Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
39. Sitzung vom 30. August 1990
Barthel
(A) aufgrund der vorangegangenen - zugegebenermaßen wichtigen
- langen Tagesordnungspunkte jetzt keine große Aufmerksam
keit mehr vorhanden ist. Das ist kein Vorwurf, sondern lediglich
eine Feststellung.
[Landowsky (CDU): Wir sind doch alle hier!]
- Es genügt nicht, nur hier zu sein. Es gehört dazu, daß man bei
diesem Thema zuhört.
[Preuss (CDU); Das gilt auch für den Redner!]
Wir haben bereits häufig die Argumente - pro oder contra
kommunales Wahlrecht für nichtdeutsche Inländer - diskutiert,
und ich möchte es mir aufgrund der späten Stunde ersparen,
unsere Begründung für dieses Wahlrecht zu wiederholen. Ich
weiß, daß Sie sie kennen, auch wenn Sie diese Argumentation
nie gewürdigt haben. Ich möchte mich nur auf zwei Punkte
beschränken.
Es bereitet Sorge, wie - gerade jetzt in Wahlkampfzeiten - mit
diesem Thema umgegangen wird. Ich möchte die CDU herzlich
bitten, nicht denselben Fehler zu machen und denselben Weg zu
gehen wie die Republikaner und dieses Thema zur Emotionalisie
rung, zur Spaltung zwischen der deutschen und nichtdeutschen
Bevölkerung in Berlin zu nutzen und auch innerhalb der deut
schen Bevölkerung eine Polarisierung herbeizuführen. Ihre
Unterschriftenkampagne, Ihre Zeitungsannoncen; „Kommunales
Wahlrecht stiftet Unfriede“ ist genau das, was für diese Stadt
gefährlich sein kann. Das stiftet Unfrieden! Denn gerade eines
unserer Argumente für das kommunale Wahlrecht ist auch, den
inneren Frieden in unserer Stadt zu stärken. 13 % der Berliner
Bevölkerung sind politisch ausgegrenzt, und Ausgrenzung hat
noch nie zur Stabilität und zum inneren Frieden beigetragen. Wir
glauben, daß wir mit diesem Gesetz auch gerade dem Ziel, den
inneren Frieden zu stärken, näher kommen werden.
Das zweite - von dem ich weiß, daß es der Kollege Wruck
bestimmt bringen wird - ist die Frage des Zeitpunktes. Wir wis
sen, daß das Bundesverfassungsgericht in Kürze seine Ent-
Scheidung verkünden wird. Ob das jetzt schon verfassungswid
rig ist, das wissen weder Sie noch ich; dafür gibt es das Bundes
verfassungsgericht und nicht die Republikaner - Gott sei Dankl
- Ich gestehe, daß mir die zeitliche Nähe der heutigen Verab
schiedung und der bevorstehenden Entscheidung von Karlsruhe
auch nicht gefällt.
[Miosga (REP): Wegen des Wahlkampfes!]
Aber nicht wir sind nach Karlsruhe gegangen, sondern es war
die CDU-Fraktion. Weil sie nicht die politische Kraft hat, dieses
ihr verhaßte Gesetz zu verhindern, meinte sie - was legitim ist -
nach Karlsruhe gehen zu müssen; wir haben uns mit unserer
heutigen Entscheidung von der CDU nicht die Handlungsfähig
keit nehmen lassen. Deswegen finde ich es wichtig, daß wir es
heute verabschieden, obwohl mir die zeitliche Nähe, wie ich
schon sagte, auch nicht gefällt.
Außerdem gewinnt der jetzige Zeitpunkt außerordentliche
politische Bedeutung im Hinblick darauf, daß im Zuge des Eini
gungsprozesses in unserer Stadt sich die nichtdeutschen Berli
nerinnen und Berliner an den Rand gedrängt fühlen. Wir hören
diese Klage nicht nur von den Betroffenen, sondern auch von
Leuten, die sich sehr gut auskennen, z.B. von der Ausländerbeuf-
tragten. Ich möchte Ihnen einen Satz vorlesen, den ich neulich in
der türkischen Zeitung „Milliyet“ gelesen habe;
Wir ersticken unter der fallenden Mauer aufgrund vieler
Nachteile, statt uns mit den Deutschen über diese Sachlage
zu erfreuen.
Ich glaube, es ist wichtig, in einer Stimmung, wie sie zur Zeit
herrscht, daß auch die nichtdeutschen Berliner merken, daß sie
zu dieser Bevölkerung gehören und daß sie hier akzeptiert wer
den. Insofern fällt die Entscheidung politisch im richtigen Augen
blick; sie gibt ein Signal, das über den Inhalt des Gesetzes hin
ausgeht.
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen, was auch
über den Inhalt des Gesetzes hinausgeht - und vielleicht die Dis
kussion über das kommunale Ausländerwahlrecht auf den Punkt (C)
bringt Wir reden sehr viel über das Volk, über das deutsche
Volk, was in der jetzigen Situation verständlich ist. Aber ich
glaube, in einer Stadt, die ihre Zukunft als multikulturelle Metro
pole sieht,
[Göllner (fraktionslos): Sie wollen das! - Weiterer heftiger
Widerspruch von rechts]
sollte weniger vom Volk als von Bevölkerung gesprochen wer
den,
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
und in diesem Sinne sollten wir auch Entscheidungen treffen.
Das Gesetz, das wir heute verabschieden, zielt genau in diese
Richtung, nämlich die Bevölkerung dieser Stadt anzuspre
chen. Insofern geht dieses Gesetz über seinen begrenzten Inhalt
hinaus. - Ich danke Ihnen!
[Beifall bei der SPD und bei GRÜNE/AL]
Präsident Wohlrabe: Das Wort hat der Abgeordnete
Dr. Wruck!
Dr. Wruck (CDU); Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Es ist schon etwas seltsam, wenn uns ein Sozialdemokrat sagt,
wir sollten nicht vom Volk sprechen, sondern von Bevölke
rung, obwohl wir wissen, daß sich das Wort Demokratie aus
„Demos“ und „kratein“ zusammensetzt, und das bedeutet Volks
herrschaft.
[Dr. Köppl (GRÜNE/AL): Huil]
Das nun plötzlich aus dem Vokalbular herauszunehmen, nicht
mehr vom Volk im Sinne des Grundgesetzes zu sprechen, das
ist eine Terminologie und eine Weisheit, die Sie hier dem Parla
ment vorgaukeln, die jedenfalls von uns nicht getragen werden
kann.
[Beifall bei der CDU - Haberkorn (GRÜNE/AL): (D)
Was können Sie denn tragen?]
Volk ist nicht ein Begriff, der negativ besetzt ist;
[Berger (GRÜNE/AL): Volk und völkisch etwa nicht?]
und wer sein eigenes Volk nicht liebt, der kann auch andere Völ
kern nicht achten in ihrer Andersartigkeit!
[Beifall bei der CDU - Widerspruch bei GRÜNE/AL]
Haben Sie eigentlich nicht verstanden, was zur Zeit in Europa
- auch bei den demokratischen Sozialisten - los ist in der Frage
des Ausländerwahlrechts und wohin dort die Diskussion läuft?
Sie geht nicht dorthin, wohin Sie sie haben wollen; sie geht in
eine ganz andere Richtung. Das hat nicht nur Mitterrand begrif
fen ; das haben auch die meisten Sozialisten in Westeuropa ver
standen. Und uns dann die Einführung des kommunalen Wahl
rechts für Ausländer in der DDR als letzten Akt von Erich Honek-
ker als beispielhaft hinzustellen, das ist wirklich alles andere als
nachahmenswert!
[Beifall bei der CDU]
Präsident Wohlrabe: Gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Eckert?
Dr. Wruck (CDU): Da das von meiner Redezeit abgeht,
[Haberkorn (GRÜNE/AL): Das ist ja der Sinn der Sache!]
neinl - Als Folge einer verfehlten Ausländerpolitik des rot-grünen
Senats ist doch die geistige Entfernung der deutschen Bevölke
rung von Ausländem gewachsen. Spüren Sie das nicht, wie man
z. B. Polen in der Stadt begegnet? Haben Sie davon nichts mit
bekommen?
[Haberkom (GRÜNE/AL): Doch, dochl
Das haben Sie ja vorgeführt,
wie man das macht I]
1986