Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
46. Sitzung vom 25. Oktober 1990
Diepgen
Bis zum Jahr 2000 - Olympia in Berlin - müssen wir funktionie
rende Systeme von U- und S-Bahn im Verkehrsverbund mit der
Bundesbahn haben.
[Dr. Niklas (SPD): Hat der Finanzsenator zuviel
Schulden gemacht oder zuwenig? Was werfen
Sie ihm denn vor? Nun müssen Sie sich entscheiden!]
Schon früher hat die CDU dem Bund vorgeschlagen, Mittel aus
dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsfonds als Annuitätshilfen
für Kredite einzusetzen.
[Zurufe von der SPD]
Präsident Wohlrabe: Ich bitte, ein wenig Ruhe einkehren zu
lassen!
Diepgen (CDU): Ich greife das gern auf: Der Zwischenruf
zeigt die Verängstigung und die Hilflosigkeit.
[Beifall bei der CDU -
Gelächter bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Ich weise Sie hiermit auf ein Finanzierungssystem hin, das übri
gens sowohl für die Olympischen Spiele als auch für den öffentli
chen Personennahverkehr genutzt werden kann. Wir müssen
eben erreichen, daß wir die Finanzierung nicht in der alten klassi
schen Form vornehmen und dreißig oder vierzig Jahre dafür
benötigen, sondern daß wir in fünf oder zehn Jahren auch wirk
lich vorankommen. Das ist doch unsere eigentliche Aufgabe, und
nicht Ihr kleinliches Geschwätz und die Zwischenruferei. Ich
komme nochmals darauf zurück: Wir haben schon früher dem
Bund vorgeschlagen, Mittel aus dem Gemeindefinanzierungs
fonds als Annuitätshilfen für Kredite einzusetzen. Gleichzeitig
könnten auch andere Investitionsmittel - wie sie beispielsweise
bisher nur für den Wohnungsbau üblich waren - für den öffentli
chen Personennahverkehr genutzt werden. Mit diesen Mitteln
müssen die jährlichen Investitionsraten schrittweise bis zu
750 Millionen DM aufgestockt werden. Das ist machbar, wenn
man sich der Aufgabe und der Chancen, die mit Berlin verbun
den sind, wirklich bewußt ist und wenn man bereit ist, die
Chancen zu nutzen und auch unorthodoxe Wege zu gehen.
[Beifall bei der CDU]
Übrigens ist auch ein Leasing-Verfahren für Investitionen aus der
privaten Wirtschaft zu überlegen. Das Ziel der Union ist es, in
den nächsten zehn Jahren U-Bahn und S-Bahn zu einem bei
spielhaften Nahverkehrssystem für die Gesamtregion Berlin -
und zwar von Frankfurt an der Oder bis Brandenburg - auszu
bauen.
[Beifall bei der CDU]
3. Die Vielsprachigkeit in Europa, verbunden mit neuen Techni
ken der Kommunikation, verlangen von Berlin folgendes: Es müs
sen alle europäischen Sprachen an den Schulen, bis hin zu den
Hochschulen, gelernt und gelehrt werden. Ein europäisches
Datenbankzentrum gehört nach Berlin, eine Computervernet
zung mit anderen europäischen Metropolen muß aufgebaut
werden. In Berlin müssen europäische Studien durchgeführt
werden.
[Frau Damrat (SPD): Das gibt es doch alles schon!
Was wissen Sie denn eigentlich?]
Wer nach Berlin kommt, lernt etwas von Deutschland. Das war
unter den Bedingungen der Teilung eine wichtige Aufgabe
unserer Stadt. Wer nach Berlin kommt, lernt etwas von Europa -
und vor allem auch für Europa. Das muß unter den Bedingungen
der Einheit Deutschlands und der Einigung Europas eine wich
tige Zukunftsaufgabe Berlins sein.
[Beifall bei der CDU]
Berlin hatte immer wieder große Aufbauzeiten: Der Große
Kurfürst, Friedrich der Große, die Reform von Freiherr vom Stein
und von Hardenberg, die Aufbauphase der Industrialisierung,
auch die Zwanziger Jahre oder die Zeit Ernst Reuters. Wir
stehen wieder vor einer so großen Aufgabe. Die aktuellen
Sorgen der Menschen liegen dabei allerdings in den Bereichen
der inneren Sicherheit, der wirtschaftlichen Entwicklung und der (C)
sozialen Sicherheit. Für den Schutz der Bürger kann und wird
der Staat sorgen, und er wird es tun, wenn diese rot-grüne Koali
tion endlich abgelöst ist.
[Beifall bei der CDU]
Um soziale Gerechtigkeit müssen wir immer ringen. Die
CDU wird insbesondere die älteren Menschen und die Behinder
ten in dieser Stadt nicht vergessen. Beim Aufbau Berlins und bei
den Stadtentwicklungsaufgaben geht es auch um einen behin
dertengerechten Aufbau. Es geht um die Sorge für die Kranken
und um die Verbesserung der Pflege, es geht um das notwen
dige Personal in Krankenheimen und Krankenhäusern. Der
Dienst am und für den Menschen, die Pflege der Kranken, der
Alten und Behinderten muß gesellschaftlich besser anerkannt
und auch besser honoriert werden.
Angesichts der aktuellen Diskussion um die Mindestrente
und den Soziaiausgleich im Rahmen der Rentenerhöhung ab
dem 1. Januar 1991 möchte ich einen Vorschlag der Berliner
CDU noch einmal aufgreifen:
[Haberkorn (GRÜNE/AL): Nicht noch mal
den alten Schinken!]
Nach dem Eingungsvertrag erhalten Menschen mit einer Kleinst-
rente in der ehemaligen DDR neben ihrer Rente einen sogenann
ten Sozialausgleich. Es war ein Fehler der ersten Ankündigung
zur Rentenerhöhung, daß dieser Sozialausgleich nicht berück
sichtigt wurde. •
[RBm Momper: Das wird doch jetzt korrigiert! -
Landowsky (CDU): Aber nicht durch Sie!]
- Das ist jetzt korrigiert worden. Mir geht es aber noch um einen
weiteren Punkt: Das System des Sozialausgleichs für Klein-
strentner sollte in das Rentenversicherungssystem in der neuen
Bundesrepublik Deutschland übernommen werden. Nur so kann
man die verschämte Altersarmut hinreichend bekämpfen.
(D)
[Beifall der Abgn. Führer (CDU) und
Frau Kampfhenkel [SPD)]
Ich halte es nach wie vor nicht für richtig, wenn Kleinstrentner
nach einem arbeitsreichen Leben gezwungen werden, die
Ergänzung ihrer Rente beim Sozialamt zu erbitten. Ich halte das
für menschenunwürdig. Der Einigungsvertrag sollte die Diskus
sion neu beleben, der neue Deutsche Bundestag sollte diese
Debatte wieder eröffnen. Wir fordern, daß das Problem der ver
schämten Altersarmut gelöst wird und die Menschen eine Min
destversorgung erhalten - und zwar nicht aufgeteilt in eine
Rente aus der Sozialversicherung und in Sozialhilfe, sondern von
nur einem Versicherungsträger. Das entspricht der Würde der
Menschen nach einem arbeitsreichen Leben.
[Beifall bei der CDU und bei der SPD]
Die Arbeitslosigkeit im Ostteil und in der Umgebung Berlins
ist eine der weiteren großen Sorgen der Berlinerinnen und Berli
ner. Hier geht es auch um die Fragen: Wer hat in welcher Form
Chancen zur Umschulung? Wer und in welche Bereiche wird
umgeschult? Finde ich danach auch wirklich einen Job? - Hier
müssen entsprechende Anleitungen gegeben werden. Der Ver
gleich zwischen verschiedenen Ballungsgebieten zeigt, in
welchen Bereichen künftig neue Arbeitsplätze in Berlin entste
hen werden.
Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion gibt es aller
dings erst seit wenigen Monaten. Noch nicht einmal seit einem
Monat ist Deutschland wieder vereinigt. In dieser kurzen Zeit
konnten sicher keine Wunder vollbracht werden.
[Dr. Staffelt (SPD): Nur der Senat müßte
sie vollbringen!]
Es ist meines Erachtens hier in Berlin zu wenig geschehen. Aber
in der kurzen Frist konnte das ganze Ausmaß des erschrecken
den Erbes eines sogenannten real existierenden Sozialismus
nicht aufgearbeitet werden. Ich bin allerdings optimistisch, daß
die deutsche Einheit zu einem großen Wachstums- und Wohl
standsgewinn für alle führen wird.
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