Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
42. Sitzung vom 27. September 1990
Frau Künast
(A) dieses Gesetzes auch in Ost-Berlin gezahlt werden und es da
also keine Abstriche geben wird. Das ist wegen der Besonder
heit dieses Personenkreises gemacht worden, und ich hoffe, daß
das auch ein Zeichen dafür ist, daß es möglichst bald auch eine
hunderprozentige Bemessung bei den anderen Leistungen gibt,
die das Land Berlin zusätzlich zu Bundesregelungen erbringt.
In den anderen Bereichen - das war bei Herrn Finkelnburg ein
wenig undeutlich, deshalb sage ich es noch einmal - sind Lei
stungen zwischen 60 °/o bis 80 % vorgesehen, die sich in dem
Gesetz allerdings in konkreten Zahlen niederschlagen. Ich will
jetzt allerdings nicht - wie meine beiden Vorredner es getan
haben - jeweils unterschiedliche Versionen darüber abgeben,
wer wann welchen Vorschlag gemacht hat, nur Eingeweihten
wird aufgefallen sein, daß es dazu jedenfalls schon zwei Versio
nen gibt. Ich möchte nur auf eines hinweisen, daß wir uns näm
lich in der Diskussion um dieses Gesetz darum bemüht haben,
eine Unterscheidung vorzunehmen zwischen allgemeinen Lei
stungsregelungen und denen, die ganz konkret mit einem Min
deststandard die Existenz absichern sollen. Deshalb gibt es
auch bei den Ausführungen zum Pflegegeld in diesem Gesetz
eine Prüfungsfrist bis zum 1. Juli 1991, weil wir der Meinung sind,
daß eine viel frühere Prüfung des niedergelegten Satzes von
60 % vorgenommen werden muß und nicht erst zu den nächsten
Haushaltsberatungen. Auch ist hinsichtlich des Familiengeldes
und der berufsfördernden und berufsbegleitenden Maßnahmen
- kurz Qualifizierungsrichtlinien genannt - eine Verpflichtung für
den Senat vorgemerkt, bis zum 15. Oktober dieses Jahres dem
Abgeordnetenhaus oder der Stadtverordnetenversammlung
über die Angleichung zu berichten.
Trotz alledem kann ich mir nicht verkneifen, darauf hinzuwei
sen, daß sich die CDU-Fraktion bei den Beratungen im Einheit
sausschuß auch mitunter vergaloppiert hat. Mir gefällt dazu eine
Äußerung von Herrn Dr. Hassemer, die er in einem „taz“-lnter-
view gemacht hat: Die CDU habe es besonder schwer gehabt in
den letzten zwei Jahren, weil sie die Opposition wäre, die nicht
an der Regierung beteiligt gewesen sei. - Im Hinblick darauf
hatte ich zwischenzeitlich den Eindruck, daß die CDU es sich in
den Beratungen mitunter ein wenig einfach gemacht hat. Ich ver
stehe zum Beispiel nicht, weshalb zum Nachwuchsförderungs
gesetz bei den Universitäten der Antrag gestellt wurde, die Lei
stungen auf 100% einzustellen, ohne die dahinterstehende
Berechnungssituation zu klären. Ich will damit nicht behaupten,
daß dieser Personenkreis nicht die volle Leistung braucht, aber
ich frage mich, weshalb dieser Antrag kam, wenn ich das einmal
mit anderen Lebenssituationen vergleiche, zum Beispiel mit den
Personen, die Pflegegeld bekommen. Ich habe nicht verstanden,
weshalb ohne rechnerische Klärung da die Idee aufkam, diese
Personen weit besser zu stellen in ihrem Lebensstandard als
zum Beispiel Facharbeiter, die in Konsequenz des Einigungsver
trags aus Bonn nur eine 40prozentige Leistung bekommen. Das
ist eine Ungerechtigkeit, die ich so nicht verstehen kann; ich
denke, da muß man sich schon in der Logik der immanenten
Gerechtigkeit bewegen oder sagen, man wolle einen Mindest
standard gewährleisten, aber dann wäre da nicht gerade der
richtige Ansatzpunkt gewesen.
Als Anekdote am Rande gesagt; Vergaloppiert hat man sich
auch im Ausschuß bei den Friedhofbenutzungsgebühren. Da
gab es eine der kuriosesten Abstimmungen, weil - nachdem das
Riegegeld und das Schüler-BAföG auf 60 % festgelegt war -
einige im Ausschuß meinten, daß diese Gebühren auch auf
60 % gesetzt werden müßten. Vor lauter immanenter Logik
wurde dann vergessen, daß diese Friedhofsbenutzungsgebüh
ren nicht von einem 60prozentigen Riegegeld zu zahlen sind,
sondern von den normalen Gehältern, die bekannterweise -
ohne daß das Land Berlin darauf direkten Einfluß hat - bei 40 %
liegen. Aber so etwas geschieht schon einmal im Beratungsma
rathon.
Ich möchte kurz auf einen Satz von Herrn Dr. Finkelnburg ein-
gehen; Gleiche Hilfe bei gleicher Notlage. - Dazu kann man
nur sagen: Er hat recht. Aber eigentlich fehlte mir in seinem
Redebeitrag die Fortführung dieses Satzes. Denn eine Partei -
auch wenn sie hier in der Opposition ist -, die sich in Bonn in der
Regierung wiederfindet, also in besonderem Maß diesen Ein
heitsprozeß steuert, kann nicht einfach sagen: Gleiche Hilfe bei (C)
gleicher Notlage!, sondern muß dann auch einen Vorschlag dazu
einbringen, wie das zu finanzieren und wie das Land Berlin im
Rahmen der anstehenden Ost-West-Vereinigung die Finanzie
rung regelt. Wer die schnelle Einheit wollte, muß jetzt auch
Finanzierungskonzepte vorlegen, ln dem Redebeitrag von Herrn
Finkelnburg fehlte auch, welchen Beitrag die CDU dazu leisten
will. Ich erwarte von der CDU Berlin Aktivitäten dazu, daß sich
ihre Regierungsbeteiligung in Bonn über Bundeszuschüsse
auch auf den Berliner Landeshaushalt auswirkt. Das wäre eine
Idee, um auf diese gleiche Hilfe bei gleicher Notlage zu kommen,
um auf 100 % zu kommen, die dringend nötig sind. Die nächste
ordentliche Plenarsitzung soll am 11. Oktober stattfinden, und ich
sehe einem entsprechenden CDU-Antrag mit Freuden entge
gen, der in Richtung Bonn geht, der auch von der CDU aus den
Senat oder Magistrat - egal, ob in Ost oder West - unterstützt
und Bonn damit deutlich macht, daß sich unterschiedliche Lei
stungen in dieser Stadt ganz besonders auswirken.
[Beifall des Abg. Dr. Köppl (GRÜNE/AL)]
- Ich hoffe, das Protokoll vermerkt, daß nur unser Haushaltsfach
mann dazu geklatscht hat. - Typisch!
[Buwitt (CDU): Fachmann ist zuviel gesagt! Mehr ein
Beisitzer!]
Von ihm ist die Unterstützung des CDU-Antrags erst einmal
sicher.
Noch etwas zu dem zweiten Mantelgesetz, das es noch zu
den heute verabschiedeten Gesetzen geben wird. Es wird auch
noch ein paar andere Dinge zu regeln geben. Zum Beispiel ist
uns gestern noch aufgefallen - Herr Körting hat es schon ange
sprochen, daß Fehler unvermeidlich waren -, daß es bei den Lei
stungen an Abgeordnete und Stadtverordnete noch einige
Ungereimtheiten gibt, daß ehemalige Stadtverordnete, wenn sie
dann dem Gesamtberliner Parlament angehören, nicht nur Über
gangsgeld in großer Höhe, sondern auch hier im Haus Diäten
erhalten. Solche Dinge werden im zweiten Mantelgesetz noch zu
regeln sein. Ich hoffe, daß dann auch noch bei den Leistungsge
setzen Differenzierungen erfolgen werden.
[Beifall bei GRÜNE/AL - Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die Fraktion der
Republikaner hat jetzt Herr Pagel das Wort.
Pagel (REP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wir sind uns der historischen Bedeutung der Gesetzesvorlage
bewußt, die wir heute verabschieden werden. Ich will für meine
Fraktion sagen, daß wir die Vorlage im wesentlichen für gelungen
halten. Ich möchte aber doch noch auf die Punkte eingehen, bei
denen wir Nachbesserungen für dringend notwendig halten.
Wir nehmen zur Kenntnis, daß diese Vorlage trotz aller positi
ven Aspekte dennoch eine soziale Mauer durch unsere Stadt
errichtet. Am 3. Oktober, dem Tag der Vereinigung, wird in Ost-
Berlin kein Bürger unserer Stadt auch nur einen Rennig irgend
eines sozialen Leistungsgesetzes unserer Stadt erhalten - um
dies ganz klipp und klar zu sagen. Am 3. Oktober haben wir zwar
die Vereinigung; sie wird sich aber in Mark und Rennig bei den
sozialen Leistungsgesetzen in Ost-Berlin für niemand auszahlen,
weil CDU, SPD und AL darauf bestanden haben, die Gültigkeit
der Leistungsgesetze auf den 1. Januar 1991 festzusetzen. Das
haben wir hier eindeutig zu kritisieren.
Zweitens: In der Vorlage des Senats, die zunächst auch von
den Senatsparteien getragen wurde, sollten den Ost-Berlinern
bei den sozialen Leistungsgesetzen nur 40 Prozent von jeder
vorgesehenen Leistung zugestanden werden. Immerhin konnte
zumindest das abgebogen werden. Der Herr Finanzsenator
wollte sogar eine Vorlage verabschieden, in der man die Leistun
gen nur nach Maßgabe der finanziellen Mittel geben wollte, d. h.
sie könnten auch bei null liegen. Es hat dann beim Riegegeld
einen Kuhhandel, ein Feilschen gegeben, was wir schlicht und
einfach für geschmacklos halten. Die Ost-Berliner Riegebedürf
tigen werden nur 59 Prozent der möglichen Leistungen in
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