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Volume Nr. 46, 25. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990 
Wagner 
(A) die andere mit 200 Mitgliedern, überwiegend nach Richtlinien 
der SED-Kaderpolitik ausgewählt. Wenn es nach Plänen des 
Noch-Akademie-Präsidenten Albach ginge, die er vor der Jahres 
versammlung der Akademie (West) im Mai vorstellte, würde er 
diese beiden Akademien fusionieren. Noch-Akademie-Präsident 
Klinkmann von der Akademie (Ost) hat bei einer Anhörung vor 
dem Wissenschaftsausschuß der Stadtverordnetenversamm 
lung am Donnerstag vergangener Woche ausgeführt, daß es 
sehr positive Verhandlungen zwischen beiden Noch-Akademie- 
Präsidenten gebe, die eine für beide Teile sehr günstige 
Lösungsvariante beinhalteten. Dies ist eine besonders bemer 
kenswerte Facette deutsch-deutscher Wissenschaftspolitik. Die 
Konservativen Kewenigscher Prägung arrangieren sich mit den 
alten SED-Seilschaften, um ihre Macht und ihre Pfründe zu erhal 
ten. Daraus wird nichts! 
[Beifall bei der SPD und GRÜNE/AL] 
Woraus wir die Konsequenzen gezogen haben, das waren die 
Forderungen und Wünsche der Studenten und Mitarbeiter der 
Hochschulen aus dem Winterstreik im Jahr 1988/89. Wir haben 
das rückwärts gerichtete Turnersche Berliner Hochschulgesetz 
abgeschafft und ein Hochschulgesetz geschaffen, das für die 
Hochschulen und Universitäten - in absehbarer Zeit auch für die 
Ost-Berliner Hochschulen - eine demokratische Arbeitsgrund 
lage bietet, soweit das bestehende Hochschulrahmengesetz 
dieses zuläßt. Noch nie in der Berliner Hochschulgesetzge 
bungsgeschichte ist ein Gesetz auf soviel Zustimmung gestoßen 
wie dieses. Die über fünfzig schriftlichen Stellungnahmen und 
die angehörten Sachverständigen haben dies nachdrücklich auf 
gezeigt. Wir haben mit der Fortführung des 63-Millionen-DM- 
Programmes die finanziellen und materiellen Grundlagen für eine 
zukunftsorientierte Hochschul- und Wissenschaftslandschaft 
gelegt. Überlast- und Zulassungsprobleme können so erfolg 
reich bewältigt werden. Zulassungsbeschränkungen auf Dauer 
darf und wird es mit uns nicht geben. 
[Beifall bei der SPD und GRÜNE/AL] 
Das gemeinsame Berlin wird unter sozialdemokratischer Füh 
rung d i e europäische Wissenschaftsmetropole. 
[Beifall bei der SPD und GRÜNE/AL - 
Gelächter bei der CDU - 
Buwitt (CDU): Dazu wird es Gott sei Dank nicht kommen!] 
Präsident Wohlrabe: Frau Schramm, bitte! 
Frau Dr. Schramm (GRÜNE/AL): Nein, ich liebe die Wieder 
holung nicht, ich rede heute nicht zum Vorwurf der Wissen 
schaftsfeindlichkeit. Ich rede auch nicht davon, daß das Hahn- 
Meitner-Institut aus guten Gründen nicht in Betrieb genommen 
wurde. 
[Buwitt (CDU): Jetzt haben Sie bald alles aufgezählt, 
worüber Sie nicht sprechen wollen!] 
Ich will heute drei Episoden aus der letzten Zeit berichten: 
Die erste war gestern im Kuratorium der TU. Im Kuratorium 
stand zum dritten Mal auf der Tagesordnung, daß ein Umwelt 
schutzbeauftragter eingerichtet werden soll, der vorsorgenden 
Umweltschutz, Verbreiterung der Fortbildungsmöglichkeiten 
sowie Berücksichtigung des Umweltschutzes in den Studien 
gängen koordinieren sollte. 
[Frau Abg. Kollotschek (CDU) meldet sich 
zu einer Zwischenfrage.] 
- Nein, ich habe nur fünf Minuten Zeit; wir haben es genau abge 
sprochen. 
Interessant war, vor welche Schwierigkeiten sich sowohl die 
TU-intern wie auch der Staat angesichts der Finanzierung dieses 
Umweltschutzbeauftragten gestellt sahen. Nach wie vor hat die 
Hochtechnologie Priorität. Es ist ungleich einfacher in Berlin, 
einen Flugsimulator, der viele Millionen kostet, bewilligt zu 
bekommen, und es ist auch einfacher, die Mikroperipherik auszu 
bauen, als einen Umweltschutzbeauftragten an der TU einzuset 
zen. Das zeigt, daß wir noch längst nicht genug erreicht haben. 
Gleichwohl - und das war das Interessante - klagten die dort (C) 
Anwesenden den Anspruch „Jetzt ist doch rot-grün dran“ ein, 
und jetzt sind doch die Versprechungen gegeben worden, und 
es war einfach nicht möglich, das Vorhaben abzuweisen. So 
kam, glaube ich, ein vernünftiger Kompromiß zustande. Der Um 
weltschutzbeauftragte wird jetzt eingerichtet. Beides also: Rich 
tige Ansprüche sind geweckt, aber die Fortsetzung der traditio 
nellen Wissenschaftspolitik, die immer dahin tendiert, ihre Inter 
essen daran zu sezten und neuen Themen und Zielsetzungen 
nicht zu berücksichtigen, ist nach wie vor dominant. Das war an 
der TU gestern die erste Episode. 
Die zweite Episode spielte sich in der Humboldt-Universität 
ab: Dort war ein Kongreß von Wissenschaftlerinnen und Wis 
senschaftlern aus der ehemaligen DDR und der Bundesre 
publik; es war recht langweilig. Es wurde erst spannend und 
aufgeregt, als das Thema der Abwicklung aufgeworfen wurde, 
die Arbeit der Evaluationskommissionen, die Kritik an deren Vor 
gehensweise, als deutlich wurde - das war das Wichtigste -, 
wie wenig alle - mich eingeschlossen - über die DDR, ihre Insti 
tutionen, ihre Forschungseinrichtungen, auch über die Lehrerbil 
dung - ich sage es hier wegen des Konfliktes -, die Forschungs 
schulen und die übrigen Bereiche wissen. Ich habe den Ein 
druck, daß der Realitätsbezug, unter dem wir jetzt Politik 
machen, so brüchig wie noch nie ist. Wir machen Politik, wirtref 
fen - wie auch immer - Entscheidungen, gutwillig im besten Fall, 
aber leider ohne Realitätskenntnisse. Ganz geringe Kenntnisse. 
Das ist die Zeit, wo Urteile und Vorurteile kaum noch zu trennen 
sind; es ist die Zeit, wo einzelne - so geht es wenigstens mir, 
und wenn andere behaupten, es gehe ihnen anders, sind sie, 
Hochstapler - Einzelinformationen nicht einordnen können, weil 
die lebensweltlichen Zusammenhänge nicht vorhanden sind, wo 
ich auch nicht weiß, wenn mir jemand etwas sagt, ob ich es glau 
ben oder nicht glauben soll. Es geht mir ständig so. Das zeigt, 
daß wir alle eine Phase brauchten, in der wir mit möglichst viel 
Zeit - und nicht abgehoben in der Pariamentspolitik, sondern in 
den jeweiligen Realitätsfeldern - mit Menschen aus Ost-Berlin 
Zusammenarbeiten, damit wir besser als jetzt beurteilen können, (D) 
worüber wir eigentlich entscheiden. 
[Vereinzelter Beifall bei GRÜNE/AL] 
Die dritte Episode: Es ist im Moment für mich sehr angenehm, 
in die Hochschule zu kommen, weil ich ständig auf das neue 
Hochschulgesetz angesprochen werde - und zwar immer 
freundlich, immer von Leuten, die sagen; „Wunderbar, daß ihr 
das noch hinbekommen habt, wir haben es schon nicht mehr 
geglaubt.“ Gestern hat mir einer gesagt, es sei das erste Hoch 
schulgesetz, das nicht gegen den Widerstand der Hochschulen 
durchgesetzt wurde. So hatte ich das noch nie gesehen. Das 
wäre ja wirklich etwas Phantastisches. Seither denke ich nach, 
und ich glaube, daß er recht hat. Nun profitieren wir natürlich von 
den unsäglichen Gesetzesnovellierungen unserer Vorgänger. 
Jede Verbesserung wird dann schon als solche geschätzt. Trotz 
dem: Ich habe versucht, mich zu erinnern. Auch gegen die 
Gesetzgebung von Herrn Glotz - ich war damals selber an der 
Hochschule, im Mittelbau - haben wir uns sehr gewehrt. Und 
jetzt sagt mir dieser Mann, daß es das erste Berliner Hochschul 
gesetz sei - und ich glaube, er hat recht -, das nicht gegen den 
Widerstand der Hochschule durchgesetzt wird. Da können wir 
doch eigentlich ganz zufrieden sein. - Danke! 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Präsident Wohlrabe: Es liegen hier weiter keine Wortmel 
dungen, es sei denn, die Senatorin meldet sich. - Bitte schön I 
Aber sie macht es ganz kurz, das Manuskript bleibt unten. Wir 
haben da keine Probleme, nicht wahr, Frau Senatorin? Wir 
haben uns schon neulich darüber unterhalten. 
Frau Dr. Riedmüller-Seel, Senatorin für Wissenschaft und 
Forschung; Ich werde so lange reden, wie ich es geplant habe. 
Herr Präsident! Meine Damen und Herren I Bei den Haushalts 
beratungen vor einem Jahr hat wohl niemand geahnt, mit welcher 
Geschwindigkeit der Prozeß des Zusammenwachsens in Ber- 
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