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Volume Nr. 46, 25. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990 
Frau Schraut 
(A) einer Gesamtberliner Bedarfsanalyse auszusetzen. Nur so war 
es möglich, eine falsche Gewichtung zu vermeiden und auch 
einen weiteren Ausbau der ohnehin sowohl personell als auch 
materiell übergewichtigen West-Berliner Polizei zu vermeiden. 
Zur Erinnerung, Frau Saß-Viehweger: West-Berlin hat auch ohne 
die Zollbeamten bereits eine Polizeidichte von 153 manche 
sagen: 135 Einwohner auf einen Polizeibeamten. Das ist die 
höchste in der Welt. 
[Buwitt (CDU); Das hat Sie ja schon immer gestört!] 
Zu den Titeln, die der kritischen Überprüfung zum Opfer fielen, 
sind die Finanzmittel für die Freiwillige Polizei-Reserve gewe 
sen. Durch die politische Entwicklung der letzten Monaten ist die 
Freiwillige Polizei-Reserve endgültig und für jeden sichtbar über 
flüssig geworden. Eine tatsächliche Funktion hatte sie ohnehin 
zu keinem Zeitpunkt. Soweit die der FPR zugewiesenen Alibi- 
Aufgaben, 
[Buwitt (CDU); Für Sie hat die Polizei 
ja auch keine Aufgabe!] 
etwa im Objektschutz, frei werden, können diese ohne Schwie 
rigkeiten von der regulären Polizei wieder übernommen werden. 
Ein Festhalten an der FPR ist deswegen allenfalls mit chroni 
scher Kalter-Krieg-Mentalität zu erklären. Dadurch werden übri 
gens Finanzmittel in Höhe von rund 1,5 Millionen DM eingespart, 
und darüber hinaus werden auch noch 70 Polizeibeamte freige 
setzt, 
[Buwitt (CDU): Nicht mal das stimmt!] 
die anderweitig sinnvoll eingesetzt werden können. 
[Buwitt (CDU): Wie eine Vorlage an den 
Hauptausschuß beweist, stimmt das mit den 
70 Stellen nicht!] 
- Na, ich warte das mal ab. 
Ein weiterer Bereich, der die Diskrepanz zwischen den beiden 
Polizeibereichen besonders augenfällig macht, ist der Bereich 
des Fernmeldewesens und der Datenverarbeitung. Änderun 
gen dieser Situation sind kurzfristig kaum möglich. Um so not 
wendiger ist es daher, den gesamten Bereich neu zu ordnen. 
Einige Maßnahmen werden, wie vorgesehen, weiter fortgeführt 
werden müssen, wenn man den bisherigen Bestand nicht 
gefährden oder lahmlegen will. Insgesamt ist jedoch hier eine 
neue Bedarfsplanung möglich. Einige Großplanungen, wie zum 
Beispiel das Einsatzleitsystem ELSY, sind glücklicherweise ein 
gestellt worden. Nicht nur, daß ELSY bereits ein Hundert-Millio- 
nen-Grab geworden ist, es muß auch gesagt werden, daß es 
bezogen nur auf West-Berlin nicht funktioniert hätte und daß es 
selbstverständlich, bezogen auf Groß-Berlin, nicht funktionieren 
kann. Es ist daher sinnvoll, das gesamte Teil zu beerdigen. 
Eine planvolle Integration der Ost-Berliner Polizei in die 
Funkstrukturen der West-Berliner Polizei wird zwangsläufig 
ebenso Vorrang haben müssen wie die Beteiligung an der poli 
zeilichen Datenverarbeitung in organisatorischer und daten 
schutzrechtlich sinnvoller Weise. Dann muß man aber auch eine 
evtl. Stagnation, gegebenenfalls sogar ein zeitweiliges Absinken 
des gegenwärtigen Standards der West-Berliner Polizei hinneh 
men. Anders ist dies finanziell nicht leistbar. 
Ich komme jetzt zu einem Punkt, der auch erwähnt wurde, 
nämlich zum Landesamt für Verfassungsschutz. Hier haben 
der rot-grüne Senat und die rot-grüne Koalition endlich etwas 
umgesetzt, das dringend erforderlich ist. Mit diesem Haushalts 
entwurf ist endlich der Haushalt für das Landesamt für Verfas 
sungsschutz öffentlich ausgewiesen worden. 
[Beifall bei GRÜNE/AL] 
Darüber hinaus aber hat die Koalition auch noch eine dringend (C) 
erforderliche Kontrolle dieses Amtes erbracht. Leider hat sie 
nicht die Abschaffung gebracht, aber eine Kontrolle ist auch 
schon ganz gut. Mit dem eingerichteten Ausschuß für Verfas 
sungsschutz kann jedenfalls, soweit möglich, sichergestellt wer 
den, daß sich solche Fehlentwicklungen, wie sie in der Vergan 
genheit zu verzeichnen waren, nicht mehr ereignen werden. 
Darüber hinaus gibt der Haushalt Auskunft darüber, daß das 
Land Berlin endlich einen nötigen Schritt des Personalabbaus 
vollzogen hat. Nicht nur bei der Polizei und auch beim Verfas 
sungsschutz hatte Berlin die meisten Mitarbeiter aller Bundes 
länder, das hat sich jetzt geändert. Berlin hat jetzt noch 260 Mit 
arbeiter im Bereich des Landesamtes für Verfassungsschutz und 
liegt damit in gleicher Höhe wie Nordrhein-Westfalen. 
Insgesamt zeigt der Haushaltsentwurf das Politikziel der Rot- 
Grünen Koalition, gesellschaftliche Konflikte und Problemfel 
der mit Mitteln der Politik und den Ressourcen des jeweiligen 
Bereichs zu lösen, in dem der Konflikt stattfindet. Die Bandenbil 
dung Jugendlicher und Kinder erfordert eben nicht in erster Linie 
mehr Polizei in diesem Bereich, sondern gezielte Jugendarbeit. 
Und dafür müssen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden. 
Auf die Besetzung von Häusern mit Räumung und Polizeieinsät 
zen zu reagieren, wird dem Problem leerstehender Häuser und 
gleichzeitiger Wohnungsnot nicht gerecht. Der von der CDU 
immer wieder beklagte rechtsfreie Raum begann eben nicht mit 
der Besetzung, sondern mit dem Verkommenlassen der Häuser 
und dem Leerstand! Finanzmittel müßten in erster Linie in die 
Sanierung und den Wohnungsneubau fließen, wie überhaupt der 
Ruf nach Polizei selten den Ursachen des Problems abhilft, son 
dern hoffnungsvollerweise nur die Symptome ändert. Blanke Not 
- sagte Dr. Hassemer - triebe die Menschen dieser Stadt zum 
Hütchenspiel und zur Straßenkriminalität. Unterstellt, das sei so, 
und ich würde das nicht bestreiten, dann, meine Damen und Her 
ren von der CDU-Fraktion, ist hier der Ruf nach mehr Polizei 
falsch. Dann müssen logischerweise Maßnahmen ergriffen wer 
den, die die blanke Not, also die Ursache lindern. 
Nun will ich noch auf einen Aspekt der Polizeieinsätze der 
letzten zwei Jahre eingehen, der heute zu kurz kam. Die Polizei 
einsätze haben sich geändert, und ich denke, das hat sich nicht 
zuletzt in unserer Würdigung gezeigt. Sie waren nach dem Prin 
zip der Deeskalation geplant und über weite Strecken auch nach 
diesem Prinzip durchgeführt. Und sie trugen so zum Frieden in 
der Stadt bei, indem die öffentliche Diskussion über Gewalttätig 
keiten nicht durch Polizeieinsätze von dem eigentlichen Thema, 
nämlich der Verantwortung aller für eine friedliche Gesellschaft, 
abgelenkt wurde. Herr Momper sagte, für Krawallmacher gibt 
der liberale Staat keinen Anlaß. Einen Anlaß können aber die 
immer wieder vorkommenden Übergriffe von Polizisten bei 
Demonstrationen und Randale sein. Und ich erinnere nochmals 
daran, selbst Steinwürfe sind keine Rechtfertigung für Schläge, 
Fußtritte und ähnliches von Polizeibeamten. Der Schlagstock, 
und nur der, darf eingesetzt werden, um den Widerstand einer 
Person zu brechen, die sich einer Festnahme entziehen will. 
Andere Maßnahmen durch Polizeibeamte sind Straftaten und 
müssen als solche verfolgt werden. Ich vermisse die konse 
quente Strafverfolgung der Übergriffe auch in den letzten zwei 
Jahren. Ich vermisse sie deswegen, weil es sich auch jetzt immer 
noch zeigt, daß Polizisten von den Bürgern nicht identifiziert wer 
den können, wenn sie solche Straftaten anzeigen wollen. 
Ich möchte noch erwähnen, daß die rot-grüne Koalition etwas 
für die Bürgerrechte in dieser Stadt getan hat, indem wir 
erstens ein Datenschutzgesetz verabschiedet haben, das den 
Vorgaben des Volkszählungsurteils bisher am weitestgehenden 
von allen Gesetzen Rechnung trägt,.und daß es weiterhin einen 
Informationsfreiheitsgesetzentwurf gibt, der der Verabschiedung 
harrt 
[Adler (CDU): Erzählen Sie uns mal, was 
der Senat macht!] 
- Das erzähle ich Ihnen, solange ich hier noch rede. Aber das 
war, glaube ich, meine letzte Rede in diesem Haus, da ich 
rotiere! - und daß dieses Gesetz verabschiedet werden müßte, 
wenn man die Bürgerrechte fördern will. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
So etwas kann unter normalen Umständen nicht aufrecht erhal 
ten und auch nicht bezahlt werden. Angesichts der unvermeidli 
chen Modernisierung der Ost-Berliner Polizei muß die ohnehin 
knappe Finanzdecke Berlins für beide Teile der Stadt reichen 
und kann nicht einseitig der West-Berliner Polizeibehörde zugute 
kommen. Grundsätzlich ist aber auch die Bundesregierung 
gefordert. Hier wie auch in anderen Verwaltungsbereichen kön 
nen die Probleme nicht allein Berlin aufgebürdet werden. 
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