Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990
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I
(A) Dr. Hassemer (CDU): Ich will Ihnen einfach einen kleinen Tip
geben.
[Dr. Staffelt (SPD): Das ist doch hier keine Fragestunde!]
- Herr Staffelt, es wird zu einer Frage kommen.
Würden Sie den Tip von mir entgegennehmen, daß Sie sich
mal mit Ihrer Kollegin Schreyer zusammensetzen und sich mal
von ihr berichten lassen, wie es ihr so ergeht, wenn wir uns in
dem Ausschuß, für den wir beide zuständig sind, streiten, und
wenn wir unsere Konzepte zur Stadtplanung, zu der Nullösung
an hiesiger Planung, zur Umweltsituation, zur Nullverbesserung
der Umweltlage
[Frau Künast (GRÜNE/AL): Verbrauchen Sie nicht meine
ganze Redezeit, Herr Hassemer!]
- Es ist leider sehr ausführlich, was wir an Konzepten anzubieten
haben.
[Dr. Staffelt (SPD): Was soll denn das hier? -
Frau Künast (GRÜNE/AL): Nein, jetzt hören Sie mal auf!]
Sie sollten sich von Frau Schreyer nur mal ausschnittweise dar
über informieren lassen. Wollen Sie diesen Tip von mir anneh
men?
Frau Künast (GRÜNE/AL): Also Herr Hassemer, ich hoffe,
daß ich für diese dreiminütige Zwischenfrage auch entspre
chende Redezeit bekomme.
[Dr. Staffelt (SPD): Nein! Sie sind selber schuld!]
Herr Hassemer, ich hatte fast befürchtet, daß sie es mit Ihrer
Frage schaffen, auf ein konkretes Konzept hinzuweisen. Sie
haben das aber auch wieder nicht gemacht, sondern nur darauf
verwiesen, daß sie in der Lage sind, im Ausschuß Fragen zu
stellen. Ich glaube Ihnen, daß Sie persönliche eine Menge an
Ideen und Konzepten haben. Aber die CDU-Fraktion hat sie
nicht, und es reicht nicht aus, wenn mal ein einzelner Ideen hat.
(B) Die CDU hat hier acht Jahre regiert. Es gab Feuerwerk, und es
gab Tschingderassabumm und große Feierlichkeiten. Ansonsten
gab es nichts! Und wenn ich mir ansehe, was Herr Diepgen vor
hin in seinem Redebeitrag vertreten hat, dann sehe ich, daß er
sich an Unterlagen aus rot-grünen Koalitionspapieren herange
macht hat, an das Wahlprogramm von uns, und dort einzelne
Sätze herausgezogen hat. Und er hat - das habe ich mir aufge
schrieben - hier einen wahrhaftig verrückten Satz genannt. Das
war wohl das stadtpolitische Konzept eines Herrn Diepgen -
er hat nämlich gesagt: Wir wollen Straßenverbindungen lärm
geschützt ausbauen. Also beim lärmgeschützten Ausbau von
Straßenverbindungen fällt mir ein
[Edel (SPD): Tunnel!]
entweder ein Tunnel. Aber man kann schließlich nicht die ganze
Stadt vollkommen untertunneln, also wird er wahrscheinlich
Lärmschutzwände wie an Autobahnen bauen wollen. Das ist
aber nicht das, was ich mir vorstelle, das ist auch nicht das, was
sich die Berliner vorstellen, Herr Hassemer. Das ist nämlich die
Alternative zur Mauer. Wer vorher an der Mauer wohnte und aus
dem Wohnzimmer auf die Mauer guckte, der soll jetzt bei breiten
Straßen auf diese Lärmschutzwände gucken. Mehr hat Herr
Diepgen hier nicht vorgetragen. Ich glaube, man kann auch nach
diesen Redebeiträgen von Herrn Diepgen heute sagen, die CDU
ist so etwas wie eine Trittbrettfahrerin, ich will damit niemandem
persönlich zu nahetreten, aber es ist wirklich der Begriff, der
meines Erachtens dafür passend ist.
Das eine habe ich gerade angesprochen, das ist das
Abschreiben von anderen, ohne ein eigenes Konzept zu entwik-
keln. Das andere sind die Aktivitäten, die die CDU im Rahmen
ihrer Oppositionszeit gebracht hat. Sie hat immer auf einem fah
renden Zug ein Trittbrett gesucht und ist noch nicht einmal selber
in der Lage gewesen, Dinge zu entwickeln. Vielen wird die Kam
pagne gegen Tempo 100 auf der Avus einfallen, bei der Herr
Diepgen sich mit großer Geste und Verve vor die Massen warf,
wobei er agitierte und dachte, den ADAC auf seiner Seite zu
haben. Und dann ging es ihm wie so manchem Volkstribun, die
Massen haben das nach einiger Zeit anders gesehen, der ADAC
hat eine Austrittswelle bekommen und angefangen, in seiner (C)
Zeitschrift „Motorwelt“ für Tempo-30-Zonen in Wohngebieten zu
werben, und vorbei war es mit Herrn Diepgen, und vorbei war es
auch mit diesem Ausspruch; „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Das
ist das, was mir zu den Konzepten der CDU einfällt: Trittbrettfah
rer ist das Wort.
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD]
Und es hat, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, nie
mand gesagt, wie Sie sich das vorstellen. Wo bleiben eigentlich
die Fußgänger, wo bleiben Kinder, wo bleiben die alten Men
schen? - Es wurde wieder nur von Straßen geredet, wenn auch
„lärmgeschützt ausgebaut.“
[Edel (SPD): Was bleibt übrig? - Der Kollege Dr. Wruckl]
Positiv ist unter Rot-Grün sicherlich bei allen Differenzen
gerade die Verkehrspolitik. Da hat Rot-Grün wirklich neue
Schwerpunkte gesetzt. Es hat einen Einstieg in den Vorrang des
öffentlichen Personennahverkehrs gegeben mit entsprechenden
Investitionen. Andere Parteien werden das durchaus mit Neid
betrachten. Es hat eine 400prozentige Erhöhung - eine stolze
Zahl - von Busspurkilometern gegeben. Als dann aber die Mauer
fiel, haben SPD und AL gemeinsam in der Koalition eines nicht
mehr geschafft, nämlich das für die ummauerte Stadt West-Ber
lin Geplante dann tatsächlich auch weiter auszubauen für
Gesamtberlin und das auch vehement zu Ende zu denken. Da
hat dann auch bei durchaus wichtigen Personen dieser Koalition
die Bereitschaft gefehlt, den öffentlichen Diskurs zu organisieren
und in die öffentliche Diskussion zu gehen. Da wurde dann wie
der: „schnell, schnell!“ gerufen. Das, was zum Beispiel in der
SPD in bezug auf das Ende des Straßenbaues unter alten Bedin
gungen durchsetzbar war nach langen schwierigen Lernprozes
sen, das ging dann nicht mehr, sondern es ist wieder Altes auf
gebrochen. Um dafür Beispiele zu nennen: Da wird auf Parteita
gen diskutiert und entsprechend abgestimmt, den Bau der Neu
köllner Autobahn wieder auszugraben, anstatt über andere Vari
anten nachzudenken. Da wird dann vordergründig behauptet,
Marzahn und Hellersdorf brauchen Grün, was sie sicherlich ®)
brauchen, und das ginge angeblich nur dadurch, daß man die
Buga aus der Stadtmitte herausholt, damit die noch existierende
Buga-Planung über Bord wirft, im Ergebnis zugunsten einer
Nord-Süd-Straße, die man dann sechsspurig genau durch
diesen Bereich führen kann.
[Edel (SPD): Das hat keiner gesagt!]
- Es hat zwar keiner gesagt, aber wir alle wissen, was dann dahin
kommt. Man wird dort nicht irgendeine Freifläche belassen. Also
bietet sich da meines Erachtens nur die Nord-Süd-Straße an.
Es geht aber noch weiter. Es gibt noch andere Ideen. Es gibt
die Idee der mehrspurigen Umfahrung des Brandenburger Tores.
Auch der Potsdamer und Leipziger Platz sollen mehrspurig um
fahren werden. Der Unterschied besteht dann nur noch darin,
daß auf die Autobahn dieses bekannte blaue Schild hinweist und
die Straßenverkehrsordnung aber für diese mehrspurige Umfah
rung dieses Schild nicht vorsieht. Das ist dann aber wirklich auch
der einzige Unterschied. So haben wir uns das nicht vorgestellt,
[Dr. Hassemer (CDU): Aber Sie werden das alles mitmachen!]
das ist wirklich ein Rückschritt in die 60er Jahre, jetzt wieder auf
die Autobahnlösung zurückzugehen.
Der Ballungsraum Berlin hat bereits heute mit der näheren
Umgebung 4 Millionen Einwohner. Wir wissen alle, daß uns da
noch eine enorme Zunahme bevorsteht. Wir halten es stadtpoli
tisch für eine Katastrophe, jetzt wieder auf die Autobahnen zu
setzen, auf Kraftfahrzeuge, auf den Individualverkehr, und durch
den Straßenbau quasi noch eine persönliche Einladung an die
Autofahrer zu schicken.
Wir denken uns eine Stadt quasi in drei aufeinanderzulegen
den Schablonen. Ich will das kurz ausführen. Die eine Schablone
ist das räumliche Entwicklungsmodell für die Gesamtregion Ber
lin. Wir wollen die Strukturen, die in Berlin durch den S-Bahnbau
von altersher schon vorhanden sind nutzen, das heißt die Ach
sen, die vom Innenstadtbereich weit hinausgehen und in das
Umland gerichtet sind, diese Achsen, entlang derer sich auch
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