Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
32. Sitzung vom 31. Mai 1990
1699
Adler
(A) Wir haben keinen Anlaß, diesen Abschnitt unserer
Geschichte zu verschweigen. Deshalb sollen die Fahnen
mit dem Trauerflor hängen bleiben; sie sind Ausdruck
unserer Trauer über Verlust und Teilung ...
[Teige (AL): Was ist denn mit Ostafrika
und dem Bismarck-Archipel!]
Meine Damen und Herren, dies - was ich vorzulesen die Ehre
hatte - ist der Originalton der Rede des Fraktionsvorsitzenden
der SPD, Walter Momper, in der 12. Sitzung des Abgeordneten
hauses von Berlin, am 24. Oktober 1985.
[Beifall bei der CDU]
Wir wissen nicht, wo Herr Momper heute steht.
[Zurufe der CDU: Wo ist er überhaupt? -
Kern (SPD): Der sitzt in seinem Amtszimmer!]
Wo er gestern gestanden hat, habe ich Ihnen verlesen. Wir wis
sen nicht, wo er morgen stehen wird, mit der Fraktion des skru
pellosen Opportunismus.
[Unruhe bei der SPD und der AL]
Aber wir werden unsere Geschichte nicht vergessen und blei
ben in dieser Frage fest. Mögen Sie sich drehen und wenden,
Sie sind so wendig, Sie kommen auch hier wieder zurück.
- Danke schön!
[Beifall bei der CDU und den REP]
Stellv. Präsidentin Frohnert; Für die Fraktion der SPD hat
nun der Kollege Körting das Wort.
Dr. Körting (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Her
ren! Kolleginnen und Kollegen! Die Fahnen hier im Plenarsaal
des Abgeordnetenhauses haben eine Tradition. Der Kollege
Adler hat eben dargestellt,
(B) [Kern (SPD): Der hat keine!]
daß sie nach dem Kriege Trauer über die Länder jenseits von
Oder und Neiße -
[Frau Wiechatzek (CDU): Momper hat er zitiert! - Zurufe]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Ich bitte um etwas Ruhe,
damit Herr Körting reden kann.
Dr. Körting (SPD): Mich stört es nicht, wenn Sie hier dazwi
schenblöken,
[Zurufe bei der CDU: Wir blöken nicht!]
denn wer dazwischenblökt, ist im Zweifel im Unrecht.
[Schütze (CDU); Das ist Ihnen wohl peinlich!]
- Herr Kollege Schütze, bevor mir etwas peinlich ist, muß eine
Menge passieren. -
[Buwitt (CDU): Das stimmt! -
Beifall bei der CDU]
Die Fahnen haben nach dem Krieg Trauer über die Länder jen
seits von Oder und Neiße und über die DDR ausgedrückt.
Sie haben eben Walter Momper mit einem Beitrag zitiert, den
er hier im Abgeordnetenhaus gehalten hat. Ich glaube, daß wir
die zwischenzeitlichen Ereignisse in Deutschland und
Europa nicht schlichtweg negieren dürfen. Ich glaube, die Zeit
der Trauer ist vorbei.
[Dr. Hassemer (CDU): Ach so!]
Die Deutschen in der DDR haben die Diktatur beseitigt und
sich mit überwältigender Mehrheit für ein neues vereinigtes
Deutschland ausgesprochen. Die Gebiete jenseits von Oder
und Neiße sind, auf der Grundlage der jetzt sichtbar geworde
nen Konstellationen und der vielfältigen Verträge zwischen der
DDR und der Bundesrepublik mit Polen, Heimat der polnischen
Bevölkerung geworden,
[Miosga (REP): Nicht nur! - Zurufe aus der CDU: (C)
Das war 1984 auch schon so!]
und zwar einer Bevölkerung, die aus Polen und aus einer
deutschsprachigen Minderheit besteht.
Die Fahnen geraten unter der heutigen Entwicklung in Mittel
europa, unter dem heutigen Zusammenwachsen der beiden
deutschen Staaten in Gefahr, falsche Symbole zu werden. Wir
Sozialdemokraten wollen damit, daß wir dem Antrag auf Entfer
nung der Fahnen zustimmen, nicht Geschichte verändern - auch
nicht die Geschichte von Westpreußen und Ostpreußen, von
Hinterpommern und Schlesien. Aber wir wollen auch nicht fal
sche oder mißverständliche Symbole erhalten. Vertrauen in die
Deutschen und in den Wunsch der Deutschen nach Einheit kann
auch durch andere symbolische Handlungen geschaffen wer
den. Eine dieser symbolischen Handlungen ist der Verzicht auf
Fahnen in einem deutschen Parlament von Gebieten, die in
Polen liegen. Es schafft auch ein Stück Vertrauen bei den polni
schen Nachbarn, wenn man darauf verzichtet.
[Beifall bei der SPD]
Das Abhängen der Fahnen bedeutet weder eine Absage an
Tradition oder gemeinsame Geschichte noch an Kultur. Bleiben
die Fahnen jedoch hängen, so ist das heute ein mißverständ
liches Symbol. Deshalb wollen wir mit dem Abhängen kein Zei
chen gegen die Kultur setzen, die uns gemeinsam ist, sondern
ein Zeichen setzen für eine neue Ordnung in Europa, in der diese
Gebiete unbestritten zum polnischen Staat gehören. Deshalb
stimmen wir dafür, daß diese Fahnen heute durch Beschluß des
Abgeordnetenhauses in einem neuen Europa abgehängt werden
im Interesse gemeinsamer Handlungen von Polen und Deut
schen in einem künftigen Europa. - Danke schön!
[Beifall bei der SPD - Vereinzelter Beifall bei der AL -
Buwitt (CDU): Passen Sie mal auf, daß Herr Momper
das nicht erfährt!]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Ich möchte nur zwischen- (D)
durch bekanntgeben, daß die Fraktion der Republikaner nament
liche Abstimmung beantragt hat, damit sich jeder darauf einrich
ten kann. Jetzt hat das Wort für die Republikaner Herr Miosga.
Miosga (REP) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren:
Willy Brandt hat 1963 auf dem Schlesier-Treffen gesagt: „Ver
zicht ist Verrat.“ Ich weiß nicht, wie Willy Brandt heute darüber
denkt, aber zu den übrigen Sozialdemokraten kann man - wie sie
sich entscheiden werden, ist ja gesagt worden - jetzt schon
sagen, es handelt sich um Verräter.
[Beifall bei den REP]
Wieder einmal vergreift sich der von der SPD geführte Senat
an der Symbolik in diesem Hause. War es vor einigen Monaten
die etwas voreilige Änderung der Eröffnungsformel dieser Volks
vertretung, so gehen SPD und AL jetzt offenbar in Ermangelung
wichtigerer Aufgaben direkt auf die Fahnen der ostdeutschen
Länder los. Diese moderne Art der Bilderstürmerei hat in Teilen
der SPD eine längere Tradition. Schon der Schütz-Senat ließ in
den 70er Jahren die Namen der ost- und mitteldeutschen Länder
von den Berliner Messehallen entfernen. Angeblich seien des
halb osteuropäische Staaten den Messen ferngeblieben. In
Wahrheit kamen sie in größerer Zahl erst viele Jahre später, als
die Namen längst vergessen waren.
Erinnert sei auch an den kleinkarierten Streit über die Rich
tungsschilder am Mehringdamm/Ecke Gneisenaustraße, die auf
Städte wie Königsberg, Stettin und Breslau hinwiesen. Der Ver
leger Axel Springer, dessen Deutschlandbild nicht vom Zeitgeist
verunstaltet war, nahm diesen Wegweiser dann auf sein Grund
stück in der Kochstraße. Die CDU hat in den acht Jahren ihrer
Regierungszeit nichts korrigiert.
Zurückkommend auf den jetzt vorliegenden Anlaß geben wir
Republikaner dreierlei zu Protokoll:
1. Diese Fahnen sind bisher nicht als Ausdruck eines territo
rialen Anspruchs gewertet worden, sonst hätten sich gewiß
SPD-geführte Vorgängersenate längst an diesen Fahnen vergrif-