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Volume Nr. 33, 14. Juni 1990

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1989/90, 11. Wahlperiode, 17.-34. Sitzung (Public Domain)

1744 
Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode 
33. Sitzung vom 14. Juni 1990 
Diepgen 
(A) daß es hier eine Übereinstimmung gibt; Dieser Staatsvertrag ist 
wichtig. Er ist für uns in Berlin wichtig, und wir werden unseren 
Beitrag zur Ausformung dieses Staatsvertrags leisten und ihn als 
Grundlage auf dem Weg zur Einheit der Stadt Berlin nutzen. 
[Beifall bei der CDU] 
Auf der Grundlage dieses Staatsvertrags und des - hoffent 
lich bald - von den Organen der DDR gestellten Antrags nach 
Artikel 23 Grundgesetz hoffe ich, daß wir möglichst schnell zu 
Gesamtberliner Wahlen kommen; denn nur über Gesamtberli 
ner Wahlen wird es hier auch wieder eine handlungsfähige 
Regierung und einen hinreichend demokratisch legitimierten 
Prozeß zur Einheit Berlins und auch eine hinreichende parlamen 
tarische Kontrolle in der Zukunft geben. 
Damit bin ich bei dem Punkt, der im Rahmen dessen, was wir 
heute vorgelegt bekommen haben, jedenfalls auch von Bedeu 
tung ist; Das ist der Sachverhalt, daß die Regierungskoalition - 
so nennt sie sich ja noch - in einem ganz wichtigen Punkt der 
Berliner Politik, nämlich dem Kernpunkt des Weges dieser Stadl 
zur Einheit dieser Stadt, nicht in der Lage ist, zu einer einheitli 
chen Einschätzung für die Grundlagen dieser Politik zu kommen. 
[Frau Künast (AL): Die Vorlage ist so bescheiden! 
Das liegt an der Vorlage!] 
Vielmehr gibt es die Position - die richtige Position - der Sozial 
demokraten; Diesem Staatsvertrag muß zugestimmt werden! - 
Und die Alternative Liste lehnt den Staatsvertrag über die Wäh- 
rungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ab. 
[Landowsky (CDU): Pfui!] 
Hier gibt es einen Dissens in den wesentlichsten, in den wichtig 
sten Grundlagen der Berliner Politik in dieser sogenannten 
Koalition. Ich halte fest: Diese Koalition hat damit doch ganz 
offensichtlich aufgehört - und zwar endgültig aufgehört - zu 
bestehen! 
[Beifall bei der CDU] 
(B) 
Nun versuchten, sicherlich auch angesichts des dramatischen 
- so soll es wohl verstanden worden sein - Appells des Regie 
renden Bürgermeisters an die Alternative Liste von gestern, die 
Fraktionsführungen, diesen Grunddissens, diese Unterschiede 
in den wesentlichen Grundlagen der Berlinpolitik zu verschleiern, 
indem ein weiterer Antrag mit Dringlichkeit vorgelegt wurde. 
[Adler (CDU); Das ist ein politischer Schnuller!] 
In den wesentlichen Punkten, in die jeweils die AL-Forderungen 
eingeflossen sind - das ist die Ziffer 2 ist dieser Antrag aber 
nicht das Papier wert, auf das er gedruckt ist. Weil es mir heute 
darauf ankommt - und zwar auch wegen der künftigen Entwick 
lung der Stadt Berlin hin zur Hauptstadt - klarzumachen, daß wir 
da Akzeptanz, Solidarität, eine Dynamik, die von dieser Stadt 
ausgeht, brauchen, will ich in die Einzelheiten der Auseinander 
setzung damit jetzt gar nicht eintreten. 
[Dr. Köppl (AL): Weil Sie es nicht können!] 
Über die Ziffer 4 läßt sich im einzelnen reden; dabei fehlen aber 
einige Punkte - deswegen Ausschußüberweisung 
[Dr. Köppl (AL): Nein!] 
es muß Ergänzungen hinsichtlich kultureller Fragen und bei 
spielsweise auch hinsichtlich der gesamten Finanzierungspro 
bleme geben. 
Meine letzte Anmerkung! Der Regierende Bürgermeister hat 
gestern gesagt: 
Wer in der AL allerdings die Tolerierung einer SPD-Minder- 
heitenregierung durchsetzen will, der entscheidet sich 
gegen die weitere Zusammenarbeit. Meine Partei hat immer 
deutlich gemacht, daß eine Tolerierung für sie nicht in Frage 
kommt. 
Wie weit sind wir eigentlich inzwischen, Herr Momper, ange 
sichts eines Dissenses in den Grundsatzfragen der Berlinpo 
litik? - Ich halte fest: Sie sind bereits an dem Punkt angekom 
men, an dem man bestenfalls noch von einer Tolerierung zur 
Machterhaltung reden kann, aber dies nicht nur in diesen (C) 
wesentlichen Fragen. Denn gestern hat der DGB - wortgleich, 
problemgleich mit dem, was die CDU vorgetragen hat - in seiner 
Kritik dargestellt, daß dieser Senat im Grunde zu keiner Ent 
scheidung mehr fähig ist. Glaubwürdigkeit in der Politik würde 
bedeuten, daß mit dieser Regierung Schluß gemacht wird und 
wir endlich, möglichst schnell zu Neuwahlen hier in Berlin kom 
men, damit die Stadt wieder eine Regierung erhält, die diesen 
schwierigen, aber auch chancenreichen Weg zur Berliner Einheit 
tatsächlich gestalten kann! - Vielen Dank! 
[Beifall bei der CDU] 
Stellv. Präsidentin Frohnert: Als nächster Redner hat für 
die SPD-Fraktion Herr Dr. Staffelt das Wort. 
Dr. Staffelt (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Das Land Berlin wird in der Bundesratssit 
zung am 22. Juni gleichberechtigt mit den anderen Bundes 
ländern der Bundesrepublik Deutschland über den Staatsver 
trag abstimmen. Wir freuen uns nicht nur darüber, daß Berlin 
endlich auch im Bundesrat volles Stimmrecht genießt, sondern 
auch darüber, daß das Land Berlin in dieser für unsere Stadt so 
wichtigen Frage erstmals dieses Stimmrecht auszuüben in der 
Lage ist. 
Kein anderes deutsches Bundesland ist durch die Auswirkun 
gen des Staatsvertrages vergleichbar betroffen. Kein anderes 
Bundesland, keine andere Stadt ist so unmittelbar in den Eini 
gungsprozeß beider deutscher Staaten einbezogen wie unser 
Berlin. Wir wissen, daß dies für unsere Stadt besondere 
Chancen und Perspektiven bietet. Wir wissen aber auch, daß 
Berlin damit ein besonders hohes Maß an Risiken zu tragen hat. 
Die Umsetzung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in 
der DDR und damit auch in Ost-Berlin wird das Leben der Men 
schen in Berlin noch nachhaltiger verändern, als es bisher schon 
der Fall war. Berlin, die gesamte Stadt Berlin steht vor gravie 
renden Veränderungen ihrer Wirtschafts-, Sozial- und Infra- ® 
stuktur. Die Menschen in Ost und West sind gehalten, sich noch 
stärker in diesen Veränderungsprozeß einzubringen. Viele in Ost 
und West - das darf in einer solchen parlamentarischen 
Debatte, Herr Diepgen, nicht unterschlagen werden - sind voller 
Sorge um ihre persönliche Zukunft. 
[Beifall bei der SPD - 
Vereinzelter Beifall bei der AL] 
Dies betrifft sowohl die Sorge um den Arbeitsplatz, das persön 
liche finanzielle Auskommen als auch die Aufgabe liebgeworde 
ner Gewohnheiten und das Sichzurechtfinden in einer anderen 
politischen und wirtschaftlichen Ordnung in Ost-Berlin. 
Die Politik muß diesen Sorgen nach unserem Verständnis 
Rechnung tragen. Sie muß nicht nur Ängste durch vage Hoffnun 
gen ersetzen. Sie muß vor allem durch konkrete politische 
Schritte das Notwendige tun, um ein Gefühl der Sicherheit und 
Stabilität für die eigene Existenz, aber auch für die Gesellschaft 
insgesamt vermitteln. 
[Beifall bei der SPD] 
Deshalb geht es nicht um das Schüren von Ängsten. Es geht 
darum, daß Menschen in Ost-Berlin Angst vor dem bekommen, 
was auf sie zukommen kann. Schon heute flattern Briefe, die die 
Entlassung zum 30. Juni zum Ziel haben, in die Briefkästen der 
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Betrieben. Machen wir uns 
nichts vor: Das muß die Menschen erschüttern! Das muß die 
Politik aufnehmen, und das ist nicht einfach durch einige kluge 
Floskeln wegzuwischen. Die Menschen haben ein Recht darauf, 
sozial abgesichert zu sein und von der Politik Rahmenbedingun 
gen zu erhalten, die dazu führen, daß sie selbst in eine gedeihli 
che Zukunft schauen können. 
[Beifall bei der SPD - Frau Wiechatzek (CDU): 
Das bestreitet doch niemand!] 
Vor dem Hintergrund dieser Situation sind die politisch Verant 
wortlichen in Berlin deshalb mehr als jede andere Landesregie 
rung in der Bundesrepublik verpflichtet, eine eindeutige Aus-
	        
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