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Volume Nr. 46, 25. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990 
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I 
(A) Dr. Hassemer (CDU): Ich will Ihnen einfach einen kleinen Tip 
geben. 
[Dr. Staffelt (SPD): Das ist doch hier keine Fragestunde!] 
- Herr Staffelt, es wird zu einer Frage kommen. 
Würden Sie den Tip von mir entgegennehmen, daß Sie sich 
mal mit Ihrer Kollegin Schreyer zusammensetzen und sich mal 
von ihr berichten lassen, wie es ihr so ergeht, wenn wir uns in 
dem Ausschuß, für den wir beide zuständig sind, streiten, und 
wenn wir unsere Konzepte zur Stadtplanung, zu der Nullösung 
an hiesiger Planung, zur Umweltsituation, zur Nullverbesserung 
der Umweltlage 
[Frau Künast (GRÜNE/AL): Verbrauchen Sie nicht meine 
ganze Redezeit, Herr Hassemer!] 
- Es ist leider sehr ausführlich, was wir an Konzepten anzubieten 
haben. 
[Dr. Staffelt (SPD): Was soll denn das hier? - 
Frau Künast (GRÜNE/AL): Nein, jetzt hören Sie mal auf!] 
Sie sollten sich von Frau Schreyer nur mal ausschnittweise dar 
über informieren lassen. Wollen Sie diesen Tip von mir anneh 
men? 
Frau Künast (GRÜNE/AL): Also Herr Hassemer, ich hoffe, 
daß ich für diese dreiminütige Zwischenfrage auch entspre 
chende Redezeit bekomme. 
[Dr. Staffelt (SPD): Nein! Sie sind selber schuld!] 
Herr Hassemer, ich hatte fast befürchtet, daß sie es mit Ihrer 
Frage schaffen, auf ein konkretes Konzept hinzuweisen. Sie 
haben das aber auch wieder nicht gemacht, sondern nur darauf 
verwiesen, daß sie in der Lage sind, im Ausschuß Fragen zu 
stellen. Ich glaube Ihnen, daß Sie persönliche eine Menge an 
Ideen und Konzepten haben. Aber die CDU-Fraktion hat sie 
nicht, und es reicht nicht aus, wenn mal ein einzelner Ideen hat. 
(B) Die CDU hat hier acht Jahre regiert. Es gab Feuerwerk, und es 
gab Tschingderassabumm und große Feierlichkeiten. Ansonsten 
gab es nichts! Und wenn ich mir ansehe, was Herr Diepgen vor 
hin in seinem Redebeitrag vertreten hat, dann sehe ich, daß er 
sich an Unterlagen aus rot-grünen Koalitionspapieren herange 
macht hat, an das Wahlprogramm von uns, und dort einzelne 
Sätze herausgezogen hat. Und er hat - das habe ich mir aufge 
schrieben - hier einen wahrhaftig verrückten Satz genannt. Das 
war wohl das stadtpolitische Konzept eines Herrn Diepgen - 
er hat nämlich gesagt: Wir wollen Straßenverbindungen lärm 
geschützt ausbauen. Also beim lärmgeschützten Ausbau von 
Straßenverbindungen fällt mir ein 
[Edel (SPD): Tunnel!] 
entweder ein Tunnel. Aber man kann schließlich nicht die ganze 
Stadt vollkommen untertunneln, also wird er wahrscheinlich 
Lärmschutzwände wie an Autobahnen bauen wollen. Das ist 
aber nicht das, was ich mir vorstelle, das ist auch nicht das, was 
sich die Berliner vorstellen, Herr Hassemer. Das ist nämlich die 
Alternative zur Mauer. Wer vorher an der Mauer wohnte und aus 
dem Wohnzimmer auf die Mauer guckte, der soll jetzt bei breiten 
Straßen auf diese Lärmschutzwände gucken. Mehr hat Herr 
Diepgen hier nicht vorgetragen. Ich glaube, man kann auch nach 
diesen Redebeiträgen von Herrn Diepgen heute sagen, die CDU 
ist so etwas wie eine Trittbrettfahrerin, ich will damit niemandem 
persönlich zu nahetreten, aber es ist wirklich der Begriff, der 
meines Erachtens dafür passend ist. 
Das eine habe ich gerade angesprochen, das ist das 
Abschreiben von anderen, ohne ein eigenes Konzept zu entwik- 
keln. Das andere sind die Aktivitäten, die die CDU im Rahmen 
ihrer Oppositionszeit gebracht hat. Sie hat immer auf einem fah 
renden Zug ein Trittbrett gesucht und ist noch nicht einmal selber 
in der Lage gewesen, Dinge zu entwickeln. Vielen wird die Kam 
pagne gegen Tempo 100 auf der Avus einfallen, bei der Herr 
Diepgen sich mit großer Geste und Verve vor die Massen warf, 
wobei er agitierte und dachte, den ADAC auf seiner Seite zu 
haben. Und dann ging es ihm wie so manchem Volkstribun, die 
Massen haben das nach einiger Zeit anders gesehen, der ADAC 
hat eine Austrittswelle bekommen und angefangen, in seiner (C) 
Zeitschrift „Motorwelt“ für Tempo-30-Zonen in Wohngebieten zu 
werben, und vorbei war es mit Herrn Diepgen, und vorbei war es 
auch mit diesem Ausspruch; „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Das 
ist das, was mir zu den Konzepten der CDU einfällt: Trittbrettfah 
rer ist das Wort. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Und es hat, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, nie 
mand gesagt, wie Sie sich das vorstellen. Wo bleiben eigentlich 
die Fußgänger, wo bleiben Kinder, wo bleiben die alten Men 
schen? - Es wurde wieder nur von Straßen geredet, wenn auch 
„lärmgeschützt ausgebaut.“ 
[Edel (SPD): Was bleibt übrig? - Der Kollege Dr. Wruckl] 
Positiv ist unter Rot-Grün sicherlich bei allen Differenzen 
gerade die Verkehrspolitik. Da hat Rot-Grün wirklich neue 
Schwerpunkte gesetzt. Es hat einen Einstieg in den Vorrang des 
öffentlichen Personennahverkehrs gegeben mit entsprechenden 
Investitionen. Andere Parteien werden das durchaus mit Neid 
betrachten. Es hat eine 400prozentige Erhöhung - eine stolze 
Zahl - von Busspurkilometern gegeben. Als dann aber die Mauer 
fiel, haben SPD und AL gemeinsam in der Koalition eines nicht 
mehr geschafft, nämlich das für die ummauerte Stadt West-Ber 
lin Geplante dann tatsächlich auch weiter auszubauen für 
Gesamtberlin und das auch vehement zu Ende zu denken. Da 
hat dann auch bei durchaus wichtigen Personen dieser Koalition 
die Bereitschaft gefehlt, den öffentlichen Diskurs zu organisieren 
und in die öffentliche Diskussion zu gehen. Da wurde dann wie 
der: „schnell, schnell!“ gerufen. Das, was zum Beispiel in der 
SPD in bezug auf das Ende des Straßenbaues unter alten Bedin 
gungen durchsetzbar war nach langen schwierigen Lernprozes 
sen, das ging dann nicht mehr, sondern es ist wieder Altes auf 
gebrochen. Um dafür Beispiele zu nennen: Da wird auf Parteita 
gen diskutiert und entsprechend abgestimmt, den Bau der Neu 
köllner Autobahn wieder auszugraben, anstatt über andere Vari 
anten nachzudenken. Da wird dann vordergründig behauptet, 
Marzahn und Hellersdorf brauchen Grün, was sie sicherlich ®) 
brauchen, und das ginge angeblich nur dadurch, daß man die 
Buga aus der Stadtmitte herausholt, damit die noch existierende 
Buga-Planung über Bord wirft, im Ergebnis zugunsten einer 
Nord-Süd-Straße, die man dann sechsspurig genau durch 
diesen Bereich führen kann. 
[Edel (SPD): Das hat keiner gesagt!] 
- Es hat zwar keiner gesagt, aber wir alle wissen, was dann dahin 
kommt. Man wird dort nicht irgendeine Freifläche belassen. Also 
bietet sich da meines Erachtens nur die Nord-Süd-Straße an. 
Es geht aber noch weiter. Es gibt noch andere Ideen. Es gibt 
die Idee der mehrspurigen Umfahrung des Brandenburger Tores. 
Auch der Potsdamer und Leipziger Platz sollen mehrspurig um 
fahren werden. Der Unterschied besteht dann nur noch darin, 
daß auf die Autobahn dieses bekannte blaue Schild hinweist und 
die Straßenverkehrsordnung aber für diese mehrspurige Umfah 
rung dieses Schild nicht vorsieht. Das ist dann aber wirklich auch 
der einzige Unterschied. So haben wir uns das nicht vorgestellt, 
[Dr. Hassemer (CDU): Aber Sie werden das alles mitmachen!] 
das ist wirklich ein Rückschritt in die 60er Jahre, jetzt wieder auf 
die Autobahnlösung zurückzugehen. 
Der Ballungsraum Berlin hat bereits heute mit der näheren 
Umgebung 4 Millionen Einwohner. Wir wissen alle, daß uns da 
noch eine enorme Zunahme bevorsteht. Wir halten es stadtpoli 
tisch für eine Katastrophe, jetzt wieder auf die Autobahnen zu 
setzen, auf Kraftfahrzeuge, auf den Individualverkehr, und durch 
den Straßenbau quasi noch eine persönliche Einladung an die 
Autofahrer zu schicken. 
Wir denken uns eine Stadt quasi in drei aufeinanderzulegen 
den Schablonen. Ich will das kurz ausführen. Die eine Schablone 
ist das räumliche Entwicklungsmodell für die Gesamtregion Ber 
lin. Wir wollen die Strukturen, die in Berlin durch den S-Bahnbau 
von altersher schon vorhanden sind nutzen, das heißt die Ach 
sen, die vom Innenstadtbereich weit hinausgehen und in das 
Umland gerichtet sind, diese Achsen, entlang derer sich auch 
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