Abgeordnetenhaus von Berlin - 11. Wahlperiode
30. Sitzung vom 10. Mai 1990
1583
(A) Degen (REP): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wie wir alle wissen, ist es in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai
diesen Jahres erneut zu schweren Krawallen in Kreuzberg
gekommen. Am Ende waren abermals über 230 - ich wieder
hole: über 230 - verletzte Polizeibeamte zu beklagen. Dennoch
sind der Senat von Berlin und die ihn tragenden Fraktionen
dieses Hauses der Meinung, man habe die Spirale der Gewalt
durchbrochen, und es hätte alles noch viel schlimmer kommen
können. In Wirklichkeit waren die Krawalle am I.Mai dieses
Jahres fast noch schlimmer als im Vorjahr.
[Teige (AL): Fast!]
Ich habe mir als Fraktionsvorsitzender der Republikaner und
als Mitglied des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus an
diesem 1. Mai keinen schönen Tag im Grünen gemacht, sondern
bin von der Mittagszeit an bei der polizeilichen Einsatzleitung vor
Ort in Kreuzberg gewesen.
[Beifall bei den REP - Teige (AL); Was haben Sie
da zu suchen?]
- Wenn Sie fragen, was ich dort zu suchen habe, antworte ich:
Als Parlamentarier ist es mein Recht, dort zu sein! Aber diese
parlamentarischen Spielregeln sollten Sie vielleicht noch lernen.
[Abg. Miosga (REP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]
Stellv. Präsidentin Frohnert: Herr Degen, gestatten Sie
eine Zwischenfrage von Ihrem Kollegen?
Degen (REP): Nein! - Doch!
[Heiterkeit]
Miosga (REP): Herr Degen, wie beurteilen Sie es eigentlich,
daß derjenige, der für die Krawalle mit Verantwortung zeigen
sollte, nämlich der Senator für Inneres, gar nicht im Raum ist?
[Diepgen (CDU); Der Innensenator steht bei der AL! -
( ß ) Buwitt (CDU): Da, wo er hingehört!]
Degen (REP): Herr Miosga, der Innensenator sitzt zwar nicht
auf seinem Platz, aber er steht bei der AL. Er wird sich wahr
scheinlich dort Instruktionen holen, wie die nächste Demonstra
tion abzulaufen hat.
[Beifall bei den REP]
Ich möchte fortfahren. Die zunächst vielfach gegebenen Dar
stellungen sind falsch, nach denen die Krawalle erst am Abend
und im Anschluß an das illegale Fest der autonomen Szene am
Görlitzer Bahnhof begonnen hätten. Richtig ist, daß die Unru
hen am Abend weitaus stärker waren als die Vorfälle am Tage.
Auch diese Vorfälle waren aber für sich gravierend genug.
Bereits zu Beginn der revolutionären 1 .-Mai-Demonstration - in
den Mittagsstunden - waren mehrere Dutzend Personen von der
Polizei in Gewahrsam genommen worden, bei denen man bei
Vorkontrollen Schlagwerkzeuge, Steine sowie Molotowcock-
tails gefunden hatte. Ich frage Sie: Was haben diese Gegen
stände bei einer Demonstration überhaupt zu suchen? - Der
Lautsprecherwagen der Demonstration war mit Schlagwerkzeu
gen gefüllt und mußte vorübergehend beschlagnahmt werden.
Um 13.30 Uhr wurden Polizisten in der Naunynstraße derart
mit Latten angegriffen, daß sie in Notwehr den Gebrauch der
Schußwaffe androhen mußten. Kurz nach 14.30 Uhr begannen
dann die Steinwürfe auf die zur Begleitung der Demonstration
eingesetzten Polizeikräfte. Etwas später wurde an einer Kreuz
berger Tankstelle eine Sprengstoffladung festgestellt, die erst
von der Polizeitechnischen Untersuchungsstelle entschärft wer
den konnte.
Später dann - um 20.15 Uhr- kam es zu den von den Medien
der breiten Öffentlichkeit gegenüber bekanntgegebenen größe
ren Krawallen, wobei vielfach unterschlagen wird, daß diese
Krawalle sich aus einer Vielzahl durchweg schwerer Straftaten
wie Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung bis
hin zu versuchten Tötungsdelikten und Brandstiftung zusam-
mengesetzt haben. Am Ende blieb abermals ein verwüsteter
Bereich in Kreuzberg mit ausgebrannten PKW und geplünder- (C)
ten Läden zurück. Die Zahl der bereits erwähnten über 230 ver
letzten Polizisten spricht ebenfalls für sich.
Dennoch haben die politisch Verantwortlichen die Stirn, von
einem teilweisen Erfolg zu sprechen. Stattdessen hat der rot
grüne Senat, repräsentiert durch Innensenator Pätzold, einmal
mehr seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt, die öffentliche
Sicherheit und Ordnung in Berlin im Interesse der Normalbürger
zu gewährleisten.
[Beifall bei den REP]
Auffällig ist dabei, daß nach Polizeiangaben 80 % der Randa
lierer jugendliche Türken waren. Hier haben sich die stadtbe
kannten Jugendbanden zu gemeinsamen Aktionen zusammen
getan. Dies ist auch in den Zeitungen nachzulesen. In einer frü
heren Diskussion im Abgeordnetenhaus hatte der SPD-Abge-
ordnete Barthel diese Jugendbanden heruntergespielt, als
handle es sich nur um Jugendgrüppchen, die einmal zusammen
Kegeln oder ins Kino gehen. Nein - sie haben zusammen randa
liert!
[Teige (AL): Ist es möglich!]
Die verfehlte Ausländerpolitik der vergangenen Jahrzehnte
beginnt sich hier zu rächen. Arbeitskräfte hat man gerufen, aber
Menschen sind gekommen. Diese Menschen hat man durch Ver
festigung ihres Status als Gäste in unserem Land nach und nach
aus ihren eigenen nationalen Bindungen und Bezügen herausge
löst.
[Frau Korthaase (SPD): Das ist sehr seltsam,
was sie da erzählen!]
Der Lösung aus der früheren Identität - etwa als Türke - stand
aber nur sehr selten die Begründung einer neuen deutschen
Identität gegenüber. Als Folge davon haben wir heute Zehntau
sende Ausländer in unserem Land, die zwar ihre kulturelle und
nationale Identität weitgehend verloren haben, ohne sich
andererseits in die hier herrschenden, deutschen Lebensverhält
nisse eingliedern zu können oder - auch nur ansatzweise - zu (D)
wollen.
[Frau Korthaase (SPD): Viele
sind hier geboren, Herr Degen!]
Wir erleben derzeit das Heranwachsen eines multikulturel
len Subproletariats in West-Berlin wie auch in anderen Teilen
des westlichen Europas mit seinen zahlreichen kriminellen Able
gern. Die Antworten der etablierten Politik - insbesondere aus
rot-grüner Richtung - auf diese neu entstandenen Probleme wir
ken hilflos bis schwach, Deutsche Politiker wirken dabei vielfach
so, als ob sie sich den Fremden gegenüber mehr zugehörig fühl
ten als den hier lebenden und einheimischen Deutschen, die sie
in diese Ämter gewählt haben.
Wir Republikaner sagen ganz deutlich: Das Problem des
inzwischen entstandenen, entwurzelten, multikulturellen Subpro
letariats kann nur mit einer neuen Ausländerpolitik gelöst wer
den. Herr Pätzold hat nicht ganz unrecht, wenn er sagt, die Pro
bleme in Kreuzberg könnten auf Dauer nicht von der Polizei allein
gelöst werden. Hier muß der gesamte Staat mit seiner Rechts
ordnung tätig werden. Wir brauchen ein neues Ausländerrecht,
das die Integration wirklich eingliederungswiiliger Ausländer för
dert, den weiteren Zuzug von Ausländern wirksam verhindert und
die umgehende Abschiebung von straffällig gewordenen Auslän
dern ermöglicht. Wir Republikaner sagen ganz deutlich; Der kri
minelle Abschaum von ausländischen Jugendbanden, der in
Kreuzberg randaliert hat, gehört aus Deutschland abgeschoben.
[Beifall bei den REP - Zuruf von den REP: Sehr gut!]
Herr Pätzold mit seiner laienhaften Sicherheitspolitik ist
aber nicht nur außerstande, in Kreuzberg für Sicherheit zu
sorgen. Er wendet sich ebenfalls gegen jede auch nur ansatz
weise positive Bestrebung, das Ausländerrecht in dem von uns
beschriebenen Sinn zu verändern. Wer aber in dieser Form sein
Denken unter dem Motto „Ausländer rein - Deutsche raus“ unter
Beweis stellt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er gesell
schaftliche Konflikte produziert, die am 1. Mai nicht nur in Kreuz
berg, sondern auch in Lichtenrade und anderswo aufgebrochen