Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
41. Sitzung vom 20. September 1990
Frau Sen Dr. Schreyer
(A) - Ja, aber im wesentlichen handelt es sich um Sonderabfälle,
deren Beseitigung durch längerfristigere Verträge geregelt
sind.
Die Novellierung des Stadtreinigungsgesetzes regelt au
ßerdem, daß die für die Aufsicht über die Eigenbetriebe
zuständige Verwaltung die Berliner Stadtreinigungsbetriebe
anweist, Beauftragungen vorzunehmen oder zu unterlassen,
wenn dies von der für Abfallpolitik zuständigen Behörde für
notwendig erachtet wird. Auch künftig werden private Entsor
gungsfirmen ihren Platz im Rahmen der Abfallentsorgungspo
litik einnehmen. Zudem sind auch die Berliner Stadtreini
gungsbetriebe auf die Kapazitäten der privaten Entsorgungs
betriebe derzeit angewiesen.
Das Gesetz eröffnet darüber hinaus eine sehr wichtige
Möglichkeit für private Entsorgungsunternehmen, im Bereich
der Wertstoffe ein weiteres Tätigkeitsfeld zu eröffnen. Es
besteht dann die Möglichkeit, vom Anschluß- und Benutzungs
zwang der BSR zu befreien, wenn private Entsorger im
Gegensatz zur BSR eine Verwertung nachweisen können.
Durch diese Formulierung des Gesetzes entsteht dort eine
Konkurrenz, wo sie notwendig und wünschenswert ist, eine
Konkurrenz darum, wer Verwertungsmöglichkeiten auflut. Ich
hoffe, daß dies genau eintreten wird.
Diese Änderung, die heute zur Beschlußfassung ansteht, ist
die fünfte Änderung des Stadtreinigungsgesetzes, aber ich
denke, daß sie die bedeutendste ist. Das neue Stadtreini
gungsgesetz bedeutet nichts Geringeres als die seit Jahren
überfällige Kehrtwende in der Abfallpolitik. Es ist ein entschei
dender Schritt gegen die Wegwerfmentalität, gegen die sorg
lose Entsorgung immer größerer Müllmengen durch immer
größere Müllverbrennungsanlagen und Deponien. Wir können
uns aus ökologischen Gründen das Wegwerfen nicht mehr
, D , länger in dieser Dimension leisten.
Die Zahlen sprechen für sich. So wurden von den jährlich
1.6 Millionen Tonnen Haus- und Gewerbemüll in West-Berlin
bisher nur 440 000 Tonnen getrennt gesammelt und recycelt,
also nur etwa ein Viertel. Der Rest wird schlichtweg wegge
worfen. Von den 1,2 Millionen Tonnen werden 800 000 Tonnen
direkt auf Deponien gefahren, 400 000 Tonnen wandern erst in
die Müllverbrennungsanlage Ruhleben und dann als Reststof
fe auf die Deponien Schöneiche und Vorketzin. Analysen der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz
haben ergeben, daß in diesen 1,2 Millionen Tonnen Abfällen
noch mindestens 300 000 t Recyclingmaterial stecken, also
Wertstoffe, die in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt wer
den könnten.
Dem Vorgängersenat war das egal. Die Abfallpolitik des
Herrn Diepgen bestand im wesentlichen aus Überweisungen
an die DDR-Staatskasse für die gelieferten Müllmengen
[Buwitt (CDU): Ihnen ist nicht ganz wohl, was? -
Sie sehen auch richtig blaß aus!]
und verließ sich offenbar insgeheim darauf, daß der Protest
der Bürger in Vorketzin und Schöneiche, der in West-Berlin
lange bekannt war, vom DDR-Sicherheitsapparat in Schach
gehalten wird.
[Schütze (CDU): Diese Frau ist doch nicht ganz
dicht!]
Das neue Stadtreinigungsgesetz setzt dagegen die Förde
rung einer ökologischen Abfallwirtschaft für jeden Berliner,
für jede Berlinerin in die alltägliche Praxis um. Durch die
Neufassung des Gesetzes werden die Grundstückseigentü
mer verpflichtet, für die Getrenntsammlung bestimmte Behäl
ter aufzusteilen. Das heißt, daß vor jedem Haus, auf jedem Hof
neben der grauen Mischmülltonne eine Glas- und eine Papier
tonne stehen werden. Das wird dazu führen, daß mehr Papier
und mehr Glas recycelt werden und somit Deponieraum
gespart und die Natur entlastet wird.
Zu den genannten Tonnen wird in Zukunft noch die Biotonne
kommen. Seit Anfang dieses Monats läuft ein Großversuch mit
diesen Tonnen, die die BSR bei rund 12 000 Haushalten in drei
Bezirken aufgestellt hat. Rund ein Drittel des Hausmülls
besteht nämlich aus Stoffen, die kompostierbar sind und als
Material zur Bodenverbesserung eingesetzt werden können.
Wenn der Versuch erfolgreich abgeschlossen sein wird,
werden die Biotonnen flächendeckend in ganz Berlin aufge
stellt. Ich erhielt heute die Mitteilung, daß der Versuch gut
angelaufen ist, auf reges Interesse der Bürger stößt und - was
in einer Großstadt nicht so ohne weiteres zu erwarten ist-die
ersten Kompostchargen sehr sauber sind, also nicht durch
Fremdstoffe verunreinigt sind. Ich hoffe, daß sich dieses
fortsetzt, und danke an dieser Stelle allen Versuchsteilneh
mern, die durch sorgfältiges Getrenntsammeln zu diesem
positiven Trend beitragen.
Um an dieser Stelle den pyromanisch veranlagten Vereinfa
chern von der Oppositionsbank
[Führer (CDU): Sie müssen krank sein!]
ihre einzige und falsche Standardbehauptung, die auch heute
sicherlich wieder in den Köpfen war, vorwegzunehmen: Der
rot-grüne Senat ist nicht prinzipiell gegen Müllverbrennung.
Wir werden solche Anlagen sowie Deponien weiterhin brau
chen, und es werden Anlagen sein, die höchstem Umweltstan
dard entsprechen und demzufolge sehr teuer sein werden.
Das heißt, Recycling und Müllvermeidung werden sich unter
diesem Aspekt schon wirtschaftlich lohnen. Verbrennung und
Deponierung sind für uns aber nicht der einfache Lösungsweg
für das Müllproblem, sondern für uns ist das der letzte Schritt,
nachdem das gesamte Potential an Vermeidung und Verwer
tung ausgeschöpft ist.
Hier ist natürlich auch CDU-Bundesumweltminister Töpfer
aufgefordert, endlich auf Bundesebene im Sinne einer ökolo
gisch orientierten Abfallpolitik tätig zu werden. Das Müllpro
blem schlägt doch allen Bundesländern, den alten und beson
ders den neuen Bundesländern, die hinzukommen, über dem
Kopf zusammen. Anstatt entschieden zu handeln und z. B. die
Verpackungsflut an der Quelle einzudämmen, läßt sich Herr
Töpfer von der Industrie das duale Müllsystem aufschwatzen,
das doch letztlich nur eine Privatisierung der Müllentsorgung
auf Umwegen bedeutet und Ansätze zur Getrenntsammlung
torpedieren wird. Welcher Bürger wird denn seine Ver
packung nach Stoffen getrennt in Sammelbehälter werfen,
wenn daneben die Ex-und-Hopp-Mischmülltonne der Industrie
steht und weiterhin sorglose Entsorgung verspricht. Ich werde
mich im Senat und im Magistrat dafür einsetzen, daß durch
eine Bundesratsinitiative dieses unselige Töpfer-Vorhaben
unverzüglich in einem Altcontainer landet.
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD]
Ich bitte alle ökologisch denkenden und handelnden Abge
ordneten dieses Hauses um ihre Zustimmung zu der Novellie
rung des Gesetzes.
[Beifall bei GRÜNE/AL und bei der SPD]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Wir haben noch eine weitere
Wortmeldung. Das Wort erhält Herr Kollege Wronski!
Wronski (CDU); Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Vorab eine Anmerkung: Frau Senatorin, ich bedauere, daß Sie
aus Anlaß einer notwendigen Sachdebatte und einer notwen
digen Gesetzeskorrektur und -bereinigung nicht der Versu
chung widerstanden haben, in falscher, polemischer und sehr
platter Weise sozusagen quer durch den Abfallgarten der
Bundesrepublik und Berlins zu gehen. Es wäre mir leichter
gefallen, Ihren Anmerkungen zuzustimmen.
2136