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Volume Nr. 46, 25. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990 
Frau Künast 
(A) Das ist ein Ideenklau, den ich in Ordnung finde, das war durch 
aus so beabsichtigt, daß andere von uns lernen. Aber allein, daß 
man einzelne Reformideen aufgreift, daß man hier ein bißchen 
Umweltschutz fordert, an anderer Stelle ein wenig Frauenförde 
rung und behauptet, man müsse sich darum kümmern, das allein 
ist noch keine politische Wende, wie wir sie für nötig halten. 
Die Tagesordnung der Politik dieses Jahres war - anstatt eine 
Wende zu vollziehen und sie weiterzuentwickeln - eigentlich 
reduziert auf das Krisenmanagement, und zwar selbst bei Din 
gen, die gar nicht zwangsläufig so schnell hätten entschieden 
werden müssen. Damit einher ging auch ein Zurückfallen auf alte 
Sichtweisen, und die Gefahr ist verstärkt worden, daß anstelle 
tatsächlicher Reformpolitik alte Tapeten nur zum wiederholten 
Male überstrichen werden. 
Was wir aber brauchen, um eine lebenswerte Stadt zu 
schaffen - trotz der Größe, um die die Stadt jetzt beharrlich 
zunimmt -, was wir brauchen, um ein gedeihliches Zusammen 
leben auch der unterschiedlichsten Kulturen zu ermöglichen, ist 
das Festhalten und das Weiterentwickeln eines Bildes von einer 
anderen Stadt, und zwar einer Stadt, die sich ganz bewußt 
abgrenzt zu den Betonsilos der angeblich autogerechten Stadt 
der 60er Jahre. Wir fordern dies auch, obwohl oft das Umsetzen 
altbekannter Politikmuster einfacher erscheint oder vielleicht 
auch - vordergründig - politisch einfacher, besser zu verkaufen 
ist. 
Ich will auf einen Begriff kommen, den ich dann sowohl bei der 
CDU als auch bei der SPD kritisiere. Das ist das in der Politik 
gern benutzte Wort der Handlungsfähigkeit Leider war das ein 
Begriff, der auch in rot-grünen Zeiten zur Maxime des Jahres 
1990 geworden ist. Für uns ist Handlungsfähigkeit aber gar nicht 
etwas an sich und per se Positives. Wir halten den Begriff der 
Handlungsfähigkeit für genauso inhaltsleer wie den Begriff der 
Pflichterfüllung, Wir sind auch der Meinung, daß so etwas wie 
das ständige Postulieren von Handlungsfähigkeit nicht zum Poli 
tikersatz werden darf. 
(B) [Edel (SPD): Aber nur Handlungsunfähigkeit ist 
auch nicht gut!] 
Es kommt, lieber Otto Edel, darauf an, was die Politik tut und wie 
sie es tut. Es kommt nicht darauf an, einfach zu sagen, wir müß 
ten uns handlungsfähig zeigen. Das ist der Punkt. Ich glaube, da 
kann man aber für dieses Jahr der Politik durchaus einen Vorwurf 
des Versagens machen. Es ist oftmals und vielfach nur das Kurz 
fristige getan worden, das Vordergründige, Politik hat eines ver 
paßt in dieser Zeit, nämlich auch mal Mahnerin zu sein, auch mal 
zu sagen, was eigentlich die politischen Konsequenzen 
bestimmter Handlungen sind, was damit im Laufe der nächsten 
Jahre passiert. 
Es ist für mich verständlich, wenn einzelne fordern - die CDU 
vertritt das immer sehr vehement -, daß sie an bestimmten 
Stellen nicht im Autostau stehen, sondern mehr Straßen haben 
wollen. Aber das kann doch nicht der Maßstab von Politik sein, 
sondern Politik muß sich immer darum bemühen, Zusammen 
hänge herzustellen und sie öffentlich zu machen. Das heißt, daß 
wir sagen müssen - da habe ich durchaus Kritik an der SPD -, 
und zwar sehr laut: Wer Straßen sät, wer sechsspurig ausbaut, 
der wird massenhaft Individualverkehr ernten und nicht nur das! 
[Beifall des Abg. Edel (SPD)] 
Es wird auch zu einer zunehmenden Umweltverschmutzung 
kommen, zu etwas wie einer Atemlosigkeit in den Innenstädten 
bei Smog im Sommer und auch im Winter. Wir haben ihn nun in 
beiden Jahreszeiten. Allen ist bekannt, daß hier inzwischen 
sowohl im Sommer als auch im Winter die Devise ausgegeben 
wird: Begeben Sie sich nicht auf die Straße, bewegen Sie sich 
nicht zuviel. - Das deshalb, weil die Verschmutzung so hoch ist 
und Herz- und Kreislaufleiden dadurch produziert werden. Wir 
müssen auch darauf hinweisen - das muß man immer wieder 
öffentlich machen -, daß dort, wo Autoverkehr stattfindet, wo 
schnell gefahren und dann auch ausgebaut wird, es tödliche 
Autounfälle gibt und schwere Verletzungen, daß gerade Kinder 
davon extrem betroffen sind. Wenn ich mir einige Entscheidun 
gen der letzten Monate oder Wochen ansehe, dann habe ich 
Zweifel, daß allen das immer klar ist. 
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Wenn ich das positiv formuliere, dann sage ich: Wir brauchen 
ein Konzept für diese Stadt - einige andere Rednerinnen und 
Redner haben das auch schon gesagt in der wieder viele, und 
zwar bewußt verschiedene, Menschen Lust haben zu leben und 
zu atmen. Es geht um eine Stadt, in der sich alle - wirklich alle -, 
die sich entschieden haben, hierzu leben, und zwar unabhängig 
von ihren Pässen, in den unterschiedlichsten Formen an Politik, 
an Entscheidungen beteiligen können. 
[Beifall bei GRÜNE/AL] 
Ich sage das auch in dem Bewußtsein, daß diese Stadt nicht 
nur auf dem Papier Hauptstadt sein, sondern auch Regierungs 
und Parlamentssitz werden will. Das heißt: Diese Stadt sollte 
sich gegenüber Bonn nicht nur dadurch auszeichnen, daß man 
sagt, hier kriege die Politik nicht den üblichen Sicherheitsab 
stand zur gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern diese Stadt 
muß sich dann auch der Aufgabe stellen, eine Modellfunktion 
auszuüben. 
Das heißt: Wer wie Herr Diepgen sagt, wir bilden eine lange 
Reihe von Metropolen - Paris, Madrid, London, Moskau hat er 
vergessen, Warschau auch, weil er Angst hat, daß dann wieder 
die Polen kommen -, wer das will, muß aber auch einen anderen 
Satz sagen - und da müßte Berlin modellhaft sein -, er müßte 
sagen: Es gibt dann auch, wenn wir uns in diese Städte einrei 
hen, keine Beschränkung für Angehörige aus den ehemaligen 
Ostblockstaaten. Wer Hauptstadt sein und sagen will, daß wir 
anders als Bonn sind, der muß auch Vorbild für ein föderales 
System sein. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und SPD] 
Das kann man nicht allein nur mit Wortgeklingel machen, son 
dern dann muß dieses Land Berlin vorführen, wie es das selber 
im Inneren macht. Dann muß das Land Berlin auch vorführen, 
daß hier im Verhältnis zwischen Hauptverwaltung, Parlament und 
Landesregierung zu den Bezirken, zu einzelnen Interessengrup 
pen und zu einzelnen Personen bei uns Föderalismus praktiziert 
wird. Auch das fehlt mir! Man könnte diese Liste lange fortset 
zen. Bisher hat sich niemand dazu geäußert, daß das auch Anfor 
derungen an Berlin stellt. 
Ich will unsere Ideen, unsere politischen Ziele, unsere Visionen 
- auch in Abgrenzung zu den anderen Parteien - an zwei kurzen 
Beispielen festmachen, an dem Bild der lebenswerten Stadt, 
einer entsprechenden Stadtentwicklung, und auf der anderen 
Seite an dem Bild einer demokratischen Stadt und einer umfas 
senden gesellschaftlichen Beteiligung aller. 
Zu dem ersten Bild einer lebenswerten Stadt - ich habe das 
eben schon einmal angedeutet - entwickelt sich inzwischen in 
den letzten Monaten eine durchaus immer stärker werdende 
Abgrenzung zur Sozialdemokratie; denn dort werden alte Stadt 
planungsvorstellungen der 60er Jahre wieder stärker. 
Ich bedauere es, daß ich mich schwerpunktmäßig hier auf die 
SPD reduzieren muß. Ich bedauere das ausdrücklich, denn es 
würde in eine solche Debatte passen, sich auch mit der Opposi 
tion auseinanderzusetzen. Aber da gibt es nichts, aber auch gar 
nichts! 
[Beifall bei GRÜNE/AL] 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Frau Künast, gestatten Sie 
eine Zwischenfrage des Kollegen Eckert? - Bitte, Herr Eckert! 
Eckert (GRÜNE/AL): Frau Künast, wollen Sie mit Ihrer schon 
eingangs gemachten Festellung behaupten, daß der stellvertre 
tende Fraktionsvorsitzende der CDU-Fraktion, den Sie anfangs 
namentlich angesprochen haben, Herr Dr. Hassemer, kein Kon 
zept hat? 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Frau Künast, gestatten Sie 
eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hassemer? 
Frau Künast (GRÜNE/AL); Ja, bitte! Vielleicht kommt jetzt 
das Konzept.
	        
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