
stadtpolitisch in einem Maße heruntergewirtschaftet, wie Sie es
als SPD allein in Berlin in 20 Jahren zuvor nicht geschafft haben.
[Beifall bei der CDU]
Präsident Wohlrabe: Nun hat die Frau Kollegin Frohnert
das Wort.
Frau Frohnert (SPD); Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Hier ist eine ziemliche Unruhe vorhanden,
und offensichtlich wünschen einige Kollegen und Kolleginnen,
schnell nach Hause zu kommen. Das werden wir wohl auch alle
bald tun können. Dennoch muß ich aber noch einiges zur Sozial
politik sagen.
Der Anteil für Gesundheit und Soziales im Berliner Haushalt
hat doch einen hohen Stellenwert Dieser Etat steht an dritter
Stelle bei einem Haushaltsvolumen von insgesamt rd. 27 Milliar
den DM. Das spricht für sich, denn es gab Zeiten, in denen das
anders aussah. Dabei muß man berücksichtigen, daß wir sehr
viele gesetzliche Sozialleistungen in den Bezirken nach dem
Bundessozialhilfegesetz haben.
Frau Senatorin Stahmer hat darauf verzichtet, hier im einzelnen
Bilanz zu ziehen. Ich möchte diese Einzelbiianz nicht nachholen,
muß hier aber einmal deutlich sagen, wie es in Wirklichkeit mit
der Finanzierung der Pläne aussieht, die man im Gesundheits
und Sozialbereich hat. Wer lange in der Politik steht, weiß, daß
immer wieder, wenn man das Wort „Sozialpolitik“ in den Mund
nimmt, die Finanzleute kommen und sagen: Hier ist der Finanz
rahmen, der nicht überschritten werden darf. Dann bleibt nichts
anderes übrig, als daß das zuständige Senatsmitglied erst ein
mal versuchen muß, sich durchzusetzen, um das vorher
beschlossene politische Konzept auch finanzieren zu können.
Das ist manchmal recht makaber, denn alle haben wir uns auf die
Fahnen geschrieben, daß wir für soziale Gerechtigkeit einstehen
wollen. Das wird sehr oft vergessen. (D)
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Nun weiß jeder in diesem Haus, daß meine Schwerpunkte bei
den älteren Menschen und bei den Behinderten liegen, weil
ich der Ansicht bin, daß diese Menschen mit ihren Bedürfnissen
in der Vergangenheit vernachlässigt worden sind, weil sie nicht
so laut schreien oder nicht so laut schreien können. Ich denke
auch, daß jede Gesellschaft, die sich sozial nennt und heute in
einem Wohlstand lebt wie wir, sich daran messen lassen muß,
wie sie mit ihren älteren Menschen und mit ihren Behinderten
umgeht.
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Wir haben in den ersten Jahren nach 1981, als ich in dieses
Parlament kam, viele Forderungen aufgestellt und langsam ler
nen müssen, uns für die Älteren und Behinderten mehr einzuset
zen. Gott sei Dank ist es heute so, daß wir diese Menschen mit
den anderen gleichstellen, daß wir ihre Forderungen hören, daß
ihnen - zumindest auf dem Papier - ihr Anspruch gewährleistet
wird und daß sie nicht mehr benachteiligt werden. Aber ich frage
auch, da wir hier so viele Zwischenrufe und so viel Kritik an der
Sozialpolitik von Frau Stahmer gehört haben:
[Bayer (SPD): So viel war das nicht!]
Wo sind denn die Mittel für eine bessere Pflege? Wo sind denn
die Mittel für die Seniorenheime, für eine ambulante Behandlung,
die die Möglichkeit bietet, lange zu Hause zu bleiben? Alles das
mußte doch mühsam erkämpft werden, alles das braucht seine
Zeit! Das kann man nicht in knapp zwei Jahren auf den Weg brin
gen!
[Beifall bei der SPD]
Ich möchte auch anknüpfen an das, was der Kollege Fink
immer gesagt hat: Die Altersarmut, die verschämte Armut muß
abgebaut werden! Dies ist in Bonn bisher nicht geschehen. Die
Kollegin Wirths hat vom Pflegenotstand gesprochen. Auch das
ist eine Frage, die wir gemeinsam lösen müssen. Und ich sage
noch ein anderes: Die Unterbringung in den Heimen, wie sie
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