Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
30. Sitzung vom 10. Mai 1990
1603
Diepgen
(A) Normalerweise hätte ich erwartet, daß der Regierende Bürger
meister angesichts der Streitigkeiten im Senat Stellung nimmt.
Ich habe auch mit den Fraktionskollegen darüber nachgedacht,
ob wir uns bemühen sollten, den Regierenden Bürgermeister in
dieser Debatte noch zu hören. Ich weiß, daß er in Ost-Berlin ist
und die Opposition akzeptieren muß, daß es Termine gibt, auf
grund derer ein Regierender Bürgermeister hier nicht anwesend
sein kann. Die Alternative wäre, daß wir die Debatte unterbre
chen, andere Tagesordnungspunkte vorziehen und dann den
Regierenden Bürgermeister hören. Ich weiß, daß ein solches
Vorgehen, das ich eigentlich für sachlich richtig halte, bei der
Regierungsfraktion offenbar auf Widerstand stößt; ich nehme
das zur Kenntnis; ich habe das quer durch die Reihen gehört.
Deswegen verzichte ich auf dieses Verfahren.
Es bleibt allerdings, daß wir - ich nannte bereits die entspre
chenden Artikel und Paragraphen - gegen die Senatorin für
Stadtentwicklung und Umweltschutz einen Mißtrauensantrag
einbringen.
[Beifall bei der CDU -
Frau Künast (AL): Welch eine Ehre für siel]
Die Begründung für einen Mißtrauensantrag liegt darin, daß wir
den Eindruck haben, hier wird bewußt ein notwendiges Verfah
ren, die notwendige Genehmigung, zum Nachteil des Landes
Berlin und der wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt verzö
gert.
[Beifall bei der CDU]
Wir haben aus dieser Debatte nicht den Eindruck gewinnen kön
nen, daß es tatsächlich nur darum geht, für zwei Monate ein wei
teres Anhörungsverfahren durchzuführen. Dabei komme ich auf
die unterschiedlichen Rechtspositionen, die dargestellt worden
sind.
[Frau Künast (AL): Was beantragen Sie denn jetzt?]
- Den Mißtrauensantrag bringe ich ein.
(B) [Zurufe]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Herr Diepgen spricht
zu § 45 der Geschäftsordnung - dabei geht es um einen Miß
trauensantrag -, was er jederzeit machen kann, wenn das in
einem sachlichen Zusammenhang zu dem steht, was wir vorher
debattiert haben. Insofern kann er fünf Minuten dazu reden; bis
jetzt hat er drei Minuten gesprochen.
[Dr. Staffelt (SPD): Ich wollte nur wissen,
wie lange er schon redet!]
Diepgen (CDU): Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Dr. Staffelt,
daß Sie akzeptieren, daß man die geschäftsordnungsmäßigen
und verfassungsmäßigen Rechte hier nutzt.
[Zuruf von der AL]
- Wenn Sie das wissen wollen, unterbrechen Sie mich doch
nicht, denn dann dauert das noch länger.
Unser Eindruck ist also, daß auch nach zwei Monaten das
selbe Verfahren und dieselbe Arbeitsweise des Senats wieder
deutlich werden. Es gibt wieder einen Beschluß, wieder eine Ver
schiebung und wieder den Beschluß. Rechtliche oder andere
Bedenken werden vorgeschoben, ohne zu einer Entscheidung
zu kommen, die für Berlin wichtig ist.
[Beifall bei der CDU]
Es ist nicht nur eine Entscheidung, die für das HMI wichtig ist, es
ist eine Entscheidung, die für die gesamte Wissenschaftsland
schaft und die Arbeitsplätze in Berlin wichtig ist.
[Beifall bei der CDU]
Die unterschiedlichen Rechtspositionen sind darin deutlich
geworden, daß ich jedenfalls aus dem Gesamtkontext der Aus
sagen von Frau Senatorin Schreyer - jeder, der sorgfältig zuge
hört hat, wird dem zustimmen müssen - den Eindruck habe, daß
sie generell die Einrichtung Hahn-Meitner-Institut nicht für
genehmigungsfähig hält, weil sie eine schadlose Verwertung
wegen des Zusammenhangs mit dem angeblichen Rüstungs- (C)
kreislauf nicht für möglich hält. Das ist ihre Position, und offen
sichtlich wirbt sie für diese Position außerparlamentarisch und in
der Verwaltung in Verletzung ihrer Amtspflichten. Deswegen ist
ein Mißtrauensantrag notwendig, damit Schaden von dieser
Stadt gewendet werden kann.
[Starker Beifall bei der CDU]
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Ein Mißtrauensantrag
kann jederzeit im Zusammenhang mit dem Sachverhalt einge
bracht werden; hier soll Frau Senatorin Schreyer das Vertrauen
entzogen werden. Wir müssen nach unserer Geschäftsordnung
darüber beraten. Die Fraktionen sollten sich untereinander dar
über verständigen, wie wir vergehen wollen, ob dies bei der
nächsten turnusmäßigen Sitzung geschehen soll.
[Kern (SPD); Gleich zum Antrag äußern I]
Ich schlage vor, daß sich alle Fraktionen noch zu diesem
Antrag äußern können. Problematisch ist nur, daß wir uns mitten
in einer Debatte - mit einer noch offenen Wortmeldung - befin
den. Wir sollten gegebenenfalls in der Debatte fortfahren und die
Fraktionen sich danach zu dem Antrag äußern.
[Landowsky (CDU): Kann dann noch
jede Fraktion sprechen?]
- Natürlich kann zu einem Mißtrauensantrag auch gesprochen
werden. Insofern müßten wir uns nur verständigen, ob und in
welcher Reihenfolge gesprochen wird. Ich meine, es wäre den
anderen Fraktionen gegenüber fair, dies in diesem Zusammen
hang zu tun. Dann hätte Frau Dr. Schramm jetzt die Möglichkeit,
dazu zu reden. - Bitte, Frau Dr. Schramm!
Frau Dr. Schramm (AL): Herr Diepgen hat gerade dazu auf
gefordert, nach Willkür zu entscheiden. Er hat dazu aufgefordert,
daß Frau Schreyer diese Frage nach politischem Gutdünken klä
ren soll, obwohl die Voraussetzungen für die Genehmigung nach
Recht und Gesetz nicht gegeben sind. Sie haben überhaupt
keinen Versuch gemacht, diese zu prüfen. Sie haben einfach (D)
gesagt, es wird durch die Verzögerung Schaden für das Land
Berlin entstehen. Wenn ein Forschungsreaktor gegen Recht und
Gesetz genehmigt werden würde,
[Diepgen (CDU): Stimmt überhaupt nicht!]
wäre das ein viel größerer Schaden, der auf das Land Berlin
zukäme.
[Beifall bei der AL]
Sie folgen blind Herrn Riesenhuber ex cathedra, der - obwohl er
für die Genehmigung nicht zuständig ist - sich eine Kompetenz
anmaßt, die er nicht hat. Ich habe von der CDU bisher in allen
Debatten noch keine Begründung gehört, inwiefern die Voraus
setzungen für die Genehmigung vorliegen, inwiefern ein Entsor
gungsnachweis gegeben ist. Sie drücken sich in einem Maß vor
der inhaltlichen Auseinandersetzung, daß das nicht mehr mit
anzusehen ist. Ich habe den Eindruck, wer immer von Ihnen bis
her geredet hat, versteht überhaupt nicht, worum es sich handelt.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Auf der Grundlage von Ignoranz und „Augen zu und durch“
wurde jetzt dieser Mißtrauensantrag gestellt, der absurd ist,
weil Frau Schreyer nichts anderes macht als das, was vorge
schrieben ist.
[Schütze (CDU); Wissen Sie denn überhaupt,
wovon Sie reden?]
- Ich weiß genau, wovon ich rede.
[Diepgen (CDU): Wenn Sie wissen, wovon Sie reden,
dann lügen Sie!]
Solange niemand weiß, was in dieser Entsorgungsanlage Doun-
reay los ist, ob eine Wiederaufarbeitung möglich ist, ob das ein
Zwischenlager ist, kann doch nicht in völliger Blindheit gesagt
werden, wir schicken die Brennstäbe nach dort. Das geht doch
nicht und wäre leichtfertig und mit Recht und Gesetz nicht ver
einbar.
[Beifall bei der AL]