Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
33. Sitzung vom 14. Juni 1990
Frau Saß-Viehweger (CDU); Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Zwar sind wir uns mit dem Bundesinnenminister
darin einig, daß die Frage des sogenannten finalen Rettungs
schusses einer öffentlich-rechtlichen Regelung bedarf. Wir sind
jedoch der Auffassung, daß der hier vorliegende Gesetzesvor
schlag dafür kein taugliches Mittel ist. Hierzu möchte ich kurz
einige Ausführungen machen.
Zunächst ist rein formal zu sagen, daß das Gesetz über die
Ausübung unmittelbaren Zwanges nicht der richtige Ort wäre,
um eine solche Regelung zu treffen. Das ist ein reines Verfah
rensgesetz, es regelt, wie die Zwangsmittel anzuwenden sind,
sofern ihre rechtlichen Voraussetzungen sich aus anderen
Gesetzen oder Rechtsgrundsätzen ergeben. Das heißt, man
kann also eine solche Berechtigung zu bestimmtem Handeln
dort nicht regeln, dieses müßte an anderer Stelle geschehen,
möglicherweise im ASOG oder in einem anderen - uns hier
schon mehrfach angekündigten - Landespolizeigesetz.
Ganz abgesehen davon können wir der vorliegenden Rege
lung auch insofern nicht zustimmen, weil es sich hier darum han
delt, daß nach dem vorliegenden Text der Schuß zulässig sein
soll, wenn er zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr erforder
lich ist. Dieses bedeutet jedoch, daß bei jedweder Gefahr - und
wenn es sich um einen Falschparker handelt - dieses zulässig
wäre. Dieses entspricht nicht der Rechtslage. Es könnte allen
falls - so auch Vorschlägen aus dem Bundesinnenministerium
entsprechend - bei unmittelbarer gegenwärtiger Lebensge
fahr in Rede stehen, nicht aber so, wie es hier vorgeschlagen ist.
Denkbar wäre also, wie gesagt, derartiges - wenn man es
regeln will, dann aber nicht mit dieser Formulierung - in einem
Polizeigesetz zu regeln. Dann würde sich die Frage stellen,
warum man das nicht gleich jetzt an dieser Stelle regelt. Hier
weise ich darauf hin, daß es seit Jahren und Jahrzehnten Bemü
hungen um ein einheitliches Polizeirecht der Länder gibt. Es
scheint mir auch dringend erforderlich, hier bundeseinheitlich
vorzugehen, weil es sich immer wieder zeigt, welche Probleme
auftreten, wenn Polizeirecht sich an der Ländergrenze plötzlich
ändert. Wir meinen also, daß wir nicht isoliert Vorgehen sollten,
sondern dies dann im gesamten Rahmen des hoffentlich einmal
kommenden einheitlichen Polizeirechts der Länder regeln oder
vielleicht auch im Rahmen der Beratung des uns mehrfach ange
kündigten aber bisher noch nicht vorliegenden Gesetzesent
wurfs der Innenverwaltung erörtern können. Diesem vorliegen
den Antrag jedenfalls können wir nicht zustimmen.
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die Fraktion der SPD
hat jetzt der Kollege Dr. Gerl das Wort!
Dr. Gerl (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Das Thema des finalen Todesschusses oder - wie er auch
beschönigend genannt wird - des finalen Rettungsschusses
hat uns in früheren Jahren für bestimmte Extremsituationen
beschäftigt. Es ging um die Frage, ob es einer gesetzlichen
Regelung bedarf, die den gezielten Todesschuß dort für zulässig
erklärt, wo er das einzige Mittel ist, konkret bedrohtes Menschen
leben zu retten. Diese Diskussion ist in der Vergangenheit unter
dem Aspekt der Notwendigkeit einer solchen Regelung, aber
auch unter ehtischem Aspekt geführt worden. Der vorliegende
Antrag - und da gebe ich Frau Kollegin Saß-Viehweger recht -
eignet sich nicht dazu, diese Diskussion erneut zu führen, denn
er ist dafür keine geeignete Grundlage. Er verläßt eindeutig den
Rahmen rechtsstaatlicher Grundsätze; denn geht es nach
dem Antrag und dem Willen der Antragsteller - diesen muß man
zumindest entsprechend vermuten -, dann sollen Polizeibeamte
eine Schußwaffe schon dann ziehen und Menschen gezielt
erschießen dürfen, wenn von diesen eine bloße - ja sogar unver
schuldete - Gefahr für die körperliche Unversehrtheit anderer
ausgeht.
Wie absurd das ist, will ich nur einmal an einem gegenwärtig
aktuellen Beispiel illustrieren. Jedes Foul im Rahmen eines Fuß
ballspiels begründet die gegenwärtige Gefahr für die körperliche
Unversehrtheit eines anderen, würde also, wenn es nach dem
Text Ihres Antrags geht, Polizeibeamten, die herumstehen,
ermächtigen, gewissermaßen einem Tritt vor das Schienbein (C)
durch gezielten Todesschuß zuvorzukommen. - Ich will damit nur
die Absurdität dieses Antrags deutlich machen.
[Frau Saß-Viehweger (CDU): Dieses Beispiel ist
aber auch absurd!]
Ich will keinem der Antragsteller unterstellen, daß dieses tatsäch
lich ein von ihnen gewolltes Ergebnis ist. Aber das zeigt doch,
daß der Antrag so mißlungen ist, daß es sich nicht lohnt, noch
mehr Worte und wertvolle Zeit darauf zu verwenden.
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die Fraktion der
Republikaner jetzt der Herr Abgeordnete Degen!
Degen (REP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Alle anderen Fraktionen hier im Hause haben sich nur damit
beschäftigt und haben gesagt, wie absurd dieser Antrag angeb
lich sei. Keine der anderen Fraktionen ist auch nur auf den
Gedanken gekommen, hier eventuell eine Alternative in ihrem
Sinne herauszubringen oder einen anderen Vorschlag zu
machen. Dies wurde weder im Innenausschuß getan, noch
wurde es heute hier an dieser Stelle getätigt.
[Dürr (SPD): Überflüssig!]
Man sagte nur, an anderer Stelle muß es geschehen, oder - wie
die Abgeordnete der CDU es sagte - hoffentlich in einem kom
menden anderen Gesetz. Wir müssen doch eigentlich darauf
kommen: Worauf zielt denn dieser Antrag? - Dieser Antrag zielt
einfach darauf, daß die Polizeibeamten, die in solch einem Ein
satz sitzen, wie wir die Einsatzsituation in Gladbeck hatten, daß
sie hier rechtlich fundiert abgesichert sind, sobald sie einmal
eventuell einen finalen Rettungsschuß abgeben müßten.
Keiner, und ich gehe einfach davon aus, von links bis rechts in
diesem hohen Hause, der hier anwesenden Parlamentarier - wie (D)
es schon von der SPD-Fraktion gesagt wurde - will hier ein
behördlich lizensiertes Morden darstellen. Es ist schon Idiotie, so
etwas überhaupt zu denken, denn keiner unserer Polizeibeam
ten, die rechtsstaatlich handeln, wird hier morden, was dann wie
der in sich eine Straftat beinhaltet. Hier muß einfach die Rechts
stellung des Polizeibeamten verbessert werden. Es kann
nicht sein, daß er bei dem Geiseldrama in Gladbeck eventuell
von der Schußwaffe Gebrauch macht, und eventuell wird der
Geiselnehmer erschossen, und der Polizeibeamte, der hier
geschossen hat, bekommt erst einmal ein Verfahren aufgedrückt,
wonach er eine Körperverletzung mit Todesfolge begangen hat.
Dies kann einfach nicht so sein. Hier wird bei dem Polizeibeam
ten schon ein psychischer Streß aufgebaut, so daß er eventuell
als Präzisionsschütze allein aus dieser Einsatzsituation heraus
daneben schießt.
Hier fordert meine Fraktion, daß eine Regelung getroffen wird,
die im Bereich des finalen Rettungsschusses liegt. Wir sehen
sehr wohl in diesem Antrag eine Vorlage, die behandlungsfähig
ist und auch abstimmungsfähig wäre. Wenn die hier anwesen
den Fraktionen dem zustimmten, wäre eine große Unsicherheit
für Polizeibeamte von ihnen genommen worden. Dies könnte nur
zu unser aller Wohl sein.
[Beifall bei den REP]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die AL-Fraktion hat
jetzt die Kollegin Schraut das Wort!
Frau Schraut (AL): Da die REPs - und das hätten sie wohl
tun müssen, wenn sie den Gesetzentwurf irgendwie doch noch
hätten einbringen wollen - den Entwurf seit November letzten
Jahres eben nicht überarbeitet haben und wenigstens in Ansät
zen die Kritik, die alle Parteien an diesem Entwurf geäußert
haben, eingearbeitet haben, ist natürlich auch bei der II. Lesung
die Kritik wieder die gleiche, das Ergebnis der II. Lesung, nämlich
die Ablehnung dieses Antrags, sowieso - jedenfalls für die AL.