Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
44. Sitzung vom 11. Oktober 1990
Dr. Staffelt
(A) Liberalisierung des Flugverkehrs in Berlin eintreten soll. Dem
werden wir entschieden enlgegentreten, weil wir die Qualität der
Lebensbedingungen in unserer Stadt erhalten wollen.
[Beifall bei der SPD]
Es liegt doch wohl auf der Hand, daß die Stadtlandschaft Berlin
keinen Flickenteppich mit vier Flughäfen vertragen kann, so daß
am Ende an jeder Ecke und in jeder Straße dieser Stadt Flug
lärmbelästigungen in großer Zahl vorhanden sein werden.
[Giesel (CDU); Aber warum schimpfen Sie
eigentlich so?]
Es läßt sich in unserer Stadt hoffentlich auch in der Zukunft
nicht jede Maßnahme mit dem Hinweis auf Metropole und
Hauptstadt begründen. Diese Stadt will kein Moloch werden,
diese Stadt will eine Metropole werden, die Lebensqualität zeigt
und die aus den Fehlern anderer Ballungsräume in der Bundes
republik Deutschland und in Europa lernt.
[Beifall bei der SPD - Vereinzelter Beifall
bei GRÜNE/AL - Giesel (CDU):
Sie haben vor einem Jahr
noch ganz anders gesprochen!]
Es muß unsere Aufgabe sein, den Druck aufrechtzuerhalten,
auch auf die Bundesregierung. Wir fordern lärmarmes Groß
raumfluggerät, damit die Starts und Landungen nicht unbotmä
ßig in ihrer Zahl ansteigen. Wir schlagen vor, den sofortigen
Beginn von Gesprächen und Vorplanungen mit der brandenbur-
gischen Landesregierung und dem Bundesverkehrsministerium
über die Schaffung eines Großflughafens im Süden Berlins.
Wir begrüßen in dem Zusammenhang ausdrücklich die Ankündi
gung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten-Kandidaten
Stolpe, nach seiner Wahl sofort mit den Planungen gemeinsam
mit Berlin beginnen zu wollen.
[Beifall bei der SPD - Giesel (CDU):
Jetzt wird es billig!]
^ Wir steilen - zweitens - fest: Die bisherige Arbeitsteilung
zwischen Tegel und Schönefeld muß verstärkt werden.
[Giesel (CDU): Wie denn, wenn Schönefeld
umgebaut wird?]
Tegel darf nicht allein die Hauptlast des Zuwachses tragen. Wir
sind deshalb für den provisorischen Ausbau der Abfertigungs
kapazitäten in Schönefeld auf 8 Millionen Fluggäste jährlich, die
Bündelung der internationalen und interkontinentalen Flüge in
Schönefeld
[Frau Wiechatzek (CDU): Das ist auch neu!]
und die Verbesserung des Abfertigungskomforts in Schönefeld,
um die Attraktivität dieses Flughafens zu steigern. „Provisorisch“
sagen wir deshalb, weil wir keine Bauten erstellen müssen, die
spätere Regierungen in die Lage versetzt, möglicherweise auf
einen Großflughafen weit außerhalb der Stadt zu verzichten.
Dieser Druck muß aufrechterhalten bleiben.
[Beifall bei der SPD]
Ich sage an dieser Stelle auch: Es macht keinen Sinn, wenn
ein und dieselbe ausländische Fluggesellschaft gleichzeitig in
Tegel und in Schönefeld startet und landet. Auch dagegen wer
den wir uns wenden. Hier muß ein Stück Regulation her, damit
der Flugverkehr die Berlinerinnen und Berliner nicht erdrückt.
[Beifall bei der SPD]
Tempelhof bietet wegen seiner innerstädtischen Lage mit
Sicherheit keine Flughafenkapazität für eine Ausweitung des
Flugverkehrs. Mittelfristig muß eine Aufgabe des Zivilflugver
kehrs in Tempelhof angestrebt werden. In der augenblicklichen
Situation heißt das: Keine neuen Flugverbindungen von Tempel
hof aus, schon gar keine mit Düsenflugzeugen!
[Beifall bei der SPD]
Schließlich: Der Privatflugverkehr muß aus dem Stadtgebiet
herausgehalten werden. Es kann doch nicht wahr sein, daß uns
schnarrende Reklamemaschinen über der Stadt nerven, nur weil
einzelne Unternehmen meinen, dies sei der eigentliche Werbe- (C)
gag. Hier müsssen wir nein und nochmals nein sagen zum
Schutz der Umwelt.
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Herr Dr. Staffelt! Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hapel?
Dr. Staffelt (SPD): Nein, ich bin sofort fertig! - Abschließend
weise ich darauf hin, daß es Bestandteil sozialdemokratischer
Politik bleiben wird, der Eisenbahn Priorität einzuräumen
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
und daß es die Versäumnisse dieser Bundesregierung sind, die
dazu geführt haben, daß wir so spät erst mit dem Bau der Hoch
geschwindigkeitsstrecke nach Hannover beginnen können. Hier
auf ist unser Augenmerk zu richten.
Ich sage noch einmal: Ökonomische Notwendigkeiten werden
gesehen, aber der Schutz der Bevölkerung, der Schutz unserer
Lebensgrundlagen ist nicht nur ebenso wichtig, er muß Priorität
haben. - Schönen Dank!
[Starker Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Für die CDU-Fraktion hat
Herr Kollege Buwitt das Wort. Bitte!
Buwitt (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Was die Fragestunde angekündigt hat, hält die Aktuelle Stunde:
billige Wahlkampfkampagne und billiges Wahlkampfgeklingei!
[Heiterkeit bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Nachdem SPD und AL die Wiedervereinigung nur widerwillig
hingenommen haben, geht es der SPD jetzt mit der Einigkeit in (qj
Europa genauso, denn die Liberalisierung des Flugverkehrs
ist Teil der Einigung Europas. Es ist typisch für die SPD; Alle sind
an allem schuld, nur die SPD kann für nichts; erst waren es die
Alliierten, die alles zu verantworten hatten, heute ist es die
Bundesregierung, und morgen wird es das Land Brandenburg
sein. Allerdings hat einer damit überhaupt nichts zu tun: die SPD
in Berlin! Das stimmt zum Teil sogar. Denn wie will die SPD den
Hauptstadtanspruch glaubhaft verdeutlichen? Wie will sie
eigentlich den Regierungssitz für Berlin reklamieren? Die Olym
pia-Bewerbung? Dieses wird doch alles nur halbherzig von
Ihnen betrieben und meistens sogar im Streit zwischen den
Koalitionsfraktionen.
Herr Staffelt sprach von rückwärts gerichteter Politik. Nun wol
len wir uns einmal ansehen, wie die rückwärts gerichtete Politik
aussieht; Senat, SPD und AL sind doch mit ihrer Luftverkehrs
politik bereits gescheitert, bevor sie überhaupt angefangen
haben, auch nur irgend etwas zu tun. Das war keine Bauchlan
dung, sondern eine glatte Bruchlandung.
[Beifall bei der CDU]
Die SPD und der Senat konnten sich nicht durchsetzen. Die AL
wollte die Bauchlandung. Die drei Genannten, Senat, SPD und
AL, haben in den letzten zwei Jahren nichts getan, und zwar zum
Schaden der Stadt und ihrer Bewohner und Besucher. Sehen
Sie sich einmal den Ausbau der Abfertigungskapazitäten auf
dem Flughafen Tegel an. Wenn der eine mal wollte, hat der
andere blockiert. Zuerst konnte sich der Senat nicht einigen,
dann hat es die AL-Fraktion blockiert usw. Sie haben im Prinzip
überhaupt nichts getan.
[Giesel (CDU): Und heute haben wir den Engpaß!]
ln der Vergangenheit war es sehr bequem, alles auf die Verant
wortung der Alliierten abzuwälzen. Das funktioniert natürlich seit
dem 3. Oktober nicht mehr. Die mangelnde Abfertigungskapazi
tät auf den Flughäfen deckt schonungslos die Untätigkeit des
Senats in den letzten zwei Jahren auf. Der Senat und die SPD
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