Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
30. Sitzung vom 10. Mai 1990
1598
Bogen
(A) Amerikanische Präsidenten sind deshalb in unserer Stadt von
der AL sogar als nicht willkommen bezeichnet worden. Man muß
unwillkürlich an die Geschichte vom Teufel und dem Weihwasser
denken.
Eine solche verbohrte Ideologie verhindert in unserer Stadt,
Forschung mit Hilfe von Neutronenstrahlen zu betreiben. Eine
derartige Forschung ist zur Untersuchung von Atomstrukturen
und zur Verbesserung der Werkstoffe unumgänglich. Beispiels
weise verspröden in Kernreaktoren die Werkstoffe infolge der
Neutronenbestrahlung. Das Atomkraftwerk Greifswald muß aus
diesen Gründen abgeschaltet werden. In westlichen Kernreakto
ren hat man dank der Forschung mit Neutronenstrahlen dieses
Problem schon lange gemeistert.
[Gelächter bei der AL]
Im Mittelalter wurde mit abergläubischen Argumenten das Öff
nen von Leichen und damit der gesamte medizinische Fortschritt
verhindert. Heute ist es die AL, die Wissenschaft und Forschung
und damit den technischen Fortschritt untergräbt.
[Teige (AL); Das war aber wieder ein sehr großer Sprung!]
Mit unglaublichen Verzögerungstaktiken versucht die AL, eine
Genehmigung auf den Sanktnimmerleinstag zu verschieben.
[Teige (AL): Auf den Nikolaustag!]
Jetzt sollen die Potsdamer befragt werden, welche Einwände sie
gegen einen Forschungsreaktor in ihrer Nähe vorzubringen
haben.
[Gramer (AL): Das sind doch Ihre Brüder
und Schwestern!]
Die Genehmigungsbehörde ist jedoch keinesfalls verpflichtet,
einen Erörterungstermin wegen der Potsdamer zu wiederholen.
Ein West-Berliner kann im Verwaltungsverfahren nach dem Erör
terungstermin keine Einwendungen mehr verbringen. DDR-Bür
ger können nicht bessergestellt werden!
(B) Technische Sicherheitsfragen wie eine Rohrpost auf dem
Gelände des Forschungsreaktors werden neu hochgespielt
Die Katastrophenschutzplanung bezieht sich nur auf Berlin
(West) und soll jetzt auf Potsdam erweitert werden.
[Frau Dr. Schramm (AL): Aber das ist doch
wirklich vernünftig!]
Alles das sind nur vorgeschobene Gründe, um die Genehmi
gung zu verzögern.
Angeblich weist das Anlagensicherheitshandbuch noch Lük-
ken auf. Die Entsorgungsgrundsätze für Kernbrennstäbe wer
den zur Zeit beim Bund neu bearbeitet. Auch mit dem Entsor
gungsnachweis durch einen Vertragsentwurf mit einem briti
schen Unternehmen ist die Genehmigungsbehörde angeblich
nicht einverstanden.
[Teige (AL): Wollen Sie das Manuskript
nicht lieber einreichen?]
Daß monatliche Kosten in Höhe von über 2 Millionen DM anfal
len, um den stillgelegten Forschungsreaktor zu warten, interes
siert die AL nicht. Auch die schweren Schäden für den Wissen
schaftsstandort Berlin berühren die AL in keiner Weise. Im
Gegenteil; Es ist das Ziel der Ökosozialisten, das Vertrauen in
die Ergebnisse von Wissenschaft und Technik zu erschüttern.
[Teige (AL): Da haben Sie unseren Herrn Köppl
aber ganz falsch eingeschätzt!]
Dieses Ziel wird sogar in mehrfacher Hinsicht erreicht, wenn der
Bundesforschungsminister die Zuschüsse für andere Projekte in
Berlin streicht - wofür ich volles Verständnis habe.
[Teige (AL): Das ist nett!]
Immerhin flössen jährlich 350 Millionen DM an Forschungsmit
teln nach Berlin. Diese Beträge haben mit dazu beigetragten,
daß wir jetzt den modernsten Forschungsreaktor in der EG
besitzen.
Spitzenforschung in Berlin ist der AL ein Dorn im Auge. In ihrer
Fassungslosigkeit über die politische Entwicklung, die Berlin zur
Metropole Europas werden läßt, versucht die AL, diese Entwick- (C)
lung mit allen Mitteln aufzuhalten. Sie bedient sich dazu insbe
sondere des Hebels der Wissenschaftsfeindlichkeit
Eines dürfte schon jetzt sicher sein: Der Forschungsreaktor
wird in die alleinige Trägerschaft des Landes Berlin übergehen.
Bisher trug Bonn 90 % der Kosten. Außerdem hat der Bundes
forschungsminister angekündigt, von Juni an Schadenersatz zu
Verlagen.
[Dr. Köppl (AL): Was machen die Zinsen,
Herr Bogen?]
Der Senat muß sich darauf einstellen, 170 Millionen DM zurück
zuzahlen, die in den Umbau des Forschungsreaktors investiert
wurden. Was übrig bleibt, ist eine Investitionsruine als Mahn
mal für eine gegen die Interessen Berlins gerichtete Politik.
Mittlerweile pfeifen es die Spatzen vom Dach, daß der Berliner
Sozialdemokratie das Verhalten des jetzigen Koalitionspartners
mit seinen ständig neuen Auflagen für eine Genehmigung nicht
mehr schmeckt. In den Ausschüssen ist ein offener Dissens aus
gebrochen. Die Warnung des Regierenden Bürgermeisters an
den Bundeskanzler vor einer angeblichen Forschungsblockade
Berlins ist ein fadenscheiniger Versuch, vom Berliner Koaliti
onsproblem abzulenken. Wäre die Zuständigkeit für atomrecht
liche Genehmigungen beim Wirtschaftssenator geblieben, so
wäre die Genehmigung längst erteilt worden.
Gemäß der Aussage des Leiters des Reaktorprojekts vor dem
Ausschuß für Wissenschaft und Forschung hat das HMI alle
technischen Vorgänge bearbeitet, die für das Genehmigungsver
fahren erforderlich waren. Wenn nun nicht umgehend die
Betriebsgenehmigung erteilt wird, ist unserer Ansicht nach
erwiesen, daß der Senat eine eindeutige Verhinderungspolitik
betreibt. Wir fordern den Senat auf, die Zuständigkeiten so zu
ordnen, daß eine Vorabgenehmigung sofort erteilt werden
kann. - Ich danke Ihnen.
[Beifall bei den REP]
(D)
Stellv. Präsidentin Brinckmeier: Für die AL hat jetzt Herr
Berger das Wort.
Berger (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren I
Daß die AL mit der roten Fahne in der Hand das finstere Mittel-
alter in Wannsee versammelt und dort die Leichenschau im
Hahn-Meitner-Reaktor verhindern will, das ist wirklich eine neue
Variante unserer bösen Absichten. Das müssen wir uns hinter die
Ohren schreiben.
[Beifall des Abg. Bogen (REP)]
Ich wollte auf meinen Vor-Vor-Vorredner, Herrn Schütze von
der CDU, eingehen. Sie haben die Geschichte des Genehmi
gungsverfahrens des Hahn-Meitner-Instituts hier Revue passie
ren lassen. Mich hat das an den Spruch erinnert, daß Sie wie der
Hahn über die glühenden Kohlen gelaufen sind. Sie haben
keines der Probleme, die sich dabei ergeben, wirklich benannt.
Sie sind auf keines der Probleme eingegangen, denn sonst
hätten Sie sich verbrannt.
[Beifall der Frau Abg. Weißler (AL)]
Ich komme auf die beiden wichtigsten Probleme in der Dis
kussion zu sprechen, die es unmöglich machen, den Reaktor
zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu genehmigen.
[Schütze (CDU): Seien Sie doch mal ehrlich und
geben Sie zu, daß Sie ihn nicht genehmigen wollen! -
Landowsky (CDU): Warum soll er denn ehrlich sein?]
- Ich denke, daß wir zuerst über die Sachprobleme reden. Ich
werde dann auf unseren erklärten Willen eingehen. - Das eine ist
die glühende Kohle der Demokratie, des demokratischen
Anspruchs der Potsdamer Bürger. Herr Schütze, wenn Sie sich
zum Beispiel den Katastrophenplan des Hahn-Meitner-Reak-
tors anschauen: Dort ist für den schlimmsten, zugegebenerma
ßen äußerst unwahrscheinlichen Fall - ich male gar nicht den
Teufel an die Wand - eine Evakuierung des gesamten Gebiets in
einem Radius von dreieinhalb Kilometern vorgesehen. Das geht