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Volume Nr. 46, 25. Oktober 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1990, 11. Wahlperiode, 35.-47. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
41. Sitzung vom 20. September 1990 
Frau Sen Dr. Schreyer 
(A) - Ja, aber im wesentlichen handelt es sich um Sonderabfälle, 
deren Beseitigung durch längerfristigere Verträge geregelt 
sind. 
Die Novellierung des Stadtreinigungsgesetzes regelt au 
ßerdem, daß die für die Aufsicht über die Eigenbetriebe 
zuständige Verwaltung die Berliner Stadtreinigungsbetriebe 
anweist, Beauftragungen vorzunehmen oder zu unterlassen, 
wenn dies von der für Abfallpolitik zuständigen Behörde für 
notwendig erachtet wird. Auch künftig werden private Entsor 
gungsfirmen ihren Platz im Rahmen der Abfallentsorgungspo 
litik einnehmen. Zudem sind auch die Berliner Stadtreini 
gungsbetriebe auf die Kapazitäten der privaten Entsorgungs 
betriebe derzeit angewiesen. 
Das Gesetz eröffnet darüber hinaus eine sehr wichtige 
Möglichkeit für private Entsorgungsunternehmen, im Bereich 
der Wertstoffe ein weiteres Tätigkeitsfeld zu eröffnen. Es 
besteht dann die Möglichkeit, vom Anschluß- und Benutzungs 
zwang der BSR zu befreien, wenn private Entsorger im 
Gegensatz zur BSR eine Verwertung nachweisen können. 
Durch diese Formulierung des Gesetzes entsteht dort eine 
Konkurrenz, wo sie notwendig und wünschenswert ist, eine 
Konkurrenz darum, wer Verwertungsmöglichkeiten auflut. Ich 
hoffe, daß dies genau eintreten wird. 
Diese Änderung, die heute zur Beschlußfassung ansteht, ist 
die fünfte Änderung des Stadtreinigungsgesetzes, aber ich 
denke, daß sie die bedeutendste ist. Das neue Stadtreini 
gungsgesetz bedeutet nichts Geringeres als die seit Jahren 
überfällige Kehrtwende in der Abfallpolitik. Es ist ein entschei 
dender Schritt gegen die Wegwerfmentalität, gegen die sorg 
lose Entsorgung immer größerer Müllmengen durch immer 
größere Müllverbrennungsanlagen und Deponien. Wir können 
uns aus ökologischen Gründen das Wegwerfen nicht mehr 
, D , länger in dieser Dimension leisten. 
Die Zahlen sprechen für sich. So wurden von den jährlich 
1.6 Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll in West-Berlin 
bisher nur 440 000 Tonnen getrennt gesammelt und recycelt, 
also nur etwa ein Viertel. Der Rest wird schlichtweg wegge 
worfen. Von den 1,2 Millionen Tonnen werden 800 000 Tonnen 
direkt auf Deponien gefahren, 400 000 Tonnen wandern erst in 
die Müllverbrennungsanlage Ruhleben und dann als Reststof 
fe auf die Deponien Schöneiche und Vorketzin. Analysen der 
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz 
haben ergeben, daß in diesen 1,2 Millionen Tonnen Abfällen 
noch mindestens 300 000 t Recyclingmaterial stecken, also 
Wertstoffe, die in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt wer 
den könnten. 
Dem Vorgängersenat war das egal. Die Abfallpolitik des 
Herrn Diepgen bestand im wesentlichen aus Überweisungen 
an die DDR-Staatskasse für die gelieferten Müllmengen 
[Buwitt (CDU): Ihnen ist nicht ganz wohl, was? - 
Sie sehen auch richtig blaß aus!] 
und verließ sich offenbar insgeheim darauf, daß der Protest 
der Bürger in Vorketzin und Schöneiche, der in West-Berlin 
lange bekannt war, vom DDR-Sicherheitsapparat in Schach 
gehalten wird. 
[Schütze (CDU): Diese Frau ist doch nicht ganz 
dicht!] 
Das neue Stadtreinigungsgesetz setzt dagegen die Förde 
rung einer ökologischen Abfallwirtschaft für jeden Berliner, 
für jede Berlinerin in die alltägliche Praxis um. Durch die 
Neufassung des Gesetzes werden die Grundstückseigentü 
mer verpflichtet, für die Getrenntsammlung bestimmte Behäl 
ter aufzusteilen. Das heißt, daß vor jedem Haus, auf jedem Hof 
neben der grauen Mischmülltonne eine Glas- und eine Papier 
tonne stehen werden. Das wird dazu führen, daß mehr Papier 
und mehr Glas recycelt werden und somit Deponieraum 
gespart und die Natur entlastet wird. 
Zu den genannten Tonnen wird in Zukunft noch die Biotonne 
kommen. Seit Anfang dieses Monats läuft ein Großversuch mit 
diesen Tonnen, die die BSR bei rund 12 000 Haushalten in drei 
Bezirken aufgestellt hat. Rund ein Drittel des Hausmülls 
besteht nämlich aus Stoffen, die kompostierbar sind und als 
Material zur Bodenverbesserung eingesetzt werden können. 
Wenn der Versuch erfolgreich abgeschlossen sein wird, 
werden die Biotonnen flächendeckend in ganz Berlin aufge 
stellt. Ich erhielt heute die Mitteilung, daß der Versuch gut 
angelaufen ist, auf reges Interesse der Bürger stößt und - was 
in einer Großstadt nicht so ohne weiteres zu erwarten ist-die 
ersten Kompostchargen sehr sauber sind, also nicht durch 
Fremdstoffe verunreinigt sind. Ich hoffe, daß sich dieses 
fortsetzt, und danke an dieser Stelle allen Versuchsteilneh 
mern, die durch sorgfältiges Getrenntsammeln zu diesem 
positiven Trend beitragen. 
Um an dieser Stelle den pyromanisch veranlagten Vereinfa 
chern von der Oppositionsbank 
[Führer (CDU): Sie müssen krank sein!] 
ihre einzige und falsche Standardbehauptung, die auch heute 
sicherlich wieder in den Köpfen war, vorwegzunehmen: Der 
rot-grüne Senat ist nicht prinzipiell gegen Müllverbrennung. 
Wir werden solche Anlagen sowie Deponien weiterhin brau 
chen, und es werden Anlagen sein, die höchstem Umweltstan 
dard entsprechen und demzufolge sehr teuer sein werden. 
Das heißt, Recycling und Müllvermeidung werden sich unter 
diesem Aspekt schon wirtschaftlich lohnen. Verbrennung und 
Deponierung sind für uns aber nicht der einfache Lösungsweg 
für das Müllproblem, sondern für uns ist das der letzte Schritt, 
nachdem das gesamte Potential an Vermeidung und Verwer 
tung ausgeschöpft ist. 
Hier ist natürlich auch CDU-Bundesumweltminister Töpfer 
aufgefordert, endlich auf Bundesebene im Sinne einer ökolo 
gisch orientierten Abfallpolitik tätig zu werden. Das Müllpro 
blem schlägt doch allen Bundesländern, den alten und beson 
ders den neuen Bundesländern, die hinzukommen, über dem 
Kopf zusammen. Anstatt entschieden zu handeln und z. B. die 
Verpackungsflut an der Quelle einzudämmen, läßt sich Herr 
Töpfer von der Industrie das duale Müllsystem aufschwatzen, 
das doch letztlich nur eine Privatisierung der Müllentsorgung 
auf Umwegen bedeutet und Ansätze zur Getrenntsammlung 
torpedieren wird. Welcher Bürger wird denn seine Ver 
packung nach Stoffen getrennt in Sammelbehälter werfen, 
wenn daneben die Ex-und-Hopp-Mischmülltonne der Industrie 
steht und weiterhin sorglose Entsorgung verspricht. Ich werde 
mich im Senat und im Magistrat dafür einsetzen, daß durch 
eine Bundesratsinitiative dieses unselige Töpfer-Vorhaben 
unverzüglich in einem Altcontainer landet. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Ich bitte alle ökologisch denkenden und handelnden Abge 
ordneten dieses Hauses um ihre Zustimmung zu der Novellie 
rung des Gesetzes. 
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD] 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Wir haben noch eine weitere 
Wortmeldung. Das Wort erhält Herr Kollege Wronski! 
Wronski (CDU); Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 
Vorab eine Anmerkung: Frau Senatorin, ich bedauere, daß Sie 
aus Anlaß einer notwendigen Sachdebatte und einer notwen 
digen Gesetzeskorrektur und -bereinigung nicht der Versu 
chung widerstanden haben, in falscher, polemischer und sehr 
platter Weise sozusagen quer durch den Abfallgarten der 
Bundesrepublik und Berlins zu gehen. Es wäre mir leichter 
gefallen, Ihren Anmerkungen zuzustimmen. 
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