Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
41. Sitzung vom 20. September 1990
Sen Pätzold
Der Senat möchte demgegenüber, wo immer es die Verhält
nisse erlauben, den von ihm bewußt geförderten Prozeß
möglichst partnerschaftlicher und sozialverträglicher Zusam
menführung fortsetzen.
Damit Sie sich gleich noch einmal erregen können, stelle ich
noch etwas richtig: Um so abenteuerlicher wirkt es nämlich,
wenn Herr Diepgen in einem Zeitungsinterview am letzten
Sonntag-wider jedes bessere Wissen - wörtlich erklärt: Der
Innensenator habe den Rausschmiß aller öffentlich Bedien
steten im Ostteil der Stadt angekündigt. Das ist der ebenso
dreiste wie verantwortungslose Versuch, selbst mit Verleum
dungen Panikmache zu eigenem parteipolitischen Nutzen zu
betreiben,
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL - Buwitt
(CDU): Das müssen gerade Sie sagen! Da sind
gerade Sie der Richtige dafür!]
- Herr Buwitt, Sie merken doch, daß ich der Richtige dafür bin!
- auch wenn es die Ängste der Menschen drüben ohne Grund
noch verstärkt.
Nach diesen allgemeinen Darlegungen und Klarstellungen,
die notwendig waren, beantworte ich die einzelnen Fragen der
Großen Anfrage wie folgt:
[Schmitt (CDU); Aber wahrheitsgemäß!]
Zu 1: Der Einigungsvertrag sieht vor, daß Verwaltungsorga
ne und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspfle
ge dienende Einrichtungen grundsätzlich der Regierung des
Landes unterstehen, in dem sie örtlich gelegen sind. Soweit
sie Aufgaben wahrnehmen, für die bereits Einrichtungen und
Personal vorhanden sind oder die künftig nicht mehr in der
öffentlichen Verwaltung wahrzunehmen sind, werden die
Einrichtungen im Regelfall abzuwickeln sein. In den Fällen, in
denen Einrichtungen überführt werden, bestehen die Arbeits
verhältnisse fort. Bei der Abwicklung von Einrichtungen oder
Teilen davon treten die Mitarbeiter zunächst für sechs Monate
in einen sogenannten Wartestand. Wird der einzelne Arbeit
nehmer nicht innerhalb dieser Frist weiterverwendet, so endet
das Arbeitsverhältnis.
Die Frage, in welcher Größenordnung in der Ost-Berliner
Verwaltung bestehende Arbeitsverhältnisse auf das Land
Berlin übergehen, kann - ebenso wie nachfolgende ähnliche
Fragen-zum jetzigen Zeitpunkt naturgemäß noch nicht näher
und vollständig beantwortet werden. Die Frage der Übernah
me oder Abwicklung stellt sich
- fürden Bereich der elf Bezirke, der Magistratsverwaltungen
und ihrer nachgeordneten Einrichtungen mit rund 72000
Stellen,
- fürden Gesundheitsbereich, z.B. Krankenhäuser, Ambula
torien, auch Apotheken, mit rund 30000 Stellen,
- für die unseren Eigenbetrieben vergleichbaren Betriebe mit
rund 19000 Stellen.
Dazu kommen Einrichtungen, die bisher dem Ministerrat
der DDR zentral zugeordnet waren, deren Aufgaben in Zukunft
aber voraussichtlich vom Land Berlin wahrzunehmen sein
werden - z. B. Polizei, Feuerwehr, Justiz, Einrichtungen von
Wissenschaft und Kultur - mit rund 50000 Stellen.
Diese Zahlen konnten teilweise nur sehr mühsam und unter
großen Schwierigkeiten ermittelt werden. Es ist deshalb auch
nicht sicher, ob sie vollständig und immer richtig sind.
Zu den Fragen 2 und 3: Der Senat geht davon aus, daß das
Personal der elf Ost-Berliner Bezirke weitgehend übernom
men wird. Eine spätere kritische Überprüfung der Strukturen,
der Personalausstattung und einzelner Mitarbeiter schließt
das jedoch nicht aus.
Im Gegensatz dazu braucht der engere ministerielle Be- (C)
reich grundsätzlich nicht verstärkt zu werden. Bereiche der
Hauptverwaltung, bei denen Aufgaben neu hinzukommen
oder sich durch das Zusammenwachsen wesentlich erwei
tern, werden mit zusätzlichen Stellen auszustatten sein, die
möglichst mit Mitarbeitern der Ost-Berliner Verwaltungen
besetzt werden sollen.
Zu Frage 4: Über die Entscheidung des Bundes, welche
Einrichtungen auf ihn überführt oder abgewickelt werden und
wieviel Mitarbeiter davon betroffen sein könnten, liegen dem
Senat-auch auf mehrfache Rückfrage - keine Aussagen vor.
Es steht auch noch nicht fest, welche der bisherigen zentralen
Einrichtungen der DDR künftig dem Bund oder den neu zu
bildenden Ländern unterstehen werden.
Zu Frage 5 a: Wenn mit dem Begriff „Staatsbedienstete“ die
Beschäftigten aus dem Verantwortungsbereich des ehemali
gen Ministerrats der DDR gemeint sind, liegen dem Senat
folgende, zum Teil mit aller Vorsicht zu verwendenden Stellen
zahlen zu den erfragten Fachkomplexen vor:
- Hochschulen und sonstige wissenschaftliche
Einrichtungen 30500
- Schulen 1200
- Soziales, nämlich Gesundheits- und Sozialwesen
einschließlich Krankenhäuser 5200
- Kultur, nämlich Museen, Theater, Oper, Operette 3500
- Gerichte, sowohl Richter als auch sonstige
Dienstkräfte 1400
- Polizei, so wie drüben Polizei verstanden wird 11800
- Strafvollzug 700
- Feuerwehr 1000
- Sport 7700
- Hörfunk und Fernsehen 8500
Insgesamt 71500 (Q)
In diesen Zahlen sind die bereits zu Frage 1 genannten
50000 Stellen aus den dem Ministerrat der DDR zugeordneten
Einrichtungen enthalten. Der Unterschied zwischen 50000 und
71500 Stellen liegt daran, daß die 50000 voraussichtlich
künftig dem Land Berlin zuzurechnen sein werden, die
darüber hinausgehende Differenz dagegen nicht. Über die
erfragten Fachkomplexe hinaus gibt es weitere dem Minister
rat der DDR zugeordnete Einrichtungen.
Wie viele der Mitarbeiter aus den erfragten Fachkomplexen
für die Aufrechterhaltung des bisherigen Betriebs als „Grund
versorgung“ notwendig sind, läßt sich zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht sagen, sondern muß einer sorgfältigen aufga
benkritischen Prüfung von Fall zu Fall Vorbehalten bleiben.
Zu Frage 5 b: Auf Beschluß der Stadtverordnetenversamm
lung vom 4. Juli 1990 sollen in Ost-Berlin in den Bereichen
Öffentlicher Personennahverkehr, Gasversorgung, Wasser
versorgung und Abwasserbehandlung, Stadtreinigung, Ha
fen- und Lagerwirtschaft, Schlachthof und Stadtgüter Eigenbe
triebe eingerichtet werden. Die grundsätzliche Diskussion
über einzelne Bereiche ist jedoch noch nicht abgeschlossen.
Der Senat geht davon aus, daß die Ost-Berliner Betriebe mit
den bestehenden West-Berliner Eigenbetrieben zusammen
geführt werden. Die Geschäftsleitungen der Eigenbetriebe
müssen entsprechende Bedarfsplanungen entwickeln, die als
Entscheidungsgrundlage für die weithin sichere Übernahme
der Ost-Berliner Mitarbeiter dienen. Ob diejenigen Ost-Berli
ner Betriebe, bei denen in West-Berlin kein entsprechender
Eigenbetrieb vorhanden ist, überführt oder abgewickelt wer
den, muß noch eingehend geprüft werden.
Zur Frage 6a; Der Senat sieht grundsätzliche Probleme bei
der Übernahme von Richtern aus Ost-Berlin.
[Adler (CDU): Sehr gut!]
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